Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Daðdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein umfassendes Bleiberecht – Drucksache 17/19 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Drucksache 17/34 (neu) – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einmal über Menschen, die aus ihren Herkunftsländern geflohen sind und hier in Deutschland nur geduldet sind. Geduldet zu sein, bedeutet ständige Angst vor Abschiebung, bedeutet, den Wohnort nicht verlassen zu dürfen, keine Bewegungsfreiheit zu haben, also Residenzpflicht, bedeutet Arbeitsverbot und vor allen Dingen, von reduzierten Sozialleistungen leben zu müssen. Die Gesundheitsversorgung ist nur auf Notfälle reduziert. Weil die Duldung immer wieder neu verlängert werden musste, hat es seit Jahren in diesem Hause eine Debatte darüber gegeben – genauer gesagt mit dem Zuwanderungsgesetz von 2001, das von Grünen und SPD eingebracht wurde –, dass diese Kettenduldung endlich abgestellt werden muss. Was ist bis dahin passiert? Rein gar nichts. Stattdessen hat die Koalition eine Altfallregelung eingebracht. Diese wird von Pro Asyl, einer Flüchtlingsorganisation, als kleinmütige Teillösung bezeichnet. Wir können uns dieser Aussage nur anschließen; denn das ist für die Betroffenen wirklich nicht mehr zu ertragen. (Beifall bei der LINKEN) 60 000 Menschen sollen ein Bleiberecht erhalten, versprach damals die SPD. Nur 8 000 Menschen haben ein Bleiberecht bekommen. 30 000 Menschen haben ein Aufenthaltsrecht auf Probe bekommen. Das muss man sich einmal vorstellen. Sie müssen bis zum Ende dieses Jahres ein Einkommen aufbringen, das über Hartz-IV-Niveau liegt, sonst heißt es: Abschiebung. Es ist unseres Erachtens ein Skandal, dass die Regierung bis heute keinerlei Vorschläge vorgelegt hat, um bis Jahresende diese Abschiebungen zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Im Koalitionsvertrag steht – ich zitiere –: … sind wir uns einig, dass vor dem Hintergrund der momentanen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Handlungsbedarf … besteht. … Zeitgerecht wird eine angemessene Regelung gefunden werden. Herr Kollege Wolff von der FDP, Sie haben in den vergangenen Tagen immer wieder in den Medien verlauten lassen: Wir brauchen noch ein Jahr Zeit, um in Ruhe über eine vernünftige und tragfähige Lösung zu reden. Ich frage Sie: Warum schiebt es diese Regierung erneut der Innenministerkonferenz zu, eine Lösung zu finden? Auf der Innenministerkonferenz hat Innenminister Herrmann zum Beispiel gesagt: erst Arbeit, dann Daueraufenthalt; das muss das Prinzip sein. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was spricht denn dagegen?) Das ist fast so, als wenn man sagt: Wer keine Arbeit hat, soll auch nicht essen, Herr Grindel. Das ist die Mentalität, die aus diesen Positionen spricht. (Beifall bei der LINKEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ach je!) Ich will hier noch einmal ganz deutlich sagen: Sie sind diejenigen, die diesen Menschen lange Zeit ein Arbeitsverbot auferlegt und ihnen durch die Residenzpflicht die Möglichkeit genommen haben, sich um Arbeit zu bemühen. Auch die Fachleute sagen: Aufgrund der Wirtschaftskrise haben diese Menschen die geringsten Chancen, einen Job zu finden. Und nun soll ausgerechnet die Innenministerkonferenz im Konsens eine Lösung finden. Ich sage hierzu nur: Dieses Spiel kennen wir seit langem und zur Genüge. Die Bundesregierung und die Innenminister schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu. Wer genau hinschaut, sieht: Auch die Innenministerkonferenz hat bis heute überhaupt keine Lösung. Deswegen fordern wir die Koalition auf, sofort eine Lösung zu finden. Wir fordern das Bleiberecht für alle, die diesen seltsamen Status „Aufenthalt auf Probe“ haben. (Beifall bei der LINKEN) Die Linksfraktion stellt in ihrem Antrag zunächst einmal fest – ich kann leider nur zwei Punkte nennen –, dass wir dieses Bleiberecht ganz dringend brauchen, und wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf, die Kettenduldung endlich zu beenden. Ich möchte hier noch einmal daran erinnern, dass Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Gewerkschaften vor der Sommerpause an die Politik appelliert haben, die Altfallregelung wenigstens zu verlängern. Die Regierung hat damals abgestritten, dass es einen Handlungsbedarf gibt. Ich lese besonders gerne aus der Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom heutigen Tag vor, in der steht: Die Aufenthaltserlaubnis muss erteilt werden können, sobald die Ausreise unzumutbar ist. Es wäre einfach kaltherzig und inhuman, wenn Kinder, die hier aufgewachsen sind, ständig Angst vor Abschiebung haben müssen, nur weil ihre Eltern keine Arbeit finden. Dort steht weiter, die Menschen brauchten keine Duldung, sondern Rechtssicherheit. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Das sehen wir ganz genauso. Es ist nicht akzeptabel, – sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband weiter – wenn hunderttausend Menschen über Jahre hinweg als Mitmenschen „auf Abruf“ behandelt werden. Wir können uns dem nur anschließen und hoffen, dass die Bundesregierung endlich zu einer Lösung kommt. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel für die Fraktion der CDU/CSU. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst der Kritik an der bestehenden gesetzlichen Bleiberechtsregelung entgegentreten. Frau Jelpke, die Frage ist doch: Nach welchen Kriterien bewerte ich, ob eine Bleiberechtsregelung erfolgreich ist oder nicht? Die Linke führt dabei vor allem Zahlen ins Feld. Wenn es nur auf Zahlen ankäme, dann wäre die erfolgreichste Bleiberechtsregelung die, die aus nur einem Satz besteht: Alle Ausländer, die da sind, können bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das wäre aber keine verantwortliche Zuwanderungspolitik. Das muss ich Ihnen vorhalten, da hier auch noch Beifall geklatscht wird. Tatsächlich verdient derjenige ein Bleiberecht, bei dem es aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen zu einem so langjährigen Aufenthalt in Deutschland gekommen ist, dass eine Verwurzelung in unserem Land stattgefunden hat, die eine Rückführung in das ursprüngliche Heimatland aus humanitären Gesichtspunkten als nicht vertretbar erscheinen lässt. Wir unterhalten uns hier über einen Weg der legalen Zuwanderung. Die Personen, um die es geht – das muss man auch unseren Zuschauern deutlich machen –, sind eigentlich allesamt ausreisepflichtig und erhalten durch das Bleiberecht eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive. Wir müssen also integrationspolitische Überlegungen in den Blick nehmen. Deshalb sind an das Bleiberecht aus wohlerwogenen Gründen eine Reihe von Bedingungen wie zum Beispiel das Beherrschen der deutschen Sprache oder ein regelmäßiger Schulbesuch geknüpft worden. Mit der Aufenthaltsgenehmigung auf Probe, die Sie hier völlig zu Unrecht diskreditiert haben, wollten wir Geduldeten vor allem die Arbeitsaufnahme erleichtern. Für diejenigen, die so gut integriert sind, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können, haben wir sogar die Möglichkeit zur Erteilung einer regulären Aufenthaltserlaubnis eröffnet. Um es klar zu sagen: Die Bleiberechtsregelung ist nicht nur, aber auch ein humanitärer Akt. Wir wollen Geduldeten, die sich gut integriert haben, helfen. Eines wollen wir aber auf jeden Fall: Wir wollen Zuwanderung in die Sozialsysteme nachhaltig verhindern. Auch das müssen wir bei der Bleiberechtsregelung in den Blick nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vor diesem Hintergrund ist die jetzige Bleiberechtsregelung ein Erfolg. Über 10 300 Geduldete haben eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil sie in der Lage waren, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Weitere knapp 30 000 Personen besitzen eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Es ist interessant, sich die Statistiken der einzelnen Bundesländer anzuschauen. Dann stellt man fest, dass bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen kein Land so engherzig ist wie das Land Berlin, wo die Linke Regierungsverantwortung trägt: Hier hat es ganze 74 Aufenthaltserlaubnisse gegeben. In Bayern waren es knapp 1 000. Sie brauchen uns von der Union in der Frage des humanitären Bleiberechts keinen Nachhilfeunterricht zu erteilen. Dort, wo Sie Regierungsverantwortung tragen, sieht die Bilanz am schlechtesten aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts auf Probe um zwei Jahre ist bereits im Gesetz selber vorgesehen, sofern der Lebensunterhalt zumindest überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit bestritten worden ist. Das Bundesinnenministerium hat in einer Reihe von Bundesländern eine stichprobenartige Untersuchung durchgeführt. Danach ist zu erwarten, dass rund die Hälfte der Besitzer dieses Aufenthaltsrechts auf Probe mit einer Verlängerung rechnen kann. Zu den 10 000 Personen mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis kommen also 15 000 Personen hinzu, die keine oder nur geringe Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Insofern ist es nicht richtig, wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband heute in einer Pressemitteilung den Eindruck erweckt – Frau Jelpke, Sie haben das angesprochen –, als ob fast alle gut 30 000 Besitzer dieser Aufenthaltserlaubnis auf Probe zum Jahresende ein Problem bekämen. Es ist sicher nicht zu bestreiten – das räumen wir ein –, dass manch gutwilliger Inhaber eines Aufenthaltsrechts auf Probe wegen der augenblicklich schwierigen wirtschaftlichen Lage keine Verlängerung erhalten wird, weil es ihm nicht gelungen ist, seinen Lebensunterhalt überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten, sondern möglicherweise nur zu einem geringen Teil. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur manche! Viele!) Deshalb stellen wir uns gemeinsam mit den Ländern die Frage: Wie gehen wir damit um? Die Grünen und die Linken schlagen vor, die Bleiberechtsregelung pauschal um mindestens ein Jahr zu verlängern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich möchte das einmal deutlich machen, auch weil Sie hier Beifall klatschen: Sie wollen eine pauschale Regelung. Das heißt, Sie wollen denjenigen, der sich um Arbeit bemüht hat, der für kleines Geld gearbeitet hat, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kleine Geld reicht doch nicht!) der sich immer wieder beworben hat, genauso behandeln wie denjenigen, der überhaupt nichts getan hat, sondern nur von Sozialhilfe gelebt hat. Das halte ich nicht für richtig. Wir brauchen eine differenzierte Lösung für den Umgang mit den ausländischen Mitbürgern. (Beifall bei der CDU/CSU) Welche Botschaft geht von Ihrem Vorschlag aus? Das Gesetz sieht vor, dass man sich um Arbeit bemühen muss. Viele Geduldete haben das getan, weil sie davon ausgegangen sind, dass man den Gesetzgeber ernst nehmen kann. Sie sagen dann aber: Wer nichts getan hat, der wird genauso behandelt. Das ist nicht in Ordnung. Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion eindeutig, dass wir keine gesetzliche Verlängerung der Bleiberechtsregelung wollen, sondern schon aus Zeitgründen eine Lösung durch Beschluss der Innenministerkonferenz vor Jahresende anstreben. Weil durch die Verlängerung der Bleiberechtsregelung zusätzliche Kosten auf Länder und Kommunen zukommen werden, macht es großen Sinn, die Länder daran zu beteiligen. Dabei ist uns völlig klar, dass eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts auf Probe nur in Betracht kommen kann, wenn der geduldete Ausländer nachweist, dass er sich um die Sicherung seines Lebensunterhalts zumindest bemüht hat. In den Genuss einer Verlängerung müssen diejenigen kommen, die tatsächlich unter der schwierigen Wirtschaftslage leiden, nicht aber diejenigen, die ohnehin, unabhängig von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, nichts tun, ob es Arbeit gibt oder nicht. Wir sind für eine differenzierte Lösung, wie sie von vielen Bundesländern und den dortigen Innenministern angestrebt wird. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wie vielen Leuten reden Sie da?) Ich betone noch einmal: Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme durch die Verlängerung der Bleiberechtsregelung darf es nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dementsprechend ist es auch falsch, dass die Grünen in ihrem Gesetzentwurf schreiben, eine pauschale Verlängerung verursache keine zusätzlichen Kosten. Natürlich würden Kommunen, die ansonsten einen Ausländer in sein Herkunftsland zurückführen könnten, mit zusätzlichen Hartz-IV-Leistungen belastet. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie können doch gar nicht zurückgeführt werden! Sonst würden sie ja nicht geduldet!) Das ist angesichts der schwierigen Lage der kommunalen Haushalte nicht unproblematisch. Bei dieser Gelegenheit möchte ich, weil Frau Jelpke das Thema Kettenduldungen angesprochen hat, darauf hinweisen, dass Ihre Bemerkung in die völlig falsche Richtung gegangen ist. Es war nie unser Wille, Duldungen generell abzuschaffen. (Rüdiger Veit [SPD]: Unserer schon!) Selbstverständlich können diejenigen Ausländer kein Aufenthaltsrecht beanspruchen, die durch das eigene Handeln, nämlich durch das Vernichten von Ausweispapieren, durch die Täuschung über ihre Identität und Reisewege, selber dazu beigetragen haben, dass sich ihr Aufenthalt zum Teil über mehrere Jahre hingezogen hat, weil zum Beispiel keine Passersatzpapiere herbeigeschafft werden konnten. Wer selber dafür verantwortlich ist, dass die Behörden die Rückführung nicht möglich machen konnten, wer in der Zeit vielleicht sogar straffällig geworden ist, darf kein Aufenthaltsrecht bekommen und dessen Rückführung muss grundsätzlich möglich sein. Deshalb wollen wir für diese Fälle an der Duldung festhalten. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bezahlt die denn? Wer bezahlt die Rückführung?) Unsere Beratungen sind im Übrigen ein Beleg dafür, dass Stichtagsregelungen immer dann unehrlich sind, wenn allen Beteiligten sowieso klar ist, dass man ein Problem nur verschiebt und der Stichtag letztendlich nicht so ernst genommen wird. Ich will deshalb nicht verhehlen, dass es in unserer Fraktion Sympathie dafür gibt, über eine generelle Regelung hinsichtlich der Lebenssituation von gut integrierten Kindern nachzudenken. (Rüdiger Veit [SPD]: Sehr gut!) Viele Kinder aus geduldeten Familien gehen erfolgreich in die Schule und haben eine gute Bildungs- und Ausbildungsperspektive in unserem Land. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dann werden nur die Eltern abgeschoben!) Für sie ist Deutschland oftmals längst neue Heimat geworden. Ich sage hier: Im Zusammenwirken mit den Innenministern der Länder bleibt es eine Aufgabe in dieser Legislaturperiode, zu prüfen, ob wir für diese Kinder und natürlich auch ihre Familien eine weitergehende Regelung treffen können. Gleichzeitig bleibt es eine ebenso wichtige Aufgabe, diejenigen, die kein Recht haben, auf Dauer bei uns zu bleiben, konsequent in ihre Heimat zurückzuführen und dabei etwaige Abschiebungshindernisse zu beseitigen. Beides gehört zusammen: tragfähige humanitäre Lösungen für gut integrierte geduldete Ausländer und eine Rückführung derjenigen, die erfolgreiche Integration in unserem Land eher erschweren. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion. Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Ich möchte mit einer Art Amtsanmaßung beginnen. Normalerweise gratulieren Sie, Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen zu ihren runden Geburtstagen; es ist erfreulich, wenn Kolleginnen und Kollegen älter werden und runde Geburtstage haben. Ich möchte einen anderen Glückwunsch aussprechen, der mir ein aufrichtiges Bedürfnis ist. Herr Kollege Grindel, Sie sind vor zwei Tagen Vater geworden. Ich wünsche Ihnen, Ihrer Frau und dem neuen Erdenbürger, dass er gesund heranwächst und allzeit liebevolle und auch sehr kluge Eltern hat, damit er ein ganz wichtiger Mitbürger in unserer Gesellschaft wird. (Heiterkeit und Beifall) Auch wenn wir ein bisschen schmunzeln, der Glückwunsch ist sehr ernst und sehr herzlich gemeint. Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, wir reden wieder einmal über die Altfall- oder Bleiberechtsregelung in Bezug auf Geduldete. Wir wissen aus der letzten Statistik, die das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Linken zusammengetragen hat, dass wir Mitte dieses Jahres immer noch rund 100 000 geduldete ausländische Mitbürger in Deutschland hatten; rund 60 000 davon haben sich hier bereits seit sechs und mehr Jahren aufgehalten. Jetzt muss man sowohl an die Adresse der hier neu im Haus befindlichen Kolleginnen und Kollegen als auch an die Adresse der Öffentlichkeit bzw. des Publikums klar sagen: Wir betreiben hier keine Übungen in einem juristischen Trockendock von Fachsprache. Es ist auch nicht so, dass uns daran gelegen wäre, Zuständigkeitsfragen zwischen diesem Parlament und der Innenministerkonferenz hin und her zu schieben. Vielmehr reden wir konkret über das Schicksal dieser über 100 000 Menschen; ganz viele davon sind Kinder und Jugendliche, die hier in Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind. Deswegen muss man sich im Interesse eines Sozial- und Rechtsstaates sehr wohl ein paar Gedanken mehr darüber machen, was mit diesen sinnvollerweise zu geschehen hat. Duldung ist nichts anderes als die Erklärung an die Betroffenen: Ihr seid hier nicht willkommen; ihr bekommt hier keinen gesicherten Aufenthalt; wir wollen euch abschieben, das heißt, notfalls auch mit Anwendung unmittelbaren Zwanges außer Landes bringen, sobald wir das können. – Das ist die klare Ansage der Aussetzung einer Abschiebung, also einer Duldung. Das bedeutet im Extremfall – machen wir uns da nichts vor; ich habe das in meiner früheren Praxis leider manchmal miterleben müssen –, dass beispielsweise um 5 Uhr morgens der entsprechende Mitarbeiter der Ausländerbehörde mitsamt zwei Polizeistreifen vor der Tür steht, weil er nur so sicher sein kann, die gesamte Familie zwecks Rückführung – in der Regel auf dem Luftweg – zu erreichen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dann ist da aber schon mal jemand untergetaucht, Herr Kollege!) Das ist die Realität. Dieses Leben, das aus einem Sitzen auf gepackten Koffern besteht, ist unseres Staates eigentlich unwürdig. Es ist inhuman und auch unvernünftig, weil man die Betreffenden außerstande setzt, sich hier bei uns sinnvoll zu integrieren und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; ich will das ausdrücklich so klar und deutlich sagen. Die damalige rot-grüne Mehrheit hatte sich bei den Beratungen zum neuen Aufenthaltsgesetz und zum Zuwanderungsgesetz in den Jahren 2002 und 2004 aus gutem Grund vorgenommen, die Duldung gänzlich abzuschaffen und klar zu sagen: Wer hier in Deutschland bleiben darf, der bleibt und bekommt eine Perspektive. Derjenige, für den das nicht möglich ist, muss Deutschland wieder verlassen. Dieses Zwischending, genannt Duldung oder Kettenduldung – manchmal für zehn und mehr Jahre –, wollen wir nicht mehr. Wir mussten in den damaligen Gesetzesberatungen aus Rücksicht auf die CDU/CSU sowohl hier im Parlament als auch im Bundesrat leider das Instrument des § 60 a wieder einführen. In einem neuen Gesetz weist eine a-Nummerierung immer ziemlich deutlich darauf hin, dass die entsprechende Regelung – entschuldigen Sie bitte diese Formulierung – im Nachhinein noch „hineingewürgt“ worden ist. Um was geht es heute konkret? Die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen hat einen Gesetzentwurf eingebracht, um die Möglichkeit der Aufenthaltserlaubnis auf Probe um ein Jahr zu verlängern. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Mindestens!) Die Fraktion Die Linke hat darüber hinaus eine Erweiterung dieses Bleiberechts, der Möglichkeit einer Aufenthaltserlaubnis, gefordert. Ich möchte für die SPD-Fraktion – natürlich unter dem Vorbehalt, dass unsere Gremien das genauso sehen – ankündigen, dass wir Ihnen in der nächsten oder übernächsten Woche einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir das Problem, wie wir hoffen, längerfristiger und sehr differenziert lösen können. Ich füge hinzu: Natürlich bleibt es dabei, dass wir die Duldung am liebsten ganz abgeschafft hätten; daran wird sich auch nichts ändern. Wir sind aber Realisten. Wir wissen, dass wir für eine solche Änderung des Aufenthaltsgesetzes auch die Zustimmung des Bundesrates brauchen. Demgemäß nehmen wir auf die dortigen Mehrheitsverhältnisse Rücksicht. Natürlich versuchen wir, den einen oder anderen Kollegen von der neuen Koalition, namentlich von der FDP, als Mitstreiter zu gewinnen. Ich kündige schon jetzt an, dass in diesem Gesetzentwurf in einer differenzierten Stufung klargestellt wird: Wer sich mit Familie seit zehn Jahren oder als Alleinstehender seit zwölf Jahren bei uns aufhält, weil er, aus welchen Gründen auch immer, aus guten Gründen nicht abgeschoben werden konnte, der kann bleiben. Diese Regelung wird, unserer Auffassung nach sinnvollerweise, deswegen stichtagsbezogen sein, weil wir für die Zukunft keinen Anreiz schaffen wollen, sich der Abschiebung durch Verschleppung absichtlich zu entziehen. Außerdem wollen wir bei deutlicher Verkürzung der bisherigen Fristen sagen: Wer sich als Alleinstehender acht Jahre oder mit Familie sechs Jahre hier aufhält, der kann auch dann bleiben, wenn er seinen Lebensunterhalt nicht gesichert hat. In einer weiteren Stufung von wiederum sechs Jahren bei Alleinstehenden und vier Jahren bei Familien wollen wir sagen: Wer sich ernsthaft um die überwiegende Sicherung seines Lebensunterhaltes bemüht, der kann ebenfalls bleiben. Wohlgemerkt sind solche Tatbestände und Konstellationen, in denen Ausweisungsgründe im Sinne schwerwiegender Straftaten oder des Verdachts terroristischer Bezüge vorliegen, immer ausgeschlossen. Wir wollen darüber hinaus sagen: Bei Minderjährigen und solchen Personen, die minderjährig eingereist sind, reichen uns auch vier Jahre Aufenthalt in Deutschland, wenn die Perspektive gegeben ist, dass sie sich hier integrieren werden. In der Konsequenz dessen gehen wir dann noch einen Schritt weiter und sagen: Kinder und Jugendliche, die mindestens einen Hauptschulabschluss oder einen vergleichbaren Schulabschluss erworben haben, sollen ebenfalls hierbleiben können, ohne die erforderlichen Mindestaufenthaltszeiten nachweisen zu müssen. Denn sie haben schon den Nachweis erbracht, dass und in welcher Weise sie in der Lage sind, sich in unsere Gesellschaft und unser Bildungssystem zu integrieren. Eine solche gesetzliche Regelung soll wohlgemerkt nicht stichtagsbezogen sein. Wir glauben, dass auch diejenigen, die aufgrund ihrer Aufenthaltszeiten immer wieder in diese Möglichkeit „hineinwachsen“, auch in der Zukunft das Recht erhalten müssen, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Wir wollen uns nicht darauf verlassen, dass die Innenministerkonferenz auf ihrer Sitzung Anfang Dezember dieses Jahres einfach nur beschließt: Wir verlängern die Möglichkeit der Aufenthaltserlaubnis auf Probe um ein oder zwei Jahre. – Es gibt einen Berliner Vorschlag, der eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe auf zwei Jahre und weitere Voraussetzungen, die allerdings nicht so eng wie die bisherige Regelung gefasst sind, beinhaltet. Im Augenblick deutet aber nichts darauf hin, dass die Innenminister – sie müssten das gemeinsam und einstimmig machen – einem derartigen Vorschlag nähertreten. Dies löst auch nicht wirklich das Problem. Außerdem ist es von der Systematik her schwierig, wenn die Innenministerkonferenz in ihrer Weisheit – das ist jetzt gar nicht unbedingt nur ironisch gemeint – etwas korrigieren soll, was der Gesetzgeber ausdrücklich anders erklärt hat. Eigentlich wäre es unsere ureigenste Aufgabe als Gesetzgeber, die Hausaufgaben zu machen. (Beifall der Abg. Wolfgang Gunkel [SPD] und Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Idee ist auch gar nicht neu. Denn seit März haben wir versucht, unseren damaligen Koalitionspartner, die Union, davon zu überzeugen, dass wir eine solche gesetzliche Änderung dringend brauchen. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass die Zeit nach der Wahl, auf die wir vertröstet werden sollten, nicht ausreicht, weil wir mit einem regulären Gesetzgebungsverfahren bis zum Jahresende nur schwer fertig werden können und weil diejenigen, die damit rechnen müssen, dass ihre Aufenthaltserlaubnis auf Probe nicht wieder verlängert wird – das sind, wie wir heute wissen, ungefähr 15 000 Menschen –, in der Zwischenzeit entweder kein neues Arbeitsverhältnis eingehen können oder sogar ihre Arbeit verlieren. Das heißt, die bei uns lebenden ausländischen Mitbürger müssten entgegen dem, was wir eigentlich wollen, nämlich ihre Integration, zumindest eine Zwangspause einlegen. Leider haben wir uns gegenüber unserem Koalitionspartner nicht durchsetzen können. Unser Koalitionspartner war der Auffassung: Das machen wir alles nach der Wahl. Ich habe sogar noch die halbironische Bemerkung im Ohr, dieser Punkt könnte für die Koalitionsverhandlungen – mit wem auch immer – ein wichtiger Verhandlungsgegenstand oder vielleicht eine Art Morgengabe werden. Was sich jetzt in den Koalitionsvereinbarungen wiederfindet, geht über das, was die CDU sowieso zu machen bereit war, nicht wesentlich hinaus. Ich unterstelle einmal, bei der Union besteht – der Kollege Grindel hat das zart angedeutet – durchaus eine gewisse Bereitschaft, zumindest über eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probe nachzudenken. Ich sage aber noch einmal: Ich halte die Innenministerkonferenz für das falsche Instrument. Wir könnten das auch hier beschließen; es wäre noch nicht zu spät. Insgesamt – damit will ich eine gewisse Spitze gegenüber dem neuen Koalitionspartner der CDU/CSU nicht verhehlen – hätte ich der FDP angesichts der Denkweise, die sie in den vergangenen Jahren gezeigt hat, zugetraut, sich in manchen Punkten, gerade was das Ausländerrecht angeht, besser durchzusetzen. (Otto Fricke [FDP]: Besser als ihr!) Daher sage ich nur: Schon wir waren vielleicht nicht gut oder nicht optimal; aber Sie sind ein noch wesentlich kleinerer Teil der Koalition. So ist Ihr Erfolg in den Koalitionsverhandlungen noch bescheidener ausgefallen. Dafür kann ich Sie nicht loben. Gleichwohl werbe ich dafür, dass wir über den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen und den Antrag der Linken, auch wenn sie nach meinem Dafürhalten nicht differenziert genug, nicht weitgehend genug sind, gemeinsam mit der neuen Koalition beraten. Ich würde mich freuen, wenn wir zeitnah gemeinsam zu einem konstruktiven Ergebnis kämen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reform des Bleiberechts durch die Bundesregierung 2007 war ein längst überfälliger Schritt. Das habe ich damals als Vertreter der Opposition gesagt, und das sage ich auch als Vertreter der FDP-Fraktion in der Regierungskoalition. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gunkel [SPD]) Wenn bei lange geduldeten, gut integrierten Ausländern eine Abschiebung nicht mehr vertretbar ist, muss dieser Tatsache durch eine vernünftige und unbürokratische Regelung Rechnung getragen werden. Die entscheidenden Kriterien waren und sind jedoch: lange geduldet und gut integriert. Eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts ist dabei von entscheidender Bedeutung. Das Zahlenmaterial, das die Grünen in ihrem Gesetzentwurf und die Linken in ihrem Antrag zitieren, deutet darauf hin, dass diese Anforderung für die Integration sehr bedeutsam ist. Anders als die Linken es in ihrem Antrag vorgaukeln, ist es zutiefst inhuman, Menschen den Aufenthalt zu ermöglichen, die keine Chance haben, ihren Lebensunterhalt hier selbst zu verdienen. Wer so etwas tut, hält Alimentierung für humane Politik. Wir Liberalen halten es für besser, Menschen Chancen zu eröffnen. Arbeit ermöglicht es Zuwanderern, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, und fördert dadurch das Selbstwertgefühl nicht nur der Berufstätigen, sondern auch ihrer Familienangehörigen. Ohne einen gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang können sich Zuwanderer nicht aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit befreien. Erwerbstätigkeit ist die Grundlage für wirtschaftliche Eigenständigkeit. Deshalb stellt die Koalition die Ermöglichung einer Erwerbstätigkeit in den Mittelpunkt. Daher sagen wir im Koalitionsvertrag: Die Residenzpflicht soll so ausgestaltet werden, dass eine hinreichende Mobilität insbesondere im Hinblick auf eine zugelassene Arbeitsaufnahme möglich ist … (Rüdiger Veit [SPD]: Das gilt heute schon!) Wir sind uns in der Koalition einig, und wir sind uns übrigens auch mit den Grünen einig, wenn ich ihren Antrag richtig verstehe. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Abschaffung der Residenzpflicht!) Vor dem Hintergrund der momentanen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen besteht Handlungsbedarf in Bezug auf die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe, die die gesetzlichen Vorgaben zur Lebensunterhaltssicherung zum Jahresende voraussichtlich verfehlen werden. Auch der Kollege Grindel hat das gerade ausgeführt. Wir haben vereinbart, zeitgerecht eine angemessene Regelung zu finden. Zunächst gilt es, die zum Jahresende auslaufende Regelung so anzupassen, dass wir den notwendigen Raum gewinnen, eine tragfähige gesetzliche Grundlage für ein Bleiberecht zu schaffen, um den nicht mehr verständlichen Zustand der Kettenduldungen nachhaltig anzugehen. (Rüdiger Veit [SPD]: Sehr gut!) Anfang Juli habe ich hier an dieser Stelle gesagt: Die FDP hält es für notwendig, die Frist – bisher 31. Dezember 2009 – zu verlängern, da nach der Neuwahl des Bundestages die Zeit zu kurz ist, um durch eine neue Gesetzgebung für eine praktikable Umsetzung zu sorgen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach nein! Das ist ja interessant!) Die damalige FDP-Position sieht man jetzt weitgehend wörtlich in dem Antrag der Grünen. Sie sind ihr beigetreten. (Aydan Özoðuz [SPD]: Dann können Sie doch zustimmen!) Ich finde es übrigens ganz interessant: Im Sommer konnten die Grünen dem noch nicht zustimmen. Auch die SPD wollte dem in der damaligen Koalition nicht beitreten. Eine Gesetzesänderung wäre Anfang Juli freilich das Mittel der Wahl gewesen. (Rüdiger Veit [SPD]: Sehr richtig!) Jetzt ist es arg spät dafür. Das war allen Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Hause auch bereits in der letzten Legislaturperiode bewusst. (Rüdiger Veit [SPD]: Nicht allen, aber den meisten!) Unsere Befürchtung hat sich also als berechtigt herausgestellt. Die Alternative, die die Grünen im vorliegenden Entwurf aufzeigen, über ein Votum der Innenministerkonferenz eine Übergangslösung zu bewerkstelligen, ist deshalb der richtige Weg. Zeitlich erhalten wir so schneller als durch ein komplexes Gesetzgebungsverfahren, nämlich Anfang Dezember, eine verlässliche Grundlage für die Betroffenen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Wolff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sharma? Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das muss nicht unbedingt sein. (Raju Sharma [DIE LINKE]: Keine Lust zu antworten?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das eigentliche Problem stellt sich danach. Das Problem der Kettenduldungen muss einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden, und wir brauchen für alle, insbesondere auch für die bisher Geduldeten, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. (Rüdiger Veit [SPD]: Sehr gut!) Die große Schwierigkeit einer sinnvollen Bleiberechtsregelung besteht darin, einerseits den unhaltbaren Zustand der Kettenduldungen abzuschaffen und andererseits die Zuwanderung nach Deutschland so zu steuern, dass diese eine nachhaltige Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürger findet. Hier muss die tatsächliche Integration das entscheidende Kriterium sein. (Aydan Özoðuz [SPD]: Von welchen Massen reden Sie denn?) Wer einem schrankenlosen Daueraufenthaltsrecht in vermeintlich humanitärer Gesinnung das Wort redet, riskiert die steigende Ablehnung der Bevölkerung gegenüber Zuwanderern. Im Antrag der Linken wird die Notwendigkeit einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung für Menschen verneint, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland suchen. Es hilft niemandem weiter, wenn die Fraktion Die Linke immer wieder fordert, de facto auf jegliche Zuwanderungssteuerung zu verzichten. Vielmehr erweist die Linke damit den Bemühungen um Ausländerintegration einen Bärendienst. Die Linken erwecken mit ihrem Antrag den Eindruck, Geduldete könnten sich allein dadurch, dass sie sich fünf oder gar nur drei Jahre lang hierzulande aufgehalten haben, ohne aktiv etwas für ihre Integration zu tun, einen Anspruch auf ein Bleiberecht erwirken. Damit werden falsche Hoffnungen geweckt. Eine solche Rücksichtslosigkeit gegenüber unseren Sozialsystemen, vor allem aber übrigens auch gegenüber den Betroffenen selbst, die die Linke offenbar nur als Unmutspotenzial in der Bevölkerung kultivieren will, trägt die FDP nicht mit. Die Möglichkeit für langjährig Geduldete, den eigenständigen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist deshalb sehr wohl ein wichtiges Kriterium bei der Bleiberechtsregelung. Das dient der Integration. Um die Arbeitsmigration sinnvoll zu steuern, hat die FDP konkrete Vorschläge gemacht, die auch von den Gewerkschaften und den Unternehmen dringend angemahnt werden und über die wir im Koalitionsvertrag Einvernehmen erzielt haben. Wir sind uns auch beim Bleiberecht einig. Wir brauchen eine Zuwanderungssteuerung mit nachvollziehbaren Kriterien. Zuwanderer sind zu fördern, aber auch selbst gefordert. Die deutsche Sprache, die Demokratie, der Rechtsstaat und die Grund- und Menschenrechte sind das für alle geltende Fundament unserer Gesellschaft. Die Linke will das Gegenteil. Sie will die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland erschweren, die Sozialsysteme sprengen, die inneren Spannungen erhöhen und die deutsche Gesellschaft desintegrieren, indem sie schlicht falsche Erwartungen weckt und statt Engagement nur Anspruchsdenken fördert. (Zuruf von der LINKEN: Wo wollt ihr denn hin?) Wir Liberalen wollen dagegen Chancen eröffnen. (Zuruf von der LINKEN: Wo denn?) Wir wollen eine neue Kultur des Willkommens, die nicht falsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute macht, sondern Chancen und Perspektiven eröffnet. Wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich ihre Zukunft selbst erarbeiten dürfen und können. Wir wollen, dass sie hier willkommen sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Raju Sharma. Raju Sharma (DIE LINKE): Herr Kollege Wolff, ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie zur Lebenssituation der Menschen, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt überwiegend eigenständig zu sichern, ausgeführt haben, diese Menschen hierzubehalten, sei inhuman. Ich finde diese Aussage bemerkenswert, weil sie darauf rückschließen lässt, dass Sie die Lebenssituation dieser Menschen als inhuman betrachten. Wir können das unterstreichen. Ich frage mich bloß: Wie beabsichtigen Sie diese Situation zu ändern? (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwann nächstes Jahr oder übernächstes Jahr!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Wolff. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Lieber Herr Kollege, wir sind uns doch darüber einig, dass das geltende Ausländerrecht demokratisches Recht ist und man dementsprechend beachten muss, dass man nicht meinen kann, dieses außer Kraft setzen und einen Anreiz dafür geben zu können, dass jeder, der in irgendeiner schwierigen Situation ist, nach Deutschland kommen kann. Das heißt, wir werden eine Lösung finden müssen, nach welchen Kriterien jemand bleiben und einen Aufenthaltsstatus bekommen kann. Dementsprechend müssen wir auch diese Regelung vollziehen. Genau deshalb müssen wir klare, für die Betroffenen selbst, aber auch für unsere Gesellschaft nachvollziehbare Kriterien finden, die vernünftigerweise auch anerkannt sind. Ich glaube, dazu gehört auch die Möglichkeit, hier zu arbeiten und etwas für die Integration zu tun. Aber bei demjenigen, der sich nicht integrieren will, ist es verhältnismäßig schwierig, von den demokratischen Gesichtspunkten des Ausländerrechts Abstand zu nehmen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Josef Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich wende mich gleich an den Kollegen Wolff. Nur weil der Deutsche Bundestag auf demokratische Weise ein Gesetz beschlossen hat, muss es nicht automatisch nur humane Auswirkungen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Aydan Özoðuz [SPD]) Gerade im Bereich der Flüchtlingspolitik und des Flüchtlingsrechts kann man das sehr genau beobachten. Das alleine ist also noch kein inhaltlich starkes Argument gegen das gewesen, was der Kollege Sharma vorgebracht hat. Jetzt will ich aber für den Kollegen Grindel und den Kollegen Wolff aus unserem Gesetzentwurf zitieren: In § 104 a Absatz 5 Satz 1 und 2 wird das Datum „31. Dezember 2009“ jeweils durch das Datum „31. Dezember 2010“ ersetzt. Ich habe nicht gedacht, dass das so missverständlich sein könnte, wie es sich heute gezeigt hat. Sie haben eine große kreative Intelligenz bewiesen und hier Dinge hineininterpretiert, die damit wirklich nicht gemeint sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich habe doch klar gesagt: keine pauschale Verlängerung! Nur für die, die sich bemüht haben!) – Herr Kollege Grindel, Sie ignorieren meine Zwischenrufe auch immer. Desha
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