PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. Presseerklärung 24. Juli 2009 Prozess gegen Abschiebearzt vor dem Amtsgericht Frankfurt Ein Halbgott in Weiß verteidigt sich gegen „Gutmenschen“ PRO ASYL: Ein seltener Einblick in das System medizinisch-bürokratischer Abschiebungsvorbereitung Vor dem Amtsgericht Frankfurt hat gestern der Facharzt Heinrich W. ausgesagt, der wegen fahrlässiger Tötung eines kurdischen Abschiebehäftlings angeklagt ist. W. hatte dessen „Abschiebefähigkeit“ (Jargon der Abschiebungsbürokratie) in der JVA Kassel bestätigt und einen Suizid für unwahrscheinlich erklärt. Mustafa Alcali erhängte sich kurz darauf am 27. Juni 2007 in Abschiebungshaft in der JVA Frankfurt. W. zeigte sich im Prozess frei von Selbstzweifeln und verwies mehrmals auf seine langjährige Erfahrung als Psychiater und Gutachter. Eine Rücksprache mit den behandelnden Ärzten der Klinik Hanau, in der Alcali zuvor nach einem Versuch der Selbstverbrennung vier Wochen untergebracht war, hielt W. für unnötig. Deren kurzgefassten ersten Arztbrief mit einem deutlichen Hinweis auf die Suizidgefahr wischte er vom Tisch. „Gutmenschen“ nicht nur dort schrieben oft Gefälligkeitsdiagnosen, auf die ergo nicht viel zu geben sei, so sein Urteil. Ihm gegenüber habe Alcali Selbstmordgedanken abgestritten. Der Angeklagte beharrte darauf, die vorbehandelnden Ärzte hätten allesamt übersehen, dass Alcalis Psychose auf Drogenmissbrauch zurückzuführen sei. Folgt man dieser Hypothese des Angeklagten, dann stellt sich um so mehr die Frage, welche medizinischen Sorgfaltspflichten für die folgende Behandlung hätten gelten müssen. Das Ignorieren anderer Diagnosen lässt sich möglicherweise auch aus einer Haltung der Selbstüberschätzung erklären. Der Angeklagte stellte sich als fossiles Exemplar eines Arztes aus der Halbgott-in-Weiß-Ära dar: kompetent aus jahrzehntelanger Erfahrung, umgeben von dilettierenden Fehldiagnostikern, sein Feindbild: „Gutmenschen“. Weniger sorgfältig war der Angeklagte im medizinischen Alltag. So behauptete er, er habe mehrere längere diagnostische Gespräche mit Alcali geführt. Dokumentiert hat er offenbar nur eines, und das soll ausgerechnet an einem Montag stattgefunden haben, an dem W. laut eigener Aussage gar nicht arbeitete. Vor dem Hintergrund, dass er die Diagnosen der vorher tätigen Ärzte als Gefälligkeitsatteste abqualifizierte, wirft dies die Frage auf, wie viel Zeit und Sorgfalt er selbst aufgewendet hat, um zur Diagnose „keine Suizidgefahr“ zu kommen. Im weiteren Verlauf des Prozesses wurden unter anderem verschiedene Ärzte befragt, die W.s Diagnose ohne weitere Prüfungen ihrerseits unkritisch übernommen hatten. Dabei ging es auch um die willkürlich erscheinende Absetzung der Medikamente, die Alcali während seines Aufenthaltes in der JVA Kassel I und noch zwei Tage nach seiner Überstellung in die JVA Frankfurt I erhalten hatte. Plötzlich wurden diese – offenbar übergangslos – abgesetzt. Zeugen im Verfahren vermittelten teilweise den Eindruck, dass sie ebenso gut auf der Anklagebank hätten sitzen könnten. Die im Verfahren zutage getretenen Mängel in der Kommunikation zwischen Ärzten, die mit dem hessischen Justizvollzug zu tun haben, lassen sich so zusammenfassen: Blinder bürokratischer Vollzug, keine kritischen Rückfragen, auch wenn die Widersprüche zwischen den Diagnosen extrem waren, Ärzte, die unterschrieben, aber keine Verantwortung übernahmen. Alles in allem ein seltener Einblick in das System medizinisch-bürokratischer Abschiebungsvorbereitung. Der Prozess wird am 13. August 2009 fortgesetzt, ein Urteil wird für den 14. August 2009 erwartet. gez. Bernd Mesovic Referent
|