Prof. Johanna Haberer: Predigt beim ZDF-Gottesdienst im Markgrafentheater Erlangen (10.2.2008) "Auf den Zweiten Blick - Erlösung aus Liebe" [Lesung Ausschnitte aus Isaaks Opferung] Ein Vater opfert sein Kind. Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, meine Herren da oben Sie haben ja recht, wir wollen heute eine andere Geschichte erzählen. Man kann die Geschichte von Isaak, der von seinem Vater geopfert werden soll auf viele verschiedene Weise erzählen. Lassen wir jetzt aber da mal Gott außen vor. Begeben wir uns auf Spurensuche auf den Tatorten, die Menschen selbst zu verantworten haben. Das Mädchen Lena Sophie gerade zwei Jahre ist sie alt. Sie ist verhungert und verdurstet. Der kleine Junge Kevin, er wurde tot geprügelt, und die achtjährige Jessica wurde, bevor sie starb, jahrelang ohne Licht in einem abgedunkelten Zimmer gehalten wie ein Nachttier. Am Ende hat sie ihre eigenen Haare gegessen. Dass Kinder zu Opfern werden, das gibt es nicht nur in den beinharten Zeiten der alttestamentlichen Väter. Das gibt es jeden Tag trotz Kinderschutz und Jugendämtern, trotz Familiengeld und Kindergärten. Wenn Kinder zu Opfern ihrer eigenen Eltern werden reagieren wir aufgeschreckt und zutiefst alarmiert. Tatorte, an denen Eltern ihre wehrlosen Kinder verletzen, demütigen, töten, rühren an unsere empfindlichsten Seiten. Die Geschichte von Vater Abraham und Sohn Isaak zwingt uns hinzusehen, wo wir gerne wegsehen würden, sie gründelt in unseren Alpträumen. Eine Art Familienaufstellung der brutalen Art. Wo nicht verschwiegen wird, dass es vorkommt, dass Eltern ihre Kinder zu Opfern machen. Zu Opfern ihrer Selbstverwirklichung, zu Opfern ihrer Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit, zu Opfern ihrer eigenen Verwahrlosung und Sucht, aber auch zu Opfern ihres Ehrgeizes. Nach dem Motto: ich bin am Boden zerstört, wenn mein Kind in der Schule nicht die Leistung bringt, die ich erwarte…..ich ich ich ….auch solche Eltern, aus gutbürgerlichen Kreisen machen Kinder zu Opfern. Auf eine abgründige Weise ist uns diese Familienaufstellung hautnah. Weil wir Erwachsenen alle das Spiel von den unterschiedlichen Seiten her kennen: Auch wenn ich lange erwachsen bin, erinnere ich mich an die Ohnmacht gegenüber dominierenden Eltern, die Gehorsam fordern oder Leistung, bisweilen Unterwerfung. Vor allem ungezählte Frauen kennen es dieses Gefühl, zum Opfer gemacht zu werden von Kindesbeinen an: dieses Gefühl von Demütigung, Gängelung und Gewalt. Deshalb bleibt diese Geschichte im Gedächtnis - zutiefst anstößig und angstbesetzt. Tatort Familie. Im ersten Buch der Bibel wird die Geschichte von der verhinderten Opferung des kleinen Isaak erzählt, um alle ein für allemal wissen zu lassen, dass es ein für alle mal nicht als Gottes Idee verkauft werden darf, Kinder zu Opfern zu machen. In keiner Religion. Denn das heißt die Zukunft der Welt auf den Altar legen, so wie Abraham mit seinem Sohn die Verheißung Gottes auf den Altar legt und das Liebste was er hat. Das will Gott nicht. Die Geschichte wirft uns auf uns selbst zurück….wenn Gott kein Opfer von uns will, sind es nicht wir selbst, die im permanenten Kreislauf der Demütigung Opfer produzieren? Der fundamentale Irrsinn, dass es Gott selbst ist, der Opfer will, ist bis heute noch nicht aus dem Köpfen der Menschen gewichen. Es sind oft Kinder, der kleine Sahib oder der kleine Mohammed, die sich – verführt durch den Vater oder den Onkel - Dynamitgürtel um den Bauch schnallen und versuchen möglichst viele Menschenleben zu zerstören, in dem sie sich selbst in die Luft sprengen. Sie tun dass, weil ihnen glauben gemacht wird, dass Gott das von ihnen verlangt. Sie tun das, weil ihnen glauben gemacht wird, sie führen Krieg für Gott. Nein sagt diese Geschichte glasklar: Gott braucht kein Opfer. Gott ist keine Ausrede für Wahnsinn oder Grausamkeit. Gott ist keine Ausrede, wenn wir andere Menschen zum Opfer machen….wenn Menschen sinnlos zu Opfern werden. Aber wie ist das mit Alkestis, der Frau, die sich aus Liebe freiwillig für das Leben ihres Mannes opfert? Sich opfert, damit der andere lebt. Ein Opfer aus freiem Willen. Opfer im Aktiv, nicht im Passiv. Hingeben ist das…nicht Hinnehmen. Kommt es auf dem Tatort Welt nicht oft genug vor, dass Menschen ihr Leben geben für andere: Mütter für ihre Kinder, Männer für ihre Frauen, Kinder für ihre Eltern. Kommt es in den Lebensdramen der Menschen nicht oft genug vor, dass Leben und Zukunft nur entsteht, weil einer mit seiner ganzen Existenz, ja mit seinem Leben dafür einsteht? Deshalb wird das ganz andere Drama von Vater und Sohn im Neuen Testament erzählt. [Lesung Einsetzungsworte nach Lukas] Da sagt einer: Ich bin das Opfer. Aus freiem Willen. Ich verschenke mich. Ich setze mein Leben. Nicht ein anderer. Ich gebe meinen Leib und mein Blut für dich. Ich gebe mich für dich – freiwillig und wie selbstverständlich. Ich tue das, damit Du endlich glaubst, dass ich kein Gott bin, der Opfer will, sondern einer, des alles aufs Spiel setzt, wenn es um Dich geht. Ich bringe mich als Opfer – aus reiner, purer, grenzenloser, diamantharter Liebe. Und ich will nichts dafür. Es gibt keinen Handel zwischen uns, ich, Gott, erwarte keine Gegenleistung. Außer…..das es ein Ende haben muss mit euren Tatorten, ein Ende damit dass ihr andere zu Opfern macht Auch dieses Stück spielen wir Menschen jeden Tag miteinander. Eine Mutter gebiert ein Kind, und dieses Kind ist behindert. Sie schenkt all ihren Schlaf und ihre Fürsorge, ihre Zeit und ihre Kraft diesem kleinen Wesen, damit es eine Chance bekommt. Eine Frau hat einen Schlaganfall, sie kann nicht mehr sprechen und nicht mehr laufen und ihr Mann bleibt bei ihr. Er widmet ihr sein Leben. Er sitzt bei ihr. Der Gang auf den Fußballplatz oder in die Kneipe unterbleibt. Er opfert seine Freizeit und seine Freiheit, seine Hobbys. Sie kann ihm nicht zurückgeben. Eine Liebe ohne Handel. Ein Arzt geht nach Afrika…unbezahlt, er lebt vom Ersparten. Er schenkt seine Kunst her. Er operiert die Ärmsten der Armen. Er räumt Tatorte auf. Er heilt Kriegsverletzungen und die Folgen von Vergewaltigungen. Wenn er nach Hause kommt, fragen ihn die Freunde …was hast Du denn davon. Und er kann keine Antwort geben, außer dass er dort manchmal glücklich ist. Ein Opfer bringen für den anderen Menschen, das kann ein Siegel für die Liebe sein. Ein Glaubwürdigkeitssiegel. Wer dieses Siegel sieht, weiß, dort kann er Vertrauen investieren. Wer mit dem eigenen Leben für ein Haltung oder einen anderen Menschen einsteht, der ist unfähig, den anderen zu verraten. Das ist mein Leib….das ist mein Blut. Das Zeichen des Kreuzes ist das Glaubwürdigkeitssiegel für Gottes Liebe. Achte auf den Unterschied: Gott will kein Opfer von uns, nein, es ist genau umgekehrt: er riskiert alles für uns. Das erzählt die Geschichte der Passion. Und dies sind Geschichten, die Leben möglich machen. Sie entstehen aus einer selbstverständlichen, einer selbstbewussten, einer freiwilligen Liebe. Ich kann vertrauensvoll alt werden, ich muss mich für Schwächen und Schuld nicht schämen, ich kann mich auf den anderen verlassen. Wenn einer sich selbst setzt, für die Heilung eines anderen, wenn er alles gibt…dann kann Leben entstehen und Vertrauen und Wärme. Ja meine Herren dort oben…ich höre Ihren Einwand. Es gibt auch Menschen, die sich aufgeben für andere, die krank werden und untergehen, weil sie glauben, sie hätten die Pflicht sich aufzuopfern für Gott und den anderen. Dieses Opfer will Gott nicht. Liebe Schwestern und Brüder, meine Herren… Die Geschichte vom Tatort auf Golgatha und die Geschichte der Menschen erzählt eine umgekehrte Logik: Leben kann sich öffnen, wo wir bedingungslos liebe verschenken. Opfer, wehrlose und hilflose entstehen dort, wo keiner sich mehr selbst riskiert, wo niemand sich verschenkt. Dort, wo es keine selbstlose Liebe gibt. So einfach ist das meine Herren, liebe Gemeinde, und so schwer.
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