Viel weniger grün als behauptet
Biotreibstoffe mit gravierenden Nachteilen
Von Dagmar Röhrlich
Umwelt. - In der Verwendung von Biomasse sieht die Menschheit einen Teil der Rettung vor dem Klimawandel. Deshalb wird immer mehr Ackerfläche für Energiepflanzen verwendet, werden Urwälder, etwa im Amazonasgebiet, gerodet. Eine verheerende Entwicklung, warnten Ökologen kürzlich in den PNAS. Schon heute sei der Anteil der Biomasse, den der Mensch für sich beanspruche, erschreckend hoch. Und in Science wird heute nachdrücklich vor dem Abholzen der Wälder für die Biotreibstoffproduktion gewarnt.
Auf der Erde tummeln sich - je nach Schätzung - zehn, 30 oder gar 100 Millionen Arten von Pilzen, Pflanzen und Tieren. Sie alle sind Teil eines Nahrungsnetzes, bei dem die Pflanzen dank der Photosynthese dafür sorgen, dass die Tiere etwas zu fressen haben. Über Hunderte von Millionen Jahre war das System im Gleichgewicht. Jetzt aber beansprucht eine einzige Spezies einen wachsenden Anteil der Biomasseproduktion des Planeten für sich allein: wir Menschen:
"Ein Viertel dessen, was in den Ökosystemen verfügbar wäre, wird vom Menschen genutzt, entweder direkt geerntet oder indem er es durch Landnutzung verhindert."
Etwa indem er das Land mit Häusern und Straßen versiegelt, erklärt Helmut Haberl, Professor für Humanökologie an der Universität Klagenfurt. In der von den Forschern neu aufgestellten Bilanz schlägt auch das Futter für sein Vieh zu Buche. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: Im dicht besiedelten Indien etwa konsumieren die Menschen mittlerweile drei Viertel der gesamten Biomasseproduktion. Haberl:
"Trotz des niedrigen Konsums die Menschen, das muss man dazu sagen. Die Frage ist, wie viel Biodiversität hat das in Indien bereits gekostet? Und wie viel wird es kosten, wenn das über Jahrzehnte und Jahrhunderte so bleibt."
Denn es entsteht nicht sofort "nackte Erde", aber die Systeme werden geschwächt. Die Folgen der Übernutzung zeigen sich erst mit der Zeit: Auf lange Sicht hängt die Leistungsfähigkeit eines Ökosystems eng mit der Artenvielfalt zusammen - und der Mensch braucht Ökosysteme, die sehr vieles leisten. Haberl:
"Wasserrückhaltevermögen, Aufrechterhaltung der Bodenfruchtbarkeit, Regulationsleistungen von Ökosystemen, die hängen natürlich von dieser Nettoprimärproduktion ab. Ein klassisches Beispiel ist, wenn man die Wälder abholzt, dann kriegt man eben bei Starkniederschlägen die Flutereignisse viel stärker, als wenn die Wälder eben da wären und einen Großteil des Wassers erst einmal zwischengespeichert wird im Wald."
Der Mensch nutzt die Erde inzwischen so stark, dass ihm eigentlich nur die tropischen Regenwälder als "Neuland" bleiben, und die werden derzeit auch zunehmend abgeholzt. Im Amazonas fallen Baumriesen für die Biotreibstoff-Produktion. Für den Klimaschutz sei das fatal, erklärt Renton Righelato vom World Land Trust im britischen Halesworth. Righelato hat die Kohlendioxidbilanz von Wäldern mit der von Energiepflanzen verglichen:
"Unsere Analysen zeigen, dass Wälder und vor allem neu aufgeforstete Wälder sehr viel mehr Kohlendioxid aus der Luft herausholen, als sich durch die Produktion von Biotreibstoff vermeiden lässt. Wird ein Wald für den Energiepflanzenanbau abgeholzt, dauert es allein 50 bis 100 Jahre, ehe durch den Biosprit das Kohlendioxid wieder eingespart worden ist, das durch die Abholzung freigesetzt worden ist."
Berechne man den Schaden, den unter anderem die beim Abholzen eines Urwalds typische Brandrodung anrichte, belasteten Biotreibstoffe die Atmosphäre mit neunmal mehr Kohlendioxid als konventionelle Treibstoffe, so Righelato. Aber auch in den gemäßigten Breiten sieht die Bilanz nicht rosig aus, vor allem wegen des hohen Dünger- und Pestizidbedarfs von Energiepflanzen wie Raps, Soja oder Mais. Helmut Haberl:
"Pro Einheit fossiler Energie, die man hinein steckt in der Landwirtschaft, kriegt man optimistisch gesehen zwei bis drei Einheiten Energie als Kraftstoff frei Tankstelle heraus. Und auch das nur, wenn man berücksichtigt, dass man Nebenprodukte hat, für die Verfütterung an Nutztiere als Eiweißfuttermittel, ansonsten hat man eins zu eins. Das bedeutet, dass man einen sehr, sehr hohen Umwelt-Impact und einen relativ geringen Gewinn an Treibstoff hat."
Auch in Europa und den USA greife das Klimaargument nicht, erklärt Righelato. Es sei besser, magere Böden aufzuforsten als Energiepflanzen anzubauen:
"Ich fürchte, wir betrügen uns selbst, wenn wir glauben, mit Energiepflanzen irgendein Problem zu lösen. Um - wie von der EU geplant - bis 2020 zehn Prozent des europäischen Bedarfs an Kraftstoff durch Biotreibstoff zu ersetzen, müssten wir mehr als ein Drittel des gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Areals in Europa einsetzen."
Haberl und Righelato warnen also nachdrücklich und schlagen stattdessen drastisches Energiesparen vor oder die Produktion von Solar-Wasserstoff für den Einsatz im Auto.