Text: F.A.Z., 04.08.2008, Nr. 180 / Seite 6 im Gespräch Prälat Karl Jüsten
"Die Christen können sich ihres Lebens kaum sicher sein" Seit langem setzen sich die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland für die Aufnahme besonders schutzbedürftiger irakischer Flüchtlinge in Deutschland ein. Vor allem in der CDU regt sich Widerstand gegen dieses Ansinnen, wie Karl Jüsten erfahren hat, der in Berlin als Leiter des "Kommissariats der deutschen Bischöfe" die Deutsche Bischofskonferenz gegenüber Regierung und Parlament repräsentiert.
FRAGE: Prälat Jüste, Flucht und Vertreibung aus dem Irak stellen nach dem Urteil des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) die "schwerwiegendste Vertreibung im Nahen Osten seit 1948" dar. Die Zahl der Binnenflüchtlinge gibt das UNHCR mit 2,7 Millionen an, 2,2 Millionen Iraker sollen in die Nachbarländer geflohen sein, vorwiegend nach Syrien und Jordanien, darunter ein Großteil der einst 1,4 Millionen zählenden christlichen Minderheit.
ANTWORT: Der Heilige Stuhl und alle, die mit der irakischen Kirche zur Zeit von Saddam Hussein in Verbindung standen, hatten diese Form von Flucht und Vertreibung vorhergesehen. Das war einer der Gründe, weshalb die katholische Kirche den Krieg gegen den Irak vehement abgelehnt hat. FRAGE: Die Christen stellen eigentlich die Urbevölkerung im Irak dar, auch wenn sie seit Jahrhunderten in der Minderheit sind. Allerdings wurden sie trotz ihrer geringen Zahl stets hoch geachtet, nicht zuletzt wegen ihrer überdurchschnittlichen Bildung. ANTWORT: Man kann nicht sagen, dass die Christen Opfer staatlicher Verfolgung geworden sind. Mittlerweile ist eingetroffen, was zu befürchten war: Die Christen sind zwischen die Fronten von Schiiten und Sunniten geraten, ohne dass die Regierung in der Lage war, die Christen zu schützen. Dem irakischen Ministerpräsidenten ist abzunehmen, dass er kein Interesse an einem Exodus der Christen aus dem Irak hat. Er möchte sie für den Wiederaufbau des Landes gewinnen. FRAGE: Vor einem Jahr hat die Deutsche Bischofskonferenz im Zuge ihrer Initiative für verfolgte Christen auf das Schicksal der wegen ihrer Religionszugehörigkeit verfolgten Minderheiten im Irak aufmerksam gemacht. Schon damals waren die meisten der einst 7000 christlichen Familien aus dem mehrheitlich schiitischen Basra geflohen oder vertrieben worden. ANTWORT: Die irakischen Bischöfe sagen uns, dass die Lage von Region zu Region und selbst von Ort zu Ort verschieden ist. Viele Christen sind in den kurdisch dominierten Norden des Landes geflohen, in Bagdad sind mittlerweile viele Kirchen geschlossen, aus den südlichen Provinzen wird von einer vorsichtigen Rückkehrbewegung von Christen berichtet. FRAGE: Pfarrer Peter Patto, der Repräsentant der irakischen Christen in Deutschland, sprach vor Jahresfrist davon, dass die Haltung der Muslime gegenüber den Christen "unberechenbar" sei. ANTWORT: Diese Beschreibung trifft nach wie vor zu. Die Zahl der Entführungen scheint kaum rückläufig zu sein, aber auch im Norden kann ein Christ kaum seines Lebens sicher sein. Ende Februar wurde der Bischof von Mossul entführt und später - wie zuvor seine drei Begleiter - ermordet. FRAGE: Im April erkannte Bundesinnenminister Schäuble (CDU) eine "dramatische Situation" und stellte die Aufnahme irakischer Flüchtlinge in Deutschland ähnlich der Aufnahme vietnamesischer Boat-People in den siebziger Jahren in Aussicht. ANTWORT: Die Kirchen haben den Einsatz von Innenminister Schäuble zugunsten der Christen im Irak sehr begrüßt. Allerdings haben der Heilige Stuhl und die Kirchen in Deutschland immer wieder darauf hingewiesen, dass alles getan werden muss, damit möglichst viele Christen im Irak bleiben. Wir wollten keine Anreize zur Auswanderung schaffen und dadurch die Minderheit noch weiter dezimieren. Daran kann im Westen niemandem gelegen sein. FRAGE: Unter den Innen- und Justizministern der EU fand Schäuble - wie zuvor sein schwedischer Kollege mit einem ähnlichen Anliegen - wenig Unterstützung. Auch mehrere Innenminister CDU-geführter Bundesländer äußerten sich ablehnend. ANTWORT: Schäuble hatte eine Initiative aus dem Deutschen Bundestag aufgegriffen, die vor allem aus der CDU/CDU-Fraktion kam. Auf Seiten der CDU-geführten Länder regte sich schnell Widerstand, vor allem in Niedersachsen und Hessen. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, dass beide Länder - etwa im Unterschied zu dem von SPD und Linkspartei regierten Berlin - das Vorhaben kategorisch ablehnen würden. FRAGE: Der niedersächsische Innenminister Schünemann (CDU) befürchtet, dass islamische Terroristen sich als christliche Flüchtlinge ausgeben und auf diesem Weg nach Deutschland kommen könnten. ANTWORT: Wenn es diese Gefahr gäbe, würden Länder wie die Vereinigten Staaten, Australien und Schweden ANTWORT: wohl kaum irakische Flüchtlinge in großer Zahl aufnehmen. Allerdings scheinen sich gewisse Kreise in der Christlich-Demokratischen Union noch immer mit dem Thema Verantwortung für Flüchtlinge schwerzutun. FRAGE: Warum geben sich die Kirchen nicht damit zufrieden, dass die Bundesrepublik allein in diesem Jahr mehrere tausend Iraker als Asylbewerber anerkannt hat? ANTWORT: Wer als Asylbewerber nach Deutschland kommt, muss in der Regel die Dienste von Schleusern in Anspruch nehmen oder wenigstens illegal einreisen. Das kann niemand wollen. Außerdem haben Asylbewerber weniger Rechte als Kontingentflüchtlinge. Jene haben keine Arbeitserlaubnis und keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen. Der Flüchtlingsstatus ist sowohl für den Flüchtling wie für die deutsche Gesellschaft besser. FRAGE: Das UNHCR präferiert bis heute die Auswanderung ohne Rückkehroption (resettlement). Die Bundesregierung warb zunächst für die Aufnahme eines Kontingents von Flüchtlingen mit der Option auf Rückkehr. ANTWORT: Das entspricht bis heute der Haltung der Kirchen. Sobald die Situation im Land so ist, dass Leib und Leben von Mitgliedern religiöser und ethnischer Minderheiten nicht mehr in Gefahr sind, sollen die Flüchtlinge in den Irak zurückkehren können. ANTWORT: Realistischerweise muss man aber sehen, dass die meisten, die ihre Heimat verlassen haben, nicht mehr zurückkehren wollen. Viele Familien, die in die Nachbarländer geflohen sind, waren Opfer von Entführungen oder wurden von islamischen Milizen vertrieben. Sie wollen nicht, sie können gegenwärtig nicht in ihre Heimat zurück. FRAGE: Die Kosten, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbunden sind, gehen in der Regel zu Lasten der Länder. Welchen Beitrag wollen die Kirchen leisten, um die Not der Flüchtlinge zu lindern und um die öffentlichen Etats zu entlasten? ANTWORT: Die katholische Caritas und die evangelische Diakonie haben viel Erfahrung in der Betreuung von Flüchtlingen - von der Aufnahme in Kirchengemeinden über Sprachförderung und Jugendintegration bis zu psychologischer Beratung. An neuen Parallelgesellschaften hat niemand ein Interesse. FRAGE: Ende Juli sah auch Innenminister Schäuble keinen Grund mehr, auf die sofortige Aufnahme von Flüchtlingen in der EU oder - im Vorgriff auf eine europäische Lösung - in Deutschland zu dringen. Woher der Sinneswandel? ANTWORT: Der irakische Ministerpräsident Maliki hatte während seines Besuchs bei Bundeskanzlerin Merkel in Berlin gute Stimmung für deutsche und internationale Investitionen in seinem Land zu machen versucht. Das ist sein gutes Recht und auch seine Pflicht. Aber Malikis Behauptung, Christen drohe in seinem Land keine Gefahr mehr, muss man deswegen noch nicht für bare Münze nehmen. Den Rückzieher der Bundesregierung kann ich bei aller Würdigung des Bemühens, der irakischen Regierung entgegenzukommen und die deutsche Wirtschaft zu fördern, nicht gutheißen. FRAGE: Was wird aus den irakischen Flüchtlingen? ANTWORT: Wenn das Land wirklich so sicher ist, wie Maliki behauptet, dann würden wir es außerordentlich begrüßen, wenn die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Diese Garantie kann gegenwärtig niemand geben. Deswegen pochen die Kirchen in Deutschland in Übereinstimmung mit dem Heiligen Stuhl weiterhin auf eine Kontingentlösung für irakische Flüchtlinge. Ich bin sicher, dass sich die deutschen Innenminister auf eine faire Lastenteilung zwischen Bund und Ländern sowie untereinander einigen könnten, wenn sie es wollten. Nach den Parlamentsferien werden sich auch die Fraktionen des Bundestages dieses Themas nochmals annehmen. FRAGE: Wie viele Flüchtlinge sollen nach Ansicht der Kirchen in Deutschland vorübergehend Heimat finden? ANTWORT: Wir haben uns nicht festgelegt, sondern vertrauen darauf, daß sich alle Modalitäten im Fall des Falles mit dem UNHCR schnell klären werden. Das Gespräch führte Daniel Deckers.
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