Heute Morgen um 5.30 Uhr riss die Polizei zwei junge Kurden aus ihrer Familie in Sinntal-Sterbfritz, um sie per Charterflug in die Türkei anzuschieben. Die traumatisierte Mutter erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch.
„Die beiden jungen Männer haben uns gegenüber immer wieder ihre Befürchtungen geschildert, in der Türkei zum Militär eingezogen zu werden. Sollten sie im Kriegsgebiet im kurdischen Teil der Türkei eingesetzt werden befürchten sie das Schlimmste,“ so Herwig Putsche von der Diakonischen Flüchtlingshilfe. Der Vater der ist 1993 In der Türkei verschollen und wurde vermutlich umgebracht. Drei Söhne der Familie waren vor sieben Jahren zu den Großeltern nach Sterbfritz im Main-Kinzig-Kreis geflohen. Die Mutter folgte 2001 mit drei weiteren Kindern, die zum Teil noch zur Schule gehen.
Mit der Abschiebung der beiden Söhne wird nun der gesamten Familie die Chance auf ein Aufenthaltsrecht im Rahmen der Bleiberechtsregelung für Geduldete genommen. Denn beide hatten Arbeitsplatzzusagen und waren die Hauptversorger der Familie.
Ähnlich war bereits vor in Kraft treten der Bleiberechtsregelung mit einem Verwandten der beiden jungen Männer verfahren worden. Serif A. war im September vergangenen Jahres mit einer eigens für ihn gecharterten Maschine abgeschoben worden. Seine Eltern waren auf ihn als Hauptversorger angewiesen und ihre Bleiberechtsanträge werden nun voraussichtlich mit Verweis auf deren ungesicherten Lebensunterhalt abgelehnt.
„Die Familie aus Sterbfritz gilt als ‚Grenzfall’. Obwohl die damals minderjährigen Söhne gleich zu den Großeltern kamen, will die Ausländerbehörde in Gelnhausen sie nicht als Familie sehen.“ so Herwig Putsche. Noch vor wenigen Wochen habe Herr Schmäing vom hessischen Innenministerium signalisiert, er sehe Chancen im Sinne der Regelung eine Lösung für die Familie zu finden.
„Im Gegenteil zu den bisher verbreiteten Informationen aus dem Innenministerium müssen wir wohl davon ausgehen, dass eher nach Ausschlussgründen gesucht wird, statt die zugesagte Großzügigkeit umzusetzen. Die Bleiberechtsregelung wird dabei ausgehöhlt.“ so Herwig Putsche weiter.
Die beiden jungen Männer sollen nun um 12:00 Uhr mit einem Charter-Flug der LTU vom Düsseldorfer Flughafen aus in die Türkei abgeschoben werden.
„Ihre Zukunft ist ungewiss.“ so Marion Bayer, die die Familie seit einiger Zeit unterstützt. „Die Familie und zahllose Freunde und Unterstützer sind entsetzt und fassungslos über dieses Vorgehen, das die Würde dieser Menschen mit Füßen tritt.“
Für weitere Informationen kontaktieren Sie: Herwig Putsche, Tel. 06181-184369
Presseerklärung
Abschiebung trotz Bleiberechtsantrag
Sammelabschiebung von langjährig Geduldeten in die Türkei
Allein aus Hessen 15 Personen abgeschoben
Der Hessische Flüchtlingsrat ist schockiert über die heute Morgen durchgeführte Sammelabschiebung von mehreren langjährig in Hessen wohnenden Familien in die Türkei. Um zwölf Uhr heute Mittag startete eine eigens gecharterte Abschiebemaschine vom Flughafen Düsseldorf in Richtung Istanbul. In Begleitung von einem Arzt und etwa 25 Bundespolizeibeamten wurden etwa dreißig abgelehnte Asylsuchende in die Türkei abgeschoben. Die meisten der Abgeschobenen kamen aus Hessen, darunter auch Familien mit kleinen Kindern, die Bleiberechtsanträge gestellt hatten.
„Hier wurde wieder einmal deutlich, dass viele langjährig hier lebende Menschen, die gut integriert sind, von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass in einigen Fällen eher versucht wird, Ausschlussgründe zu finden denn eine Lösung für die Familie zu finden“ kommentierte Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates, die Abschiebungen.
Eine Familie aus Gründau-Rothenbergen im Main-Kinzig-Kreis lebte seit 13 Jahren in Deutschland, fünf der sechs Kinder im Alter von einem bis 14 Jahren sind hier geboren. Trotz zahlreicher politischer Aktivitäten des Vaters wurden die Asylanträge abgelehnt. Trotzdem rechnen der Flüchtlingsrat und die Anwältin immer noch mit einer nicht unerheblichen Gefährdung des Mannes, in der Türkei festgenommen zu werden.
Die Familie hatte einen Bleiberechtsantrag gestellt, zusätzlich liefen noch mehrere Verfahren auf ein Aufenthaltsrecht für die hervorragend integrierten Kinder. Das jüngste der Kinder leidet zudem an einem angeborenen Herzfehler, ob es in der Türkei Zugang zu angemessener medizinischer Behandlung hat, ist zumindest fraglich. Dem Hessischen Flüchtlingsrat sind mehrere ähnlich gelagerte Fälle bekannt, in denen insbesondere die Kinder, die in Deutschland aufgewachsen waren, nach der Abschiebung völlig gebrochen waren, nicht mehr sprachen, das Haus nicht mehr verließen und über Monate apathisch im Zimmer saßen.
„Jungen Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, wird jede Zukunft genommen – nur weil sie das Pech hatten, mit dem falschen Pass auf die Welt gekommen zu sein. Die Bleiberechtsregelung war eine erste Einsicht, dass es Unrecht ist, was hier geschieht. Doch die Praxis zeigt, dass noch viele weitere Schritte kommen müssen, damit dies der Vergangenheit angehört“ empörte sich Scherenberg.
In einem weiteren Fall zweier Brüder aus Sinntal-Sterbfritz, ebenfalls im Main-Kinzig-Kreis, wurden diese von ihrer Familie getrennt und allein in die Türkei abgeschoben, obwohl eine Petition beim Hessischen Landtag für sie eingelegt worden war. Die Mutter und die jüngeren Geschwister wurden nicht mit abgeschoben, jedoch ist durch die Abschiebung der beiden ältesten Söhne fraglich, ob ihr Verfahren auf Bleiberecht einen positiven Ausgang nehmen wird. Dies hängt nämlich davon ab, dass der Lebensunterhalt gesichert sein muss, was durch die Abschiebung der beiden erwachsenen Söhne, beide hatten feste Arbeitsplatzzusagen im Falle eines Bleiberechts, jetzt fast unmöglich erscheint.
„Durch die Abschiebung der beiden Hauptversorger der Familie wird jetzt der gesamten Familie jede Chance auf ein Bleiberecht in Deutschland genommen – hier wird bewusst die ganze Familie in Raten abgeschoben, obwohl es möglich gewesen wäre, ein Bleiberecht zu erteilen“ so Scherenberg weiter.
Auch in einem dritten Fall einer vierköpfigen Familie im Kreis Darmstadt-Dieburg, dieschon seit über zehn Jahren in Deutschland lebte, war das Handeln der Behörden fragwürdig: So wurde der Anwältin erst gestern Abend die Ablehnung eines Antrags zugestellt – zu diesem Zeitpunkt war der Flug jedoch schon längst gebucht.
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir außerordentlich erschrocken sind über das Verhalten der Behörden bei dieser Abschiebung. Es hätte in den hier vorliegenden Fällen humanitäre Lösungen geben können – es fehlte bloß der Wille, sie zu nutzen“ erklärte Scherenberg abschließend in Marburg.
gez. Timmo Scherenberg
Geschrieben von jnwwebmaster
am February 13 2007 12:54:41
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