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Ich lebe selbstbestimmt

DIE ZEIT, 18.06.2009 Nr. 26    

"Ich lebe selbstbestimmt, wie viele von uns"

Sineb El Masrar gibt die einzige deutsche Frauenzeitschrift für Migrantinnen heraus. Roger Willemsen erklärt sie, warum

ZEITmagazin: Frau El Masrar, welche Ethnien treffen sich in Ihnen?

Sineb El Masrar: Meine Eltern sind Marokkaner, ich bin in Hannover geboren. Mein Vater kam mit einem Wanderzirkus nach Deutschland und blieb. Er hat hier gleich alle Kontakte zu Migranten abgebrochen. Ich sollte deutsch aufwachsen.

ZEITmagazin: Und Ihre Mutter?Gazelle

El Masrar: Meine Mutter ist eine einfache Frau, die nie die Schule besuchte. Sie bläute mir von Kindesbeinen an ein, dass ich eine unabhängige Frau werden sollte. Sie hielt sich an die Tradition, doch sie dachte: Ich kriege den Wandel in meinem Leben nicht mehr hin, aber meine Tochter soll ihn hinkriegen.

ZEITmagazin: In einer Gemeinschaft von Migranten?

El Masrar: Die Ersten von ihnen lernte ich erst mit 21 kennen, zwei Perserinnen und eine Ukrainerin. Dauernd stellte sich uns die Frage der Identität, wir lebten mit verwandten Brüchen. Da war ich so erleichtert und dachte: Wo wart ihr alle?

ZEITmagazin: Ist für Sie der »Migrationshintergrund« vor allem Hintergrund?

El Masrar: Ja, man wacht nicht morgens auf und fühlt sich als Afghanin, nur weil die Eltern da geboren sind. Setzen Sie eine Ukrainerin, eine Marokkanerin, eine Deutsche hinter eine Wand, fragen Sie sie, was sie vom Leben wollen. Sie werden sie nicht unterscheiden können.

ZEITmagazin: Viele Migranten werden nicht gern auf ihre Identität angesprochen.

El Masrar: Wenn ich Kinder hätte, und diese Generation würde noch immer auf ihre Herkunft angesprochen, würde ich mir auch Sorgen machen. Immer die Fragen: Wurdest du zwangsverheiratet, möchtest du zurück? Ich lebe selbstbestimmt, wie viele von uns.

ZEITmagazin: Sie leiden unter Stereotypen und antworten mit der »Gazelle«, der einzigen Frauenzeitschrift für Deutsche und Migrantinnen?

El Masrar: Ich kann die allgemeinen Vorstellungen annehmen und mich an ihnen reiben, oder ich kann meine dagegensetzen. Ich habe mich für Letzteres entschieden.

ZEITmagazin: Um nicht bloß Objekt und Opfer solcher Bilder zu sein?

El Masrar: So ist es. Ich wollte eine Zeitschrift machen für biodeutsche Frauen und solche mit Migrationshintergrund, sie erscheint auf Deutsch, damit alle sie verstehen. 20 Prozent aller Menschen hier kommen aus dem migrantischen Milieu. Dazu kommen Deutsche mit binationalen Partnerschaften. Die Lebensrealitäten haben sich einfach verändert, und die Gazelleist eine Antwort darauf.

ZEITmagazin: Aber Ihr Schwerpunkt ist muslimisch?

El Masrar: Nein, der Islam ist ein Thema unter mehreren. Wir beschäftigen uns mit Themen, die man dem muslimischen Kulturkreis zuordnet. Wir hatten etwa die Geschichte einer Jordanierin, deren Bruder, von der Mutter angestachelt, sie mit Benzin übergossen hat. Manchmal sind es leider die Frauen, die solche Traditionen weitertragen.

ZEITmagazin: Und es gab Kritik von allen Seiten?

El Masrar: Keinen Einspruch, keine Drohung. Der muslimischen Gemeinschaft sind diese Fragen doch auch bewusst.

ZEITmagazin: Kommen klassische Frauenthemen vor?

El Masrar: Oh ja, wir haben auch die Rubrik »Mode und Schönheit«. Zu einem Frauenmagazin gehört das dazu. Auch eine intelligente Frau will die Farben der Saison kennen.

ZEITmagazin: Sie tragen heute Beige. Kommt mir in vor.

El Masrar: Sie wollen sagen: Ich muss mal wieder dringend einkaufen. Nein, wir wollen auch unterhalten. Manchmal testen wir auch Anti-Cellulite-Cremes. Frauengewebe eben. Davon kann Aisha genauso ein Lied singen wie Helga.

ZEITmagazin: Auch die Gazelle muss sich in der Steppe anpassen, um zu überleben.

El Masrar: Ja. Gerade versucht sich Deutschland in Ethno-Marketing, will die Türken, die Russen ansprechen, eine Parallelwelt, in die wir gesetzt werden mit der Botschaft: Kauft in eurer Welt, nicht in unserer.

ZEITmagazin: Und dafür wirbt man mit Stereotypen?

El Masrar: Genau. Aber wir wollen mit der deutschen Gesellschaft leben und nicht neben ihr. Wir regen uns in diesem Land über dieselben Dinge auf wie Otto und Sieglinde. Wir mögen zwar anders aussehen, aber wir wollen mitgestalten.

ZEITmagazin: Ist Ihre Arbeit Integrationsarbeit?

El Masrar: Fast wider Willen. Ich hinterlasse andere Bilder. Und es wäre schön, wenn manche Deutsche diese Bilder aufnehmen würden. Jeder wirkt auf jemanden. Wir leben hier gemeinsam und haben schon genug Parallelwelten, auch unter Deutschen.

ZEITmagazin: Und Ihre Zeitschrift liegt ganz einfach am Bahnhofskiosk?

El Masrar: Ja. Manchmal zwischen Diät- und Sexmagazinen. Da muss sich schon mal eine voll verschleierte Leserin ihre Gazelle rausfischen.

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