„Wir zahlen nicht für Eure Krise!“.
Unter diesem Motto rufen für den kommenden Samstag linke Gruppen, Gewerkschaften und das globalisierungskritische Netzwerk attac zu Großdemonstrationen in Berlin und Frankfurt/Main auf. Um sich argumentativ besser auf diese Auseinandersetzung vorzubereiten, hatten attac-Aktivisten aus Wetzlar und der Verdi-Bezirk Mittelhessen am Sonntagmorgen zu einem „Politischen Frühstück“ in die von der Wetzlarer Arbeitsloseninitiative genutzten Räume in der Bahnhofstraße 3 eingeladen. Gastredner war der langjährige Giessener Politikprofessor Dieter Eißel. Der Wissenschaftler erläuterte den über 50 Besuchern der Veranstaltung die Vorgeschichte der aktuellen Bankenkrise und sprach von einer Sackgasse des neoliberalen Politik- und Wirtschaftsmodells. Die mit den Namen Reagan und Thatcher verbundene und dann weltweit kopierte Politik habe „aus Sozialstaaten Wettbewerbsstaaten“ gemacht. Man habe den Groß-aktionären profitable Anlagemöglichkeiten verschaffen wollen und die internationalen Finanzmärkte dabei dereguliert. So sei es etwa vom damaligen Finanzminister Hans Eichel in 2004 als Erfolg verbucht worden, dass sog. Hedge-Fonds auch in Deutschland aktiv werden konnten. „Die Privatisierungwellen bei Bahn und Post sowie bei zahlreichen kommunalen Versorgern sind ein Ausdruck des Drängens weltweit operierender Finanzkapitalgruppen nach Höchstgewinnen gewesen“, sagte Eißel. Weil deren Rendite-Gier, begleitet von wüster Spekulation und Buchungstricks, dem realen Produktivitätsfortschritt weit voraus geeilt sei, habe es zur Bildung gigantischer Spekulationsblasen kommen müssen: „Eine Schätzung geht davon aus, dass bei deutschen Banken gegenwärtig 350 Milliarden Euro Eigenkapital einer mehr als doppelt so großen Summe ‚vergifteter Wertpapiere’ gegenübersteht.“ Die neoliberale Verheißung „Wenn der Staat die Reichen reicher werden lässt, bleiben sie im Land, investieren und schaffen Arbeitsplätze“ sei durch die reale Entwicklung der letzten 30 Jahre Lügen gestraft worden. Inzwischen besitzt das reichste Zehntel rund 61% des gesamten Volksvermögens in Deutschland. Die Lohnquote sei um etwa 15% gesunken, trotzdem würden Gering- und Normalverdiener mehr denn mit ihren Steuern zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen. Zudem arbeiten über 25% der Arbeitnehmer inzwischen im Niedriglohnsektor. Erstaunen löste Prof. Eißel mit der Antwort auf seine Frage aus, bei wem sich wohl der Staat die für den „Bankenrettungsschirm“ benötigten Milliardenbeträge borge: Nur 3 Prozent werden von privaten Sparern aufgebracht, überwiegend sind die Geber genau jene Kreditinstitute, für die der Rettungsschirm installiert werde. Dieter Eißel gibt nationalstaatlichen Lösungsversuchen der Finanz-und Wirtschaftskrise keine Chance. Gefallen findet er an der von attac geforderten weltweiten „Tobin-Taxe“ (Besteuerung von Kapitaltransfers). Außerdem müssten Steueroasen ausgetrocknet und das Finanzgebaren globaler Akteure staatlich kontrollierten Spielregeln unterworfen werden. Ferner ist für den Politikwissenschaftler der Mindestlohn ein Muss. Staatlicher Schutzschirme bedarf es seines Erachtens in den Zukunftsfeldern Bildung, Ausbildung und Gesundheit. Thomas Künzer (Wetzlar-Garbenheim) wies als Veranstalter auf Mut machende Entwicklungen wie die Ablösung der Bush-Administration in den USA hin und wünscht sich eine breite Beteiligung an den Aktionen der Globalisierungskritiker in den nächsten Wochen.
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