Dramatische Lage auf der Insel Lampedusa 1200 Flüchtlinge an einem Tag Kaum ein Punkt der EU liegt so nah an Afrika wie die Insel Lampedusa. Für Flüchtlinge ein scheinbar einfacher Weg ins gelobte Europa. An einem einzigen Tag kamen 1200 "Clandestini" mit teils schrottreifen Booten. Von Stefan Troendle, ARD-Hörfunkkorrespondent Rom Die kleine Insel Lampedusa südlich von Sizilien ist wieder einmal das Ziel einer neuen großen Flüchtlingswelle. An einem einzigen Tag haben Küstenwache und Marine ingesamt 1200 Einwanderer in den Hafen von Lampedusa gebracht. Der letzte Einsatz der Küstenwache dauerte bis Freitagmittag. Italienischen Helfer gelang es, 37 Flüchtlinge von einem leckgeschlagenen Fischerboot zu retten. Die Hilfsaktionen sind meist dringend nötig, denn die Schleuser verwenden schlecht ausgerüstete, alte Kähne und Schlauchboote für den gefährlichen Trip. Erst am Donnerstag hatte ein Frachtschiff 28 Flüchtlinge gerettet, deren Boot im Kanal von Sizilien gesunken war. Dabei waren zwei Frauen aus Nigeria ertrunken. Appell des Bürgermeisters an Staat und Vatikan [Bildunterschrift: Viele der Flüchtlinge sind verletzt und völlig entkräftet. Nicht alle überleben die Überfahrt. ] Die meisten der illegalen Einwanderer stammen aus Afrika und fast alle können nicht schwimmen. Inzwischen platzt das Auffanglager auf Lampedusa aus allen Nähten. Lampedusas Bürgermeister Bernardino de Rubeis hat sich mit einem dramatischen Appell an den Vatikan und den italienischen Staat gewandt: "Sie sterben da draußen auf dem Meer, wir müssen Militär und Küstenwache danken, die die ganzen Rettungseinsätze leisten, und die Menschen hierher ins Auffanglager bringen, aber als Bürgermeister muss ich auch die Interessen meiner Gemeinden vertreten. Lampedusa ist nämlich eine Urlaubsinsel, und das würde sie gerne bleiben. Das Auffanglager war mal für 400 Menschen bestimmt, heute halten sich da 1700 Menschen auf." Zu wenig Trinkwasser auf der InselItaliens Militär will jetzt Hercules-Frachtflugzeuge einsetzen, um 500 Flüchtlinge aufs Festland zu verlegen. Außerdem werden viele der "Clandestini" - so das italieneische Wort für die "Illegalen" - mit regulären Tragflächenbooten in andere Auffanglager nach Sizilien gebracht. Die Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats, Laura Boldrini, bestätigt den Ernst der Lage: "Wenn viele Flüchtlinge auf der Insel sind, gibt es ein Versorgungsproblem - zum Beispiel beim Trinkwasser. Das ist eine Tatsache. Auch fehlt ein Krankenhaus. Wenn viele Menschen da sind, ist die Infrastruktur der Insel überlastet." Deswegen sei es wichtig, dass das Lager auf Lampedusa ein Durchgangslager bleibt und nicht für Daueraufenthalte genutzt wird, so Boldrini. "Alle sagen o.k. - aber nicht in unserer Stadt" [Bildunterschrift: Auf alten Booten wie diesem versuchen Flüchtlinge aus Afrika nach Europa zu kommen. ] Man bräuchte mehr Lager, um besser helfen zu können, findet auch Senator Felice Casson von der Oppositionspartei PD. Aber wenn es darum gehe, in anderen Gegenden Flüchtlingslager einzurichten, "machen alle einen Rückzieher, es gibt niemanden, der sagt, wir hätten Platz. Es passiert das, was auch beim Müllproblem schon passiert ist: alle sagen o.k., wir bauen neue Deponien - aber nicht in unserer Stadt." Die Regierung Berlusconi hatte zwar vor knapp einer Woche im Zusammenhang mit den zunehmenden Flüchtlingsströmen den Notstand erklärt. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine verwaltungstechnische Maßnahme, die vermutlich auch als eine Art Propaganda zu sehen ist. Denn den Notstand gibt es bereits seit 2002 jeden Sommer. Bisher wurde er regelmäßig nur in drei süditalienischen Regionen erklärt. Erst die neue Mitte-rechts-Regierung hat das ganze Land zum Notstandsgebiet erklärt. Nach Angaben des Innenministeriums sind im ersten Halbjahr 2008 rund 11.000 Bootsflüchtlinge nach Italien gekommen - fast doppelt so viele wie in den ersten sechs Monaten des Vorjahres.
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