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Infodienst Migration 04.06.2007

BIM 29/2007 - Berliner Infodienst Migration vom 04.06.2007

 

In dieser Ausgabe:

 

1.  Jonathan Laurence: Islam und Staatsbürgerschaft in Deutschland

2. Berlin: Senat legt neues Integrationskonzept vor

3. Mannheim: Treffen bringt keine Annäherung zwischen Muslimen und Kirche

4. Offenbach: Äthiopische Deserteure informieren über ihr Land

5. Rostock: Gipfel-Gegner blockieren Ausländerbehörde

6. Wurzen: Judenhass in der Kinderliga - Neonazis im Osten

7. EU-Journalistenpreis „Für Vielfalt - gegen Diskriminierung“ an Fabrizio Gatti

8. Frankreich: Die unsichtbaren Minderheiten

9. Malta: Fische sind wertvoller als Flüchtlinge

10. Marokko: Reform des Staatsangehörigkeitsrechts stärkt Frauenrechte

11. Niederlande: Abgelehnte Asylbewerber dürfen doch bleiben

12. Schweiz: Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt positiven Effekt

13. Interkultureller Kalender aktuell: Fronleichnam am 7. Juni

14. FES: Handbuch für Menschenrechtsarbeit in Überarbeitung neu erschienen

15. Buch-Tipp: „Die fünf Weltreligionen“ von Helmuth von Glasenapp

16. Kino-Tipp: Söhne - ein Kino-Dokumentarfilm von Volker Koepp

17. TV-Tipps

 


 

1.  Jonathan Laurence: Islam und Staatsbürgerschaft in Deutschland

 

Die Erfahrung Deutschlands mit der nach Frankreich größten muslimischen Bevölke-rungsgruppe in Westeuropa zeigt, dass eine signifikante muslimische Bevölkerung im Herzen Europas weder gewalttätige islamistische Gruppen hervorbringen, noch sozi-al destabilisierend wirken muss. Die deutsche Politik erkennt heute an, dass Deutschland ein Einwanderungsland mit einem großen, auf Dauer ansässigen türki-schen und muslimischen Bevölkerungsanteil ist.

 

Die früheren Regierungen hatten entweder Glück oder waren beeindruckend weit-sichtig bei ihrer Städteplanung und verhinderten die Entstehung innerstädtischer Ghettos. Türkische Zugewanderte und ihre in Deutschland geborenen Nachkommen sind bisher mit keinen bedeutenden Unruhen oder gar Terrorismus in Verbindung ge-bracht worden - im Gegensatz zu den Randalierern in den französischen banlieues und zu Großbritanniens "home-grown" Terroristen.

 

Aber wie die französische Erfahrung gezeigt hat, sind politische und sozioökonomi-sche Ungleichheit und Diskriminierung eine gefährliche Mischung. Die Vorteile einer einstmals vorausschauenden Politik dauern nicht endlos an, und so hatte die Ableh-nung deutscher Politiker, die Vielfältigkeit der Gesellschaft anzuerkennen, durchaus ihre Kosten. Wenn die wirkliche Integration, die sozialen Frieden und Stabilität absi-chert, erreicht werden soll, muss eine Reihe von Themen noch effektiver angegan-gen werden. Die Lösung der Probleme, insbesondere in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt, sind für die benachteiligten Personen unter den mehr als zwei Millionen Menschen türkischen Ursprungs und den Hunderttausenden anderen Menschen muslimischen Hintergrunds am dringlichsten.

 

Die Beziehung zwischen Deutschlands muslimischer Bevölkerung und der deutschen Gesellschaft war bis vor kurzem durch die verweigerte Anerkennung der politischen Klasse für das Faktum gekennzeichnet bestimmt, dass die "Gastarbeiter" auf Dauer bleiben würden. Über zwei Generationen sorgte die Verwaltungspraxis dafür, dass viele Türken in Ungewissheit darüber lebten, ob sie möglicherweise nach ,Hause' zu-rückkehren wollten. Das wiederum förderte die heute beklagte Tendenz zu einer sprachlichen und sozialen Segregation.

 

Seit dem Jahr 2000 haben sich Selbstbild und Politik Deutschlands allerdings geän-dert, die Einwanderungsrealität wurde anerkannt. Damit ist eine neue Bereitschaft entstanden, das Staatsbürgerschaftskonzept grundlegend zu erweitern. Die Auffas-sung aber, dass die Integration der Einbürgerung vorausgehen muss und die damit verbundene Anforderung, dass Türken und andere Muslime sich zuerst integrieren und ihr "Deutschsein" demonstrieren sollten, bevor sie die Staatsangehörigkeit er-werben können, bleibt eine außerordentlich starke Bremse für diesem Prozess.

 

So wurde die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsgesetzes begleitet von stetig gesteigerten Bedingungen für die volle Partizipation von Einwanderern, angefangen bei ideologisch motivierten Loyalitätstests bis hin zu intensivierter Beobachtung isla-mischer Organisationen. Heute gibt es einen offensichtlichen Gegensatz zwischen dem Lippenbekenntnis zu Integration und gesteigerten Anforderungen, die das

Erreichen dieses Ziels erschweren. Darin spiegelt sich das grundsätzliche Span-nungsverhältnis zwischen dem bisher dominierenden Modell einer ethnisch-kulturell homogenen Gesellschaft und dem neuen Wunsch, sich auf die Realität einer vielfäl-tigen Gesellschaft einzustellen. Die vorgeschlagenen Einbürgerungstests legen be-sonderen Wert auf die "ideologische Korrektheit" und verlangen damit von den An-tragstellern praktisch, der derzeitigen öffentlichen Meinung zu speziellen Fragen zu-zustimmen. So werden selbst vollkommen gewaltlose islamistische Auffassungen als an sich "undeutsche" Meinung von Ausländern stigmatisiert.

 

Hinter diesen Schwierigkeiten steckt der Versuch der Politik im wiedervereinigten Deutschland, vorsichtig das Prinzip der freien Meinungsäußerung und den Schutz der demokratischen Ordnung auszubalancieren. Der Schutz demokratischer Insti-tutionen ist ein zentraler Verfassungsgrundsatz und die Beobachtung aller, die an den Grenzen zwischen "gewaltrelativierend" und "gewalttätig" manövrieren, ist si-cherlich notwendig. Doch zugleich verhindern manche Sicherheitsmaßnahmen ge-gen Extremismus jeglichen Dialog und verschärfen unter Muslimen den Widerstand gegen den Staat. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, die poten-tiell antidemokratische und verfassungsfeindliche Aktivitäten von vereinsrechtlich or-ganisierten bis zu lose im Untergrund arbeitenden Gruppen beobachten, scheinen nicht in der Lage, angemessen mit islamistischen Organisationen (wie Milli Görüs, IGMG) umzugehen.

 

Als "islamistisch" kategorisiert und damit im Verfassungsschutzbericht aufgelistet zu werden, kann beispielsweise zur Verweigerung der Staatsbürgerschaft, zur Ableh-nung der Berechtigung für Sozialwohnungen und von Aufenthaltsgenehmigungen führen. Diese Kategorisierung zieht intensive Beobachtung einiger Organisationen und ihrer Mitglieder nach sich, selbst wenn diese Organisationen sich gesetzestreu zeigen. Eine solche Gesinnungsüberwachung wird von Türken und anderen Musli-men als diskriminierend wahrgenommen. Sie ist feindselig im Geiste und vielfach provokativ in der Praxis.

 

Man könnte annehmen, die Islamisten stellten angesichts ihrer kleinen Anzahl keine relevante Gefahr für die Integration von Muslimen in Deutschland dar. Gemessen daran ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ein allzu undifferenziertes Instrument, das zur Stigmatisierung führt und die vielen gewaltablehnenden mit den wenigen potentiell gewaltbereiten Gruppen über einen Kamm schert.

 

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus den Bemühungen der türkischen Regie-rung, die Vertretung der Muslime in Deutschland durch die Türkisch-Islamische Uni-on für religiöse Angelegenheiten (DITIB) zu monopolisieren. Mit diesem Instrument will die Türkei das mögliche Anwachsen einer Opposition in der türkischen Diaspora eindämmen. Der Erhalt der säkularen türkischen Ordnung hängt teilweise davon ab, dass islamistische und andere Minderheiten in der Türkei und im Ausland unter Kon-trolle gehalten werden. Die privilegierte Partnerschaft zwischen DITIB und der deut-schen Regierung steht indessen im Konflikt mit der pluralistischen Beschaffenheit der muslimischen Bevölkerung Deutschlands, insbesondere mit der Präsenz arabischer Sunniten, Schiiten und Kurden sowie von Anhängern alternativer Strömungen des türkischen Islamismus.

 

Das Dilemma der deutschen Behörden liegt darin, dass sie Ankaras Kooperation in praktischen Angelegenheiten brauchen, den monopolistischen Ansprüchen von DITIB aber nicht nachgeben können, ohne dass die Integration der anderen legitimen (verfassungskonformen) Strömungen religiöser und politischer Meinungen in der Zuwandererbevölkerung Schaden nimmt. Die deutsche Regierung berief im Septem-ber 2006 eine Deutsche Islamkonferenz (DIK) ein. Hier wurde die Gruppe der Ge-sprächspartner weit über DITIB hinaus erweitert. Weitere Treffen wurden in 2007 ab-gehalten und im April 2007 unternahmen führende Islamische Verbände eine große Anstrengung zur Selbstorganisation in einem Koordinierungsrat. Ob diese Bemühun-gen letztlich erfolgreich sein werden, oder nicht, Behörden auf Bundes- und Landes-ebene müssen sicherstellen, dass institutionelle Arrangements für Konsultationen mit Vertretern religiöser Gruppen gefunden werden, die die Pluralität der existierenden Anschauungen und organisatorischen Strukturen berücksichtigen.

 

Darüber hinaus ist es dringend notwendig, zwischen der Repräsentation religiöser Interessen auf der einen und sozialer sowie politischer Interessen auf der anderen Seite zu unterscheiden. Die DIK muss vermeiden, Aufgaben an sich zu ziehen, die richtigerweise in die Zuständigkeit der politischen Parteien fallen und diese damit daran zu hindern, ihre notwendige Rolle im Integrationsprozess zu erfüllen.

 

Der größte Schutz vor dem religiösen Extremismus und importierten Fundamenta-lismus ist ein intensiver Dialog, der gegenseitiges Vertrauen zwischen den islami-schen Verbänden und dem Staat fördert. Fremdheit und Entfremdung werden nicht dadurch überwunden, dass zur Bildung einer zusammenhängenden "Glaubensge-meinschaft" aufgerufen wird, wie dies die DIK versucht. Ein solcher Weg birgt das Risiko einer Ethnisierung sozio-ökonomischer Probleme.

Es sollte weiterhin den Parteien vorbehalten bleiben - und nicht einem durch die Regierung gegründeten religiösen Forum - türkischstämmige Deutsche in sozialen, ökonomischen und politischen Fragen zu repräsentieren. Diese Bürger müssen selbst die Sache in die Hand nehmen. Parteien wiederum sollten sie nicht nur als Türken oder Muslime, sondern als Mitglieder der deutschen Gesellschaft mit unter-schiedlichsten Interessen vertreten. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass die Parteien sich langsam der sich verändernden Situation anpassen. Fast alle haben inzwischen eine türkische oder muslimische Parteigruppierung, die versucht, Bürger mit Migra-tionshintergrund zu gewinnen und es gibt mittlerweile eine Handvoll gewählter Mit-glieder im Deutschen Bundestag und in den Landtagen. Dennoch ist es zu früh, die politische Partizipation unter türkischen Jugendlichen zu beurteilen, denn die erste Generation von Wahlberechtigten wird gerade erst erwachsen.

 

Die bedeutendste Herausforderung wird es sein, Gleichheit in der Bildung, Ausbil-dung und auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Staatliche Schulen entlassen auslän-dische Schüler - insbesondere türkischer Herkunft - in zunehmend prekäre Lebensla-gen. Aufgrund sprachlicher Nachteile werden türkische Schüler und Schülerinnen zweimal so oft wie Deutsche als Fälle für "Sonderschulen" eingestuft, und zur Haupt-schule, der niedrigsten Form der deutschen Schulausbildung, geschickt. Lediglich etwa 10 Prozent der SchülerInnen türkischer Herkunft besuchen ein Gymnasium, im Vergleich zu einem Drittel deutscher SchülerInnen. Sehr wenige Türken erhalten eine höhere Bildung - weniger als 25.000 von 235.989 in Deutschland lebenden türki-schen Jugendlichen im Alter von 18- bis 25 Jahren wurden zum Wintersemester 2004/2005 an deutschen Universitäten angenommen. Damit gab es sogar mehr chi-nesische Studienanfänger (27.000).

 

Die Zusammenhänge zwischen Sprachkenntnissen und Bildungserfolg, zwischen frü-her Aussortierung und beruflicher Ausgrenzung sowie ungenügender sozioökonomi-scher Integration sind offensichtlich. Doppelt so viele türkische wie deutsche Schüler verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Das spiegelt sich auch in den für Mi-grantenjugendlichen verfügbare Lehrstellenangebote wider, die den Zugang zu wirt-schaftlich lukrativen Berufen darstellen. Lediglich 25 Prozent jugendlicher Migranten erhalten eine Lehrstelle. Im Vergleich dazu liegt der Anteil junger Deutscher in einem Lehrstellenverhältnis bei 59 Prozent. Die allgemeine Arbeitslosenrate unter Türken liegt mit 25,2 Prozent doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt.

 

Deutschland hat seinen Status als Einwanderungsland akzeptiert und muss nun um  dessen Gestaltung kämpfen. Die politischen Akteure sollten sich auf praktische Pro-bleme konzentrieren, die dem sozialen Zusammenhalt abträglich sind: Politische Ent-fremdung, übereifrige Überwachung und sozioökonomische Ungleichheit. Die Zu-rückhaltung der deutschen Seite, die Türken als Minderheit zu akzeptieren und ihr Beharren, dass sie die Beziehungen zu ihrem Ursprungsland brechen, wurden oft als Gleichgültigkeit wahrgenommen. Die wiederholte Kritik von Politikern an Parallelge-sellschaften hat nicht geholfen, diese zu verhindern.

 

Die fundamentalsten Probleme türkischstämmiger Deutscher und anderer Muslime liegen in der Aberkennung bürgerlicher Rechte, sozialer Diskriminierung und dem Fehlen ökonomischer und politischer Integration - und nicht in der Religion. Wie die Regierung weiß, können eine oder zwei hochrangige Konferenzen allein den Bedarf nach einem langfristigen Prozess gegenseitiger Anerkennung und dem Aufbau einer Beziehung nicht stillen. Die Parteien und andere politische Institutionen sind die ge-eigneten Mittel, durch die ein Wandel herbeigeführt werden könnte und das wird nicht nur dazu beitragen, die Gesellschaft sicher und stabil zu halten. Ein solcher Prozess könnte Deutschland über das kommende Jahrzehnt hinaus in die Lage ver-setzen, sich mit größerem Selbstvertrauen wichtigen Themen der Außenpolitik, wie der Beziehung der EU zur Türkei und dem Friedensprozess im Nahen Osten, zuzu-wenden.

 

Der Autor, Jonathan Laurence,  ist Assistenzprofessor für Politikwissenschaften am Boston College. Aktuell forscht er am Center on the US and Europe at the Brookings Institution. Er ist Verfasser des Berichts "Islam and Identity in Germany".

 

aus: Dossier „Muslimische Vielfalt in Deutschland“ der Heinrich-Boell-Stiftung

 

2. Berlin: Senat legt neues Integrationskonzept vor

 

Berlin wird immer internationaler: Der Migrantenanteil liegt laut Statistischem Landes-amt bei fast 14 Prozent. Rund jeder Achte der 3,3 Millionen Einwohner in Berlin hat einen anderen als den deutschen Pass. Hinzu kommen tausende deutsche Staats-bürger mit Migrationshintergrund. Umso wichtiger für das Zusammenleben ist eine durchdachte Integrationspolitik. In dem neuen Integrationskonzept, das dem Tages-spiegel vorliegt, legt Rot-Rot besondere Schwerpunkte auf „Integration durch Arbeit und Ausbildung“ und auf bezirkliche Integrationspolitik. Am Dienstag will der Senat das in sieben Handlungsstrategien unterteilte Konzept mit dem Titel „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“ verabschieden.

Integration auf dem Arbeitsmarkt soll bereits während der Ausbildung durch eine ge-zielte Förderung stattfinden. So sollen neben einer modularisierten Berufsausbildung auch Teilqualifizierungen erworben werden können, im Ausland erworbene Qualifika-tionen sollen leichter anerkannt werden. Um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, sollen die bezirklichen Bündnisse für Wirtschaft und Arbeit enger mit Migrantenverei-nen zusammenarbeiten. Der Senat will sich dafür einsetzen, dass vor allem nicht-deutsche Unternehmer über Fördermittel neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaf-fen.

In der Sektion „Integration durch Bildung“ sollen „Stadtteilmütter“ für bessere Eltern-arbeit und vorschulische Integration sorgen, der kostenfreie Kitabesuch soll ausge-weitet werden, und Kitas und Schulen in der Sprachförderung sollen stärker koope-rieren. Auch der Anteil von Lehrern mit Migrationshintergrund soll erhöht werden - so steht es im Konzept. „Was aber nützt das auf dem Papier, wenn Lehrer nur befristet eingestellt werden und das Geld für weiteres Personal fehlt?“, kritisiert Hakan Tas, Migrantenvertreter im Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen.

In Bezirken mit hohem Ausländeranteil sollen Stadtteilzentren und die soziale Infra-struktur gefördert werden. Vor allem die Verwaltungen und Job-Center sollen sich „interkulturell öffnen“. Im Klartext: Es sollen mehr Mitarbeiter ausländischer Abstam-mung eingestellt werden. „Schulungen allein reichen nicht, um adäquat mit soziokul-turellen Unterschieden umgehen zu können“, sagt Tas. Doch Quotenregelungen für Migranten im öffentlichen Dienst wird es nicht geben: Solche Regelungen könnten aus jeder Einstellung einen Fall für das Arbeitsgericht machen. Ausschlaggebend bei den Bewerbungen sind Eignung und Qualifikation.

Gestärkt werden soll laut Konzept auch die „Integration durch Partizipation und Stär-kung der Zivilgesellschaft“. Der Landesbeirat fordert die Ausweitung des kommuna-len Wahlrechts und mehr Einbürgerungen. Im vergangenen Jahr sind in Berlin 8168 Ausländer eingebürgert worden. Ein eigener Punkt im Integrationskonzept sind „Inte-grationsperspektiven für Flüchtlinge“: So sollen die medizinische Grundversorgung verbessert und mehr Sprachkurse angeboten werden.

Vor zwei Jahren hatte der Senat erstmals integrationspolitische Leitlinien aufgestellt, die jedoch sehr unkonkret blieben. „Das überarbeitete Konzept ist verbindlicher, weil Ziele formuliert sind, an denen man den Ist-Stand messen kann“, sagt Susanne Kit-schun, integrationspolitische Sprecherin der SPD. Auf einem Integrationsgipfel am 22. Juni will der Senat Vertretern aus Bezirken, Verwaltungen und Migrantenvereinen die wichtigsten Handlungsfelder vorstellen.

 

aus: Der Tagesspiegel vom 04.06.2007 (von Sabine Beikler)

Link: www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/04.06.2007/3309003.asp#

 

3. Mannheim: Treffen bringt keine Annäherung zwischen Muslimen und Kirche

 

Das jüngste Treffen zwischen der evangelischen Kirche und den deutschen muslimi-schen Verbänden hat keine Verständigung über wesentliche Streitpunkte gebracht. Die vier wichtigsten Organisationen der Muslime hatten im Februar einen Gesprächs-termin mit dem EKD-Ratsvorsitzenden, dem Berliner Bischof Wolfgang Huber, aus Ärger über einen Text der Kirchenleitung zum Umgang mit den Muslimen abgesagt.

Beim Treffen am Mittwoch in der Mannheimer Yavuz-Sultan-Selim-Moschee sagte Huber, das Papier habe dem Dialog gedient und nicht geschadet. Das Mannheimer Gespräch habe mehr Substanz gehabt. Der frühere Synodenpräses der EKD und Verantwortliche für die Handreichung, Jürgen Schmude, betonte allerdings, das Pa-pier enthalte keine abschließende Beurteilung, sondern sei ein Anstoß zur Diskus-sion. Finde man ausreichend Gründe, könne es auch Änderungen geben. Der ge-meinsame „Koordinationsrat der Muslime“ hatte der Kirche in der vergangenen Wo-che vorgeworfen, sie bediene das Klischee vom gewalttätigen Islam. Auch die Beto-nung der christlichen Missionsaufgabe gleich zu Beginn des Textes konterkariere die Einladung zum Dialog.

Beim Treffen in Mannheim ging es nach Informationen des Tagesspiegels im wesent-lichen um das Thema Religionsfreiheit, konkret um die Möglichkeiten von Muslimen, zum Christentum überzutreten, ohne Repressalien ausgesetzt zu sein. Muslimische Gesprächsteilnehmer sagten, sie teilten die Sorge des EKD-Vorsitzenden Huber. Das Problem gebe es aber auch umgekehrt: Auch hierzulande komme es vor, dass sich Familien von einem Mitglied lossagten, das sich zum Islam bekenne.

Einvernehmen gab es zwischen Kirche und Muslimen, dass die Gespräche fortge-setzt würden, in Zukunft auf Einladung beider Seiten im Wechsel. Das nächste Ge-spräch auf hoher Ebene soll spätestens in einem Jahr stattfinden. Der Generalsekre-tär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zeigte sich im Gespräch mit dem Ta-gesspiegel über die offene Auseinandersetzung in Mannheim zufrieden: „Es krachte ordentlich, aber das ist auch gut so.“

 

aus: Der Tagesspiegel vom 31.05.2007 (von Andrea Dernbach)

Link: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/31.05.2007/3301388.asp

 

4. Offenbach: Äthiopische Deserteure informieren über ihr Land

 

Doch da, sagt er, herrsche ein diktatorisches Regime. Menschen wie er, die gegen den Krieg mit den Nachbarländern Somalia und Eriträa seien und friedlich für die De-mokratie kämpften, drohten Einschüchterung, Folter und Todesstrafe. Da er nicht mehr im eigenen Land gegen das Regime opponieren könne, müsse er es in Deutschland tun: "Wir sind hier sicher, aber wir müssen für unsere Landsleute käm-pfen."

Deshalb hat Beyene mit 20 weiteren Flüchtlingen aus Äthiopien im Februar in Offen-bach die "Initiative der äthiopischen KriegsgegnerInnen" gegründet (Ethiopian War Resisters' Initiative EWRI). Sie fanden sich über den bundesweiten Verein Connec-tion, der seit Jahren von Offenbach aus Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in der ganzen Welt betreut. Treffen können sich die äthiopischen Frauen und Männer in der Schlosskirchengemeinde. "Das hat in unserer Gemeinde Tradition, schon in der Weimarer Republik hat der Pfarrer Kriegsdienstverweigerer beraten, nach dem Zwei-ten Weltkrieg ebenfalls", sagt Pfarrerin Patrizia Pascalis. So sei die Unterstützung der Äthiopier für den Kirchenvorstand kein Problem.

Die wollen nicht unter sich bleiben. Zum Erntedankfest werden sie sich der Gemein-de vorstellen, mit Musik und Speisen aus ihrer Heimat - und vor allem mit Informatio-nen. Denn für Krieg, Armut und Vertreibung in Äthiopien seien die Industrienationen mit verantwortlich, sagt der Äthiopier Michael Tadesse Bruke: "Wir fordern von Deutschland und anderen: Stoppt die Waffenlieferungen, stoppt die Unterstützung der Regimes." Und für Kriegsdienstverweigerer fordern sie Asyl.

Weitere Informationen im Internet unter: www.connection-ev.de    

aus: Frankfurter Rundschau vom 01.06.07, Link:
www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/lokalnachrichten/offenbach/?em_cnt=1146904&

 

5. Rostock: Gipfel-Gegner blockieren Ausländerbehörde

Mit der Blockade der Rostocker Ausländerbehörde durch rund 500 Demonstranten hat am Montag der dritte Aktionstag gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm begon-nen. Den Plänen der Organisatoren zufolge soll zunächst das Gebäude der städti-schen Ausländerbehörde belagert werden. Grund dafür sei, dass in solchen Ämtern Flüchtlinge und Migranten "täglich schikaniert und verfolgt" würden, behaupteten die Veranstalter. Auf das Problem von Ausländern in Deutschland soll auch eine Kund-gebung vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen hinweisen. 1992 hat-ten dort Neonazis tagelang vietnamesische Flüchtlinge angegriffen.

 

aus: FR-online.de vom 04.06.2007, Link: www.fr-online.de/top_news/?sid=985e34ffd12ea7fb0b6daf710f340cd9&em_cnt=1148560

 

6. Wurzen: Judenhass in der Kinderliga - Neonazis im Osten

 

Das Albert-Kunz-Stadion im sächsischen Wurzen, ein schmuckes Städtchen in der Nähe von Leipzig. "Eine U-Bahn bauen wir, von Chemnitz bis nach Auschwitz...", skandieren etwa 30 Jugendliche aus voller Kehle. Kurz darauf eine umstrittene Ab-seitsanzeige durch den Linienrichter: "Wink' richtig, sonst ziehen wir dir die Vorhaut runter, du Jude!", rufen einige dem Assistenten der Schiedsrichterin zu. Es ist Him-melfahrtstag, die C-Jugend des "ATSV Frisch Auf Wurzen" spielt zu Hause gegen den VfB Fortuna Chemnitz.

 

"Du Fidschischwein", "Ausländerschweine", brüllt es zwei Jungen des Gastvereins, beide 14, beim Einwechseln auf dem Rasen entgegen. Sobald sie Ballkontakt haben, ertönen "affenähnliche Laute". "Du Judenschwein, fick deine Mutter, denn die ist Jü-din", muss sich der ebenfalls 14-jährige Torwart aus Chemnitz anhören. Nach der Begegnung heißt es seitens der Gastgeber: "Spielt das nicht so hoch... Solche Gesänge kommen doch bei jedem Fußballspiel vor."

 

Die Zitate stammen aus dem Sonderbericht der Leipziger Schiedsrichterin Christine Weigelt, die das Spiel leitete. Zusammen mit weiteren schriftlichen Aussagen von Zeugen liegt das Papier beim Chef der Polizeidirektion Westsachsen, Bernd Merbitz. "Aufgrund des Berichtes ermitteln wir von Amts wegen. Die Kriminalpolizei und der Staatsschutz befassen sich damit", erklärt er. Und schiebt in aller Deutlichkeit hinter-her: "Wir nehmen die Sache sehr ernst."

 

Was er nicht sagt: Nur weil Schiedsrichterassistent Henry Lickfeldt bei der Polizei anrief, hat die Sache überhaupt ein Nachspiel. "Sonst wäre der Vorfall vielleicht gar nicht bekannt geworden, wie so oft", meint Martin Endemann vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) in Hanau. Das Bündnis setzt sich für mehr Toleranz und Fair-ness unter Fußballfans aller Vereine in Deutschland ein und versucht, jegliche Form von Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen. Endemann weiß: "Schiedsrichter schauen in solchen Situationen öfters weg, um keinen Ärger zu bekommen. Diese Erfahrung haben wir über Jahre gemacht."

 

"Schon zu Spielbeginn war die Gruppe, aus der die Rufe kamen, alkoholisiert", er-zählt Schiedsrichterassistent Lickfeldt. "Braune Glasflaschen machten die Runde. In der zweiten Spielhälfte gab es eine längere Spielunterbrechung, weil es einem Zu-schauer aufgrund fehlender Ordnungskräfte gelang, mit einer Bierflasche in der Hand in die Zone der Chemnitzer Bank vorzudringen und dort Wechselspieler und den Trainerstab anzupöbeln."

 

Trotz mehrfacher Aufforderung durch die insgesamt drei Schiedsrichter hätten die Gastgeber keinen erkennbaren Ordnungsdienst gestellt. Nach dem Spiel sei es in der Schiedsrichter-Kabine zu "unglaublichen Szenen" gekommen. "Der Wurzener Schiedsrichterbetreuer Armin Häring wollte einen normalen Spielablauf gesehen haben. Zudem warnte er die Schiedsrichterin vor einem Sonderbericht. Trainer Mä-ding hat geäußert: Wenn du schon etwas schreibst, dann mach es nicht so wild, da der DFB eh gerade ganz heiß auf solche Geschichten ist." Lickfeldt pfeift seit 1986, doch so etwas habe er noch nicht erlebt. Da sei der 0:2 Erfolg für die Gäste völlige Nebensache. Noch vor Pfingsten stellte er Strafanzeige wegen Beleidigung und Nö-tigung.

 

"Kein Ordnerdienst vorhanden, rassistische Äußerungen und Feuerwerkskörperab-schuss durch Wurzener Anhänger" ist im Spielbericht unter sonstigen Vorkommnis-sen zu lesen. Für ATSV-Präsident Heiko Wandel, der nach eigenen Angaben am 17. Mai nicht auf dem Spielfeld war, stimmt der Bericht "hinten und vorne nicht". Seine Meinung: "Die Schiedsrichterin war nicht Herrin der Lage. Da wird viel reininterpre-tiert", meint er. "So was hat's bei uns noch nie gegeben. Wir werden dargestellt als die reinen Monster. Dabei haben wir selber Vietnamesen und Russen unter den Spielern und machen eine gute Jugendarbeit."

 

15 Nachwuchsmannschaften zähle der Verein, "und es mangelt an Trainern, weil sich bei uns immer mehr Jugendliche melden." Seine anfangs geschilderte Version gegenüber einer Lokalzeitung, bei den Pöblern handelte es sich "um Fremde", vertritt er jetzt nicht mehr. "Es kann schon sein, dass darunter welche aus unserer A- und B-Jugend waren, das wird sich klären."

 

Immerhin: Nach dem Match hatte sich der Vater eines Spielers beim Trainer und der Mannschaft aus Chemnitz für das Verhalten der Gastgeber entschuldigt. Präsident Wandel will nun jeden Spieler einzeln zur Rede stellen. Noch für diese Woche berief er einen Elternabend ein. Er findet, "dass sich die Eltern der Jungs, die ausfällig wur-den, an die eigene Nase fassen sollten". Schließlich seien es ihre Kinder, die unter Alkohol ins Stadion kamen. Doch sollte es sich bewahrheiten, was dort gerufen wur-de, "dann bekommen die eine gehörige Strafe, bis hin zum Rausschmiss, und Auf-baustunden oder so etwas - für die Stadt".

 

Für Harald Sather, Vorsitzender des Sächsischen Schiedsrichterausschusses und Präsident des Muldentaler Fußballvereins steht fest: "Das muss aufgeklärt werden." Derartige Pöbeleien seien "unterste Schublade". Und natürlich sollte man die auslän-dischen Spieler respektieren. Sather: "Wer ahnt denn, dass bei einem C-Jugend-Spiel so etwas passiert?"

 

Dass es um eine Partie von 12- bis 14-Jährigen geht, gibt dem Vorfall in der Tat eine neue Qualität. Bei Spielen der Herren hatte es in Sachsen zuletzt mehrfach Ärger wegen Randale und Pöbeleien rechtsextremer Fans gegeben. Zuletzt hatte der säch-sische Fußballverband (SFV) im Februar auf schwere Ausschreitungen in den Ama-teurligen des Freistaates reagiert und einen ganzen Spieltag - insgesamt 60 Partien - der Sachsenliga und im Kreis Leipzig kurzerhand abgesagt. Auch in Wurzen gab es schon Übergriffe auf Gästefans.

 

Aber auch der Rassismus auf den Jugendplätzen wird nicht länger totgeschwiegen. Bereits kurz nach dem Vorfall ließ das Sportgericht des SFV einen Spieler des ATSV Frisch Auf Wurzen bis zur Verhandlung sperren. Ihm werden rassistische Äußerun-gen gegenüber einem vietnamesischen Spieler vom Chemnitzer Verein vorgeworfen. Präsident Wandel hat dafür kein Verständnis. "Das geht zu weit", sagt Wandel, "über ihn halte ich meine Hand. Er hat mir glaubhaft versichert, dass da nichts war." Der Verein werde die Einspruchsfrist nutzen, um gegen die einstweilige Verfügung des Sportgerichtes vorzugehen. "Die Deutschen darf man beschimpfen", kommentiert Wandel den Vorgang, "aber bei einem Vietnamesen wird so was hochgespielt."

 

Der junge Vietnamese, um den es geht, erhielt nach dem Spiel eine Rote Karte. Er hatte den Gegenspieler, der ihn beleidigt haben soll, nach Spielende gestoßen. "Ich möchte mich für diese Aktion entschuldigen", schrieb er an den Sächsischen Fuß-ballverband, "aber solche Ausdrücke lasse ich mir nicht gefallen."

 

Er und ein weiterer vietnamesischer Junge kicken in Chemnitz, in der Stadt, in der Michael Ballack spielerisch groß geworden ist. Sie sind völlig integriert, sprechen akzentfrei deutsch, sind hier geboren und aufgewachsen. Ihr Trainer Dirk Radomski ist gleichzeitig der Vizepräsident des VfB Fortuna Chemnitz. "Meiner Meinung nach ist aus der guten Idee des ATSV Frisch Auf Wurzen, zur Unterstützung ihrer Mann-schaft auch Spieler anderer Altersklassen zu mobilisieren, ein Desaster geworden", sagt er. "Man war seitens des Heimatvereins auf solche Vorkommnisse nicht vorbe-reitet."

 

Wurzen ist eine Kleinstadt bei Leipzig, etwa 15.000 Einwohner, rund 1700 Arbeitslo-se. Der beschauliche Ort im Muldentalkreis ist bekannt für seine Kekse, den Dichter Ringelnatz - und für Neonazismus und Antisemitismus in vielfältiger Form. Vor Jah-ren machte Wurzen als Neonazihochburg Schlagzeilen, in den Neunzigern jagten Skinheads portugiesische Arbeiter, rechtsextreme Schläger überfielen ein Asylbewer-berheim. In der Stadt ist ein Versandhandel für Musik und Kleidung mit Zielgruppe ganz rechts außen beheimatet. Im Stadtrat und im Kreistag sitzen Funktionäre der NPD, denen Landrat Gerhard Gey (CDU) Ende April mit einer Abordnung der "volks-treuen" Jugend eine Audienz zum Thema Jugendarbeit gewährte.

 

Dafür erntete er Kritik, selbst aus seiner eigenen Partei. Wurzens OB Jürgen Schmidt (CDU) wollte sich zu den Vorgängen um das Spiel nicht äußern. Er müsse sich erst schlau machen, sagte er vor Pfingsten am Telefon. Nach einer internen Vereinssit-zung schwieg er gegenüber der Presse. Schmidt ist Vizepräsident des ATSV Frisch Auf Wurzen.

 

aus: SPIEGEL ONLINE vom 31.05.2007 (von Heike Baldauf)

Link: www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,485723,00.html

 

7. EU-Journalistenpreis „Für Vielfalt - gegen Diskriminierung“ an Fabrizio Gatti

 

Der EU-Journalistenpreis „Für Vielfalt - gegen Diskriminierung“ für das Jahr 2006 wurde Mitte April verliehen. Der erste Preis – eine Reise im Wert von 4.500 Euro - gewann der Italiener Fabrizio Gatti für seine Reportage „Ich war ein Sklave in Apuli-en“, die im Espresso Magazine erschienen war. Darin schildert er die schwierige Si-tuation von ausländischen Arbeitern in Süditalien.

 

Der zweite Preis ging an den ungarischen Journalisten Miklós Hargitai, der dritte an die belgische Journalistin Petra Sjouwerman. Mit dem Preis werden Arbeiten hono-riert, die zu einem besseren Verständnis von Vielfalt beitragen und Diskriminierung aufdecken.

 

aus: "Forum Migration Juni 2007",  www.migration-online.de/beitrag.html?id=5340

 

8. Frankreich: Die unsichtbaren Minderheiten

Laurent Joffrin beobachtet den Wahlkampf für die französische Nationalversammlung und stellt in der Tageszeitung LIBÉRATION fest, dass "nur in einigen wenigen Aus-nahmen 'sichtbare Minderheiten' ins Parlament kommen werden. Gewiss haben sich die Parteien mehr als gewöhnlich bemüht, Vertreter der verschiedenen 'Communities' aufzustellen. Aber nur selten auf einem Platz, auf dem sie auch gewählt werden kön-nen... Kandidaten mit Migrationshintergrund sind bekanntermaßen auch Arbeiter oder Angestellte. Die Diskriminierung betrifft nicht nur die ethnische Herkunft, son-dern auch die soziale. Anders gesagt: Die eiskalten Mechanismen, die den Aufstieg der Minderheiten bremsen, sind zu stark, als dass sie durch bloße Wachsamkeit der Bürger überwunden werden könnten. Es gab kaum Frauen in der politischen Klasse, bevor man sich nicht auf das Wort Gleichstellung geeinigt hatte. Brauchen wir ver-pflichtende Regeln, um die Diversität der Abgeordneten sicher zu stellen? Darüber sollte man reden."

 

Link zum Artikel (franz.): www.libe.fr/actualite/politiques/legislative/258204.FR.php

aus: euro|topics-newsletter vom 04.06.2007

 

9. Malta: Fische sind wertvoller als Flüchtlinge

 

Die Geschichte der fehlenden Solidarität der EU gegenüber afrikanischen Flüchtlin-gen ist um ein düsteres Kapitel reicher geworden. Der Inselstaat Malta, südlichstes EU-Mitglied, hat sich in den letzten Wochen mehrmals geweigert, schiffbrüchige Flüchtlinge aufzunehmen. Jetzt kam es gar zu einem Flüchtlingsdrama mit Toten.

 

Das französische Kriegsschiff "Motte-Picquet" zog am Wochenende die Leichen von 21 Flüchtlingen aus dem Mittelmeer. Selbst tot durften sie in Malta nicht an Land. Die Regierung in Valletta verbot den Franzosen die Einfahrt in den Hafen.

 

Das junge EU-Mitglied war in den letzten zwei Wochen im Mittelmeerraum immer wieder negativ in die Schlagzeilen geraten. Vor etwas mehr als einer Woche weigerte sich ein maltesisches Fischerschiff, 27 afrikanische Flüchtlinge aufzunehmen, deren Boot untergegangen war. Die Betroffenen überlebten nur, indem sie sich auf das Schleppnetz der Malteser retteten und sich daran festklammerten. Drei Tage trieben sie auf dem Wasser, während Malta und Libyen darüber stritten, wer denn nun zu-ständig sei. Letztendlich zeigte ein italienisches Schiff Erbarmen und nahm die 27 an Bord.

 

Der Besatzung eines anderen Flüchtlingsboot erging es etwas besser. Als die 26 vor Malta kenterten, war der spanischen Thunfischfänger "Montfalcó" in unmittelbarer Nähe. Er nahm die Schiffbrüchigen auf. Auch in diesem Falle weigerten sich sowohl die maltesische als auch die libysche Regierung, die Flüchtlinge an Land zu lassen. Das völlig überfüllte Fischereiboot, auf dem normalerweise Platz für acht Mann ist, musste auf die spanische Küstenwache warten. Deren Boot "Clara Campoamor" brachte die 26 nach Spanien.

 

Am vergangenen Samstag, einen Tag nach dem die Franzosen die ersten Leichen geborgen hatten, geriet ein weiteres Flüchtlingsboot 135 Kilometer vor Malta in See-not. Dieses Mal zeigte die maltesische Wasserschutzpolizei Einsicht. Sie retteten die 29 Flüchtlinge - 26 Männer, eine Frau und zwei Babys.

 

Für die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl zeigen diese Fälle "die zunehmende Entmenschlichung der EU-Politik". Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hatte nur we-nige Tage vor den Vorfällen angekündigt, dass die Mittelmeeranrainer enger zusam-menarbeiten würden, um die Südgrenze der EU abzuschirmen. Diese Koordination habe "im konkreten Fall nicht sehr gut funktioniert", musste EU-Justizkommissar Franco Frattini jetzt eingestehen. Frattini mahnt, jedes Schiff müsse Leben retten. "Dazu besteht nicht nur eine moralische Verpflichtung sondern auch eine juristische." Direkte Kritik am Verhalten der maltesischen Regierung übte der EU-Kommissar allerdings nicht.

aus: taz vom 04.06.2007 (Bericht Reiner Wandler)

Link: www.taz.de/dx/2007/06/04/a0103.1/text

 

10. Marokko: Reform des Staatsangehörigkeitsrechts stärkt Frauenrechte

 

Das vor kurzem ratifizierte neue marokkanische Staatsangehörigkeitsrecht erlöst Amal Zaytun, Khalid al-Dambari und viele andere Marokkaner von Problemen, die ihnen durch die bisher geltende Fassung des Gesetzes bereitet wurden.

 

Die Marokkanerin Amal Zaytun ist mit einem Ausländer verheiratet und kämpft seit sieben Jahre dafür, dass ihre Kinder die marokkanische Staatsangehörigkeit erhal-ten. "Wir leben in Marrakesch", erklärt Amal, "mein Sohn fühlt sich als Marokkaner, aber trotzdem muss er jedes Jahr seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern."

 

Khalid al-Dambari hingegen hat eine marokkanische Mutter und einen algerischen Vater. Er lebt seit 40 Jahren in Marokko und ist durch und durch Marokkaner. Weil sein Vater jedoch Algerier ist, befindet al-Dambari sich in einer zwicklichen Lage: "Ich lebe als Marokkaner und als Algerier, aber ich kann nicht als Marokkaner wählen. Mein Sohn hat dasselbe Problem, denn ich bin mit einer Marokkanerin verheiratet. Aber dank der Gesetzesreform wird sich das nun ändern."

 

Die Änderung von Paragraph 6 des marokkanischen Staatsangehörigkeitsrechts ist der Kern der jetzigen Reform. Er besagt, dass die Staatsangehörigkeit nun nicht mehr lediglich an die Abstammung (und damit an die Nationalität des Vaters) gebun-den ist, sondern dass ebenso die Staatsangehörigkeit der Mutter berücksichtigt wird. Damit hat die marokkanische Frau nun auch das Recht, ihre Staatsangehörigkeit auf ihre Kinder zu übertragen.

 

Die Kinder einer marokkanischen Mutter sind nun von Geburt an automatisch Marok-kaner, egal, ob sie im In- oder im Ausland geboren werden. Im Wortlaut des neuen Paragraphen heißt es, dass "derjenige als Marokkaner betrachtet wird, der von ei-nem marokkanischen Vater oder einer marokkanischen Mutter abstammt."

 

"Das aus einer gemischten Ehe stammende Kind wird als Marokkaner betrachtet, wenn die Mutter Marokkanerin ist, und es muss sich zwischen dem 18. und 20. Le-bensjahr entscheiden, die Staatsangehörigkeit wessen Elternteils es behalten will. Hat jedoch die Mutter eine Entscheidung für ihr Kind getroffen, bevor dieses die Volljährigkeit erreicht, kann es mit der Volljährigkeit und bis zu seinem 21. Lebens-jahr die Wiedererlangung der marokkanischen Staatsbürgerschaft einfordern."

 

Der marokkanische Justizminister Mohamed Bouzoubaa kommentierte das Gesetz mit den Worten: "Das Gesetz ist ein neuer Baustein auf dem Weg des Aufbaus des neuen demokratischen Marokko, das Mann und Frau auch nach einer Heirat als gleichberechtigte, voneinander unabhängige Personen behandelt. Beide behalten ihre uneingeschränkte Staatsangehörigkeit und übertragen sie gleichberechtigt auf ihre Kinder."

 

In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass sei dem Jahr 1958, in dem das Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft trat, bis 2006 lediglich 6228 Anträgen auf Er-langung der marokkanischen Staatsbürgerschaft stattgegeben wurde, davon 131 aufgrund königlicher Anordnung, 1152 aufgrund ministerieller Anordnung und 4945 aufgrund der Entscheidungen eines Sonderausschusses.

 

Es wird erwartet, dass zunächst einige bereits vorliegende Anträge geprüft werden, nach Angaben des marokkanischen Justizministeriums sind es 477, die dem Minis-terrat vorgelegt werden, dessen Vorsitz König Muhammad VI. hat. 176 Anträge wer-den vom Regierungsrat und weitere 529 vom Sonderausschuss bearbeitet.

 

Insbesondere Probleme im Zusammenhang mit der Einschulung und der Erlangung behördlicher Dokumente vieler marokkanischer Familien im In- und Ausland wird das reformierte Gesetz nun lösen. Außerdem stärkt es die Position der Organisationen, die sich für die Rechte der marokkanischen Frauen einsetzen.

 

Ebenso wird damit den internationalen Abkommen und Konventionen entsprochen, zu deren Einhaltung Marokko sich verpflichtet hat, insbesondere der Internationalen Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen Abkommen über bürgerliche und politische Rechte, dem Abkommen zur Abschaffung aller Arten der Diskriminie-rung von Frauen sowie der Internationalen Kinderrechtskonvention.

 

Darüber hinaus wird es die Errungenschaften des neuen Personenstandsgesetzes (Mudawwana), namentlich die Gleichstellung von Mann und Frau hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten, stärken.

 

aus: Qantara.de vom 02.06.2007 (von Mohamed Massad, aus dem Arabischen von Stefanie Gsell), www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-469/_nr-698/i.html

 

11. Niederlande: Abgelehnte Asylbewerber dürfen doch bleiben

Die Niederlande gewähren 25 000 abgelehnten Asylbewerbern Bleiberecht. Die Re-gierung von Ministerpräsident Jan Peter Balkenende verabschiedete eine entspre-chende Regelung für Ausländer, die vor April 2001 ins Land kamen und trotz eines zurückgewiesenen Asylantrags blieben. Damit rückt die Koalition aus Christdemokra-ten, Sozialdemokraten und Christlicher Union vom harten Kurs der Vorgängerregie-rung ab.

 

Unter der früheren Einwanderungsministerin Rita Verdonk mussten 11 000 abgelehn-te Asylbewerber das Land verlassen. Ihre rechtsliberale Partei VVD gehört nach ho-hen Verlusten bei der Parlamentswahl Ende vergangenen Jahres der Regierung nicht mehr an.

 

aus: Frankfurter Rundschau vom 29.05.2007

Link: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=1144417&sid= c30f5291236a37eb79cbdae3aacf0abd   

 

12. Schweiz: Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt positiven Effekt
 
In einem gestern vorgelegten Bericht

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