Verpasste Chancen
Schon die Überschrift des Artikels muss für alle, die die Langgasse, den Karl-Kellner-Ring und die Bahnhofstraße vor Augen haben, makaber klingen – und das ist es auch. Um was für einen Preis hat man sich das Einkaufszentrum Forum in die Stadt geholt? Sicher, die Zentralität ist in Rekordhöhe hochgeschnellt – aber davon merkt man jenseits des Forums nichts. Sicher sind Arbeitsplätze im Forum geschaffen worden – aber dafür wurden jenseits des Forums auch heftig Arbeitsplätze vernichtet. Viele Leerstände zeugen davon. Sicher, der Einkaufstempel Forum beeindruckt – aber jenseits der Alten Lahnbrücke bis zum Forum müsste sich jeder Wetzlarer in Grund und Boden schämen. Heute geben die Wetzlarer ihren Stolz an der Alten Lahnbrücke auf. Dabei eröffnet das Forum tatsächlich Chancen. Das Forum ist unbestritten gut besucht. Viele der Besucher sind jünger. Diese jüngeren Besucher müsste man „herauslocken“. Das ist die Idee des Optikparcours: ein Erlebnispfad, der die Menschen vom Forum bis in die Altstadt führt. Da bleibt aber auch noch Platz für Angebote an ältere Menschen, die bekanntlich zahlenmäßig eine immer stärkere Bevölkerungsgruppe ausmachen werden. Die Chancen, die sich mit dem Forum eröffnen, hätte man nutzen müssen. Man hätte –wie das in vielen anderen Städten, die ebenfalls den Versuch unternehmen, sich durch die Ansiedlung eines Einkaufzentrums neu im Wettbewerb der Städte zu positionieren, getan haben, die Ansiedlung und den Betrieb des Forums flankieren müssen. Man hat in „Steine“ statt in „Ideen“ investiert. Die neuen Pflastersteine reichten bis hinter das Herkulescenter. Danach hat man die Stadt sich selbst überlassen und so sieht die Innenstadt auch aus: abgeschrieben. Statt den Wochenmarkt am Donnerstag fast vor dem Forum zu positionieren, wäre er besser am Buderusplatz aufgehoben. Wer dem Parkleitsystem „City“ folgt, das vorgeschlagen wurde, um die Innenstadt zu stärken, der landet im Forum Parkhaus. Da gibt es viel Ideen- und Gedankenlosigkeit und immer die Ausrede, in anderen Städten sehe es noch schlimmer aus. Die Geburtstagsreden zeugen davon, dass ein Problembewusstsein immer noch nicht wirklich vorhanden ist. Wie viel schlimmer muss es noch kommen? Mit jedem Tag werden die Chancen kleiner und der Preis höher, um die Schäden, die der Stier in der Stadt anrichtet, wieder zu beseitigen. Irgendwann hat der Stier alles so platt gewalzt, dass gar nichts mehr geht. Mit vielen kleinen Schritten muss man gegensteuern. Eine „Task Force Innenstadt“ muss her, die alles Schädliche von dem kranken Patienten Innenstadt fernhält und alles das, was zur Gesundung helfen kann, fördert. Vor der Eröffnung des Forums hat man viel versprochen. Heute hat man sich offensichtlich nur „versprochen“. Aber Worte helfen jetzt ohnehin nicht mehr. Die Mechanismen unserer schnelllebigen Zeit nehmen keine Rücksicht auf die politischen Entscheidungsstrukturen. Da sind alle parteiübergreifend und beherzt gefordert. Wieder hat ein Laden in der Bahnhofstraße geschlossen. Im Schaufenster hängt ein Schild mit der Aufforderung „Wir sind weiterhin im Forum für Sie da.“. Dennoch gibt es auch von mir Geburtstagsgrüße. Aber nicht ohne Mahnung: Es wird nicht langen, wenn das Forum das Wirtstier Wetzlar mit ein paar Spenden an Vereine füttert. Einige Forumbesucher werden sich doch vor den Mikrokosmos Einkaufstempel verirren und werden schockiert sein. Längst hat sich die Domstadt in der Immobilienbranche und in der Einzelhandelbranche einen unrühmlichen Ruf erworben: So, wie man es nicht machen sollte. Veränderungen schaffen neue Chancen. Nur der, der nichts macht, macht alles falsch. Professor Dr.-Ing. Jürgen Erbach
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