Mehr Haft bei weniger Kontrolle? Ein Gesetzentwurf zur Reform des Familienrechts droht den Rechtsschutz im Freiheitsentziehungsverfahren zu verschlechtern PRO ASYL warnt Parlamentarier: OLG als dritte Instanz nicht abschaffen Was hat ein Gesetzentwurf zur Reform des Familienrechts mit Freiheitsentziehung und Abschiebungshaft zu tun? Einiges, denn in einem aktuell im Bundestag beratenen Gesetzentwurf zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) verbergen sich Neuregelungen, die im Freiheitsentziehungsverfahren drastische Verschlechterungen mit sich bringen würden. Das als Bundestagsdrucksache 16/6308 vorliegende Artikelgesetz führt zu mehr Haft bei weniger Kontrolle. Folge eines solchen Gesetzes wäre, dass in vielen Fällen unrechtmäßige Inhaftierungen unkontrolliert und richterlich unbeanstandet blieben. Darauf hat PRO ASYL die Abgeordneten der zuständigen Bundestagsausschüsse jetzt in einem Schreiben hingewiesen. Der Gesetzentwurf sieht vor, für alle Zuständigkeitsbereiche der sogenannten Freiwilligen Gerichtsbarkeit den Rechtsweg zu verkürzen. Die bisher ohne besondere Voraussetzungen zulässige Beschwerde zum Oberlandesgericht soll wegfallen. Dramatisch wäre dies insbesondere in Freiheitsentziehungs- und Abschiebungshaftverfahren, wo es in der Praxis zu einem drastischen Abbau des Rechtsschutzes käme. Immer wieder zeigt sich, dass fundamentale Rechte von den Amts- und Landgerichten keineswegs selbstverständlich beachtet werden. In vielen Fällen war das Oberlandesgericht die Instanz, in der bisher die fehlerhafte Rechtsanwendung korrigiert und der Einzelfallgerechtigkeit Bahn gebrochen wurde. Nach Schätzung von Anwälten ist etwa ein Drittel der Abschiebungshaftanordnungen der Amtsgerichte unrechtmäßig. Die Fehler sind vielfältig: Haftanträge von unzuständigen Behörden, unterbliebene Anhörungen der Betroffenen oder der Ehepartner, Haftanordnungen von unzuständigen Gerichten, massive Verstöße gegen den Beschleunigungsgrundsatz, gelegentlich sogar die Inhaftierung von Menschen, die gar nicht ausreisepflichtig sind. Die Kritik kommt keineswegs nur von den Anwälten. Dr. Stephan Beichel-Benedetti, Richter am Amtsgericht Rottweil und zeitweilig wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht, hat erst vor kurzem in einem Fachaufsatz darauf hingewiesen, „dass nicht etwa ‚innovative’ Fortentwicklungen des Verfassungsrechts ursächlich für den Erfolg von Verfassungsbeschwerden gegen die Anordnung von Abschiebungshaft waren, sondern die schlichte Missachtung unumstrittener grundrechtlicher Regeln und Rechte, die dazu noch keineswegs schwer zu verstehen und zu beachten gewesen wären.“ Als Beispiele führt er auf: · „Ausländerbehörden lassen Ausländer – in der rechtsirrigen Annahme hierzu berechtigt zu sein – regelmäßig ohne vorherige richterliche Haftanordnung festnehmen und missachten hierdurch den Richtervorbehalt ...“
· „Gerichte begnügen sich im weiteren bei der Beurteilung teilweise erschreckend begründungsarmer Haftanträge mit bloßen Schlüssigkeitsprüfungen; die Beiziehung der Ausländerakten, die im Regelfall erst die Grundlage für eine sachangemessene und unabhängige richterliche Prüfung des Sachverhalts ermöglichen würden, wird erst gar nicht erwogen.“ Wie auch Sachverständige in dieser Woche bei der Anhörung zum Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Bundestages befürchtet Beichel-Benedetti, mit dem Wegfall der Oberlandesgerichte als Beschwerdeinstanz werde es zu einem weiteren Absinken der Qualitätsstandards in Verfahren der Abschiebungshaft kommen. Es ist zu hoffen, dass es im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu Nachbesserungen kommt. Erschreckend allerdings ist bereits jetzt, dass das federführende Bundesjustizministerium sich nicht längst bereits selbst als Sachwalter des Freiheitsgrundrechts (Artikel 2 Absatz 2 GG) eingebracht hat. gez. Bernd Mesovic Referent Hinweis: Der Fachaufsatz von Herrn Dr. Stephan Beichel-Benedetti ist im Internet zu finden unter: http://www.asyl.net/Magazin/1_2_2008c.html
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