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Können wir auf Gottesdienst verzichten?
Manuskript Weltkulturerbe Gottesdienst, Deutschlandfunk 17.1.2010

Johanna Haberer

Veröffentlichung bei der Chrismon Edition

in ‚Bibel, Beffchen, Butterkuchen’

 

Hörfunkmitschnitt: mp3

 

Es gibt Dinge, deren Fehlen man erst bemerkt, wenn sie unwiderruflich weg sind.

Die alte mehrstufige Dorfschule zum Beispiel, wo alle Kinder eines Dorfes in verschiedene Jahrgangstufen in einem gemütlichen Gebäude in der Mitte des Dorfes zu Schule gingen.

Kein Schulbusse, keine Entfernungen, keine fremden Lehrer….

Oder die süß duftende Bäckerei um die Ecke, die einem Einkaufsmarkt gewichen ist. Dieser kleine holzgetäfelte Laden, in der sich die Menschen aus dem Viertel trafen und man ein bisschen redete Wer krank ist oder wieder gesund, wer neu eingezogen, wer gerade den Schulabschluss gemacht und welcher neue Arzt sich niedergelassen hat.

Manche Dinge vermisst man erst, wenn sie unwiederbringlich aus unserem Alltag verschwunden sind.

Wirtschaftswissenschaftler und Volkswirte wissen davon ein Lied zu singen, wenn sie beziffern wollen, was ein sogenannter öffentlicher Wert ist. So ein Wert der die die Menschen zusammenhält und den man dennoch nicht ausrechnen kann. So ein Wohlfühlfaktor. Wo man an seine Grenzen kommt, wenn man nachrechnen möchte, was es letztendlich bringt.

Es war ein ungeahnter Schreck für viele Menschen – besonders im deutschen Osten, als in den letzten Jahren klar wurde: wenn nicht etwas Entscheidendes passiert, werden wir die kleinen alten Kirche in Ostdeutschland schließen müssen. Verkaufen oder Abreißen, bevor sie zusammenfallen.

Ein Dorf ohne Kirche, ein Stadtviertel ohne Kirchturm und Glockenklang, eine Gesellschaft in der nichts und niemand zum Gottesdienst ruft.

Eine Gesellschaft, in der der Sonntag, der Treffpunkt in den Konsumtempeln wird.

Manche Dinge fehlen einem erst, wenn sie unwiederbringlich fort sind. Auch diejenigen, die sonntags über den Lärm der Glocken gemeutert haben, wird es merkwürdig berühren, wenn plötzlich die Stille ausbricht. Auch die die Gottesdienst mit langweiligen Predigten assoziieren, werden danach horchen, ob nicht doch einer singt….

Auch die, die nur schnell und ungesehen durch den Kirchenraum eilten, um vielleicht eine Kerze anzuzünden, aber nie den Gottesdienst am Sonntagvormittag besucht hätten, auch denen wird ein vager, fader Geschmack die Kehle hochsteigen.

Diese Leere am Sonntagmorgen, die sich breitmachte, wüsste man sicher, dass nirgendwo mehr irgendeiner betet. Dass sich nirgendwo einer bemüht den Himmel aufzuschließen und einen Blick in die anderen Dimensionen des Lebens zu öffnen

In Brandenburg und Mecklenburg sind in den vergangenen Jahren viele Kirchen von Bürgerinitiativen wieder hergerichtet worden. Und alle haben zusammengehalten. Gemeinden und Ausgetretene. Christen und Heiden.

Was fehlt, wenn ein Kirchenraum fehlt? Wenn der Gottesdienst fehlt? Wenn in einer Menschengemeinschaft Gott nicht mehr angerufen wird, wenn die Gebete nur noch heimlich und nicht mehr öffentlich zum Himmel steigen, wenn kein lautes Lied mehr zum Lob Gottes gesungen wird? und kein Vater Unser mehr an einem Altar gebetet wird?

Was fehlt.

Allen würde etwas fehlen.

Es würde kälter in der Welt.

Pierre Mercier, der intelligente Agnostiker beschreibt dieses zurückbleibende Gefühl der Leere in seinem Meisterwerk „Nachtzug nach Lissabon“:

 

„Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. Ich brauchte ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen. Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik. Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge, wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“

 

Was der Agnostiker Mercier nur mit dem Minuszeichen kennzeichnen kann, eben was er nicht will, das beschreibt der theologische Papstkritiker Hans Küng mit glühenden Worten:

Räume gesucht, Orte gesucht, Rituale besucht, in denen wir Menschen nicht nützlich sind, sondern einfach da sein dürfen, Raum öffnen für die Bedeutung des Lebens:

 

Wir Menschen, und wir Menschen allein, sind sinnsuchende Wesen. Einen tieferen Lebenssinn gewinnen wir aber nur dadurch, dass wir unser Leben auf eine Tiefendimension hin öffnen. Dadurch, dass wir bei allem Leben und Erleben, bei allem Arbeiten und Verarbeiten in erster und letzter Instanz uns doch auf etwas verlassen, dessen Quelle wir nicht selber sind. Einen alles übergreifenden, alles umgreifenden Sinn im Leben gewinnen wir nur, indem wir inmitten aller Arbeit, inmitten allen Erlebens mit guten Gründen ein Vertrauen auf die verborgene Wirklichkeit setzen: ein durchaus vernünftiges Vertrauen also auf jenen allerersten-allerletzten Sinn-Grund, der uns allesamt, mich und die Meinen, zu tragen, zu durchdringen, zu geleiten vermag und den wir mit dem viel missbrauchten Namen Gott bezeichnen. Durch die Bindung an diesen absoluten Sinn-Grund wird uns eine große Freiheit geschenkt: eine Freiheit in allem Relativen dieses Lebens. Dann stehe ich inmitten aller Arbeit nicht mehr unter dem unbarmherzigen Gesetz des Leisten-Müssens, aber auch nicht unter dem Zwang, der drohenden Langeweile durch ständige Erlebnisbefriedigung entkommen zu müssen. Ich bin dann weder Sklave der Arbeit, der keine Zeit für Muße und Kult hat, noch Sklave des Erlebnisses, der ständig auf der Suche nach Ausleben und Rausch ist.

Hans Küng: „Vertrauen, das trägt. Spiritualität für heute“, Herder, Freiburg, 2008, S. 21

 

 

Es ist dieser Seinsgrund, den wir feiern, wenn wir Gottesdienst feiern.

Es ist die Feier des einfachen Daseins, es ist das Ritual des Lebensrechtes aller…

Die Erinnerung an ein Dasein, das man sich nicht verdienen muss und das man sich nicht verdienen kann!

Was für ein herrlicher Überfluss, was für eine überschäumende Dreingabe, dass wir Räume haben, die nur für die Feier des einfachen Daseins vorgesehen sind.

In denen sich Woche für Woche, Sonntag für Sonntag eine gewaltige innere Prozession abspielt.

Doch nicht nur die Kirchenräume inszenieren einen Gottesdienst. Der Ablauf und die Worte, die dort wieder und wieder gesprochen werden, lassen einen inneren Raum entstehen. Sie schließen die Kathedrale des inneren Menschen auf.

Jeder Gottesdienst wird – wo auch immer er gefeiert wird - seit Jahrtausenden mit der einfachen Formel „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ eröffnet. Mit dieser Formel öffnet sich zugleich der Raum Gottes in der Welt. Ich trete vor Gott, ich wende mich im schlichten Gestus des Gebets an den Urgrund des Lebens, an den Ort, der mir Vergebung verheißen hat, Lösung aus allen Zwängen des Alltags, aus den Verstrickungen der Beziehungen, aus der Ichbezogenheit, aus der Traurigkeit und aus der Resignation. Ausweg auch aus dem hochfahrenden Gefühl der Überlegenheit, aus der Hybris des Siegers.

Alle gleich sind wir hier – der Mensch vor Gott.

Und es gibt keinen Menschen, der hierher nicht kommen darf. Gottesdiensträume können jederzeit entstehen: Auch dort, wo es keine Kirchenräume gibt. In Gefängnissen und Kindergärten, in Banken und auf Berggipfeln, in Obdachlosenheimen und auf Hochseedampfern. Mit der Formel: im Namen des Vaters des Sohnes und des Heiligen Geistes wird Gottes Raum aufgeschlossen. Woche für Woche, Sonntag für Sonntag…immer wenn ein Gottesdienst beginnt: Dieser Dienst der Menschen an Gott, der mündet in den Dienst Gottes an den Menschen.

Wir werden offen für Neues. Wir öffnen uns hin zu dem ganz anderen, wir bringen diese andere Dimension des Lebens zur Sprache, die in unserem Alltag oft oder besser meist zu kurz kommt.

Die Texte der Bibel werden dort verlesen. Uralte, manchmal fremde Texte. Texte, die ein Weltkulturerbe an Geschichten und Gedanken geschaffen haben: Der verlorene Sohn, die Geschichte vom Kind in der Krippe, von dem Mann am Kreuz. Worte und Texte, die aus einer anderen Dimension herüberwehen und uns verstören, unseren Alltagstrott durcheinanderbringen.

Selig die Friedfertigen, selig die Leidenden, selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden……oder die Liebe höret nimmer auf…..

In diesem Raum der inneren Kathedrale werden Texte zu Gehör gebracht, die sich nicht einfach in die Staccatos der Werbung, in die Überflutung durch Slogans der Gewinner einfügen.

Es entstehen Räume des „Nein“, es regt sich der Widerstand derer, die sich ihr menschliches Dasein nicht jeden Tag in Zahlen vorrechnen wollen: was kostet „uns“ ein Hartz-4-Bezieher, was kostet „uns“ ein „Pflegefall“ – so bezeichnen wir einen Menschen, der auf Pflege angewiesen ist. Was kostet „uns“ ein Kindergartenplatz…..

Der Gottesdienst ist der Raum, in dem nicht gerechnet wird….nur mit Gott.

Der Gottesdienst ist der Raum, in dem wir uns öffnen: Wir singen. Christ ist erstanden zum Beispiel oder Tochter Zion oder Herr Deine Liebe ist wie Gras und Ufer wie Wind und Wolken und wie ein zuhaus. Singen ist ein Akt der Dankbarkeit: ich öffnen den Mund und den Brustraum und schicke meinen Atem durch die Stimmbänder und es entsteht ein gemeinschaftlicher Ton….nicht einer singt..viele singen..

 

 

Das Gebet ist die erwachsene Schwester des Gesangs. Ernster konzentrierter, verbindlicher, nicht ganz so anmutig. Auch im Gebet bleibt der Mensch nicht allein. Die ganze Welt wird in diesen Raum Gottes einbezogen. Der Dank für den Frieden, die Bitte für die Armen. Im Gebet verbindet sich Gott mit der Welt. Es entsteht Anteilnahme und Mitleid. Das ganze Leid der Welt wird in seiner Intimität offenbar: Die Weinenden, die Verlassenen, die Sterbenden. Für sie wird gebetet und es wächst eine unsichtbare Solidarität, die in dem einen Gebet vernetzt wird, dem Vater Unser, das Jesus seinen Jüngern als den angemessenen Ton mit Gott anempfohlen hat.

Ich empfinde es als eine tief bewegende Vorstellung, dass rund um den Globus irgendwo immer ein Mensch oder eine Menschengruppe diese Worte beten.

Vater unser im Himmel

Geheiligt werde Dein Name,

Dein Reich komme

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute,

und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

und führe uns nicht Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen,

denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Amen

 

Was wäre, wenn diese Worte verstummten zusammen mit den Fürbitten.

Die Welt wäre schlagartig wie vom Eis überzogen. Es fehlte die Dimension der Hoffnung, diese unbeweisbare Gewissheit der anderen Dimension, diese Zurückkehren an die Quelle aller Lebenskraft und Schöpferkraft wie sie dann im Segen zum Abschluss eines jeden Gottesdienstes beschworen wird. Dieser Gott, mit dem leuchtenden Angesicht, der uns zur Menschengemeinschaft zusammenlieben will, der uns im Leiden Solidarität und Kraft zusprechen will, der uns im Tod nicht lassen will.

Nach dem Segen verlassen wir die innere Kathedrale und….wenn alles gut gehen sehen wir unser Leben in einem neuen Licht.

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