Berliner Zeitung Das Kind zwischen Mutter und Vater Leserinnen und Leser zu einem brisanten Thema In der vergangenen Woche veröffentlichten wir an dieser Stelle unter dem Titel "Zu wem gehört das Kind?" ein Interview mit dem Juristen Prof. Ludwig Salgo. Vorausgegangen war ein Magazin-Text über einen Sorge- und Umgangsrechtsstreit ("Und bist du nicht willig ." von Birgit Walter, 10. Februar 2007). Zum Interview mit Ludwig Salgo haben uns mehr als 80 Zuschriften erreicht. Betroffene Mütter und Väter, Experten, die sich mit dem brisanten Thema beschäftigen, berichten darin aus eigener Erfahrung. Einige der Zuschriften veröffentlichen wir, teilweise gekürzt, im Folgenden.
Der Teil von mir, der mir fehlte Meine Eltern trennten sich, als ich vier war. Anfangs bemühte sich mein Vater, den Kontakt zu uns Kindern aufrechtzuerhalten. Da meine Mutter zwei Jahre später nochmals heiratete und mit uns in eine andere Stadt zog, fanden die Treffen kaum mehr statt. Hinzu kam, dass ich auf Grund der Streitigkeiten meiner Eltern den Kontakt zu meinem Vater gänzlich abbrach. Als Kind spürte ich den Hass meiner Mutter deutlich, auch wenn sie nicht darüber offen sprach. Mit 15 Jahren erlebte ich die zweite Scheidung und stand auch dieser Situation hilflos gegenüber. Ich wurde nicht über die Trennungsgründe aufgeklärt. Ein Jahr später unternahm ich einen Selbstmordversuch, der eher als eine Art Hilferuf zu werten war. Lange Jahre verdrängte ich meine Erlebnisse und funktionierte im Beruflichen wie im Privaten problemlos. Als ich meine damalige Frau kennen lernte, kam mir in den Sinn, meinen Vater zu meiner Hochzeit einzuladen. Meine Mutter teilte mir mit, dass sie dann nicht teilnehmen würde, ich lud ihn wieder aus. Als Jugendlicher und später Erwachsener traf ich meinen Vater insgesamt vielleicht vier oder fünf Mal für ein Wochenende. Es gab wenig Möglichkeiten der Annäherung oder des Kennenlernens, diese Treffen waren sehr zerbrechlich. Nachdem ich meinen Vater nach zehn Jahren das erste Mal wiedersah und erfuhr, dass auch seine zweite Ehe auf Grund Fremdgehens gescheitert war, wurde ich wütend und ging für die nächsten Jahre wieder auf Abstand. Erst mit 36 Jahren setzte bei mir ein Wandel ein. Mir wurde klar, dass auch ich meinen Vater verurteilt hatte, wie es meine Mutter tat, obwohl er im Grunde genommen für sein Leben, so wie er es führte, selbst verantwortlich war. Ein halbes Jahr vor seinem Tod traf ich mich mit ihm und entschuldigte mich, dass ich ihn verurteilt und den Kontakt abgebrochen hatte. Ich versprach, ihn baldmöglichst wieder zu besuchen. Leider fand dieses Treffen nicht mehr statt. Ich fand ihn an diesem Tag tot in seiner Wohnung vor. Zur Beerdigung traf ich meine Verwandten väterlicherseits. Sie erzählten mir, wie sehr er darunter gelitten hätte, dass ihn seine Kinder nicht sehen wollten und er immer wieder versucht hat, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Sie berichteten mir sehr viel aus seinem Leben und gaben mir dadurch eine neue Sichtweise. Ich empfand das erste Mal in meinem Leben ein Gefühl von Stolz, der Sohn dieses Mannes gewesen zu sein. Und zugleich empfand ich es als beschämend, mir nicht bereits viel früher ein objektives Bild von ihm gemacht zu haben. Ich muss gestehen, dass ich mich erst ab diesem Zeitpunkt "Ganz" fühlte, weil ich endlich, wenn auch sehr spät, diesen wichtigen Teil von mir selbst, annehmen konnte. Edgar Preis, München
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