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Den Opfern Atatürks sind Sie nicht gerecht geworden!

Offener Brief

an den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg

Herrn Winfried Kretschmann

 

Göttingen/Stuttgart, den 22. Oktober 2012
 

Den Opfern Atatürks sind Sie nicht gerecht geworden!

15 Millionen Kurden warten noch immer auf Gleichberechtigung!

 
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
 
angesichts Ihres Staatsbesuches haben Sie ein deutliches Zeichen für Religionsfreiheit in der Türkei gesetzt. Sie haben seine Allheiligkeit Bartholomäus, den Ökumenischen Patriarchen, aufgesucht. Dieses Zeichen für die winzige im Land verbliebene christliche Minderheit begrüßt unsere Menschenrechtsorganisation ausdrücklich.
 
Wir bedauern es jedoch außerordentlich, dass Sie keinen Vertreter der 15 Millionen Kurden der Türkei empfangen haben. So hätten Sie ein Zeichen für ihre sprachliche, kulturelle und politische Gleichberechtigung setzen können. Genau um Gleichberechtigung einzufordern, befanden sich während Ihres Aufenthaltes in der Türkei einige hundert kurdische politische Gefangene im Hungerstreik.
 
Es mag ehrenwert sein, wenn Sie sich für die Pflege des Türkischen in deutschen Schulen stark machen. So lange aber in der Türkei für das kurdische Viertel der Bevölkerung nicht einmal eine einzige Volksschule existiert, hätten Sie nach Auffassung unserer Menschenrechtsorganisation, der Gesellschaft für bedrohte Völker, die Akzente anders setzen müssen.
 
Wie viele andere Besucher der Türkei haben auch Sie das Atatürk-Mausoleum in Ankara besucht. Dieser türkische Staatsmann hat nach dem Völkermord der „Jungtürken“ an etwa 1,5 Millionen Armeniern und bis zu 500.000 christlichen Assyrern/Aramäern die Vertreibung oder Vernichtung der Christen seines Landes fortgesetzt. Mindestens 200.000 christliche Einwohner der Hafenstadt Smyrna, dem heutigen Izmir, und Ostthraziens, im europäischen Teil der Türkei, fielen unter seiner Herrschaft Massenmorden zum Opfer. Mindestens zwei Millionen griechisch-orthodoxe, armenische, assyrisch-aramäische und arabische Christen mussten Ionien, den Pontos, Kappadokien bzw. den Sandjak Alexandrette/Iskenderun verlassen. Der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung der Türkei fiel so von 20 % auf 0,1 %. Gnadenlos lies Kamal Atatürk auch die Erhebungen kurdischer Widerstandsbewegun-gen niederschlagen. Viele zehntausend Kurden verloren damals ihr Leben.
 
Für Sie als Ministerpräsident von Baden-Württemberg wäre es eine wahrhaft staatsmännische Aufgabe gewesen, während des Besuchs des Mausoleums auch den Opfern von Atatürk gerecht zu werden.
 
Nicht zuletzt die Politiker der Grünen zeichnen sich durch leidenschaftliche Erklärungen für die Verfolgten und Benachteiligten dieser Erde aus. Es wäre schön, wenn sich dies auch jeweils an der praktischen Politik ablesen ließe.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Tilman Zülch, Generalsekretär (Tel. 0151 153 09 888)
 

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