"Die Überflüssigen" - Ein Blick in das Deutschland des Jahres 2020Agenda 2020 Das kleine Fernsehspiel ZDF, in der Nacht von Montag auf Dienstag, 11./12 Juni, 24:00/00:00 Uhr
(tsch) "Ich hoffe, dass meine Vision der Zukunft niemals Realität wird", kommentiert Filmemacherin Aleksandra Kumorek ihren Beitrag zur ZDF-Reihe "Agenda 2020 - Wie werden wir leben?". "Als Globalisierungskritikerin und Attac-Mitglied hatte ich mich intensiv mit dem Thema Entwicklung der Arbeitsgesellschaft befasst." In der düsteren Vorstellung der Autorin und Regisseurin hat in 13 Jahren eine Teilung der Gesellschaft stattgefunden: in die Produktiven und "Die Überflüssigen", wie "Das kleine Fernsehspiel" heißt. Es erzählt die spannende SciFi-Geschichte in Form eines fiktiven Videotagebuchs.
Zu Zoes (Jana Straulino, "Seventeen - Mädchen sind die besseren Jungs") schönsten Erinnerungen gehört jener heiße Sommer, in dem sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder zur Fußball-WM regelmäßig im Stadion anzutreffen war. Nur 14 Jahre später sind solche "Sommermärchen" Teil eines anderen Lebens, das nicht mehr existiert. Nach "der großen Anpassung" musste die 22-Jährige ihr Medizinstudium abbrechen. Sie gehört jetzt zur Kaste der "Überflüssigen", die im Gegensatz zur Minderheit der "Produktiven", die quasi Tag und Nacht schuften, nicht arbeiten darf. Sie werden ruhig gestellt mit staatlichem Fernsehpflichtprogramm, Marken für Nahrung und Konsumangebote, die nur von wenigen Großkonzernen hergestellt werden. Wer sich selbst ein T-Shirt näht oder illegal Gemüse anbaut, macht sich strafbar. Und das System hat - unter anderem dank Blockwarts - alles und jeden unter Kontrolle.
Deshalb möchte Zoe in den Westen auswandern. Pardon: in den Osten. Denn China hat sich zum "Amerika des 21. Jahrhunderts" entwickelt, und sie hofft dort auf ein besseres Leben als Zimmermädchen. Ihr Freund wartet schon in Shanghai auf sie. Vor ihrer Abreise dreht Zoe ein Abschiedsvideo von ihrem Bruder Fabian (Christian Blümel, zuletzt im Kinofilm "Der Lebensversicherer" zu sehen) und ihren Freunden. Als Clara (Sanam Afrashteh) eines Tages verschwindet, entdeckt Zoe, dass ihre Freundin zum aktiven Widerstand gehört. Auch sie selbst muss sich entscheiden zwischen Flucht und Engagement. "In diesen Film ist nichts erfunden", erklärt Regisseurin Aleksandra Kumorek, die dabei an Ein-Euro-Jobs, Hartz IV und Auswanderer dachte. "Ich verdichte lediglich Phänomene, die heute bereits existieren."
Eine Zukunftsvision in innovativer Form darstellen - nach diesem Aufruf hatte die ZDF-Redaktion "Das kleine Fernsehspiel" 350 Vorschläge erhalten, fünf wurden realisiert. Aleksandra Kumorek gelang es dabei mit am besten, mit geringem Budget auch optisch ein überzeugendes Science-Fiction-Szenario zu kreieren und dazu mit großartigen Schauspielern eine spannende Geschichte zu erzählen. Ausstrahlung am 11.06.2007 um 00:00 Uhr auf ZDF
Weiterführende Links: ZDF-Seite "Das kleine Fernsehspiel":
"Menschlicher Balast" Statements der Regisseurin
Autorin und Regisseurin Aleksandra Kumorek antwortet auf die Fragen von Annedore v. Donop
Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Film Die Überflüssigen gekommen? Als Globalisierungskritikerin und Attac-Mitglied hatte ich mich intensiv mit dem Thema Entwicklung der Arbeitsgesellschaft befasst: Mit der Einführung der Ein-Euro-Jobs wird heute schon ein Grundstein gelegt für die Kaste der "Überflüssigen"", dem "menschlichen Ballast", den unsere hochproduktive Gesellschaft nicht mehr braucht. Statt einer sinnvollen gesellschaftlichen Aufteilung von Geld und Zeit gibt es einige wenige "Leistungsträger", die sich kaputt schuften, und eine immer größer werdende Masse, die aus dem Arbeitsprozess herausfällt.
Die aktuelle Entwicklung ist absurd: Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich die Menschen sehr stark über ihre Arbeit definieren und die gleichzeitig immer mehr Menschen die Möglichkeit, arbeiten zu können, entzieht. "Die Überflüssigen" legt den Finger in diese Wunde und zeigt, wie dem Einzelnen Identität und Würde genommen werden, wie die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung die Psyche des Einzelnen deformiert - und dass Widerstand trotzdem möglich ist.
Wie genau sind Sie zu den in Ihrem Film dargestellten Details des Jahres 2020 gekommen? In diesem Film ist nichts erfunden, ich verdichte lediglich Phänomene, die heute bereits existieren: Die "Überflüssigen" sind in trostlose Wohnblocks am Stadtrand abgeschoben, bekommen statt Geld nur Versorgungsmarken und ihre Gesundheitsversorgung ist abgeschafft - das ist ein konsequentes Weiterdenken der Zwangsumzüge und Lebensbedingungen der Hartz IV-Empfänger von heute. Die vielbeschäftigten "Produktiven" entspannen sich mit Heroin - bereits heute gibt es in Großbritannien geschätzte drei bis vier Millionen "Wochenenduser" von Heroin, die nur auf diese Weise von ihrem unmenschlich stressigen Arbeitsalltag abschalten können. Immer mehr Deutsche wandern heute bereits aus, weil sie in Deutschland keine Arbeit finden - wie meine Hauptfigur Zoe. China steigt unübersehbar zur Weltmacht auf - im Film sind wir einen Schritt weiter: China ist das "Amerika des 21. Jahrhunderts", die Leitkultur, an der sich das verarmte Europa orientiert. Was hat Sie im Verlauf des Projektes am meisten überrascht und am meisten gefreut? Dass es uns gelungen ist, etwas angeblich Unmögliches zu verwirklichen - nämlich unter Low Budget-Bedingungen einen Zukunftsfilm zu drehen. Gibt es etwas, das Ihnen zu diesem Film noch besonders am Herzen liegt? Ich hoffe, dass meine Vision der Zukunft niemals Realität wird.
Biographie:
Aleksandra Kumorek wurde 1971 in Kattowitz/Polen geboren und lebt und arbeitet seit 1981 in Berlin. Nach einem mit Magister Artium abgeschossenen Studium der Theater- und Filmwissenschaft und der Germanistik an der Freien Universität Berlin, erhielt sie ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes. Es folgte ein einjähriges Aufbaustudium an der Northern Media School in Großbritannien, das sie mit einem Master of Arts abschloss. Danach absolvierte sie eine Ausbildung in der Drehbuchwerkstatt Rhein-Ruhr bei Dr. Möller-Naß.
In der Praxis erprobte sich Aleksandra Kumorek in diversen Regie-Hospitanzen beim Fernsehen in Deutschland und Polen und bei verschiedenen Kino- und Fernsehfilmen als Regie-Asssistentin und als Script. Außerdem arbeitete sie als Autorin und Regisseurin von Dokumentationen für das deutsche Fernsehen, vor allem für die ARD. 2005 gründete sie die gegenlicht film+tv produktion zusammen mit Silvia Kaiser.
© ZDF 2007
gegenlicht film + tv produktion Die gegenlicht film + tv produktion wurde 2004 von den Filmemacherinnen Silvia Kaiser und Aleksandra Kumorek gegründet und produziert TV-Dokumentationen, Dokumentarfilme und Spielfilme.
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