Pro Asyl kritisiert EU-Rückführungsrichtlinie "Kompendium schäbiger Praktiken" Die Vereinten Nationen wollen am heutigen Weltflüchtlingstag auf die rund 37 Millionen Flüchtlinge weltweit aufmerksam machen. Erst diese Woche setzte die EU mit einer Rückführungsrichtlinie gemeinsame Standards für den Umgang mit Flüchtlingen. Pro Asyl übte scharfe Kritik an der Richtlinie. Die Menschenrechtsorganisation befürchtet eine Zunahme von Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen. Von Wolfgang Wichmann, tagesschau.de Das Europäische Parlament hat in dieser Woche die umstrittene Rückführungsrichtlinie beschlossen und damit erstmals gemeinsame Standards für die Behandlung von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis in der EU auf den Weg gebracht. Zwei Jahre bleiben nun, um die Richtlinie umzusetzen. Die Befürworter des Dokuments sprechen von einem "Gleichgewicht zwischen Abschiebung und humanitären Standards". Die Richtlinie biete "Mindeststandards", die von den nationalen Parlamenten noch verbessert werden könnten. [Bildunterschrift: Karl Kopp von Pro Asyl fordert, dass Menschen an See- und Landesgrenzen nicht mehr "wie Stückgut" zurückgewiesen werden. (Archivbild) ] Karl Kopp von Pro Asyl nannte die Richtlinie gegenüber tagesschau.de dagegen ein "Kompendium aus schäbigen Praktiken der Nationalstaaten". In der Realität führe das dazu, "dass viele Staaten menschenrechtswidrige Praktiken beibehalten könnten und andere Staaten diese negativen Praktiken kopieren werden". Nur mit "viel Bauchschmerzen" seien die Abgeordneten einer "Erpressung der Innenminister" gefolgt. Die hätten Druck ausgeübt nach dem Motto, wenn die Abgeordneten dem Kompromisspaket nicht zustimmten, dann gäbe es gar keine Richtlinie, so Kopp. "So kann man keine Gesetze machen und so kann man auch nicht Europa gestalten." Förderverein Pro Asyl: Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl existiert seit 1986. Laut eigenen Angaben gehört zu den Aufgaben des Vereins, Flüchtlingen in individuellen Situationen zu helfen, die Menschenrechte durchzusetzen und den Schutz vor Verfolgung zu erhöhen. Dabei arbeitet der Verein politisch und bedient sich Analysen, juristischer Gutachten, Expertisen und Lobbyarbeit. Wichtige Projekte von Pro Asyl waren zuletzt: Bleiberechtskampagne, Zuwanderungsgesetz, Ausweitung der Europaarbeit, Projekte gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und Einzelfallhilfe. Keine Haftverschonung für Minderjährige [Bildunterschrift: In einer Haftanstalt an der griechisch-türkischen Grenze traf Kopp auf 60 Minderjährige unter 220 Abschiebehäftlingen. (Quelle: Pro Asyl) ] Am siebten Weltflüchtigstag der Vereinten Nationen lautet das Motto "Schutz". Doch genau den vermisst Kopp bei der neuen europäischen Rückführungsrichtlinie und lehnt sie daher ab. Denn der Schutz Minderjähriger taucht in dem Papier nicht auf. In einem griechischen Auffanglager für neuankommende Flüchtlinge auf Lespos traf Kopp zuletzt auf 220 Insassen - darunter 60 Minderjährige: "Kinder gehören nicht inhaftiert. Sie sind schutzbedürftig und man muss sie kindgerecht unterbringen. Haftanstalten sind nicht kindgerecht. Das ist mit dieser Richtlinie nicht klar und daher nicht akzeptabel." Per Gerichtsentscheidungen will Pro Asyl dafür kämpfen, dass zumindest unklare Teile der Richtlinie künftig zum Wohle von Flüchtlingsschutz und Menschenrechtsschutz interpretiert werden. [Bildunterschrift: Auch im Auffanglager für neuankommende Flüchtlinge in Mitilini auf Lespos können Menschen künftig bis zu 18 Monate festgehalten werden. (Quelle: Pro Asyl) ] Anlässlich des Weltflüchtlingstags sollen die Menschen mit Veranstaltungen in Australien, Europa und auf dem amerikanischen Kontinent auf die Schicksale der Flüchtlinge aufmerksam gemacht werden. Die zahlreichen Ursachen für Flucht sollen begreifbar gemacht werden: Verfolgung, Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Naturkatastrophen und Armut. Mehr Flüchtlinge vor der "Festung Europa" [Bildunterschrift: UN-Flüchtlingskommissar Guterres befürchtet in Zukunft eine weitere Zunahme von Flucht und Vertreibung. (Archiv) ] Aktuelle Statistiken zeigen, dass die Flüchtlingszahlen weiter steigen. Laut dem am Dienstag vorgestellten Bericht "Global Trends" des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) befanden sich 2007 weltweit rund 37 Millionen Menschen auf der Flucht. Wie UN-Flüchtlingskommissar António Guterres in Genf beklagte, "stehe man vor einer Gemengelage globaler Herausforderungen, die künftig zu noch mehr Flucht und Vertreibung führen könnte". Experten sprechen von etwa acht Millionen Flüchtlingen allein in Europa. Für sie fordert Kopp "eine faire Chance". 2000 Tote im letzten Jahr seien Ausdruck dafür, dass es "für Schutzsuchende und bestimmte Migrantengruppen eine Festung Europa gibt". Die EU habe "nur wenige gemeinsame Asylrechtstandards, aber sehr starke gemeinsame Abschottungstendenzen mit dem sehr hohen Preis, dass die Friedhöfe um Europa Tag für Tag größer werden". Als Negativbeispiel für Folgen der Rückführungsrichtlinie nannte Kopp Italien, das bereits angekündigt hatte, nach der Entscheidung für die EU-Rückführungsrichtlinie die eigenen Abschiebefristen auf 18 Monate verlängern zu wollen. [Bildunterschrift: Häufiges Ziel von Einwanderern aus Afrika sind die kanarischen Inseln. Immer wieder kommen bei der gefährlichen Überfahrt Menschen ums Leben. Karl Kopp von Pro Asyl fordert die Praktiken an den EU-Außengrenzen grundlegend zu ändern, damit die "Friedhöfe um Europa" nicht weiter wachsen. ] EU-Flüchtlingsprogramm für GroßkonflikteWie das Bundesinnenministerium mitteilte, stieg die Zahl der Asylanträge in Deutschland im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat um knapp 19 Prozent auf 2087. Fünf Jahre nach der Invasion der US-geführten Truppen im Irak, machen Flüchtlinge aus dem Irak weiter den größten Teil unter den Asylbewerbern aus. Für Großkonflikte wie den Irakkrieg plädiert Pro Asyl deshalb künftig auf europäischer Ebene für besser organisierte Hilfe. Entsprechend dem Resettlement-Programm der Vereinten Nationen hieße das eine dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen mit einem Flüchtlingspass und dem Ziel der Integration. Bei besonderen Katastrophen müsse es möglich sein, "Flüchtlinge im Rahmen von Evakuierungsprogrammen gefahrenfrei nach Europa zu bringen und ihnen durch Aufnahmeprogramme den Flüchtlingsstatus zu geben", so Kopp. Im deutschen Aufenthaltsrecht sei das rechtliche Instrumentarium für eine dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen bereits vorhanden und im Fall der Indochina-Flüchtlinge 1979 und bei der Aufnahme von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ab 1991 bereits angewendet worden. Pro Asyl fordert, diese Regelungen müssten zu einem Standardpaket für Katastrophen weiter entwickelt und in europaweites Recht integriert werden.
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