Im Jahr 2006 hat die Regierung in Ankara eine Ausweitung des Anti-Terror- Gesetzes beschlossen. Die neue Form des Anti-Terror-Gesetzes erweitert die Befugnisse der Sicherheitskräfte und schränkt die Rechte von Festgenommenen ein. Nach Meinung der Presseverbände in der Türkei droht damit jedem Journalisten und Menschenrechtler Gefängnis, der Berichte im Zusammenhang mit „Terrorismus“ veröffentlicht. Das neue Gesetz schränkt auch die Grundrechte wie Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung, die im Zuge der Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 ausgeweitet wurden, ein.
Allein der § 301 über die "Verunglimpfung des Türkentums" eignet sich inzwischen zur Einschüchterung von Menschenrechtsverteidigern, Autoren, Journalisten und Verlegern, die ihre kritische Stimme erheben. Dieser ahndet die öffentliche Verunglimpfung des Türkentums, der Republik, der Nationalversammlung, der Regierung, der Justizbehörden sowie militärischer und Sicherheitsstrukturen mit Haftstrafen bis zu drei Jahren. Verstößt ein türkischer Staatsbürger im Ausland gegen diesen Paragrafen, wird das Haftmaß um ein Drittel erhöht. Zurzeit laufen auf Grundlage des § 301 Anklagen gegen zahlreiche (ca. 70 Verfahren) Journalisten und Schriftsteller. Zu den bekanntesten gehören der ermordete Hrant Dink, Orhan Pamuk und Elif Safak, die wegen Beleidigung des Türkentums angeklagt wurden. Abgesehen von diesen Anklagen und den damit verbundenen Verurteilungen hat die Einführung des § 301 und die damit einhergehende Propaganda in den türkischen Medien dazu geführt, dass sich insgesamt die Stimmung im Lande geändert hat. Zurzeit wird ein nationalistischer Feldzug gegen Menschenrechtler, Schriftsteller und Journalisten geführt, die sich kritisch äußern, und es wird versucht diese nationalistische Grundstimmung in der türkischen Gesellschaft zu etablieren. Am 19. Januar 2007 wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink ermordet. Der 52-jährige Journalist wurde vor seinem Redaktionsbüro auf offener Straße in Istanbul erschossen. Dink war im vergangenen Jahr wegen „Beleidigung des Türkentums“ rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Nach der Festnahme wurde der Mörder von Dink wie ein Nationalheld gefeiert, indem er in den Medien mit dem Foto des Staatsgründers Atatürks und mit einer türkischen Fahne, auf dem der Spruch des Atatürks „Das Land der Nation ist heilig. Es darf nicht dem Schicksal überlassen werden.“ stand, abgebildet wurde. Nach der Ermordung von Hrant Dink und unter dem Eindruck massiver Drohungen hat der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk im Februar 2007 eine Reise nach Deutschland abgesagt und musste in die USA fliehen. Sowohl der Mord als auch die Verfolgung und die Bedrohungen wurden in den türkischen Medien als einzelne kriminelle Fälle dargestellt und dadurch wurde auch die politische Dimension verschleiert. Denn es gibt Mutmaßungen, dass die Ermordung und Bedrohungen durchgeführt wurden im Auftrag des "tiefen Staates", worunter man ein undurchdringbares Geflecht von Sicherheitskräften, Justiz, Verwaltung und organisiertem Verbrechen versteht - ein Milieu, in dem angeblich "Staatsinteressen" notfalls durch Mord gewahrt werden, wenn die Politik vermeintlich versagt. In einer Einschätzung der Türkei über die Fortschritte im Hinblick auf die Erfüllung von Menschenrechtsstandards sagte Human Rights Watch für das Jahr 2005, dass Pressefreiheit, Religionsfreiheit und Achtung von Minderheiten zwar noch weit vom Ideal entfernt seien, sich jedoch stetig verbesserten. Nach den jüngsten Ereignissen haben EU-Politiker und andere Beobachter jedoch den Eindruck, dass in der Türkei die Zeit der entschlossenen politischen Reformen vorbei ist. Vom Reformeifer der vergangenen Jahre sei nichts mehr zu spüren. Das US-Magazin "Newsweek" kritisierte eine "hässliche nationalistische Stimmung" in der Türkei. Die Fälle von Hrant Dink, Orhan Pamuk und Elif Safak stellen nur die Spitze des Eisberges dar. In der Tat macht der Staat bei der Verfolgung seiner Kritiker keine Unterschiede. Deswegen werden neben den bekannten auch die „kleinen“ Theatergruppen, Musiker, Herausgeber, Wehrdienstverweigerer, Aktivisten von Menschenrechtsvereinen und Kulturzentren bedroht und verfolgt und unter Umständen ermordet so wie der katholische Priester Don Andrea Santoro im September 2006 in Trabzon. Andere Beispiele sind u. a. : Ferhat Tunc - Musiker, Grup Yorum - Musikgruppe, Grup Munzur - Musikgruppe, Günes - Theater, Osman Murat Ülke - Wehrdiensverweigerer, Mehmet Tarhan - Wehrdienstverweigerer, BEKSAV-Stiftung für Kultur, Erziehung, Ästhetik, Wissenschaft und Kunst.
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