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„Gegenwärtige Debatte um Jugendkriminalität ist Ausgrenzungspolitik!“
GEMEINSAME PRESSEERKLÄRUNG DER MIGRANTENVERBÄNDE

16.01.2008

Migrantenverbände warnen vor Ethnisierung und Kulturalisierung sozialer Probleme: „Gegenwärtige Debatte um Jugendkriminalität ist Ausgrenzungspolitik!“

Politik und Gesellschaft müssen sich für eine positive und gemeinsame Zukunftsgestaltung einsetzen und sollten nicht undemokratische Kräfte stärken!

Seit Wochen wird die Öffentlichkeit mit einer “Scheindebatte“ über die Kriminalität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Auslöser ist eine Videoaufnahme in der Münchner U-Bahn, die dokumentiert, wie zwei Jugendliche einen wehrlosen Rentner zusammenschlagen. Diese Tat ist zweifellos zu verurteilen. Sie ist in ihrer Brutalität erschreckend und wirft ein beängstigendes Licht auf die Situation unserer Jugend in Deutschland.

Erschreckend ist aber auch, wie wohlwollend dieser Vorfall von manch einem Politiker zur Unterstützung des anstehenden Wahlkampfes aufgenommen worden ist. So wurde als Erklärung für diese Tat trotz des vielfältigen sozialen Hintergrunds beider Täter der Migrationshintergrund als das große Übel entdeckt. Sehr schnell beschränkte sich dieser Aspekt dann ausschließlich auf den türkischstämmigen Täter.

Genauso schnell, wie man das Übel gefunden hatte, wurde dann auch eine schnelle Scheinlösung in die Diskussion geworfen: Abschiebung. Dabei wird bewusst außer Acht gelassen, dass es sich bei der Jugendkriminalität weder um ein aus dem Ausland importiertes, noch um ein nur bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund vorkommendes Problem handelt. Die Täter sind hier in Deutschland aufgewachsen, wurden hier sozialisiert, sind hier zur Schule gegangen. Die Abschiebung einzelner Täter wird die sozialen Missstände, die Benachteiligung und die Ausgrenzungserfahrungen in Deutschland nicht verschwinden lassen. Vielmehr würden wir damit unsere Probleme ins Ausland verlagern. Dieses Problem ist kein fremdes, sondern ein eigenes, ein hausgemachtes Problem Deutschlands.

Die gesamte Diskussion um die Jugendkriminalität hängt sich an den brutalen Vorfällen der letzten Wochen auf und bleibt scheinbar auch dort hängen. Sachdienlich und sachlich waren anfangs nur wenige Aussagen und Äußerungen in diesem Zusammenhang.

Nicht in der sozialen Benachteiligung, in fehlender Chancengleichheit, im sozialen Milieu der Täter oder in den möglichen Erziehungsdefiziten der ebenfalls größtenteils hier sozialisierten Eltern wurde der Grund gesucht. Auch blieb unbeachtet, dass der kulturelle Hintergrund eben nicht zu solch einer Tat anstachelt, sondern mit seiner hierzulande immer wieder kritisierten Forderung nach Respekt vor dem Alter dem sogar entgegensteht. Daraus nährte sich die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen nicht.

Auch die Fülle an Integrationsarbeit und Integrationsleistungen, die insbesondere durch Migrantenorganisationen und anderer Institutionen bereits erbracht werden, fielen in den Darstellungen kaum auf. Tatsächlich gibt es gute Ansätze, aber auch Verbesserungsbedarf. Die aktuelle Debatte um die Jugendkriminalität ist nicht mehr konstruktive Politik, sondern eher Ausgrenzungspolitik.

Statt den Fokus auf Bildungs- und Förderprogramme für Kinder und Jugendliche zu richten, um ihnen die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, werden sofort Forderungen nach neuen, extremeren Wegen der Bestrafung laut. Dahingegen sind der frühe Erwerb der deutschen Sprache und gleiche Bildungschancen der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und bestmögliche Integration für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Wir beobachten in letzter Zeit eine starke Ethnisierung und Kulturalisierung vieler gesellschaftlicher Probleme. Hinzu kommen verstärkt Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen, die sie in ihrer Perspektivlosigkeit bestärken.

Wir sind der Meinung, dass sich ohne eine gleichberechtigte Teilhabe und Akzeptanz die Fronten verhärten werden. Die Ethnisierung und Kulturalisierung von sozialen Problemen, die Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen betreffen, trägt nicht zur Lösungsfindung bei, sondern blockiert diese.

Wir sind immer offen und bereit gewesen für eine positive Debatte, die zur Lösung beiträgt und nicht einen separierenden Charakter annimmt. Diese Bereitschaft kündigen wir hiermit erneut an!

Politische Kräfte sollten sich präventiv für die Senkung der Jugendarbeitslosigkeit und die Förderung von Integrationsarbeit einsetzen. Das Gefühl der Perspektivlosigkeit, des Ausgeschlossenseins und der Ohnmacht auf Seiten sozial schwacher und benachteiligter Kinder und Jugendlicher wirken sich ungeachtet der Nationalität oder Religion auf die tatsächliche Lebenssituation der Betroffenen aus. Hier helfen schief gelesene Statistiken und Zahlen nicht, hier hilft jedem einzelnen Betroffenen nur die Abschaffung von Zugangshindernissen und Zugangsschwellen, indem die individuelle Kindergarten-, Schul-, Ausbildungs- und Berufssituation positiv gefördert wird, damit sich letztendlich Ohnmacht und Frust nicht in Aggressionen entladen. Durch offene und subtile Ausländerfeindlichkeit, die Angst vor den Einwanderern und demographische Veränderungen der deutschen Gesellschaft machen viele Jugendliche bereits viel zu früh die Erfahrung, dass sie unerwünscht, benachteiligt und chancenlos sind. Die Einstellung bei Jugendlichen „Egal was ich mache, ich habe ja doch keine Chance“ gilt es durch gemeinsame Anstrengungen zu verändern.

Politik und Gesellschaft müssen sich für eine positive und gemeinsame Zukunftsgestaltung einsetzen und sollten nicht undemokratische Kräfte stärken. Die Zukunftsgestaltung sollte nicht für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert werden. Die Qualifikationsinitiative der Bundesregierung „Aufstieg durch Bildung“ ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Auch die Ansätze der Kommunen, wie etwa von der Stadt Köln, im Rahmen des Maßnahmenkatalogs mehr Geld für die Arbeit mit Jugendlichen zur Verfügung zu stellen, sind daher sehr konstruktiv zu werten.

Nur durch ein gemeinsames Engagement, das Menschen mit Migrationshintergrund als Teil der Gesellschaft versteht, und sie auch als solche in die Verantwortung nimmt, kann der gesellschaftliche Frieden und die Harmonie aufrecht erhalten und mehr für das friedliche und ausgleichende Miteinander der Kulturen und Religionen in Deutschland und die gemeinsame Zukunft getan werden.


Kontakt: Engin Karahan
Tel: 0221 - 942240 - 142
Fax: 0221 - 942240 - 119
Email: akarahan@igmg.de


Islamische Gemeinschaft
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