Keine Wohnungen, keine Jobs, kein Schulbesuch: Das Kosovo ist mit der
Aufnahme der Roma aus Deutschland überfordert, sagt der Grüne Josef Winkler
nach einem Besuch vor Ort.Zur Person:
Josef Winkler, 36, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im
Bundestag und Sprecher für Flüchtlings- und Kirchenpolitik.
taz: Herr Winkler, Sie waren in der vergangenen Woche mit einer Delegation
des Bundestagsinnenausschusses im Kosovo, um sich ein Bild davon zu machen,
was die Abschiebung von Roma dorthin bedeutet. Wie ist die Situation?
Josef Winkler: Das Kosovo ist überfordert, Flüchtlinge in dem Umfang
aufzunehmen, in dem Deutschland abschieben will. Die Arbeitslosigkeit liegt
im Schnitt bei 70 Prozent, in manchen Regionen ist sie noch höher.
Ausreichenden Wohnraum gibt es nicht. Der Rechtsanspruch auf Sozialhilfe
besteht nur an dem Ort, von dem man vor zehn Jahren ausgereist ist. Die
Abgeschobenen aber landen zunächst in Pristina und können nicht ohne
weiteres in diese Orte zurückkehren. Das Haus, in dem man früher lebte, ist
vielleicht zerstört oder es wohnt jemand anders drin. Auch eine
Bescheinigung, die für den Schulbesuch der Kinder notwendig ist, bekommt man
aber nur in diesem einen Ort.
Was heißt das für die Kinder?
Sie sprechen in der Regel weder albanisch noch serbo-kroatisch und können
deshalb zum großen Teil sowieso nicht in die Schule gehen. Bei einer
Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 70 Prozent gibt es für sie keine
Perspektive.
Das Bundesinnenminister Thomas de Maiziere verweist stets auf ein
Rückkehrprojekt mit dem Namen URA 2, das den Abgeschobenen im Kosovo
Unterstützung bieten soll.
Davon profitieren nur die Roma, die aus den vier beteiligten Bundesländern
kommen...
In denen bundesweit auch der weitaus größte Teil der Roma aus dem Kosovo
leben.
Das stimmt. Aber die Hilfe dieses Projekts ist nicht nachhaltig. Zur
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bekommen die Arbeitgeber zum
Beispiel ein halbes Jahr lang monatlich 100 bis 150 Euro. Danach verliert
die Hälfte der Betroffenen ihren Job wieder. Alle
Nichtregierungsorganistionen gehen davon aus, dass nach einem Jahr mehr als
die Hälfte der Abgeschobenen wieder in Deutschland sein wird. Und dann
natürlich im Status der Illegalität.
Wie schätzen kosovarische Politiker die Situation ein?
Es ist ein enormer Druck aufgebaut worden, damit die kosovarische Regierung
das Rücknahmeabkommen endlich unterschreibt, was ja gerade geschehen ist.
Der Bürgermeister von Süd-Mitrovica hat uns herzlich gebeten, dorthin
niemanden mehr abzuschieben, weil die Behörden nicht in der Lage sind, allen
Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Dabei sind in Mitrovica sogar eine ganze Reihe ganz ansehnlicher Bauten für
die Roma entstanden. Allerdings war da früher eine Siedlung, in der 7.000
Roma lebten, jetzt ist Platz für 1.000, Unterkünfte für weitere 150 werden
gebaut. Aber Deutschland will jährlich 2.500 Menschen abschieben, insgesamt
geht es 14.000. Die verheerenden Lager, die es bislang gab, sollen
geschlossen werden, weil der Boden dort stark bleiverseucht ist. Aber aus
der Not heraus könnten dann wieder wilde Lager entstehen.
Welche Forderungen ergeben sich aus all dem für Sie und Ihre Partei?
Das Rückübernahmeabkommen sollte gleich wieder ausgesetzt und auf
zwangsweise Rückführungen verzichtet werden.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/mehr-als-die-haelfte-kommt-zurueck/