errorist wanted
„Der Lehrer kontrollierte mit einem Blick auf die Unterseite meiner Zunge, ob ich zu Hause die Verbotene Sprache gesprochen hatte. Als Kind konnte ich noch meine Muttersprache.“ H.K., Diyarbakir, Türkei
Das Rausstrecken der Zunge ist mehr als ein universelles Zeichen des Ungehorsams.
Seit der Gründung der Türkischen Republik wurden nicht-türkische Ethnien zur Homogenisierung der Nation zum Aufgeben des Eigenen gezwungen. Das nachhaltigste Machtinstrument zur Einebnung der kulturellen Diversität in der Türkei, in der unterschiedlichste Ethnien, wie Kurden, Araber, Lasen, Tscherkessen, Aramäer, Armenier, Griechen und viele andere beheimat sind, ist vor allem die einseitige Sprachpolitik: Wer dem Assimilationskonzept widerspricht – etwa durch den Gebrauch der Muttersprache – wird als „Landesverräter“ stigmatisiert. Diese Dämonisierung des Andersseins von Minoritäten wiederum legitimiert den Versuch, Differenzen zu eliminieren.
Das erroristische Projekt “qwx - show ur lingua“ will dem Linguizid, der die Konstruktion einer homogenen nationalen Identität zum Ziel hat, entgegenwirken.
Die Online-Aktion qwx beabsichtigt, Bilder von Menschen, die ihre Zunge als einen Akt des Widerstandes und der Selbstbehauptung herausstrecken, zusammenzubringen. Das Vorzeigen des Sprechorgans macht sichtbar, was verstummt ist: die Stimme des internen Anderen. Wird die Zunge gezeigt, deformiert sich die von der Obrigkeit erwünschte Gefälligkeit der Minderheiten zu einer Fratze, zu einer Absage an das herrschende System. Die Zunge (Lingua) wird zum bildhaften Ausdruck der verborgenen Identität und des politisch handelnden Subjekts.
Our medium is our message!
Die Kampagne verbindet die universale Botschaft des Zungezeigens, Sinnbild des Ungehorsams, mit den partikulären Forderungen der Minoritäten nach muttersprachlicher Bildung sowie institutioneller Anerkennung. Das Projekt stellt den namen- und sprachlosen Ethnien in der Türkei Kunst als Handlungs- und Artikulationsraum zur Überwindung des Machtgefälles zur Verfügung.
>> Show your lingua here!!
errorist action
Das Projekt Errorist setzt seinen Schwerpunkt auf die „Fehler“-Suche. Beispiel für einen typischen „Fehler“ in einem sozialen System sind Minoritäten, weil sie ein von der herrschenden Norm abweichendes Merkmal besitzen. In beliebigen sozialen Räumen entwickelt sich aus der Gewohnheit ein Bündel an Verhaltensnormen. Jegliche Merkmale, die der so genannten Normalität nicht entsprechen, stellen eine negative Valenz – sprich: ein unterminierendes Risiko – für gesellschaftliche Zustände dar. Doch verweisen gerade solche fehlerhaften Dimensionen darauf, dass Normalität ein Konstrukt von Regeln ist, die kritisierbar sind.
Bei dem Projekt qwx wird das sozial-politische System der Türkischen Republik auf Fehler in diesem Sinne untersucht.
Da die Buchstaben q, w und x im türkischen Alphabet nicht vorkommen und ihr Gebrauch wegen „Verwendung von Buchstaben, welche der Türkischen Sprache fremd sind“ (§ 222 Abs. 1) strafrechtlich verfolgt wird, werden sie zu Symbolen der politischen Fremdbestimmung und der offiziellen Politik der Monophonie. Sie sind jener Überschuss an Zeichen, der die kulturelle Differenz des der Türkei internen Anderen markiert. Sie symbolisieren die Stimme des Andersseins und fungieren somit als Symptome der ethnisch-sprachlich fixierten Nationalidentität der Türkischen Republik.
Das Projekt verfolgt somit die Methodologie der “symptomatischen Lesart”, um Risse (Fehler) im System sichtbar zu machen, indem es die herrschende symbolische Ordnung mit den verdrängten Zeichen konfrontiert. Dadurch generiert es einen störenden Eingriff in die herrschende Identitätspolitik und stellt sie somit zur Disposition.