Flüchtlingsnotstand in Hessen? Flüchtlingsrat mahnt zu Sachlichkeit Asylantragszahlen im langjährigen Vergleich weiterhin niedrig
In Hessen wird derzeit über die stark angestiegenen Flüchtlingszahlen geklagt – das Regierungspräsidium Gießen hat bekanntgegeben, dass vorsorglich schon einmal Zelte des Katastrophenschutzes aufgebaut wurden, um Flüchtlinge aufzunehmen, sollte der Platz in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) nicht mehr ausreichen. Zwar ist es richtig, dass die Flüchtlingszahlen in Deutschland in den vergangenen Jahr stark angestiegen sind – allerdings bewegen sie sich im langfristigen Vergleich weiterhin auf niedrigem Niveau. Ab Ende der 1990er Jahre gingen die Asylantragszahlen in Deutschland binnen zehn Jahren um etwa 80% zurück auf nur noch gut 19.000 Anträge im Jahr 2007 – im letzten Jahr waren es mit 45.000 Anträgen zwar deutlich mehr als 2007, aber immer noch weniger als die Hälfte verglichen mit der Situation um die Jahrtausendwende. Allerdings wurden in den letzten Jahren massiv Kapazitäten abgebaut – sowohl Aufnahmeplätze als auch Entscheider, die die Asylanträge bearbeiten. So wurde beispielsweise die Erstaufnahmeeinrichtung in Schwalbach am Taunus geschlossen. „Als die Zahlen so stark sanken, gingen die Behörden wohl davon aus, dass die Zahlen weiter sinken und sich auf niedrigem Niveau einpendeln würden. Dadurch kommt es jetzt naturgemäß zu Engpässen – das Problem ist aber hausgemacht“ erläuterte Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates. Doch nicht nur in der Erstaufnahmeeinrichtung sind die Plätze derzeit knapp, auch in den Landkreisen und Kommunen, in die die Flüchtlinge nach den ersten Wochen in der HEAE verteilt werden, fehlen vielerorts Kapazitäten – jetzt wird hektisch versucht, neue Plätze zu schaffen. Dabei wird z.T. leider auch wieder auf Großunterkünfte gesetzt, auch Container werden mitunter in Erwägung gezogen. „Wir wissen um die angespannte finanzielle Situation der Kommunen, doch sollte dies nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden. Flüchtlinge brauchen Schutz, ein ruhiges und sicheres Umfeld und die Chance, sich von Anfang an hier zu integrieren“ mahnte Scherenberg eine bessere Unterbringung von Flüchtlingen an. Leider ist es in den Jahren niedriger Flüchtlingszahlen versäumt worden, sich Gedanken um eine vernünftige Flüchtlingsunterbringung zu machen. Seit Jahren fordern Flüchtlingsrat und Wohlfahrtsverbände Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen in Hessen, doch passiert ist bislang nichts. Auch im Entwurf des Landesaufnahmegesetzes, welches derzeit im Landtag novelliert wird, finden sich keine solchen Standards. „Wir hoffen, dass die Zelte in Wetzlar nur eine reine Vorsichtsmaßnahme darstellen und nicht zum Einsatz kommen werden. Von einer Situation wie beispielsweise in der Türkei, die binnen kurzer Zeit sehr viele Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen musste, ist Deutschland weit entfernt. Hessen ist kein Krisengebiet und sollte in der Lage sein, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Daher begrüßen wir die Anstrengungen, die derzeit unternommen werden, um die Kapazität der HEAE zu erweitern“ erklärte Scherenberg abschließend in Frankfurt. Gez. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer Hessischer Flüchtlingsrat Asylantragszahlen in Deutschland (Erstanträge): 1995 127.937 1996 116.367 1997 104.353 1998 98.644 1999 95.113 2000 78.564 2001 88.287 2002 71.127 2003 50.563 2004 35.607 2005 28.914 2006 21.029 2007 19.164 2008 22.085 2009 27.649 2010 41.332 2011 45.741 Jan-Aug 2012 33.284 Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
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