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100 Tage und kein Bleiberecht? |
100 Tage und kein Bleiberecht? Eine erste Bilanz der Bleiberechtsregelung Flüchtlingsrat beklagt lange Bearbeitungsdauer der Anträge Großzügigere gesetzliche Regelung angemahnt Aktionen in vielen hessischen Städten Vor 100 Tagen, am 17.11.2006, wurde auf der Innenministerkonferenz in Nürnberg nach Jahren der politischen Diskussion eine Bleiberechtsreglung für langjährig geduldete Flüchtlinge beschlossen. Eine erste Bilanz drei Monate nach dem IMK-Beschluss fällt ernüchternd aus: über 80% der bei hessischen Ausländerbehörden gestellten Anträge sind noch nicht bearbeitet. In Hessen, wo ca. 15.000 Geduldete leben, wurden bis zum 31. Januar 4.960 Bleiberechtsanträge gestellt, eine Aufenthaltserlaubnis erhielten bislang 191 Personen (4%), eine Duldung zur Arbeitssuche wurde in 752 Fällen (15%) ausgestellt und 32 Anträge sind negativ beschieden worden – im Rest der Fälle steht die Bearbeitung noch aus. Problematisch dabei ist, dass die Geduldeten nur bis zum 30. September Zeit haben, um eine Arbeit zu finden, was eine Voraussetzung für ein Bleiberecht in Deutschland ist. Dem Hessischen Flüchtlingsrat sind diverse Fälle bekannt, in denen Geduldete schon einen Arbeitsplatz gefunden hatten, diesen jedoch nicht sofort antreten konnten, weil die Zustimmung der Ausländerbehörde fehlte. Die Konsequenz war, dass der Arbeitgeber nach einigen Wochen den Wartens den Arbeitsplatz mit einem anderen Bewerber besetzt hatte. „Den Betroffenen rennt die Zeit davon – erst, wenn ihr Antrag bearbeitet ist, können sie sich eine Arbeit suchen, um damit ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dies ist bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage schon schwer genug, wird durch die lange Bearbeitungsdauer aber noch unnötig erschwert“ kritisierte Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, das Verfahren. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass von Seiten der Ausländerbehörden vielerorts zuerst akribisch nach Ausschlussgründen gesucht wird, anstatt schnell und unbürokratisch eine Duldung zur Arbeitssuche zu erteilen und den Rest später zu prüfen.“ Doch nicht nur in Bezug auf die lange Bearbeitungsdauer gibt es Probleme mit der Umsetzung der Bleiberechtsregelung. Der Erlass des Innenministeriums gibt den Ausländerbehörden einen relativ großen Ermessensspielraum, Anträge positiv zu bescheiden. In der Praxis wird dieser Spielraum jedoch nur selten genutzt, einzelne Ausländerbehörden legen die Regelung sogar bewusst restriktiv aus, zum Teil bleiben sie sogar weit hinter dem Wortlaut des Erlasses zurück. Einige Beispiele: - Die Ausländerbehörde Friedberg verweigerte einem jungen Afghanen, der seit 17 Jahren in Deutschland lebt, die Duldung zur Arbeitsplatzsuche mit der Begründung, sein Lebensunterhalt sei nicht gesichert – eine völlig widersinnige Begründung, dient doch die Arbeitsaufnahme dazu, den Lebensunterhalt zu sichern. Die Ausländerbehörde des Landkreises Offenbach lehnte den Antrag einer afghanischen Familie unter Verweis auf einen längst nicht mehr gültigen Erlass aus dem Jahr 2005 ab, obwohl alle Bedingungen des aktuellen Bleiberechtserlasses erfüllt waren.
- Die Stadt Offenbach forderte eine alleinerziehende Mutter aus dem ehemaligen Jugoslawien auf, den Schulbesuch der Kinder durch Vorlage sämtlicher Zeugnisse seit Einreise zu belegen – in diesem Fall insgesamt 36 Zeugnisse. Durch unsinnige Forderungen wie diese wird ein bürokratischer Aufwand erzeugt, der die Bearbeitungsdauer der Anträge ungemein in die Länge zieht und den Betroffenen wertvolle Wochen und Monate für die Arbeitssuche stielt.
- Im Main-Kinzig-Kreis wurde eine kurdische Familie mit sechs Kindern, fünf davon in Deutschland geboren, nach 14 Jahren trotz eines gestellten Bleiberechtsantrages in die Türkei abgeschoben. Nach Auskunft der Anwältin der Familie gab es keinen rechtsmittelfähigen Ablehnungsbescheid – sie halte den Antrag daher weiter aufrecht. Durch die erfolgte Abschiebung sind die Chancen für die Familie, wieder nach Deutschland zurückzukehren, jedoch jetzt äußerst gering. Die Begründung der Ablehnung: der Vater der Familie galt als „Straftäter“, weil er die zulässige Höchstgrenze der Tagessätze geringfügig überschritten hatte – er hatte einige Male gegen die Residenzpflicht verstoßen und war wegen einer Beleidigung in einer Auseinandersetzung vor einigen Jahren zu 60 Tagessätzen verurteilt worden – die zulässige Höchstgrenze der Tagessätze liegt bei 50.
- In Hanau suchte am letzten Wochenende eine kurdische Familie um Kirchenasyl nach, nachdem zwei erwachsen gewordene Söhne der Familie abgeschoben worden waren. Die Kinder der Familie waren noch vor dem Stichtag für Familien der Bleiberechtsregelung (6 Jahre Aufenthalt) zu den Großeltern eingereist, die Eltern erst danach. Die Behörden weigerten sich, in diesem Fall den Stichtag für Familien anzuwenden und lehnten die Bleiberechtsanträge ab.
Aus den Erfahrungen mit der Umsetzung der Bleiberechtsregelung erscheint es dringend geboten, dass endlich eine gesetzliche, großzügigere Bleiberechtsregelung beschlossen wird, wie es der Kompromiss von Nürnberg im November auch vorsah. „Wir werden es nicht akzeptieren, dass jetzt von verschiedenen Seiten versucht wird, die gesetzliche Bleiberechtsregelung, die explizit Teil der Einigung von Nürnberg war, zu verwässern oder gar in Frage zu stellen. Mit der jetzigen „Bleiberechtsregelung light“ ist nur einem kleinen Teil der etwa 190.000 Geduldeten in Deutschland geholfen, für die Mehrheit ändert sich nichts“ mahnte Scherenberg in Richtung Berlin. „Aus diesem Grund werden wir auch die Bleiberechtsproteste jetzt wieder aufnehmen.“ Die Anforderungen an eine gesetzliche Regelung sind aus Sicht des Flüchtlingsrates insbesondere ein weniger rigider Umgang mit Ausschlussgründen, ein unbürokratischeres Verfahren und kein rigider Stichtag, durch den immer der Teil der Geduldeten, der nach dem Stichtag eingereist ist, ausgeschlossen wird – da durch die Ausländerpolitik in Deutschland immer neue Geduldete „produziert“ werden (z.B. durch den massenhaften Entzug des Flüchtlingsschutzes für irakische Flüchtlinge), ist die Erfordernis, in wenigen Jahren eine neue Bleiberechtsregelung zu beschließen, schon jetzt absehbar. Sinnvoller wäre nach Ansicht des Flüchtlingsrates, die Aufenthaltszeit nicht an einen Stichtag zu koppeln, sondern nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer ein Bleiberecht zu gewähren. „Ganz wichtig ist uns jedoch der Punkt, dass sich die gesetzliche Bleiberechtsregelung nicht nur an ökonomischen Kriterien orientiert, sondern dass endlich auch eine humanitäre Bleiberechtsregelung beschlossen wird. Das Prinzip: Die Kinder und jungen Erwachsenen, die, die uns nützen, dürfen bleiben, während wir gleichzeitig ihre alten und kranken Eltern abschieben, ist zutiefst inhuman. Hier muss die Politik endlich über ihren Schatten springen und auch für die humanitären Fälle eine Lösung beschließen“ erläuterte Scherenberg die Anforderungen an eine echte Bleiberechtsregelung. Rund um das Datum „100 Tage Bleiberecht“ finden bundesweit viele Aktionen, Kundgebungen und Veranstaltungen statt, an denen sich auch hessische Bleiberechtsinitiativen beteiligen. Veranstaltungen finden und fanden in Hessen statt u.a. in Kassel, Marburg, Gießen, Wetzlar, Alsfeld, Friedberg, Gelnhausen, Hanau und Darmstadt. Gez. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer Hessischer Flüchtlingsrat
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