wir schreiben mittlerweile unter www.geschockte -patienten.de . nicht um uns den neuesten darmkrebs auszumalen, sondern um uns selber zu fragen: bist du noch autonom? was war eigentlich diese autonomie bevor du den krebs oder ALS oder MS bekommen hast. und herr angele kennt das alles nicht. er ist kerngesund. er findet es ehrenhaft und anständig wenn wir schweigen... wenn wir keine fragen stellen, auch wenn wir hoffen mal jemanden außerhalb des krankenhaus zu treffen, der so eine chemo schonmal durchgemacht hat. was sie da mit dem SPIEGEL zu rupfen haben ist mir scheißegal. mir geht es um jeden einzelnen, der angst hat fragen zu stellen, seine ängste zu formulieren, sie zu transformieren, seine autonomie zu suchen...
auich wenn er sich in ihrem pseudo-engagierten kreis nichts mehr zu suchen hat. es sei denn, dass sich gleich am eingang als gescheiterter leidenspatron zu erkennen gibt. aber da haben sie sich sehr verrechnet !
ich habe doch selber während der Extremphasen nach literatur und aufzeichnungen gesucht ! nach notizen von jemandem, der diese frage nach gott, nach dem arzt, nach dem vorgang der behandlung , usw... möglichst sachlich mitteilt.
von susan sonntags selbstbetrugsliteratur, um zu zeigen, dass sie ganz distanziert darüber schreiben kann, obwohl sie sich da schon in die hose geschissen hat vor angst.(ich habe sie zumindest kennengelernt und am ende hat sie wie verzweifelt gefleht,... sie hat alles mitgemacht....) da hat also die akademische methode nichts gebracht. warum nicht also mal direkt nachfragen. warum geben sie ihr minibudget nicht endlich mal dafür aus, dass sie kranke besuchen, dass sie fragen zur gesundheitsreform stellen. mal was zur einsamkeit fragen. bei dem, der seinen job verloren hat, keine familie besitzt und kaum freunde hatte und dann auch noch gegen weiße flecken im körper als völlig verstummte todesboten zu kämpfen hat... was sagt der über ihre politikartikel, was sagt der über so einen scheiß kommentar wie dem von herrn angele ? was denkt der über ihre scheißarrogant? mein text entstand ohne literaturanspruch, ohne verleger im nacken ! ich habe nachts , wenn die angst kam, alles in dieses band gesprochen. dann die erste arbeit dazu im gorkitheater, zum glück ohne so freitags-boulevard-deppen wie sie, die leiden und sterben zum boulevard erklären... - ach lass doch, sagen meien freunde... nicht mal ignorieren würde ich dieses freitags-mini-blatt! nein, nein, sage ich ! ganz im gegenteil ! der faz-artikeldreck war der anfang für so obrigkeitshörige idioten wie dieser kommentarschreiber, der nun hofft eventuell zum vorstellungsgespräch bei der faz eingeladen zu werden ! wenn er sich da mal nicht getäuscht hat. die faz hat sich mittlerweile für diesen scheißartikel von herrn kämmerling bei mir und einem teil der anderen krebskranken entschuldigt! na bitte, geht doch.... jedenfalls habe ich dann noch DIE KIRCHE DER ANGST bei der ruhrtriennale und MEA CULPA an der wiener burg gemacht. alles künstlerische, sprich bild-/textbearbeitungen der fortschreitenden geschichte. und nun? nun bin ich verheiratet und seit einer woche wieder zuhause in berlin. mir geht es eigentlich sehr gut. ich habe zugenommen, meine haare sind mittlerweile lockiger geworden, meine entzündungen auf der haut sind verschwunden, im gesicht, am bein und und die abfallenden fußnägel sind wieder gut. Und gestern war ich wieder zur kontrolle in der röhre... und was soll ich ihnen in ihrem arroganten alkoholeifer sagen?: "Meine verbliebene lunge, rechte seite, ist wieder voller metastasen." und was nun herr angele. ? schnauze halten. "größe zeigen und schnauze halten !" wie sie sagen? ich denke gar nicht daran ! ich werde bis zum letzten moment davon erzählen, was sie sich nicht vorstellen können. und wenn ich sie damit nerve, dann legen sie mein buch oder meine texte einfach zur seit. saufen sie sich die sache abends gemütlich in den schlaf. denken sie es wäre ostersonntag und alle sind bereits in den himmel oder ins nirvana oder die hölle gefahren. es ist superruhig... die natur duftet... und sie sitzen ganz alleine an ihrem schreibtisch und wissen auch nicht was das zu bedeuten hat. Einfach schön ruhig bleiben, kann ich ihnen nur raten. zum glück ist keiner mehr da, der ihren scheiß anhören kann. und das haben sie sich doch insgeheim schon immer mal gewünscht ! Na bitte, geht doch !christoph schlingensief
Kommentar zu diesem Artikel
quelle: http://www.freitag.de/kultur/0936-bekenntnisliteratur-krebs-leinemann-schlingensief
Wer hat geil Krebs?
Mutig ist, über seinen Krebs zu schreiben. Es nicht zu tun, wäre fast schon Übermut. Ein Kommentar über die neue Bekenntnisliteratur
Vielleicht hat es auch mit Auschwitz zu tun. Damit, dass das Ungeheure aus unseren Köpfen verschwindet. Vielleicht war es ja vor noch nicht allzu langer Zeit so: Da schlägt bei jemandem, der immer schon gerne geschrieben hat und über eine gewisse exhibitionistische Neigung verfügt, das Schicksal zu. Es wird Krebs diagnostiziert. Er denkt sich, Mist, warum muss es ausgerechnet mich treffen, es ist so ungerecht, und er hadert, flucht und weint und nimmt den Stift zur Hand. Aber dann hält ihn vielleicht doch etwas vom Schreiben ab. Etwas, das Größer ist als er, und er sagt sich, was ist schon mein kleines bescheidenes Leben dagegen, und die Scham durchdringt ihn.
Es gibt dieses Dagegen nicht mehr, es gibt keine Transzendenz mehr, die einem die eigene Endlichkeit vor Augen führte und die Nichtigkeit lehrte, und also wird in die Tasten gehauen und es entstehen so erfolgreiche Bücher wie das von Christoph Schlingensief oder Spiegel-Titel wie der aktuelle. „Gestern wollte ich wieder sterben – Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann über sein Leben mit Krebs“ steht da in großen Lettern auf dem Umschlag, im Heft dann ein 13-seitiger Vorabdruck, der, darauf kann man wetten, als Buch (Das Leben ist der Ernstfall) ebenfalls ein Bestseller werden wird.
Nun ist es nicht so, dass dieser gern gelesene Exhibitionismus mit offenem Mantel und schmierigem Grinsen daherkommt – Leinemann verheimlicht die Schwächen, Zweifel und Nöte, die ihn seit der Entdeckung eines Zungengrund-Karzinoms heimsuchen, nicht. Verständlicherweise tut er nichts anderes, als sie zu beschreiben, aber der eine Zweifel, der fehlt: Ob man die Chose wirklich öffentlich machen musste. Ähnlich ist der Fall Schlingensief gelagert. „Ach Mann, ist das eine Kacke, so eine unendliche Kacke“, ist zurecht fast schon zum geflügelten Wort geworden, und wenn man neben ihm stünde, würde man ihn in den Arm nehmen. Aber man steht nicht neben ihm, man liest ein „Tagebuch“, das ein Fremder geschrieben hat.
„Ich war mal eine verbale Sau, aber ich bin es nicht mehr“, sagt (die, so weit bekannt, gesunde) Charlotte Roche ebenfalls im aktuellen Spiegel, ein geradezu postmodernes Geständnis. Man darf gespannt sein, wovon der angekündigte Nachfolger von Feuchtgebiete handelt. Vielleicht von der Bild-Zeitung, die sie abgrundtief hasst, weil der Erfolg des Blatts auf „Fragen wie ‚Wer ist gestorben?‘, ‚Wer hat geil Krebs?‘“ basiere.
Wer hat geil Krebs? – Fragen auf diesem Niveau mögen das Wesen der Bekenntnisliteratur unserer Tage verfehlen, und doch kann an ihnen die schlichte Tatsache aufstoßen, dass sie überhaupt geschrieben wurden. Es mag eine Leistung sein, das Publikum über seine Krankheit so zu unterrichten, dass es sich nicht langweilt, aber läge wahre Größe nicht auch hier im Verzicht? Das Problem, man könnte es die Anerkennungsfalle nennen, ist: Verzicht wird nicht belohnt. Wer beschließt, ein Buch nicht zu schreiben, weil ihn die Scham durchdringt, muss schon darauf hoffen, dass Gott anstelle des Marktes und des Publikums tritt und er auch wirklich, wie geschrieben steht, alles sieht.
Zum Glück gibt es Alternativen. Unser Vorschlag: Wenn die eigene Krankheit schon öffentlich gemacht werden muss, dann bitte mit dem Anspruch, es nicht unter dem Rang von Kunst zu machen (Merke: es könnte das letzte Werk sein!). Kunst über Krankheit zu machen, das heißt doch, blöd- und tiefsinnig zugleich zu sein, heißt, ihr ein Schnippchen schlagen. Es gibt Vorbilder, zum Beispiel die berühmten Gedichte des krebskranken, 2006 verstorbenen Robert Gernhardt. „Dialog“ heißt eines: „Gut schaust du aus!“ – „Danke! Werds meinem Krebs weitersagen. Wird ihn ärgern.“