Rapper Massiv
Markenzeichen Gangster
VON TIM KLIMEš
Es ist kurz nach 22 Uhr, als die Schüsse fallen. Drei an der Zahl, abgegeben aus nächster Nähe. Kurz darauf wird der Rapper Massiv mit einer Schussverletzung am Arm ins Berliner Urban-Krankenhaus eingeliefert.
Die Szenerie in dieser Montagnacht in der Berlin-Neuköllner Schierker Straße erinnert an ein Bild aus dem Jahr 1996: In Las Vegas hat die Polizei am Abend des 7.September die Flamingo Road gesperrt, ein schwarzer BMW steht quer auf der Kreuzung, die Karosserie von 13 Kugeln durchlöchert.
Im Kugelhagel stirbt der Rapper Tupac Shakur. Sein Tod ist der traurige Höhepunkt der Kämpfe zweier rivalisierender Hip-Hop-Gangs. Auch in Neukölln steht ein schwarzer BMW auf der Straße, auch hier ist die Scheibe von einer Kugel durchschlagen, auch Massiv bekriegte sich zuvor mit rivalisierenden Gangs. Allerdings nur verbal. Der Gangster-Rap ist vollends in Deutschland angekommen.
Die ersten Meldungen über den Angriff auf den Berliner Rapper verbreiten sich schnell. Schon um 22.32 Uhr, sieben Minuten bevor Massiv in der Klinik eintrifft, wird im Internetforum des Rappers das "Attentat" vermeldet. Am nächsten Tag folgt die Mitteilung der Plattenfirma: Massiv habe viel Blut verloren, "er war dem Tod sehr nah".
Die schnelle Verbreitung macht die Polizei stutzig, der Verdacht einer Inszenierung wird laut. Immerhin soll Massivs neues Album demnächst erscheinen. "Eine Riesensauerei" seien die Vorwürfe, sagt sein Entdecker und Berater Guido Schulz der Frankfurter Rundschau. "Es ist pervers, so etwas zu behaupten, wenn jemand um sein Leben fürchtet."
Inszeniert oder nicht - für Massiv und sein Label Sony BMG könnte die Geschichte Gold wert sein. In den USA gehört das zelebrierte Gangstertum längst zum Hip-Hop-Geschäft. Die Geschichte des Ex-Drogendealers 50 Cent, der sich auf der Straße neun Kugeln einfängt, wird zum Mantra des bösen Hip-Hop – bis heute vermarktet er sich als Ex-Gangster, verkaufte mehr als 20 Millionen Platten.
Der deutsche Hip-Hop feierte seine ersten Erfolge Anfang der 90er zunächst, indem er sich vom US-Vorbild nur die Musik borgte: In Stuttgart kreieren die Fantastischen Vier 1991 braven Pennäler-Rap, Freundeskreis folgen 1997 politisch korrekt mit Multikulti und Politromantik.
Der Ton wird rauher, als in Frankfurt das Rödelheim Hartreim Projekt die amerikanische Streitkultur ins Gewerbe einführt; seit gut fünf Jahren dominiert nun das Label Aggro Berlin die Szene – mit zumeist anstößigen Texten. Seitdem dreht sich auch deutscher Hip-Hop um ethnische Differenzen und kokettiert mit Gewalterfahrungen. "Ich bin der vorbestrafte Attentäter" rappt Massiv in einem seiner Songs.
Anders als 50 Cent wächst Massiv, bürgerlich Wasiem Taha, nicht im Problemviertel auf, sondern im pfälzischen Pirmasens. Drogendeals und Prügeleien bringen dem Sohn palästinensischer Flüchtlinge schnell Jugendarrest und U-Haft ein. Mit Anfang 20 bescheinigt ihm das Jugendamt "keine Perspektive in Deutschland". 2005 geht Taha nach Berlin, wo er als Rapper Anschluss an die harten Jungs der Szene sucht. Er geht mit Aggro-Berlin-Star Sido ("Mein Block") auf Tour, rappt im Studio mit dessen Kollegen Fler.
Das Majorlabel Sony BMG entdeckt ihn – und will ihn zum deutschen 50 Cent machen. Breiter Nacken, üble Vergangenheit: "Er kennt das Leben am Rande der Gesellschaft", heißt es in der Biografie des Rappers. Das Label investiert 250.000 Euro, Taha heißt jetzt Massiv, das passt besser zum gestählten 120-Kilo-Körper. Er gründet sein Label "Al Massiva", rappt über Islam und Unterschicht.
In Deutschland debattiert man gerade über "abgehängtes Prekariat", der Islam ist Dauerthema. Es scheint, als seien diese Debatten dem Rapper Massiv auf den Leib geschneidert. Vielleicht ist es auch genau umgekehrt. Kriminell, jung, arabisch: Massiv verkörpert, wovor viele Deutsche sich fürchten – bei der Jugend kommt die Provokation an.
In Berlin versammelt Massiv eine eigene Leibgarde um sich. "Seine Brüder", "seinen Rücken" nennt er die neuen Freunde. In den Akten des Landeskriminalamts Berlin werden die "Brüder" als Gewalttäter geführt, viele haben Haftstrafen abgesessen.
Bereits im Juni wurde Massiv auf der Bühne attackiert, Rapkollege Bushido wurde bei einem Auftritt angefallen, Fler griffen kürzlich Unbekannte mit einem Messer an. Doch die Rapper rühmen sich damit und gefallen sich in ihren Texten weiter in der Gangsterpose. Die Schüsse auf Massiv beweisen nun, dass auch in Deutschland die Grenze zwischen dieser Pose und der Realität gefallen ist.
In Internetforen werden die Schüsse als "trauriger Höhepunkt" der Gewalt bezeichnet. Traurig waren sie sicher für den gebürtigen Pirmasenser Wasiem Taha. Für die Marke Massiv dürften sie sich auszahlen: Das Markenzeichen Gangster kann Massiv nun keiner mehr nehmen.Rapper Massiv
Markenzeichen Gangster
VON TIM KLIMEš
Es ist kurz nach 22 Uhr, als die Schüsse fallen. Drei an der Zahl, abgegeben aus nächster Nähe. Kurz darauf wird der Rapper Massiv mit einer Schussverletzung am Arm ins Berliner Urban-Krankenhaus eingeliefert.
Die Szenerie in dieser Montagnacht in der Berlin-Neuköllner Schierker Straße erinnert an ein Bild aus dem Jahr 1996: In Las Vegas hat die Polizei am Abend des 7.September die Flamingo Road gesperrt, ein schwarzer BMW steht quer auf der Kreuzung, die Karosserie von 13 Kugeln durchlöchert.
Im Kugelhagel stirbt der Rapper Tupac Shakur. Sein Tod ist der traurige Höhepunkt der Kämpfe zweier rivalisierender Hip-Hop-Gangs. Auch in Neukölln steht ein schwarzer BMW auf der Straße, auch hier ist die Scheibe von einer Kugel durchschlagen, auch Massiv bekriegte sich zuvor mit rivalisierenden Gangs. Allerdings nur verbal. Der Gangster-Rap ist vollends in Deutschland angekommen.
Die ersten Meldungen über den Angriff auf den Berliner Rapper verbreiten sich schnell. Schon um 22.32 Uhr, sieben Minuten bevor Massiv in der Klinik eintrifft, wird im Internetforum des Rappers das "Attentat" vermeldet. Am nächsten Tag folgt die Mitteilung der Plattenfirma: Massiv habe viel Blut verloren, "er war dem Tod sehr nah".
Die schnelle Verbreitung macht die Polizei stutzig, der Verdacht einer Inszenierung wird laut. Immerhin soll Massivs neues Album demnächst erscheinen. "Eine Riesensauerei" seien die Vorwürfe, sagt sein Entdecker und Berater Guido Schulz der Frankfurter Rundschau. "Es ist pervers, so etwas zu behaupten, wenn jemand um sein Leben fürchtet."
Inszeniert oder nicht - für Massiv und sein Label Sony BMG könnte die Geschichte Gold wert sein. In den USA gehört das zelebrierte Gangstertum längst zum Hip-Hop-Geschäft. Die Geschichte des Ex-Drogendealers 50 Cent, der sich auf der Straße neun Kugeln einfängt, wird zum Mantra des bösen Hip-Hop – bis heute vermarktet er sich als Ex-Gangster, verkaufte mehr als 20 Millionen Platten.
Der deutsche Hip-Hop feierte seine ersten Erfolge Anfang der 90er zunächst, indem er sich vom US-Vorbild nur die Musik borgte: In Stuttgart kreieren die Fantastischen Vier 1991 braven Pennäler-Rap, Freundeskreis folgen 1997 politisch korrekt mit Multikulti und Politromantik.
Der Ton wird rauher, als in Frankfurt das Rödelheim Hartreim Projekt die amerikanische Streitkultur ins Gewerbe einführt; seit gut fünf Jahren dominiert nun das Label Aggro Berlin die Szene – mit zumeist anstößigen Texten. Seitdem dreht sich auch deutscher Hip-Hop um ethnische Differenzen und kokettiert mit Gewalterfahrungen. "Ich bin der vorbestrafte Attentäter" rappt Massiv in einem seiner Songs.
Anders als 50 Cent wächst Massiv, bürgerlich Wasiem Taha, nicht im Problemviertel auf, sondern im pfälzischen Pirmasens. Drogendeals und Prügeleien bringen dem Sohn palästinensischer Flüchtlinge schnell Jugendarrest und U-Haft ein. Mit Anfang 20 bescheinigt ihm das Jugendamt "keine Perspektive in Deutschland". 2005 geht Taha nach Berlin, wo er als Rapper Anschluss an die harten Jungs der Szene sucht. Er geht mit Aggro-Berlin-Star Sido ("Mein Block") auf Tour, rappt im Studio mit dessen Kollegen Fler.
Das Majorlabel Sony BMG entdeckt ihn – und will ihn zum deutschen 50 Cent machen. Breiter Nacken, üble Vergangenheit: "Er kennt das Leben am Rande der Gesellschaft", heißt es in der Biografie des Rappers. Das Label investiert 250.000 Euro, Taha heißt jetzt Massiv, das passt besser zum gestählten 120-Kilo-Körper. Er gründet sein Label "Al Massiva", rappt über Islam und Unterschicht.
In Deutschland debattiert man gerade über "abgehängtes Prekariat", der Islam ist Dauerthema. Es scheint, als seien diese Debatten dem Rapper Massiv auf den Leib geschneidert. Vielleicht ist es auch genau umgekehrt. Kriminell, jung, arabisch: Massiv verkörpert, wovor viele Deutsche sich fürchten – bei der Jugend kommt die Provokation an.
In Berlin versammelt Massiv eine eigene Leibgarde um sich. "Seine Brüder", "seinen Rücken" nennt er die neuen Freunde. In den Akten des Landeskriminalamts Berlin werden die "Brüder" als Gewalttäter geführt, viele haben Haftstrafen abgesessen.
Bereits im Juni wurde Massiv auf der Bühne attackiert, Rapkollege Bushido wurde bei einem Auftritt angefallen, Fler griffen kürzlich Unbekannte mit einem Messer an. Doch die Rapper rühmen sich damit und gefallen sich in ihren Texten weiter in der Gangsterpose. Die Schüsse auf Massiv beweisen nun, dass auch in Deutschland die Grenze zwischen dieser Pose und der Realität gefallen ist.
In Internetforen werden die Schüsse als "trauriger Höhepunkt" der Gewalt bezeichnet. Traurig waren sie sicher für den gebürtigen Pirmasenser Wasiem Taha. Für die Marke Massiv dürften sie sich auszahlen: Das Markenzeichen Gangster kann Massiv nun keiner mehr nehmen.
Quelle: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/magazin/?em_cnt=1272973
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