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AMNESTY INTERNATIONAL: Türkei

amnesty international


TÜRKEI

Dieser Länderbericht ist Teil des AI-Berichtes Europe and Central Asia: Summary of Amnesty International's Concerns in the Region: Turkey January – June 2007 (AI Index: EUR 01/001/2007). Für Informationen über weitere Anliegen von ai in Europa siehe das vollständige Dokument.

Übersetzung der Türkei-Koordinationsgruppe. Verbindlich ist das englische Original.


Bewaffnete Auseinandersetzungen und Bombenanschläge gegen Zivilisten

In den ersten sechs Monaten des Jahres gab es einen deutlichen Anstieg an Kampfhandlungen zwischen der bewaffneten separatistischen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und den türkischen Sicherheitskräften; die Zahl der Opfer war deutlich höher als im gleichen Zeitraum im Jahr 2006. Als Reaktion auf den verschärften Konflikt wurden am 9. Juni für einen befristeten Zeitraum drei Sicherheitszonen in Teilen der Provinzen Siirt, Sirnak und Hakkari eingerichtet. Angesichts der Menschenrechtslage während früherer Phasen von Ausnahmezustand, gibt diese Maßnahme Anlass zu der Befürchtung, dass Menschenrechts-verletzungen erneut zunehmen könnten.

Einige Bombenanschläge führten zu Todesfällen oder Verletzungen unter Zivilisten. Am 12. Mai wurde auf einem Markt in Izmir bei einer Bombenexplosion eine Person getötet und 14 verletzt. Die Explosion ereignete sich einen Tag vor einer Demonstration für Säkularismus in der Türkei, zu der Tausende von Menschen erwartet wurden. Keine Gruppe erklärte sich für den Anschlag für verantwortlich. Am 22. Mai forderte ein Selbstmordanschlag in Ankara das Leben von acht Zivilisten und verletzte mehr als 120 Personen. Motiv und Ziel des Anschlags blieben unklar, es wurde jedoch spekuliert, dass der Anschlage sich gegen das Oberhaupt der Streitkräfte, General Yasar Büyükanit, gerichtet haben könnte, da dieser geplant hatte, durch das Gebiet zu fahren, in dem die Bombe explodierte. Die türkischen Behörden behaupteten, dass die Person, die verdächtigt wird, den Selbstmordanschlag verübt zu haben, ein Unterstützer der PKK gewesen sei, aber die Organisation wies jede Verwicklung in den Bombenanschlag zurück.

Einige Erfolge gab es beim Aufspüren von Verantwortlichen für frühere Bombenanschläge. Im Bezirk Ümraniye (Istanbul) kam es zu Verhaftungen, nachdem am 13. Juni in einem Waffenlager Handgranaten und Zündkapseln entdeckt wurden. Über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Waffenlager und einem Anschlag auf die Büroräume der Zeitung Cumhuriyet im Mai 2006, bei dem Handgranaten des gleichen Typs benutzt worden waren, wird noch ermittelt. Unter den Verhafteten befand sich ein pensionierter Offizier der Armee.

Gewaltsame Übergriffe und Tötungen

In der Türkei nimmt ein Klima der Intoleranz zu, in dem Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und andere, die versuchen einer abweichenden Meinung Ausdruck zu geben, Gewaltdrohungen und Angriffen ultranationalistischer Gruppen ausgesetzt sind.

Am 19. Januar wurde der türkisch-armenische Journalist und Menschenrechtsverteidiger Hrant Dink (53) erschossen. Hrant Dink war ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Universalität der Menschenrechte. Er trat bei verschiedenen Diskussionsforen mit Menschenrechtsverteidigern, Journalisten und Intellektuellen aus dem gesamten politischen Spektrum auf. Er war bekannt dafür, dass er die Themen armenische Identität und die Darstellung der Massaker an Armeniern 1915 in der offiziellen Geschichtsschreibung der Türkei offen diskutierte. Hrant Dink schrieb außerdem zu den Themen Demokratisierung und Menschenrechte. Amnesty international ist überzeugt, dass er wegen seines Eintretens für die Freiheit der Meinungsäußerung im Rahmen seiner journalistischen Arbeit zur Zielscheibe wurde. Er war mehrfach nach Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches angeklagt worden, der die „Verunglimpfung des Türkentums“ unter Strafe stellt. Der mutmaßliche Mörder soll gesagt haben, er habe die Tat begangen, nachdem er im Fernsehen Äußerungen von Hrant Dink gesehen hätte, die das „Türkentum beleidigten“ (siehe AI Index: EUR 44/001/2007).

Am 23. Januar nahmen etwa 100.000 Trauernde an der Beerdigungsprozession teil. Viele von ihnen trugen Plakate mit der Aufschrift „Wir sind alle Armenier“ und „Wir alle sind Hrant Dink“ und stellten damit in einer noch nie da gewesenen Weise ihre Solidarität dar.

Das Gerichtsverfahren gegen den Tatverdächtigen und 17 andere, die sich mutmaßlich an der Ermordung von Hrant Dink beteiligt hatten, sollte am 2. Juli beginnen. amnesty international war tief besorgt über das Verhalten der türkischen Behörden sowohl vor dem Mord als auch bei den darauf folgenden Ermittlungen.

Bereits mehrere Monate vor seinem Tod hatte Hrant Dink Morddrohungen erhalten und den Staatsanwalt von Sisli (Istanbul) darüber informiert. Laut der Anklageschrift hatte einer der in dem Mordverfahren Angeklagten auch als Informant der Polizei gearbeitet und dieser in den Monaten vor dem Mord wiederholt über die Pläne zur Ermordung von Hrant Dink berichtet. Dennoch haben die Behörden es versäumt, die zu seinem Schutz notwendigen Schritte einzuleiten.

Bevor die Ermittlungen zu dem Mord an Hrant Dink begannen, gab der Polizeichef von Istanbul eine Erklärung ab, der Mord an Hrant Dink sei nicht politisch motiviert und organisiert gewesen, sondern die Tat eines einzelnen, nationalistisch eingestellten Täters. amnesty international war besorgt, über diese Erklärung so kurz nach dem Ereignis, die nicht nur die Unparteilichkeit der Ermittlungen in Frage stellte sondern auch die Widerstände dagegen zeigte, den gesamten Hintergrund des Falles zu untersuchen.

AI war auch besorgt über die in den Medien lancierten Fotos von Polizisten, die mit dem Tatverdächtigen vor einer türkischen Fahne posierten, als ob er ein Held sei. Diese Berichte verstärkten die Befürchtung einer parteiischen Einstellung von Teilen der Sicherheitskräfte.

Am 18. April wurden zwei türkische Staatsbürger und ein Deutscher in Malatya ermordet. Den Männern waren Berichten zufolge die Hände und Füße zusammen gebunden und ihre Kehlen waren durchgeschnitten. Alle Mitarbeiter des christlichen Zirve-Verlages hatten zuvor von nationalistischen Gruppen Drohungen erhalten. AI sieht die brutale Ermordung als einen Angriff auf die Freiheit der Meinungsäußerung und der Religion an und forderte die türkische Regierung dringend auf, alle Formen von Intoleranz und Diskriminierung zu verurteilen und sicherzustellen, dass die Morde sofort unabhängig und effektiv untersucht werden und die der Tat Verdächtigen vor Gericht gestellt werden. Am Ende des Berichtszeitraums war gegen vier Männer Klage erhoben worden, die am Tatort festgenommen worden waren, und gegen eine Frau, die der Gruppe mutmaßlich geholfen hat (siehe AI Index: EUR 44/006/2007).

Am 1. April wurden die Unterstützer der Türkischen Kommunistischen Partei (Türkiye Komünist Partisi, TKP) im Kreis Eregli (Zonguldak) in der Schwarzmeerregion von unbekannten Tätern angegriffen, als sie Unterschriften für eine Petition mit der Überschrift “Wir haben keine Angst vor den USA” sammelten. Die Angreifer wuchsen auf eine Menge von etwa 500 Leuten an. Die TKP-Unterstützer flüchteten, als die Angreifer mit Steinen auf sie warfen. Die Polizei verhinderte, dass ein TKP-Unterstützer gelyncht wurde, und nahm acht Personen fest, die meisten davon TKP-Unterstützer.

Am 4. Juni wurden zwei kurdische Saisonarbeiter in Adapazari in der Provinz Sakarya von einem offenbar rassistisch motivierten Mob von unbekannten Angreifern attackiert. Zur Zeit der Erstellung des Berichts waren noch keine Anklagen wegen dem Angriff erhoben worden.

AI war insbesondere besorgt über eine im Zusammenhang mit derartigen Angriffen am 8. Juni vom Chef des Generalstabs herausgegebene Presseerklärung mit folgendem Inhalt: Einzelpersonen und Organisationen die Frieden, Freiheit und Demokratie unterstützen, würden “von den terroristischen Organisationen als Schutzschild benutzt” und das Militär rufe die türkische Nation dazu auf, eine starke Massenreaktion auf Terroraktionen zu demonstrieren. Vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe, die von Intoleranz gegenüber in der Öffentlichkeit auftretenden Personen zeugen, könnte eine solche Intervention des Oberhaupts der Streitkräfte aufhetzend wirken und weitere Gewalt provozieren.

Grundfreiheiten einschränkende Gerichtsverfahren / Gewaltlose politische Gefangene

Wer seine Rechte und Grundfreiheiten beanspruchte, wurde weiterhin durch eine unfaire Gesetzgebung verfolgt. Einige der Gerichtsverfahren führten zu Verurteilungen.

Im Februar brachte AI im Fall von acht Männern, die nach einem unfairen Gerichtsverfahren nur auf der Grundlage ihrer gewaltfreien politischen Überzeugungen verurteilt worden waren, dringend erneut seine Besorgnis zum Ausdruck (siehe Turkey: Justice Delayed and Denied: The persistence of protracted and unfair trials for those charged under anti-terrorism legislation (AI Index: EUR 44/013/2006) und UA 31/07: Prisoners of Conscience/Unfair Trial (AI Index: EUR 44/002/2007)). Die Beweismittel beruhten vor allem auf unter Folter erzwungenen Aussagen. Nach ihrer Verurteilung waren die Männer bis zu ihrer Inhaftierung auf freiem Fuß. Am Ende des Berichtszeitraums waren mindestens 4 der Männer im Gefängnis. AI sieht sie als gewaltlose politische Gefangene an.

Am 13. April erstürmten 50 Polizisten, darunter auch Mitglieder der Anti-Terrorismus-Einheit, die Büroräume der Wochenzeitschrift Nokta im Stadtteil Bakırköy von Istanbul. Sie hatten einen Durchsuchungsbefehl des Staatsanwaltes von Bakirköy, die auf einer Anzeige des Militärstaatsanwaltes im Büro des Generalstabs beruhte. Nokta hatte am 5. April einen Artikel über die Beziehungen gewisser namentlich nicht genannter Gruppen der Zivilgesellschaft und dem Militär veröffentlicht, der offenbar den Eindruck hervorrief, die Mitarbeiter von Nokta oder ihre Informanten hätten Zugang zu vertraulichen militärischen Informationen erlangt. Nokta war der Überzeugung, dass die Razzia eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellte. AI befürchtete, dass die Razzia ein Muster zunehmender Interventionen des Militärs gegen legitime Meinungsäußerungen ist, die aus Sicht der Armee als nicht akzeptabel erachtet werden. (siehe AI Index: EUR 44/005/2007). Gegen den Journalisten Ahmet Sik und die Expertin für Verteidigungspolitik Lale Sariibrahimoglu wurden Gerichtsverfahren nach Artikel 301 TStGB eingeleitet.

Menschenrechtsgruppen wurden verschärfter Beobachtung und Angriffen ausgesetzt, was ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit bedrohte. Im Januar wurden die Bankkonten der türkischen Sektion von amnesty international eingefroren und am 30. Mai wurde von den örtlichen Behörden des Bezirks Beyoglu der Vorwurf der illegalen Spendensammlung erhoben. AI drückte gegenüber der türkischen Regierung die Besorgnis aus, dass das Einfrieren der Bankkonten von AI eine Taktik der Einschüchterung darstellen könne, um legitime Spendensammlungen zu verhindern. (siehe AI Index: EUR 44/010/2007).

Kriegsdienstverweigerer (weitere Informationen zu AI Index: EUR 01/001/2007)

Nachdem der Kriegsdienstverweigerer Halil Savda bei weiter laufendem Gerichtsverfahren auf freien Fuß gesetzt worden war, berichtete er, er sei in den Militärbaracken in Tekirdag, wohin er zur Ableistung seines Militärdienstes ursprünglich einberufen worden war, vom Militär-Personal misshandelt worden. Halil Savda sagte, er sei gegen eine Mauer gestoßen worden, in die Beine getreten und von einem Soldaten und zwei Wachmännern geschlagen worden, bis er zu Boden fiel. Die Tritte seien auch fortgesetzt worden, als er bereits am Boden lag. Die Täter hätten dabei geschrien: “Du bist ein Verräter, du bist ein Terrorist”. Offenbar infolge dieses Vorfalls war das Gesicht von Halil Savda geschwollen und seine Lippe hatte einen Riss und blutete. Er berichtete, dass er danach in einen Raum ohne Stuhl oder Bett gebracht worden sei. In diesem Raum habe er drei Tage zugebracht, er habe ohne Decke auf dem nackten Boden geschlafen. Am 12. April wurde Halil Savda, der seit 2004 Kriegsdienstverweigerer ist, wegen „Befehlsverweigerung“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. AI betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen.

Folter und Misshandlungen

Die Nichtregierungsorganisation Menschenrechtsstiftung der Türkei berichtete, dass die Anzahl der angegebenen Fälle von Folter und Misshandlung außerhalb amtlicher Haftorte im Berichtszeitraum zugenommen haben. Unverhältnismäßige Gewalt der Polizei gegenüber wegen gewöhnlicher Straftaten Festgenommenen blieb weiterhin ein Problem. Straflosigkeit für Polizisten ist nach wie vor von zentraler Bedeutung.

Mustafa Kükce wurde am 13. Juni unter dem Verdacht des Diebstahls festgenommen und zuerst zur Polizeistation Dudullu und danach zur Polizeistation Acarlar in Istanbul gebracht. Er wurde zuerst zur Polizeistation Dudullu und danach zur Polizeistation Acarlar in Istanbul gebracht. Familienmitglieder sahen ihn, als er die Polizeistation verließ, um zur Çakmak-Polizeistation gebracht zu werden. Angehörige, die Mustafa Kükçe in der Polizeistation Çakmak sehen wollten, wurden von Polizisten, als “schmutzige Zigeuner, schmutzige Aleviten” beschimpft. Als Mustafa Kükçe von der Polizeistation zum Büro des Staatsanwaltes gebracht wurde, musste er von Polizisten gestützt werden, da er nicht mehr fähig war zu laufen. Er wurde in das Gefängnis Ümraniye überstellt, wo er kurz darauf starb. Von den verschiedenen Arztberichten, die erstellt wurden, beschreibt der letzte Spuren von Schlägen. Ein Verwandter, der Mustafa Kükçe in der Leichenhalle gesehen hatte, sagte: “An den Knien waren Schwellungen und offene Wunden. Ich sah eine Verletzung an seiner linken Schulter und in seiner rechten Achselhöhle eine geschwollene Wunde voller Blut. Seine Fingerspitzen waren richtig schwarz. Es gab Spuren an seinen Armen. Einer seiner Hoden war geplatzt.” [1] Mustafa Kükces Familie hat Strafanzeige gegen die Polizisten erstattet.

Besorgniserregend war auch die Verabschiedung des Gesetzes über die Pflichten und Machtbefugnisse der Polizei (Polis Vazife ve Salahiyetleri Kanunu) am 2. Juni durch das Parlament. Das geänderte Gesetz, in dem die vorherigen Reformen zurückgenommen wurden, gibt der Polizei weitreichende Macht, Menschen anzuhalten und zu durchsuchen. Außerdem gab es der Polizei erweiterte Vollmachten zum tödlichen Waffeneinsatz. Das Gesetz erlaubt Polizisten, flüchtende Verdächtige zu erschießen, wenn eine Halt-Aufforderung nicht beachtet wird. Das Gesetz fordert zwar im Prinzip einen verhältnismäßigen Einsatz von Schusswaffen, die diesbezügliche Formulierung ist aber eher beschreibend als verpflichtend und entspricht nicht internationalen Standards für den Gebrauch von Feuerwaffen durch Polizisten.

Gerichtsverfahren zur Bombardierung in Semdinli (weitere Informationen zu AI Index: EUR 44/033/2005)

In dem Gerichtsverfahren gegen die drei Männer, die im Fall des Bombenanschlags in Semdinli angeklagt wurden, ist ein Rückschritt aufgetreten. Ali Kaya und Özcan Ildeniz, beide Gendarmen und Veysel Ates, ein Polizeiinformant, waren wegen ihrer Beteiligung an dem Bombenanschlag im November 2005 auf den Buchladen in der Provinz Hakkari im Südosten der Türkei jeweils zu Haftstrafen von 39 Jahren verurteilt worden. Am 16. Mai hob die 9. Strafkammer des Kassationshofes die Urteile gegen die Gendarmen auf mit der Begründung, die Ermittlungen seien nicht ausreichend gewesen. Sie empfahl außerdem, das Verfahren an einem Militärgericht fortzuführen. In einer Verhandlung am 13. Juni stimmte die 3. Kammer des Landgerichtes Van dem Erlass des Kassationshofes auf Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens zu, wies jedoch den Beschluss, das Verfahren an einem Militärgericht durchzuführen, zurück. Der nächste Gerichtstermin war für den 11. Juli festgelegt.

Die Tötung von Ahmet und Ugur Kaymaz (Weitere Informationen zu AI Index: EUR 44/008/2007)

Am 18. April wurden alle vier Polizisten, die wegen vorsätzlicher Tötung von Ahmet Kaymaz und seinem 12-jährigen Sohn Ugur Kaymaz angeklagt worden waren, freigesprochen. Während des Verfahrens hatten die Polizisten behauptet, sie hätten lediglich von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht und Ahmet und Ugur Kaymaz seien bei einer bewaffneten Auseinandersetzung ums Leben gekommen. In ihrer Berufung gegen das Urteil erklärten die Anwälte der Familie Kaymaz, die gerichtsmedizinischen Berichte würden die Aussagen der Polizisten mit konkreten Beweisen widerlegen und warfen dem Gericht „Versagen bei der Herstellung von Gerechtigkeit“ vor.

Hintergrund des Verfahrens sind die tödlichen Schüsse am 21. November 2004 auf Ahmet Kaymaz und seinen 12-jährigen Sohn Ugur Kaymaz vor ihrem Hauses in Kiziltepe, Provinz Mardin, im Südosten der Türkei. Unmittelbar nach der Erschießung erklärte der Gouverneur von Mardin, Temel Kocaklar, zwei PKK-Mitglieder seien bei einem Schusswechsel mit den Sicherheitskräften getötet worden. Gerichtsmedizinische Berichte sagen aus, dass mehrfach Schüsse aus kurzer Entfernung auf Vater und Sohn abgegeben wurden. Dabei trafen neun Kugeln in den Rücken von Ugur Kaymaz, vier in seinen Arm und die Hände. Ahmet Kaymaz wurde von sechs Kugeln in Brust und Bauch, sowie zweien in eine Hand und ein Bein getroffen.

Festnahmen und exzessive Gewaltanwendung der Polizei bei Demonstrationen

Die Neujahrsfeiern (Newroz[2]) am 21. März verliefen an den meisten Orten ohne Zwischenfälle. Jedoch wurden am 21. März mehr als 300 Personen festgenommen, 92 davon in Istanbul, 68 in Diyarbakir und 43 in Mersin. An den folgenden Tagen gab es weitere Festnahmen. In einigen Fällen wurden Gerichtsverfahren unter der Anklage der Organisation illegaler Veranstaltungen und Demonstrationen.

Am 1. Mai trat die Polizei in Istanbul friedlichen Demonstranten mit Knüppeln und Tränengas entgegen. Die Polizei hinderte Protestierende gewaltsam daran, den zentralen Platz in Taksim zu erreichen. Unter den Personen, die von der Polizei verletzt wurden, waren mindestens acht Journalisten. Die Polizei wurde beschuldigt, Journalisten, Zuschauer und Protestierende willkürlich angegriffen zu haben. Die Verwandten des 75-jährigen Ibrahim Sevindik behaupten, sein Tod sei durch den Einsatz von Tränengas durch die Polizei verursacht worden. Obwohl nicht bekannt gegeben wurde, wie viele Festnahmen vorgenommen wurden, wird angenommen, dass allein in Istanbul die Anzahl 800 überschreitet.

Lage in den Gefängnissen (Weitere Informationen zu AI Index EUR 01/001/2007)

Am 22. Januar veröffentlichte das Justizministerium einen Erlass, mit dem auf Besorgnisse hinsichtlich der Isolationsvorschriften in F-Typ-Gefängnissen eingegangen wurde. Demnach dürfen Gefangene unter bestimmten Voraussetzungen bis zu 10 Stunden wöchentlich mit bis zu 19 andere Gefangene in Gruppen von nicht mehr als 10 Personen zu sozialen, kulturellen oder sportlichen Aktivitäten zusammenkommen. Hungerstreiks als Solidaritätskundgebung von Unterstützern der Gefangenen wurden aufgrund des Erlasses beendet. Jedoch sechs Monate nach der Veröffentlichung des Rundbriefes scheint die Umsetzung sehr begrenzt zu sein. Entweder wurden die Gefangenen nicht auf die geänderten Regelungen aufmerksam gemacht oder sie wurden informiert, aber ihnen wurde nicht erlaubt, von den Änderungen zu profitieren, indem die Regelungen von für sie nicht akzeptablen Bedingungen abhängig gemacht wurden. Zusammenkünfte wurden z.B. auf Gefangene in nebeneinander liegenden Zellen beschränkt oder wegen bürokratischer Hürden abgesagt.

Als Protest gegen die andauernde Isolation des verurteilten PKK-Führers Abdullah Öcalan sowie wegen der Behauptung, er werde von den Gefängnisbehörden vergiftet, wurden zahlreiche Demonstrationen abgehalten. Abdullah Öcalan wird als einziger Gefangener auf der Insel Imrali gehalten. Ein am 12. März veröffentlichter Bericht von Ärzten, die von den Istanbuler Behörden zur Untersuchung der Vorwürfe aufgefordert worden waren, fand keine Hinweise, die den Vorwurf der Vergiftung stützen würden. Die Proteste mit Forderungen nach einer unabhängigen medizinischen Untersuchung dauerten an. Vom 20.-23.Mai besuchte eine Delegation des Europäischen Komitees zur Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe die Insel, um die Vorwürfe der Vergiftung, die Haftbedingungen und Umsetzung des Rechts von Abdullah Öcalan, seine Verwandten und Anwälte zu kontaktieren, zu untersuchen. Die Ergebnisse der Untersuchung waren am Ende des Berichtszeitraums noch nicht veröffentlicht worden.


[1] Zeitung Radikal, “İddia: Ölüm nedeni işkence,” 22. Juni 2007

[2] Newroz (Kurdisch)/ Nevruz (Türkisch) ist das traditionelle Neujahrsfest nach dem persischen Kalender. Mit ihm wird der Beginn des Frühlings am 21. März gefeiert, in der Türkei vor allem von den Kurden.

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