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2009 - Jahr der Entscheidung über die Atomenergie

Vortrag von Jochen Stay (Gorleben)

2009 - Jahr der Entscheidung über die Atomenergie

Zeit: 18.2.2009, 20 Uhr

Ort: Langgöns, Evang. Gemeindezentrum, Langgasse 1


Interview der "heute-redaktion" vom 8.11.2008

"Der Streit um die Atomkraft beginnt von neuem"

Kernkraft-Gegner Jochen Stay über Sitzblockaden, Öko-Strom und Protest als "Beruf"

Im Landkreis Lüchow-Dannenberg stehen die Zeichen auf Sturm: Am Sonntag wird in Gorleben ein Atommüll-Transport aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague erwartet. Der Anti-AKW-Aktivist Jochen Stay erklärt, was der Widerstand bringt. 

 

 

heute.de: Atommüll wird produziert, und irgendwo muss er hin. Warum nicht nach Gorleben?
Jochen Stay: Der Salzstock Gorleben ist spätestens seit dem Desaster um das Versuchsendlager im Salzbergwerk Asse keine ernstzunehmende Option mehr. Wissenschaftler und Politiker haben über Jahrzehnte wider besseres Wissen behauptet, Asse und Gorleben seien sicher. Dabei hat der Salzstock Gorleben genau wie die Asse direkten Kontakt zum Grundwasser. Daraus gibt es nur eine Konsequenz: Aus Asse lernen heißt, auf Gorleben verzichten.

heute.de: Der Widerstand im Wendland existiert seit über 30 Jahren. Trotzdem haben Sie die Atommüll-Transporte noch nie aufhalten können. Bringt ihr Widerstand dann überhaupt etwas?

Stay: Na, aufhalten konnten wir sie jedes Mal. Aber es ist klar, dass die Polizei über Mittel verfügt, diese Transporte letztlich durchzusetzen. Da wollen wir auch gar nicht mithalten. Der Atommüll-Transport ist für uns ein Symbol einer verfehlten Atompolitik. Wenn wir Sitzblockaden auf der Transportstrecke machen, geht es uns darum, den Finger in die Wunde zu legen. Unsere Botschaft: Wer keine sichere Entsorgung gewährleisten kann, darf auch keine Atomkraftwerke betreiben. Ob der Widerstand etwas bringt? Immerhin sind von den Atomanlagen, die ursprünglich in Gorleben geplant waren, die meisten verhindert worden. Und ich bin guten Mutes, dass es uns auch gelingen kann, das Endlagerprojekt im maroden Salzstock Gorleben zu stoppen.

heute.de: Verfolgen Sie mit Ihren Protesten noch weitere Ziele?

  Stay: Ein weiteres großes Ziel ist es, dass der lange versprochene Atomausstieg endlich umgesetzt wird. Dazu wird es nicht reichen, jetzt einmal gegen den Atommüll-Transport zu demonstrieren. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die nächsten Tage in Gorleben zum Beginn einer neuen Anti-Atom-Bewegung werden, die sich bundesweit in die Debatte um Laufzeitverlängerungen versus Atomausstieg einmischt und den Stromkonzernen das Leben schwermacht. Das geht ja nicht nur mit Demonstrationen und Blockaden. Es gibt ja auch andere Formen des Protestes, beispielsweise, indem man einfach keinen Atomstrom mehr kauft, sondern zu einem Anbieter von echtem Ökostrom wechselt.

  heute.de: Wo soll der Atommüll denn ansonsten hin, wenn nicht nach Gorleben?

  Stay: Seit 50 Jahren gibt es Atomkraftwerke in denen hochradioaktiver Atommüll anfällt. Bis heute ist davon weltweit noch kein einziges Gramm entsorgt. In keinem einzigen Land konnte ein sicheres Endlager gefunden werden. Für uns ist der eigentlich Skandal, dass die Atomkraftwerke trotz fehlender Entsorgung weiterlaufen und jetzt sogar über eine Verlängerung der Laufzeiten diskutiert wird. Wenn die Badewanne überläuft, sollte zuerst der Wasserhahn abgedreht werden und dann kann man schauen, wie sich der Schaden begrenzen lässt. Doch in der aktuellen Debatte um den Atommüll passiert genau das Gegenteil. Und uns Atomkraftgegnern wird dann auch noch vorgeworfen, dass wir nicht beim Aufwischen helfen, obwohl wir damit beschäftigt sind, mit aller Kraft den Hahn abzudrehen.

Der radioaktive Abfall in den Behältern strahlt stärker als bei vorangegangenen Transporten. Daher wird er nicht in deutschen Castor-Behältern, sondern in französischen TN-85-Behältern angeliefert.
Die deutschen Castor-Behälter mit einer entsprechend stärkeren Abschirmung sind in der Entwicklung und noch nicht zugelassen. Die stärkere Strahlung geht auf einen höheren Abbrand der verarbeiteten Brennelemente zurück.

heute.de: Mit den Jahren ist der Widerstand immer weniger geworden. Dieses Jahr rechnen Sie mit mehr Leuten, als in den vergangen Jahren. Warum? Was hat die Debatte angefacht - die Asse, der Atomkonsens, der Atomausstieg?

Stay: Nicht nur die Asse ist einsturzgefährdet, sondern mit ihr auch das Lügengebäude von der gesicherten Entsorgung. Das hat viele Menschen aufgerüttelt. Gerade die jüngere Generation fragt sich, was ihr da für die Zukunft aufgebürdet wird und beginnt, sich dagegen zu wehren. Dazu kommen viele Atomkraftgegner der ersten Stunde, die in den 70er und 80er Jahren an den großen Protesten beteiligt waren. Sie dachten, mit dem Atomkonsens aus dem Jahr 2000 sei der Ausstieg gesichert und sind nun alarmiert durch die Weigerung der Stromkonzerne, ihre Reaktoren wirklich abzuschalten. Es geht in Gorleben also um viel mehr als nur den Atommüll-Transport: Der Streit um die Atomkraft beginnt von neuem.

  heute.de: Seit Jahren sind Sie eine der Galionsfiguren des Widerstandes. Oftmals begeben Sie sich auch in gefährliche Situationen. Warum machen Sie das? Haben Sie nicht manchmal auch Angst?

  Stay: Am gefährlichsten ist bei der ganzen Geschichte, dass ich oft über meine eigenen Grenzen gehe, indem ich rund um die Uhr für den Widerstand arbeite, zu wenig schlafe, meine Familie vernachlässige. Das ist auf Dauer sicher ungesund. Unsere Aktionen empfinde ich dagegen als kalkulierbar. Ich weiß, wenn ich mich mit vielen anderen gemeinsam auf die Atommüll-Transportstrecke setze, kommt früher oder später die Polizei und trägt mich weg. Da wir diese Räumungs-Situationen vorher in Rollenspielen trainieren, kommt es dabei praktisch nie zu einer Eskalation. Manchmal sind Polizeibeamte überlastet und reagieren dann aggressiv. Aber das bekommen wir meist ganz gut in den Griff. Schließlich ist ja nicht die Polizei unser Gegner, sondern die Atomwirtschaft und ihre Helfer aus der Politik. Letztlich kämpfen wir auch für die Interessen der Polizeibeamten und ihrer Familien und sind sicher, dass viele von ihnen uns mit heimlicher Sympathie begegnen, selbst wenn wir uns dem Atommüll-Transport in den Weg setzen.

Das Interview führte Stefanie Schoeneborn 
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