Die Kemalisten kannten keine Kurden, Erdogan kennt nur Muslime - und der US Regierung fällt zu allem gar nichts mehr Die muslimische Karte Die türkische Regierung will die Kurdenprobleme mit dem Mittel der Religion lösen - und weiteren Militäreinsätzen. Dabei hilft ihr ein gestiegenes Ansehen bei der US-Regierung Die Prognose bedarf keiner besonderen politischen Weitsicht, daß auch 2008 die Kurdenfrage eines der beherrschenden Themen in der Türkei sein wird. Zwar hat die Armee sich in den ersten Tagen des neuen Jahres mit Angriffen auf die PKK im Nordirak zurückgehalten, doch das bedeutet keineswegs, daß die Operation beendet ist. Im Gegenteil, geht es nach den Erwartungen großer Teile der Bevölkerung, waren die bisherigen Militärschläge eher der Auftakt denn das Ende der Aktion. Der Bombenanschlag in Diyarbakir vor zwei Tagen und mehrere kleinere Attentate in Istanbul und Izmir verstärken diesen Eindruck. Die Behörden fürchten, daß die PKK ihre Drohung, den Krieg in die Städte zu tragen, jetzt wahr machen wird. Doch erst einmal werden vorläufige Bilanzen präsentiert, die sich grundsätzlich unterscheiden: Laut türkischer Militärführung sind bei den Luftangriffen, die seit dem 16. Dezember gegen angebliche Stellungen der PKK geflogen wurden, mindestens 150 Guerilleros getötet und das Hauptquartier der PKK in den irakischen Kandil-Bergen zerstört worden. Die PKK, so Generalstabschef Yasar Büyükanit, wisse nun, daß es für sie keinen sicheren Platz mehr gibt. Das sei der entscheidende Moment für die Kriegsführung. Nach Angaben der PKK sind dagegen lediglich 5 Kämpfer getötet und einige weitere verletzt worden. Statt Stellungen der Guerilla hätten die türkischen Kampfflugzeuge Dörfer irakischer Kurden bombardiert, Zivilisten getötet und tausende in die Flucht gezwungen. Die türkische Regierung bestreitet das und wird indirekt von der nordirakischen Autonomieregierung bestätigt. Sie kritisierte die Luftangriffe zunächst heftig, verstummte dann aber. Die PKK hat deshalb die Führer der nordirakischen Kurden heftig kritisiert. Sie wirft Nordiraks Politikern vor, sie würden Augen, Ohren und Mund schließen und so tun, als sei nichts gewesen. Sie würden mit dieser Haltung die gesamtkurdischen Interessen verraten, in der Hoffnung, ihr eigenes südkurdisches Autonomiegebiet zu retten. In der Tat ist dies die wichtigste Veränderung der Kräfteverhältnisse in den letzten Monaten. Die beiden entscheidenden Figuren der irakischen Kurden, der derzeitige irakische Staatspräsident Dschalal Talabani und sein ewiger Konkurrent, der derzeitige Präsident des kurdischen Autonomiegebietes Massud Barsani, haben schmerzhaft feststellen müssen, daß die USA sie im Konflikt mit der Türkei nicht mehr bedingungslos unterstützen. Der Schwenk der gesamten US-Administration von Präsident Bush über das Außenministerium bis hin zum Pentagon muß die beiden Kurdenführer alarmiert haben. Das Barsani zu den türkischen Angriffen schweigt, hängt mit einem deutlichen Signal aus Washington zusammen. Zwei Tage nach dem Auftakt der türkischen Luftangriffe schwebte Condoleezza Rice überraschend in Kirkuk ein, um dort über eine Verschiebung eines Referendums, in dem über die Zugehörigkeit der Stadt und ihrer Ölfelder zum kurdischen Autonomiegebiet abgestimmt werden soll, zu verhandeln. Aus Protest weigerte sich Barsani, mit der US-Außenministerin zusammenzutreffen. Doch es nutzte nichts. Das Referendum wurde verschoben, und die türkischen Luftangriffe gingen mit Unterstützung der USA weiter. Die Kurden verlieren in Washington an Gewicht. Seit die Lage in Bagdad und einigen sunnitischen Provinzen sich langsam bessert, ist von einer Teilung des Irak und einem Rückzug der US-Truppen in den Nordirak, den einzigen Landesteil, in dem sie willkommen sind, keine Rede mehr. Stattdessen gewinnt die logistische Unterstützung durch die Türkei an Gewicht. Um dies zu unterstreichen, hat Bush nach seinem Treffen mit Ministerpräsident Tayyip Erdogan nun Präsident Abdullah Gül zu einem Treffen am kommenden Dienstag eingeladen. In Ankara ist man mit dieser Entwicklung sehr zufrieden. Dank der klugen "präventiven türkischen Diplomatie", wie die linksliberale Radikal schrieb, sei die Militäroperation nicht nur von den USA unterstützt, sondern von Europa und den arabischen Ländern auch kaum kritisiert worden. Allerdings gibt es neben den Schulterklopfern auch Stimmen, die mit bohrenden Fragen die allgemeine Selbstzufriedenheit stören. Yavuz Baydar, ein Kolumnist der regierungsnahen Zeitung Zaman, schrieb unlängst: Wir haben den Stock gesehen, wo bleibt die Karotte? Was bislang aus Ankara über eine erweiterte Amnestie für PKK-Leute oder auch ein neues ökonomisches Paket für den Südosten zu hören sei, wäre völlig unbefriedigend. Es gehe darum, so Yavuz, daß die Kurden endlich über ihre kulturellen und politischen Rechte verhandeln wollen. Nur wenn die Kurden in diesen Erwartungen ernst genommen würden, könne man die PKK letztlich besiegen. Doch genau danach sieht es derzeit wieder nicht aus. Parallel zu den Angriffen auf die PKK im Nordirak wird die politische Vertretung der kurdischen Nationalbewegung, die DTP, massiv unter Druck gesetzt. Der Parteivorsitzende Nurettin Demirtas wurde wegen nicht geleistetem Militärdienst einkassiert und sitzt nun im Arrest, bis er in der Armee antreten muß. Im Knast hätte er sicher größere Überlebenschancen. Der Generalstaatsanwalt hat beim Verfassungsgericht ein Verbot der Partei beantragt, und gegen etliche Funktionäre der Partei laufen bereits Strafverfahren, in der Regel wegen Unterstützung der PKK. Auch wenn Ministerpräsident Erdogan sich öffentlich gegen ein Verbot der DTP ausgesprochen hat, ist doch in den wenigen Monaten, seit das Parlament sich im Herbst erstmals mit einer kurdischen Fraktion konstituierte, klar geworden, daß die regierende AKP gar nicht daran denkt, mit der DTP gemeinsam die kurdische Frage anzugehen. Erdogan und seine Partei wollen der DTP und letztlich auch der PKK das Wasser abgraben, indem sie die muslimische Karte ausspielen. Kurden oder Türken, was solls, in erster Linie sind wir doch alle Muslime. Mit dieser Propaganda war die AKP schon bei den Parlamentswahlen im Juli bemerkenswert erfolgreich. Sie konnte bei der überwiegend sehr konservativen und religiösen kurdischen Bevölkerung bereits genauso viele Stimmen einsammeln wie die explizit national-kurdische linke DTP. Dieser Erfolg soll bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2009 komplett gemacht werden. Das Ziel der AKP ist es, in allen großen kurdisch bewohnten Städten die Bürgermeister zu stellen. Darauf wird die Kurdenpolitik in diesem Jahr abgestellt. Mögliche Amnestieangebote, soziale Verbesserungen, vielleicht noch einige freundliche Formulierungen in einer neuen Verfassung, die dieses Jahr verabschiedet werden soll, dienen dem Ziel, in den kurdischen Gebieten die Mehrheit zu erringen. Das ist zwar besser als die stupende Repression der letzten Jahrzehnte. Aber Religion als Opium zur Linderung ethnischer Wunden wird sich genauso als Irrweg der Geschichte erweisen wie die erzwungene Assimilation früherer Jahre.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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