NKA Nachrichten 25/2007 26. 03. 2007 - Warnung vor Folter wird ignoriert - Kurdischer Künstler soll am Dienstag in die Türkei abgeschoben werden
- Lob für deutsche EU-Präsidentschaft von Gusenbauer
Wiener aus Kamerun vertritt Österreich bei JournalistInnen-Wettbewerb - Simon Inou gewinnt den österreichischen Preis "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung" der Europäischen Kommission Beliebter Wiener Wirt von Ausweisung bedroht - Mehr Härte gegen binationale "Altfälle": Trotz grossen Erfolgs soll der "Wiener Deewan"-Chef ausgewiesen werden Verschärfung per E-Mail aus Ministerium - VwGH: Von nun an müsse auch bei "Altfällen" unter binationalen Ehepaaren "das Niederlassungsgesetz in dessen vollem Umfang herangezogen werden" Mauretanien: "Ich wurde als Sklave geboren" - Menschen werden wie Familienbesitz "vererbt" - Jahrhundertealtes System der Leibeigenschaft besteht bis heute - Theorie und Praxis - die Justizreform in der Türkei
*************************** Quelle: junge Welt, 26.3.2007 Warnung vor Folter wird ignoriert Kurdischer Künstler soll am Dienstag in die Türkei abgeschoben werden Von Otto Stephan Der kurdische Künstler Engin Celik soll am Dienstag in die Türkei abgeschoben werden, nachdem das Verwaltungsgericht in Schleswig vor einigen Wochen seinen Abschiebeschutz aufgehoben hatte. Die Richter führten in ihrer Begründung an, dass sich in der Türkei die Menschenrechtslage bezüglich Folter und Misshandlung im Vergleich zur Situationen in den Jahren vor 2001 erheblich verbessert habe, eine Einschätzung, die nicht einmal das Bundesaussenministerium teilt. Ralf Lourenco von der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten« in Hamburg spricht denn auch davon, dass das Verwaltungsgericht ein Wunschbild von der Türkei zeichne, um das Asylgesuch von Engin Celik abzulehnen. Am 7. Januar 2007 wurde Engin Celik während einer Zugfahrt von Frankfurt nach Düsseldorf festgenommen. Sein Asylverfahren sei negativ entschieden, hiess es zur Begründung. Nach 30 Tagen im Hungerstreik, begleitet von Kundgebungen und einer grossen Anzahl von Unterstützern, darunter Musiker, Schauspieler und Parlamentarier, wurde Celik am 13. Februar aus der Haft entlassen. Während das Bundesamt in Lübeck über seinen Asylantrag positiv entscheiden wollte, hatte die Bundeszentrale in Nürnberg die Akten übernommen und nach der Haftentlassung das Asylbegehren abgelehnt. »Es ist offensichtlich, dass Engin Celik bei einer Abschiebung einer grossen Gefahr ausgesetzt ist«, konstatiert Lourenco. Bereits bei seiner Ankunft am Flughafen sei mit der sofortigen Verhaftung durch die türkische Polizei zu rechnen. Als Jugendlicher floh der heute 27-jährige mit seiner Familie vor den Angriffen des Militärs nach Istanbul. Später entfernte man ihn aus der Universität, nachdem er eine regierungskritische Zeitung gründet hatte. In einer Lederwarenfabrik wurde er gewerkschaftlich tätig, woraufhin die Polizei ihn inhaftierte und folterte. Die Asyl-Bundeszentrale hält dies alles für »nicht bedeutsam«. Das Verwaltungsgericht in Schleswig spricht Engin Celik gar ab, vor seiner Flucht im November 2003 verfolgt gewesen zu sein, weil er seine Bedrohung nicht dokumentieren könne. Quelle: Kleine Zeitung Graz 25.03.2007 23:48 Lob für deutsche EU-Präsidentschaft von Gusenbauer 50 Jahre Römische Verträge. Berlin feierte die EU-Geburtstagsparty in vollen Zügen. Die Bundeskanzlerin tat alles, um dem Projekt neuen Geist einzuhauchen und Gusenbauer steht voll hinter ihr. Ganz dickes Lob kam vom österreichischen Bundeskanzler für die deutsche EU-Präsidentschaft: "Besser kann man es gar nicht machen", sagte Gusenbauer über seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel und über ihren Aussenminister Frank-Walter Steinmeier. "Die deutsche Präsidentschaft arbeitet wirklich höchst professionell. Merkel und Steinmeier sind wirklich ein gutes Team und machen das in einer vernünftigen Form, beziehen die Leute ein, halten direkt Kontakt, ich wüsste jetzt nicht, wer das besser machen kann." Direkte Kontakt zu Menschen. Ob er Erkenntnisse aus dem Jubiläums-Wochenende nach Wien mitbringe? "Wenn Politik zu 'expertokratisch' ist, wenn ein Grossteil der Zeit damit vergeht, dass man in irgendwelchen Verhandlungszirkeln sitzt, dann besteht immer die Gefahr, dass man den Bezug zu den Leuten verliert. Das Wichtigste ist für Politiker immer noch, möglichst viel hinaus zu gehen und viel zu erklären. Bei aller Wertschätzung der Medien, der direkte Kontakt mit der Bevölkerung ist einfach nicht zu ersetzen." Frage der illegalen Einwanderung. Von der APA nach der Passage über die illegale Einwanderung befragt, die im letzten Moment auf spanischen Druck noch in die Berliner Erklärung hinein genommen wurde, sagte Gusenbauer: "Wir haben hier aus österreichischer Sicht eine klare Haltung. Wir sind für eine Ordnung. Jeder, der Asyl sucht und bei dem auch ein Grund festgestellt wird, bekommt Asyl. Andere Fragen der Zuwanderung sind auf Basis einer bewussten politischen Entscheidung zu lösen. Illegale Zuwanderung führt letztendlich nur zur Unordnung und zur Verängstigung der Menschen, daher halt ich den Zusatz für völlig richtig." Österreichisches Zelt. Gusenbauer ging Sonntag Nachmittag durch die Menschenmenge auf der Straße des 17. Juni, die mit rund 75 Zelten aus allen EU-Ländern zur Fussball-WM-ähnlichen Fanmeile in Sachen EU gestaltet war. Im österreichischen Zelt machte er Station. Die frühsommerlichen Temperaturen sorgten für so dichtes Gedränge, dass sich die Frage nach einem Sicherheitsrisiko gar nicht erst stellte: Potenzielle Attentäter hätten in den erdrückenden Menschenmassen nicht einmal ausholen können. Quelle: derStandard.at 23. März 2007 09:40 MEZ Wiener aus Kamerun vertritt Österreich bei JournalistInnen-Wettbewerb Simon Inou gewinnt den österreichischen Preis "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung" der Europäischen Kommission Simon Inou lebt seit 1995 in Österreich und ist als Chefredakteur von Radio Afrika International und Mitbegründer von www.afrikanet.info tätig. Infos zur Kampagne "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung" unter www.stop-discrimination.info Simon Inou ging als österreichischer Gewinner des diesjährigen JournalistInnen-Wettbewerbs "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung" der Europäischen Kommission hervor. Mit diesem Preis zeichnet die EU JournalistInnen aus, die durch ihre Beiträge zu einem besseren allgemeinen Verständnis für die Vorteile von Vielfalt beitragen und Diskriminierung bekämpfen. Die nationale Jury wählte den Beitrag des aus Kamerun stammenden Journalisten aus 30 eingereichten Artikeln als Siegertext aus. Simon Inou lebt seit 1995 in Österreich, er leitet die Redaktion von www.afrikanet.info und war Chefredakteur von Radio Afrika International. Simon Inou gibt in seinem Artikel Einblick in das Leben eines jungen BWL-Absolventen afrikanischer Herkunft. Bei der Realisierung seiner Berufswünsche wird der junge Mann immer wieder mit Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe konfrontiert. Der journalistische Text zeigt die Identitätsprobleme eines "Wiener Afrikaners" auf. In Österreich aufgewachsen wird der junge Mann von ÖsterreicherInnen jedoch immer als Afrikaner wahrgenommen - ein Phänomen, das viele europäische BewohnerInnen kennen. Österreichische Jury Aus allen Einreichungen haben die Jurymitglieder bestehend aus den AntidiskriminierungsexpertInnen und Medienfachleuten Martin Ladstätter (BIZEPS), Christoph Bacher (Nachrichtenmagazin NEWS), Kurt Krickler (HOSI Wien) und Zohreh Ali-Pahlavani (Abteilung Arbeitsmarkt, AK Wien) den nationalen Gewinner sowie den Sieger des Jungjournalistenpreises gekürt. Ausgezeichneter Jungjournalist 2007 Der ausgewählte Jungjournalist 2007 ist Christoph Lehermayr, der für das Nachrichtenmagazin NEWS schreibt. In seinem Artikel "Unsere Mulit-Kulti-Cops" geht er positiv an gesellschaftliche Probleme heran und setzt sich auf diese Weise besonders für Minderheiten ein. Der ausgezeichnete Text soll aufzeigen, dass die österreichische Polizei zunehmend bemüht ist, Menschen mit Migrationshintergrund in ihre Reihen aufzunehmen. Aus allen 27 nationalen GewinnerInnen wird in Folge nun die europäische Jury die drei finalen GewinnerInnen des gesamteuropäischen EU-Preises wählen. Die EU verleiht den Journalistenpreis bereits zum vierten Mal. 2006 gingen mehr als 700 Einreichungen ein. Der "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung." Wettbewerb steht jedes Jahr JournalistInnen aus allen 27 EU-Mitgliedstaaten offen. Gefragt sind Print- oder Onlineartikel über Vielfalt oder Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Alter, Behinderung oder sexueller Identität. (red) "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung" Die EU-Kommission, Generaldirektion für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit initiiert eine fünfjährige Informationskampagne zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, von Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Die Kampagne „Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung" informiert die Menschen über die neuen Rechte und Pflichten unter der EU Antidiskriminierungs-Gesetzgebung und macht auf die Vorteile von Vielfalt am Arbeitsplatz aufmerksam. Weitere Informationen zur Kampagne unter www.stop-discrimination.info Quelle: DER STANDARD-Printausgabe, 26.03.2007 Beliebter Wiener Wirt von Ausweisung bedroht Mehr Härte gegen binationale "Altfälle": Trotz grossen Erfolgs soll der "Wiener Deewan"-Chef ausgewiesen werden "Vor lauter Zukunftsangst nächtelang nicht geschlafen": Der Pakistani Afzaal (links) und die Österreicherin Natalie Deewan (rechts) - hier vor ihrem Erfolgsbeisl in der Wiener Liechtensteinstraße 11 - wissen nicht weiter. Das Prinzip "Pay as you like" zieht mittags viele junge Leute - und abends auch ältere - ins derzeit einzige pakistanische Lokal von Wien. Wien - Im "Wiener Deewan", dem pakistanischen Aufsteigerlokal unweit der Wiener Uni, duftet es verführerisch nach gebratenem Gemüse, Fleisch und Curry. Scharen junger Leute in Alltagsoutfit balancieren voll gehäufte Teller vom Buffet zu den Tischen: Eine Folge des "Phänomens Mittagshunger", wie die Philosophin, Beisl-Geschäftsführerin und Co-Inhaberin, Natalie Deewan (28), erläutert. Den "Mittagshunger" und seine für Wirte arbeitsintensiven Vorbereitungen auf ihn hatte die Österreicherin auch den Fremdenpolizisten gegenüber erwähnt, die eines Vormittags in ihrer Wohnung auftauchten. Wo denn ihr Mann und Beisl-Mitbetreiber Afzaal Deewan (42) sei, hatten die zum Zweck der Scheinehen-Überprüfung erschienenen Beamten gefragt. Arbeiten in seinem eigenen Lokal sei er, hatte sie geantwortet - ganz so, wie sie und er es seit der Lokalgründung im April 2005 "zwölf bis 14 Stunden täglich" täten. Der Erfolg - 11 Angestellte, geschätzte 250.000 Euro Umsatz 2006 - komme eben nicht von nichts. "Die Fremdenpolizisten sind daraufhin davongerannt", erinnert sich Frau Deewan. Mit einem Erfolgsgastronomen als "Kunden" hatten sie offenbar nicht gerechnet. Unerwünscht und gefeiert zugleich Doch aufgrund des zu Jahresbeginn 2006 ohne Übergangsfristen eingeführten Niederlassungsgesetzes ist der ursprünglich als Flüchtling nach Österreich gekommene Pakistani tatsächlich beides: Unerwünschter Ausländer ohne Aufenthaltsrecht und prämierter Jungunternehmer und gefeierter Koch: Das Lokal, das seine Frau und er gemeinsam nur gründen konnten, weil Asylwerbern selbstständige Tätigkeit nicht verboten werden darf, wurde vom Falter inzwischen unter die "Wiener Top Ten" gereiht. Ein solcher gelebter Gegensatz geht an die Substanz. Als das "Deewan"-Lokalkonzept "Pay as you like" - jeder bezahlt für sein Essen, was ihm beliebt - beim Jungunternehmerwettbewerb 2006 auf Platz 30 unter 1400 Projekten rangierte, konnte sein Erfinder "vor lauter Zukunftsangst nächtelang nicht schlafen" - wie er erzählt. Nun, wo "vom Wirtschaftlichen her eigentlich weitere Beisleröffnungen anstehen würden", raubt dem Paar der Kampf gegen eine mögliche Ausweisung Afzaals viel Kraft. "Chancen gesunken" Bei der in Wien für Fremdenangelegenheiten zuständigen MA 35 hat es zuletzt geheissen, "dass die Chancen für eine Niederlassungsbewilligung aufgrund einer Verschärfung weiter gesunken sind", schildert Natalie Deewan. MA-35-Leiterin Beatrix Hornschall bestätigt dem Standard diese schlechte Nachricht: "Ein neues Rundschreiben aus dem Innenministerium macht wohlwollende Interpretationen wie bisher in Altfällen unmöglich. Herr Dewan ist einer der ersten Betroffenen". "Bisher wohlwollend? Wir warten seit November 2005 auf eine Entscheidung", wehrt sich Natalie Deewan. Im Grunde sei die Sache "grotesk", ergänzt Angela Magenheimer von der Initiative "Ehe ohne Grenzen": "Da überreicht Wirtschaftsminister Bartenstein eine Auszeichnung an einen Mann, den sein Parteikollege, Innenminister Platter, unbedingt ausser Landes schaffen will." Quelle: derStandard.at 25. März 2007 21:30 MESZ Verschärfung per E-Mail aus Ministerium VwGH: Von nun an müsse auch bei "Altfällen" unter binationalen Ehepaaren "das Niederlassungsgesetz in dessen vollem Umfang herangezogen werden" Die neue niederlassungsrechtliche Verschärfung erreichte die Bezirkshauptmannschaften und Magistrate in ganz Österreich per E-Mail: Einem neuen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) zufolge müsse von nun an auch bei so genannten Altfällen unter binationalen Ehepaaren "das Niederlassungsgesetz in dessen vollem Umfang herangezogen werden, was die Abweisung eines Antrags zur Folge hat", heisst es in dem von dem leitenden Ministerialbeamten Johann Bezdeka gezeichneten Rundschreiben vom 9. März 2007. Ab sofort sei auch bei "Familienangehörigen von Österreichern" nach dem Grundsatz zu entscheiden, dass "im Fall eines illegalen Aufenthalts eine Ablehnung wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist". Und zwar auch bei einer "Prüfung humanitärer Gründe" fürs Hierbleiben nicht österreichischer Angehöriger. Plötzlich illegal Solche "humanitären Gründe" wurden seit Inkrafttreten des Fremdenpakets 2006 etwa von Ehepaaren geltend gemacht, die den Niederlassungsantrag für den "fremden" Partner noch unterm liberaleren früheren Gesetz gestellt hatten. Viele dieser "Altfälle" - darunter auch Afzaal Deewan - hatten auf ihren früheren Aufenthaltstitel als Asylwerber verzichtet. Da das neue Gesetz ohne Übergangsfristen eingeführt wurde, befanden sie sich nach dem 1. 1. 2006 illegal im Land. Nun habe das Ministerium "klargestellt, dass hier die neue Gesetzeslage rückwirkend anzuwenden ist", erläutert MA-35-Chefin Beatrix Hornschall. Allein in Wien seien "mehrere hundert Paare" betroffen. Eine Sichtweise, die man beim VwGH nicht bestätigt: Trotz Höchstrichterspruchs stehe es Landesbehörden wie der MA 35 weiter "frei, von sich aus humanitär zu entscheiden". (bri) Quelle: derStandard.at 26. März 2007 11:05 MESZ "Ich wurde als Sklave geboren" Menschen werden wie Familienbesitz "vererbt" - Jahrhundertealtes System der Leibeigenschaft besteht bis heute Zum Thema Briten gedenken Ende der Sklaverei Symbolfoto Nouakchott - Vor zwei Jahren ist Matalla die Flucht gelungen. Er floh vor seinen Herren, arabischen Nomaden in den Wüsten im Nordosten Mauretaniens. "Ich wurde als Sklave geboren", sagt der schüchterne Mann mit gesenktem Blick. In dem islamischen Staat gibt es ein jahrhundertealtes System der Leibeigenschaft, das trotz demokratischem Bestreben der ehemaligen französischen Kolonie bis heute fortbesteht. Auch nach der Stichwahl um das Präsidentenamt dürfte Sklaverei in Mauretanien bitterer Alltag von Tausenden Menschen bleiben. Misshandlungen Matalla weiss weder seinen Nachnamen noch sein Alter, scheint zwischen 30 und 40 zu sein. Alle seine Vorfahren waren Sklaven der arabischen Krieger des Stammes der Reguibat. "Meine Tante und meine Brüder sind immer noch Sklaven bei ihnen." Seit seiner Flucht habe er nichts mehr von ihnen gehört. Matalla musste Kamele hüten. "Wir wurden manchmal gefesselt, wenn wir Tiere verloren haben. Ich habe hier eine Narbe", sagt er und zeigt auf seinen Wangenknochen unter seinem rechten Auge. "Da haben sie mich mit einem Stock geschlagen. Die Kinder von meinen Herren haben das getan, als ich eins der Tiere verloren hatte." Familienbesitz Sklaven in Mauretanien werden von Generation zu Generation weitergegeben - wie ein Familienbesitz. Sie hüten Tiere in der sengenden Hitze der Sahara oder servieren heissen Minztee in den Villen von Nouakchott. Menschenrechtsaktivisten vermuten, dass es Tausende von ihnen gibt. Der Zustand wird in der hierarchisch geprägten, aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammengesetzten Gesellschaft akzeptiert. Die Macht hat traditionellerweise die hellhäutige maurische Elite, die sogar bestreitet, dass es überhaupt Sklaverei gibt. Aber Menschenrechtsaktivisten sagen, dass sich das Herr-Sklaven-Verhältnis und seine sozialen Auswirkungen in den Köpfen von allen Mauretaniern eingebrannt habe. "Es ist, als ob man Schafe oder Ziegen hat. Wenn eine Frau Sklavin ist, sind ihre Kinder auch Sklaven", sagt Boubacar Messaoud, der als Sklave geboren wurde und jetzt der führende Aktivist gegen Sklaverei in Mauretanien ist. Ein Erlass von 1981, der Sklaverei gesetzlich verbietet, habe keinerlei Auswirkung. Angst und Geheimnistuerei Die Militärjunta, die gerade von einem demokratisch gewählten Parlament abgelöst wird, scheut sich vor der Diskussion und spricht lediglich von "Überresten der Sklaverei". Angst und Geheimnistuerei machten es schwierig, Fälle von Sklaverei aufzudecken, sagen Anti-Sklaverei-Gruppen wie Messaouds SOS-Slaves. Dennoch tauchen immer wieder geflohene Sklaven auf. So wie Matalla. "Als mir bewusst wurde, in welcher Situation ich mich befinde, habe ich über die beste Möglichkeit der Flucht nachgedacht, ohne dass ich erwischt werde. Ich wusste, dass ich getötet werden könnte, wenn ich diese Möglichkeit nicht finden würde." Eines Tages, als er wieder in der Wüste auf die Kamelherde aufpasste, traf er mauretanische Soldaten, die ihn um Milch baten. Der Anführer sei selbst Nachkomme von Sklaven gewesen und habe angeboten, ihm bei seiner Flucht zu helfen. "Wir holten die Milch. Dann fuhren wir im Auto weg. Meine Herren waren sehr wütend." Matalla erzählte den Soldaten, dass seine Herren ihn gefoltert hätten. "Ich sagte, ich würde mich eher von ihnen erschiessen lassen, als dort zu bleiben." (Reuters) Quelle: Deutsche Welle 25.03.2007 Theorie und Praxis - die Justizreform in der Türkei Seit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU passt die Türkei auch ihre Gesetzgebung an. Doch noch immer gibt es Menschenrechtsverletzungen, Folter, Korruption. Eine Reportage aus Istanbul und Ankara. Taxim, der quirlige, moderne Teil der Millionenstadt Istanbul. Gläserne Bürotürme, zahlreiche Hotels, Designerläden, Kneipen und Kaffees bestimmen das Bild. In der breiten Fussgängerzone wird es nie ruhig, Tag und Nacht sind Tausende, vor allem junge Leute unterwegs. Überall läuft laute Musik, türkische oder internationale Popsongs. In einer kleinen Seitenstrasse liegt die Anwaltskanzlei von Deha Boduroglu. Er empfängt Besucher mit einem Tee im gemütlichen Besprechungsraum. Ohne Tee beginnt kein Gespräch in der Türkei. Entschlossene Reformen – zumindest auf dem Papier Es habe sich viel getan im türkischen Justizsystem in den letzten Jahren, erklärt der Anwalt für Wirtschaftsrecht. 2004 wurden die militärisch dominierten Staatssicherheitsgerichte und die Todesstrafe abgeschafft. 2005 traten ein neues Strafgesetzbuch, eine neue Strafprozessordnung und ein Gesetz über die Vollstreckung von Urteilen in Kraft, die allesamt eine Reihe positiver Änderungen enthielten. Das Strafgesetzbuch beispielsweise bietet Frauen einen verbesserten Schutz vor Gewalt, die Gesetze zum Schutz von Angeklagten wurden deutlich ausgeweitet. Doch die meisten Reformen existierten bislang nur auf dem Papier, kritisiert Boduroglu. Nachdem Inhaftierten das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wurde, erzählt er, sei ein Kollege zur Polizei gegangen, um einen Mandanten zu betreuen – mit bösen Folgen: "Die Polizisten haben ihn geschlagen und haben gesagt: 'Bist du verrückt? Das ist hier die Türkei und nicht Frankreich oder Amerika, was denkst du, wo du bist?'" Keine unabhängige Berufung von Richtern und Staatsanwälten Das grösste Problem sei aber die Tatsache, dass es in der Türkei praktisch keine Gewaltenteilung, also auch keine unabhängige Justiz gebe, sagt Boduroglu. Denn über Berufung, Suspendierung und Entlassung von Richtern und Staatsanwälten entscheidet nach wie vor der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte. So steht es in Artikel 159 der türkischen Verfassung. Ein weiteres Hindernis für einen funktionierenden Justiz-Apparat sei die völlige Überlastung der Richter: Sie müssen bis zu 700 Fälle pro Jahr bearbeiten. Ausserdem seien die Bezahlung der Richter und die Ausstattung der Gerichtsgebäude schlecht. Erst allmählich tue sich da etwas, so Boduroglu. Bei vielen Gerichten würden die Akten und Gerichtsprotokolle mittlerweile per Computer erfasst und dadurch viel einfacher für Anwälte zugänglich. Erfahrung mit Gerichtshöfen Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Eren Keskin durfte ein Jahr lang nicht als Anwältin arbeiten Auch Eren Keskin hat ihre Erfahrungen mit türkischen Gerichtshöfen gemacht - als Anwältin und als Angeklagte. Sie hat ihr kleines Büro ein paar Strassen weiter im Stadtteil Beyoglu. Sie ist eine kleine, drahtige Frau und alles andere als unauffällig: Sie trägt ein Samt-Oberteil mit Blumenmuster über dunklen Leggings, ihre langen schwarzen Haare sind hochtoupiert, die Augen mit kräftigen schwarzen Kayal-Strichen im Cleopatra-Stil umrandet. Weil sie bei einer Veranstaltung in Köln ihm Jahr 2002 behauptet hat, die Armee würde bei Hausdurchsuchungen in Kurdistan systematisch Frauen vergewaltigen, wurde sie wegen Beleidigung der Sicherheitskräfte angeklagt. Ausserdem wurde gegen die Juristin ein einjähriges Berufsverbot verhängt. Doch all das hindert die resolute Frauenrechtlerin nicht daran, die Rolle des Militärs weiterhin anzuprangern. "Das Militär regiert das Land" Die Türkei habe zwar ein parlamentarisches System, sagt Keskin, "aber die innen- und aussenpolitische Macht übt weiterhin das Militär aus. Das Militär regiert das Land." Der Prozess der Annäherung an die Europäische Union habe keine tiefgreifenden Veränderungen gebracht: "Das sind vorerst nur Visionen." Auch Folter gebe es weiterhin in türkischen Gefängnissen, erzählt sie, nur sei diese mittlerweile subtiler und hinterlasse weniger Spuren bei den Betroffenen. Statt Schlägen oder Verbrennungen würden die Gefangenen wiederholt mit eiskaltem Wasser übergossen oder müssten stundenlang stehen. An die Angst gewöhnt Solche Äusserungen und auch wiederholte Kritik am Umgang der Regierung und der Sicherheitskräfte mit der kurdischen Minderheit haben der Halb-Kurdin viele Feindschaften eingebracht. Sie ist zwei Mordanschlägen knapp entgangen, täglich treffen Beleidigungen und Morddrohungen per Post oder Telefon ein. Sie weiss, dass sie sich durch ihre offene und direkte Kritik in Gefahr bringt, doch da sei sie nicht die einzige. Und: "Ich weiss, dass ich deswegen auch getötet werden kann, aber ich habe mich an diesen Gedanken gewöhnt." Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Kritik an der Stellung des Militärs ist riskant Mittlerweile darf Eren Keskin zwar wieder als Anwältin arbeiten, aber viele trauen sich nicht mehr zu ihr, erzählt sie ein wenig traurig. Die wenigen Klienten, die sie noch hat, sind fast alle Frauen, die meisten davon Kurdinnen. Geld verlangt Keskin von den wenigsten. Anerkennung erhielt die Vizepräsidentin des Türkischen Menschenrechtsvereins bisher vor allem im Ausland. So erhielt sie 2001 den Amnesty International-Menschenrechtspreis, sie ist Trägerin des Aachener Friedenspreises 2004 und wurde 2005 mit dem Theodor-Haecker-Preis für politischen Mut und Aufrichtigkeit ausgezeichnet. Bebek, ein Nobel-Vorort von Istanbul. In einem schicken Hotel, direkt am Fluss gelegen, sitzt Elif Shafak, eine der aufstrebenden, jungen Autorinnen des Landes. Es ist viel los in der Hotelbar, hier kommen Vertreter der türkischen Oberschicht nach der Arbeit zusammen. Ein Glas Orangensaft kostet soviel wie anderswo eine ganze Mahlzeit. Elif Shafak ist der ganze Rummel unangenehm, das Interview findet in einem ruhigeren Zimmer statt. Beleidigung des Türkentums Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Auch Elif Shafak stand wegen Beleidigung des Türkentums vor Gericht Nach der Veröffentlichung ihres jüngsten Romans "Der Bastard von Istanbul" stand die 33-Jährige - auf Initiative türkischer Nationalisten - wegen Beleidigung des Türkentums nach Artikel 301 vor Gericht. Der Stein des Anstosses: Eine Romanfigur, die behauptet, dass der Tod von Hundertausenden Armeniern während des 1. Weltkriegs ein Genozid gewesen sei. Mit dieser Interpretation ist Elif Shafak nur eine von vielen Autoren, Journalisten, Medienmachern, die die Macht des Staates über den umstrittenen Artikel 301 zu spüren bekommen haben. Ihr Urteil über die Situation der Intellektuellen in der Türkei fällt gemischt aus. Auf der einen Seite gebe es den Artikel 301 über die Beleidigung des Türkentums, der ein Hindernis auf dem Weg zur Meinungsfreiheit darstelle: "Viele Leute, ob Verleger, Schriftsteller oder auch Übersetzer, wurden aufgrund von Artikel 301 verhört oder angeklagt – und fast immer von denselben Leuten, die eine bestimmte Mentalität haben." Auf der anderen Seite sei die Türkei, sei gerade eine Stadt wie Istanbul eine ständige Inspiration für sie, sagt Elif Shafak: " Die Konflikte, die Gegensätze sind hier so stark. Für einen Künstler, für einen Schriftsteller ist diese Stadt eine Fundgrube." Massiver Umbruchsprozess Die türkische Gesellschaft befindet sich nach Ansicht der Schriftstellerin in einem massiven Umbruchprozess. Die heftigen Diskussionen um die Armenien-Frage seien das beste Beispiel dafür. Noch vor zehn oder 20 Jahren habe Schweigen über dieses Thema geherrscht, nun rede man darüber. Das provoziere eine Art Gegenreaktion: Je grösser die gesellschaftlichen Umwälzungen sind, umso heftiger sei auch die Angst derer, die den Status Quo aufrechterhalten wollten. Die Einführung des Artikels 301 bei der jüngsten Strafrechtsreform im Jahr 2005 sei ein sichtbares Indiz für die Befürchtungen dieser konservativen Gruppen, meint Shafak. Doch es gehe ihnen nicht in erster Linie um Schriftsteller oder Journalisten, sondern um den Annäherungsprozess an die EU: "Das Hauptanliegen der Konservativen ist es, den Beitrittsprozess zu stoppen." Anklage fallen gelassen In der Tat scheint es um mehr zu gehen als darum, Schriftsteller wegen Beleidigung des Türkentums ins Gefängnis zu bringen. Die Anklage gegen Elif Shafak wurde im vergangenen September fallengelassen. Anders als in Istanbul wird in Ankara nicht gehupt und nicht gedrängelt. Der Weg vom Flughafen ins Zentrum der Hauptstadt führt vorbei an modernen Glasbürotürmen und zahlreichen Hotels. Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Demonstration gegen eine Verschärfung des Strafrechts 2005 Im Justizministerium, in einem grossen Büro mit einer imposanten Ledercouchgarnitur, arbeitet Ahmed Firhat, ehemaliger Richter und Leiter der Abteilung für EU-Angelegenheiten. Wie steht es aus seiner Sicht um die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei steht? Ja, er sehe die Problematik der Zusammensetzung des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte, sagt Firhat. Aber er betont, dass es ernsthafte Bestrebungen gebe, diese zu modifizieren. "Niemand kann dem Gericht Anweisungen geben" Gegen den Vorwurf, Staatsanwälte und Richter könnten nicht frei entscheiden, verwehrt sich der Jurist, denn Artikel 138 der Verfassung garantiere die Unabhängigkeit der Justiz: "Niemand kann dem Gericht, den Richtern oder Staatsanwälten Anweisungen geben, niemals wird etwa im Parlament über noch laufende Verfahren gesprochen." Firhat sieht auch bei der Ausstattung der Justiz Handlungsbedarf, bei der schlechten Bezahlung und der zumindest zum Teil schlechten Ausbildung der Juristen. Doch in all diesen Fragen sei der EU-Annäherungsprozess ein wichtiger Katalysator. Dutzende Gesetze seien im Laufe von bislang neun Reformpaketen geändert und an EU-Richtlinien angepasst worden, berichtet Firhat stolz. 10.000 neue Richter wurden eingestellt, mehrere tausend wurden von EU-Experten geschult. Der Etat des Justizministeriums sei angehoben worden. Verbesserung in Aussicht Auch die Meinungsfreiheit sieht der Jurist nicht grundsätzlich gefährdet. Die Diskussionen um den umstrittenen Artikel 301 - Beleidigung des Türkentums - würden sich bald legen, meint er. Im Übrigen sei ja bislang niemand deswegen ins Gefängnis gewandert. Als das Mikrofon ausgeschaltet ist, gibt er zu verstehen, dass über eine Veränderung - wenn nicht sogar eine Abschaffung des Artikels - bereits nachgedacht wird. Anke Hagedorn / Hülya Köylü
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