Nützliche Nachrichten 7-8/2012 Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren, wir übersenden die aktuelle Ausgabe der Nützlichen Nachrichten und hoffen auf Euer/Ihr Interesse. Wie immer hier der reine Text als Mail und eine gestaltete PDF-Fassung zum Ausdrucken. Informiert / informieren Sie uns bitte, wenn wir weitere Interessierte in den Verteiler aufnehmen oder auch eine Adr. streichen oder verändern sollen. Freundliche Grüße Dialog-Kreis „Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden“ Postfach 90 31 70, D-51124 Köln, Tel: 02203-126 76, Fax: 02203-126 77 Spendenkonto: Dialog-Kreis, Kontonummer 9152539, BLZ 370 501 98, Stadtsparkasse Köln Redaktion: Andreas Buro, Memo Sahin, Luise Schatz und Mani Stenner Redaktionsschluss: 21.08.2012 dialogkreis@t-online.de, www.dialogkreis.de Die politische Verantwortung der KCK-Operationen Der Kommentar Von Ahmet Insel In einer Phase, in der die Reformpakete über die Strafgerichtsbarkeit von einem Tag auf den anderen verschoben werden, das Geflüster von einem Ohr ins andere wandert, dass die Regierung durch die Berufungen in das Richteramt, die Gerichte nach den eigenen Vorstellungen gestaltet, dauern die sehr umfangreichen Repressions- und Unterdrückungsmaßnahmen, die dem Anschein nach genauestens durchgeplant sind, an. Im Zentrum dieser Kampagnen stehen die aus drei Strängen geführten KCK-Operationen. Es werden auch andere linke Gruppierungen, oppositionelle Organisationen, Bündnisse oder lose Netzwerke Gegenstand der Maßnahmen. In den meisten Fällen könnten die absurden Anschuldigungen aus einer Erzählung des [prominenten türkischen Schriftstellers] Aziz Nesin stammen, Beschuldigungen ohne Anhaltspunkte, Menschen werden bei den Vernehmungen durch Polizei und der Staatsanwälte zu Opfer von gerissenen Erfindungen. Aber dies ist keine Boulevardkomödie. Die Menschen sind Gegenstand einer sich immer weiter ausweitenden und entfesselten Repressions- und Unterdrückungskampagne. Der erste Strang der KCK-Operationen ist gegen die BDP als Partei gerichtet. Durch die Verhaftungen soll eine Lähmung in der Partei erreicht werden. BürgermeisterInnen, lokale Parteiverantwortliche, Stadtabgeordnete und AktivistInnen sind Ziel dieser Maßnahmen. Von dem Rausch der Verhaftungen ist keine einzige lokale Führung der BDP unberührt geblieben. Die fortschrittliche Demokratie bevorzugt, anstelle der Schließung [dem Verbot] der Partei, eine Partei ohne Führung, ja sogar ohne Menschen. Diese neue Methodik scheint besser zu greifen, als die Partei zu verbieten. Vorher konnte, wenn eine Partei verboten wurde, mit einer neuen Partei weiter gemacht werden, mittlerweile sind alle lokalen PolitikerInnen verhaftet. Auch die, die anstelle dieser kommen werden, werden verhaftet – eine Partei wie ein leerer Briefumschlag –, erlaubt, aber eine entleerte Partei. (…) Fast die gesamten Führungskräfte der Partei sind im Gefängnis! Diese Tatsache jemanden zu erklären, der oder die nicht in der Türkei geboren und aufgewachsen ist, scheint mir ein nicht einfaches Unterfangen zu sein. Der zweite Strang der KCK-Operationen ist gegen die Gewerkschaften gerichtet. Die neue Welle hat die zentrale Führung des [Gewerkschaftsdachverbandes des öffentlichen Dienstes] KESK und die [Bildungsgewerkschaft] Egitim-Sen und damit die unter dieser Konföderation organisierten Gewerkschaften zum Ziel. Zuerst wurden bei der Egitim-Sen vor allem die kurdisch-stämmigen GewerkschaftlerInnen zum Ziel. Danach wurden die, die im Gesundheitsbereich arbeiten und organisiert sind, SES zum Ziel. Jetzt wird über den Generalvorsitzenden der KESK die ganze Konföderation zum Ziel genommen. Hier wird der Versuch unternommen, mit einem Stein mehrere Vögel zu erwischen. Einerseits soll die kurdische politische Aktivität in den Gewerkschaften unterbunden werden und andererseits sollen die Gewerkschaften, die noch immer ihre Stimme gegen die Regierungspolitik erheben und Widerstand leisten sowie die Arbeiter, die im öffentlichen Sektor organisiert sind, vernichtet werden. Neben dem Versuch, die Arbeit der KurdInnen im legalen Bereich bei Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, oder bei der Organisierung mit den anderen Völker der Türkei zu unterbinden, soll die KESK nun in Verruf geraten, die Mitglieder sollen abgeschreckt, eine Fluktuation der Mitglieder zu den anderen Gewerkschaften soll gefördert werden. Somit ist dies eine Operation gegen die Gewerkschaften. Der dritte Strang der KCK-Operationen hat den Demokratischen Kongress der Völker (HDK) zum Ziel. Letzten Herbst wurden die ersten Schritte dieser Operationen gegen diejenigen, die außerhalb der kurdischen politischen Ebene aktiv sind und innerhalb des HDK organisiert sind, durchgeführt. Die Sozialistisch Demokratische Partei [SDP] stand an erster Stelle. Viele ihrer Mitglieder sind noch immer inhaftiert. Jetzt werden in dieselbe Richtung die Operationen ausweitet, die VertreterInnen der Sozialistischen Partei der Unterdrückten [ESP] innerhalb des HDK werden festgenommen. Somit sind die kleinen und großen politischen Organisationen innerhalb des HDK verstimmt, weil sie sich sagen „Wir sind als nächstes dran“. Sie werden in eine reine Verteidigungsposition gedrängt. Die Organisationen oder Netzwerke, die eine Verteidigung aufbauen oder zu einer Verteidigungsposition gezwungen werden, sollen mit ihrer politischen Arbeit auf die Proteste vor den Toren der Gefängnisse und der Gerichte beschränkt und somit ohne Wirkung bleiben. Dieses Unterfangen stellt einen Teil einer hinterhältigen Falle dar. Gleichzeitig soll der HDK, der bei den Kommunalwahlen einen breiten Zusammenschluss der Organisationen und Netzwerke zum Ziel hat, in Verruf geraten und neutralisiert werden. Es ist unmöglich, dass diese Operationen nur in den Köpfen der Geheimdienste und der Staatsanwaltschaft Gestalt annehmen, ohne Wissen und Zustimmung der Regierung können diese Operationen nicht durchgeführt werden. Bei einer demokratischen Ordnung hat die politische Verantwortung weder die Polizei, die Staatsanwaltschaft noch das Richteramt. Die wirklichen politischen Verantwortlichen sind die gewällten Verantwortlichen, der Ministerpräsident und die Mitglieder der Regierung. Die politische Verantwortung der KCK-Operationen und die in seinem Schatten durchgeführten zu einem Staatsterror verkommenden Repressions- und Unterdrückungsoperationen liegt allein bei der Regierung. Sollte es nicht so sein, dann heißt es, dass die Situation undefinierbar grausamer ist. Zum Autor: Ahmet Insel, Ökonom, Journalist und Verleger. Er hat eine Professur in Paris und in Istanbul/Galatasaray, schreibt wöchentlich für die linksliberale Tageszeitung Radikal, arbeitet für die Zeitschrift „Birikim“ und leitet den Verlag Iletisim. Indem er aktuelle ökonomische Erkenntnisse in Frage stellt und die neuen Herrschaftsformen analysiert (Radikal, 26.6.12) Unter diesen Umständen ist es schwierig über Frieden zu reden Yüksel Genç* Inhaftierte Journalistin und Friedensaktivistin Wann immer in Regierungskreisen von einer Lösung der kurdischen Frage gesprochen wird, erwähnen sie im zweiten Satz stets, dass die PKK von den Bergen auf die politische Ebene gezogen werden muss: „Wäre es schlimm, wenn sie auf Waffen verzichten und auf legaler Basis ihren Kampf führen?" Dies geht nicht. Dies geht nicht, aber haben sie sich je gefragt, was die Antwort auf diesen Wunsch ist, die zu einer fantastischen Wiederholung wird? Haben sie sich gefragt, auf welche Referenzen sich die PKK bei der Bewertung dieser Forderung beziehen wird? Die PKK wird dabei die Erlebnisse derjenigen berücksichtigen, die in der Vergangenheit Teil der illegalen, gar bewaffneten Strukturen waren, jedoch heute im legalen Raum irgendwie zu existieren versuchen. Eine gesetzliche legale Grundlage? Hierbei sind selbstverständlich die Friedensgruppen, die 1999 und 2009 in die Türkei kamen, das beste Beispiel. Was geschah mit den Menschen, die wie gefordert, die Waffen niedergelegt und von den Bergen in die Täler gekommen sind, ihre Kampflinie mit legalen demokratisch-politischen Mitteln festgelegt haben? Können sie tatsächlich, wie gesagt, ihren Kampf auf legaler Basis führen? Können sie vertrauensvoll die Mittel der legalen Ebene nutzen? Ich kann eindeutig sagen – NEIN! Lassen Sie uns zunächst über die erste Friedensgruppe reden, die aus Europa und dem Kandil-Gebiet – dieser gehörte auch ich an – gekommen ist. Die Mitglieder dieser Gruppe sind umgehend nach ihrer Einreise in die Türkei verhaftet worden. Sie erhielten unter dem Vorwurf der Parteimitgliedschaft und dem Innehaben von Führungspositionen Haftstrafen. Ende 2004 wurde ein Großteil, ein geringerer Teil 2009 frei gelassen. Allerdings sind meine beiden Freunde, Haydar Ergül und Haci Celik, die sich aus Europa an der Friedensgruppe beteiligt hatten, noch inhaftiert. Sie warten auf das Ende ihrer längst hinfälligen Haftstrafe. Es gibt kaum einen, der sich an die beiden erinnert, ihnen gedenkt! Was geschah mit denen, die freigelassen wurden? Die Mitglieder der Friedensgruppe haben nach der Haft Friedensarbeit geleistet. Sie waren Gründungsmitglieder des Friedensrates in der Türkei. Sie haben sich an zahlreichen Initiativen beteiligt, die eine Lösung für die kurdische Frage suchen. Ich war zum Beispiel journalistisch tätig. Aysel Dogan war Vorsitzende eines alevitischen Vereins. Aber allen voran blieben wir Mitglieder der Friedensgruppe. Der überwiegende Teil ist noch im Friedensrat aktiv. Diese Friedensarbeit war für viele von ihnen nicht einfach. Bereits zu Beginn dieser Arbeit wurden drei Freunde erneut festgenommen und erhielten wegen des Vorwurfs von Propaganda Strafen. Dabei hatten sie für den Frieden lediglich ihre Geschichte erzählt. Auch später wurden zahlreiche Prozesse gegen uns geführt. Unsere Reden und Texte, in denen wir unsere Geschichten erzählten und unsere Meinung für den Frieden äußerten, waren stets Gegenstand von Prozessen. Aber wir haben immer darauf bestanden, auf legaler Ebene, in der demokratischen Politik zu bleiben; ein Teil als JournalistInnen, ein Teil als PolitikerInnen, ein Teil im Rahmen von Aktivitäten in zivilgesellschaftlichen Organisationen. JournalistIn Es ging dennoch nicht. Zunächst wurde Aysel Dogan im Rahmen der KCK-Verhaftungswelle und anschließend ich verhaftet. Aysel war zu dieser Zeit Vorsitzende eines alevitischen Vereins. Ich war Kolumnistin bei der Zeitung Özgür Gündem. Jetzt sind wir beide wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation angeklagt und es werden 20 Jahre Haft gefordert. Schauen sie sich diese Ironie des Schicksals an: Ich, die als Guerilla von den Bergen kam, wurde wegen Mitgliedschaft zu fünf Jahren Haft verurteilt. Jetzt werden 20 Jahre Haft für meine journalistische Tätigkeit in den Städten gefordert. Es gibt auch keinerlei Garantie, dass die anderen Mitglieder der Friedensgruppe nicht auch mit ähnlichen Vorwürfen verhaftet werden. Wird eine Organisation, die diese Situation sieht, die Möglichkeit des Kampfes auf legaler Ebene in den Städten nutzen? Überlegen Sie selbst. Das Ende ist noch fern Sie denken, dass dieser Missstand lediglich die ersten Friedensgruppen betrifft? Sie täuschen sich leider. Die Erlebnisse der Friedensgruppen, die 10 Jahre nach uns aus dem Kandil-Gebiet und aus dem Flüchtlingslager Mahmur gekommen sind, sind noch recht aktuell. Auch wenn der letzten Gruppe bei ihrer Einreise keine Verhaftungen widerfahren sind, war jede ihrer Reden Gegenstand eines Prozesses und nach sieben Monaten kam es zu ersten Festnahmen. Während 10 Gruppenmitglieder zu schweren Haftstrafen von 10 bis 20 Jahren verurteilt wurden, sind die anderen „aufgrund fehlender Bedingungen für einen Frieden in der Türkei“, wieder nach Mahmur zurückgekehrt. Die Verfahren, die noch fortgeführt werden, sind Routine. Kann die PKK, selbst wenn sie es möchte, vor diesem Hintergrund überhaupt den Beschluss fassen, die Berge zu verlassen und auf legaler Ebene den Kampf fortzuführen? Der zweite Punkt, der als Referenz den Beschluss der PKK bezüglich dieser Forderung beeinflussen wird, sind die Erlebnisse derjenigen Kurden, die auf legaler Ebene kämpfen und in zivilgesellschaftlichen Organisationen tätig sind. Hier besteht auch nicht viel Hoffnung. Warum? Denn: Seit dem 14. April 2009 befinden sich entsprechend dem angewandten Konzept ca. 8.000 kurdische PolitikerInnen, AktivistInnen, JournalistInnen, ÄrztInnen, AnwältInnen, Studierende usw. in Haft. Von der BDP sind 6 Abgeordnete, 39 Bürgermeister, stellvertretende Vorsitzende, Mitglieder des Präsidialrates, ein Großteil der Vorsitzenden der Kreise und Kommunen und Ratsmitglieder verhaftet. Es liegen hunderte Anträge gegen die BDP-Abgeordneten im türkischen Parlament zur Aufhebung ihrer Immunität vor. Schlimmer noch, beim Kassationshof wurde das Verbot der BDP beantragt. Sämtliche Medien, die die kurdische Frage thematisieren, sind unter dem Vorwurf der „Arbeit für die die Organisation“ angeklagt. Dutzende zivilgesellschaftliche Organisationen, einschließlich Frauenorganisationen, werden strafrechtlich verfolgt. Unter dem Deckmantel des sog. KCK-TM (Türkeirat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan KCK) werden systematisch sämtliche legalen Arbeiten und Strukturen kriminalisiert. Aus diesem Grund werden schubweise kurdische PolitikerInnen und AktivistInnen systematisch verhaftet. Kann vor diesem Hintergrund die PKK der Forderung „führe den Kampf nicht in den Bergen, sondern auf legaler Ebene“ nachkommen? NEIN! Wird diese Organisation nicht fragen „Was wird, abgesehen vom internen Vertrauen, aus mir?“. Hätte sie unrecht zu sagen „Wenn sie uns vor diesem Hintergrund dennoch zur legalen Politik einladen, täuschen sie sich selbst oder uns?“ Meiner Meinung nach nicht. Wird sie nicht sagen, „Dein Ziel ist nicht Frieden oder eine Lösung, sondern Liquidation?“ Sie wird es sagen. Daher muss man die Wahrheit aussprechen. Solange die Grundlagen für einen Kampf auf legaler Ebene nicht gegeben sind, der legale Rahmen nicht sicher ist, die Rechte und Freiheiten nicht geschützt werden und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht vorliegen, die inhaftierten 8000 Menschen nicht freigelassen werden, stellt sich die Frage, „Warum soll die PKK die Berge verlassen? Wie soll dies geschehen? Wohin soll sie kommen? Soll sie kommen, um im Gefängnis zu landen? Um sich am Ende von der politischen Arbeit zu entfernen? Oder um erneut aufgrund einer politischen Aktivität angeklagt zu werden? Warum soll sie kommen? Gebt eine offene Antwort. * Yüksel Genc: zurzeit in der Haftanstalt für Frauen und Kinder Bakirköy / Istanbul Bemerkungen der Übersetzerin (ISKU): Yüksel Genç schrieb diesen Artikel für die Sonntagsausgabe vom 17.06.2012 „Radikal 2“ der türkischen linksliberalen Tageszeitung Radikal. Dies wird in der Radikal Zeitung als eine Plattform dargestellt, um der kurdischen Seite die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern. Yüksel Genç, geboren 1973 in Hatay, Sie hatte an der Universität Istanbul internationale Beziehungen studiert. Lernte während ihres Studiums die kurdische Freiheitsbewegung kennen. 1995 schloss sie sich der Arbeiterpartei Kurdistans PKK an und ging in die Berge Kurdistans. 1999 entsendete die PKK, dem Vorschlag ihres auf der Gefängnisinsel Imrali unter schwersten Isolationsbedingungen inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan folgend, zwei Friedensgruppen in die Türkei, eine aus dem Kandil-Gebiet – dieser 8-köpfige Gruppe gehörte Yüksel Genc an–- und eine Gruppe aus Europa, um ihrem politischen Lösungswillen Nachdruck zu verleihen. Sämtliche Mitglieder dieser Gruppen wurden festgenommen. Eines der wichtigen Auswahlkriterien bei der Zusammensetzung dieser Gruppe, so beschreibt Yüksel Genç in diversen Interviews selbst, war der Punkt, dass diese Personen nicht am bewaffneten Kampf beteiligt waren. Sie wurde damals zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach ihrer Freilassung arbeitete sie als Journalistin und Friedensaktivistin. Sie war eine der Initiatoren des Friedensrats der Türkei der am 1. September 2007 gegründet wurde. Im Zentrum steht eine demokratische und friedliche Lösung der Kurdenfrage in der Türkei. Neben ihren Friedensarbeiten war sie Kolumnistin bei diversen Zeitungen und einige Zeit verantwortliche Chefredakteurin der Tageszeitung „Gündem“, die aufgrund ihrer Berichterstattung zur kurdischen Frage verboten wurde. In Dezember 2009 wurde sie mit Hatip Dicle zu Co-Vorsitzenden des Demokratischen Gesellschaftskongresses DTK gewählt. Sie war als Journalistin und Kolumnistin bei der Zeitung Özgür Gündem tätig als sie mit weitere 40 JournalistInnen – meist kurdische – am 20. Dezember 2011 festgenommen und später am 24. Dezember inhaftiert wurde. Seit dem wartet sie in Haftanstalt für Frauen und Kinder Bakirköy / Istanbul auf ihren Prozess wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation. 20 Jahre Haft werden für sie gefordert. Ihr Anschrift ist: Yüksel Genç, Bakirköy Kadin ve Çocuk Tutukevi, Istanbul, Türkei Anmerkung der Redaktion Yüksel Genc geht in ihrem Beitrag von den bitteren Erfahrungen der Gruppen aus, die nach dem Vorschlag von Abdullah Öcalan als Friedensboten zur Vertrauensbildung zweimal in die Türkei gesandt wurden. Ihre Verurteilung und Verfolgung führt Yüksel Genc zu der Schlussfolgerung, dass der bewaffnete Kampf der PKK nicht aufgegeben werden könne, weil auf der Regierungsseite keine Bereitschaft zur Aussöhnung und zu einer friedlichen Lösung sei. Dass dies so ist, hängt allerdings auch unter anderem mit dem bewaffneten Kampf der PKK zusammen. Dieser lässt alte Separatismus-Ängste aufkommen, aber vor allem wird Ankara nie eingestehen, dass es durch den militärischen Druck der Kurden zu Zugeständnissen gezwungen sein könnte. Eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts will auch Yüksel Genc, doch die Frage ist, wie das angesichts verhärteter Fronten erreichbar ist. In der nächsten Ausgabe der NN wollen wir auf diese Frage eingehen. Ereignis-Kalender Ein kurdischer Jugendlicher auf dem Pfad von Pozanti nach Osmaniye Von Ezgi Basaran Journalistin, Kolumnistin der türkischen Tageszeitung Radikal Özgür Eksik, ist ein 19-jähriger Kurde, der wortwörtlich die Bedeutung seines Nachnamens zu leben hat. Wir sind es schuldig den Pfad von Pozanti und Osmaniye auch von ihm zu hören: „Weil ich am 1. September 2009 an der Friedenskundgebung teilnahm, wurde ich festgenommen. Es wurde auf jemanden auf einem Foto, auf dem im Tanzreigen tanzende Personen zu sehen und deren Gesichter verdeckt waren, gezeigt. Sie fragten mich, ob ich es sei. Ich war es nicht. Im E-Typ Gefängnis von Mersin wurde ich in die Zelle der Erwachsenen gesteckt. Von dem leitenden Gefängniswärter namens Durdu erhielt ich vor den Augen aller eine Tracht ‚Willkommens-Prügel‘. Nach dem 8ten Tag wurde ich nach Pozanti gebracht. Beim Eintreffen wurde ich von den Gefängniswärtern ausgezogen und mit einem Plastikrohr verprügelt. Der stellvertretende Leiter des Gefängnisses rief mich in sein Zimmer damit ich seine Hand küsse. Als ich mich dem verweigerte, wurde ich in eine Zelle mit Schwerverbrechern gesteckt. Sämtliche Fronarbeit der Zelle wurde mir aufgedrückt: Prügel, Übergriffe, einfach alles. Aus Furcht tat ich nachts kein Auge zu. Als ich äußerte, dass ich in der Zelle für politische Gefangene möchte, wurde ich ins „Abrisszimmer“ gebracht, ausgezogen und mit Druckwasser und Rohren verprügelt. Zurück in der Zelle, konnte ich mich zwei Tage lang nicht aus dem Bett bewegen. Um Pozanti auf Papier niederzuschreiben reicht die Tinte meiner Feder nicht.“ Am nächsten Tag, setzte Özgür während des Hofgangs sein Bett und seine Decke in Brand, und wurde anschließend zwei Tage später nach Silifke verlegt. Sechs Monate später war er wieder auf freiem Fuß. Jedoch hatte das Ende keine Sicht. Nach der Stürmung seiner Wohnung am 14. Februar 2011 wurde er erneut festgenommen. Am 17. Februar wieder freigelassen. Immer noch kein Ende. 10 Tage später, also am 27. Februar wurde er wieder festgenommen und inhaftiert. Der Grund: „Sie sagten, dass ich der Jugendliche auf einem am 15. Februar 2011 vor einem Internetcafe geschossenen Foto sei. Ich sagte, dass ich es nicht bin und zu dieser Zeit eingesperrt gewesen war. Ich wurde in Haft gesteckt und zum Gefängnis von Osmaniye gebracht. Ich kann nicht niederschreiben, was dort die sogenannte ‚A- Mannschaft‘ der Gefängniswächter alles gemacht haben. Am 26. März 2011 wurde ich entlassen. Am 4. September wurde ich erneut aufgrund einer Aussage von Jemanden, bei dem bekannt ist, dass es sich um einen Drogenabhängigen handelt, inhaftiert. Dieser Tag ist der heutige. Ich befinde mich im Gefängnis von Iskenderun. Bei dem Erzählten ist nichts erfunden. Das meiste wurde noch nicht erzählt. Um meine Unschuld zu beweisen, wollten wir die MOBESE-Aufnahmen (Aufzeichnungen von an öffentlichen Plätzen stationierten Kameras der Polizei), die Bewegungsortung meines Handys, Fingerabdrücke, alles was nötig war. Seit 9 Monaten warte ich darauf, ich warte, jedoch kommt nichts. Am 1. Oktober werde ich 20 Jahre alt. Mittlerweile verstehe ich viel besser, wie sehr uns der Staat liebt.“ (Radikal, 14.6.12, ISKU) Staatsterror in Amed/Diyarbakir Der Kongresses für eine demokratische Gesellschaft DTK und der Partei für Frieden und Demokratie BDP hatten für den 14. Juli 2012 in Amed (Diyarbakir) zu einer Kundgebung mit der Forderung „Demokratischer Widerstand für die Freiheit“ aufgerufen. Obwohl der Gouverneur die Kundgebung verboten hatte, beharrten die Veranstalter, unterstützt von Gewerkschaften, Frauenorganisationen, progressiven türkischen Organisationen und NGOs darauf, mit der Durchführung der Kundgebung ein Signal für eine politische Lösung der kurdischen Frage zu setzen und sich das Recht auf Versammlung und Meinungsäußerung nicht verbieten zu lassen. Schon Tage zuvor fuhren Panzerwagen durch die Straßen und forderten die Bevölkerung auf am 14. Juli ihre Häuser nicht zu verlassen. Der Staat versuchte mit allen Mitteln dies zu verhindern, doch Wasserwerfer, Knüppel, Gasgranaten und Polizeischüsse konnten die Bevölkerung nicht einschüchtern. Trotz hunderten Verletzten, darunter drei kurdische ParlamentarierInnen, über 60 Festnahmen und schweren Polizeiübergriffen erreichten die Abgeordneten den Kundgebungsplatz und setzten ihren Protest weiter. Damit wurde ein deutliches Signal des Widerstands gegen das AKP-Regime gesendet. Die BDP-Abgeordnete Pervin Buldan wurde von einem gezielten Schuss mit einer Gasgranate am Bein verletzt, außerdem wurden die Abgeordneten Mülkiye Birtane und Ayla Akat sowie der Bürgermeister von Amed Osman Baydemir ohnmächtig ins Krankenhaus gebracht. Die beiden Abgeordneten und Vorsitzenden der BDP Selahattin Demirtas und Gülten Kisanak, sowie die DTK Co-Vorsitzende Aysel Tugluk und die Abgeordneten Özdal Uçer wurden mit Wasserwerfern, Tränengas und teilweise auch mit Schlagstöcken angegriffen. Pervin Buldan wurde durch den gezielten Schuss einer Gasgranate und Knüppelschläge, so schwer verletzt, dass ein Schienbeinknochen gebrochen ist. In einem Sternmarsch bewegen sich verschiedene Demonstrationszüge auf den mit Polizeibarrikaden, Wasserwerfern und Panzern abgesperrten Sümerpark zu. Tausende rufen „Berxwedan Jiyan e / Widerstand heißt leben.“ Trotz all der Hindernisse überwinden die Abgeordneten zusammen mit einigen DemonstrantInnen die Polizeisperren und werden massiv von der Polizei erneut mit Wasserwerfern und Gas angegriffen. Dies bestätigte auch der BDP-Abgeordnete Sirri Süreya Önder: „Wir haben den Kundgebungsgebungsplatz erreicht, die Polizei hat gezielt die Abgeordneten angegriffen. Sie haben die verschiedensten neuen Waffen ausprobiert.“ Während in Amed heftige Auseinandersetzungen stattfanden, scheint der türkische Staat alle möglichen Mittel einzusetzen, um das Informationsmonopol über die Ereignisse zu erlangen. So sind seit Tagen die Seiten der kurdischen Nachrichtenagenturen DIHA und ANF massiven Hackerangriffen ausgesetzt, welche die Seiten blockieren. Viele kurdische Journalisten wurden festgenommen. Mit den Abgeordneten an der Spitze führten viele Menschen am Abend eine Protestaktion gegen die massive Polizeigewalt und das Verbot durch. Die Polizei versuchte die Abgeordneten zu stoppen, aber sie konnten dennoch einen Sitzstreik am Sümerpark durchführen. Sie kündigten an, nicht ohne öffentliche Kundgebung wegzugehen, auch wenn die Polizei sie töten wolle. Viele Menschen strömten hinzu. Die Abgeordneten führten bis zum nächsten Morgen einen Sitzstreik aus Protest, der mit einer Pressekonferenz zu Ende ging. ANF und DIHA, 14. und 15.7.12, ISKU) 240 Jahre Haft für sieben Kinder gefordert Gegen sieben Kinder wurde in Mersin wegen „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ und „Propaganda für eine verbotene Organisation“ 240 Jahre Haft gefordert. Als Beweismittel der Anklage gegen die Minderjährigen führt die Staatsanwaltschaft Facebook-Einträge, Aufzeichnungen von Überwachungskameras, anonyme Zeugenaussagen und die Teilnahme an den 1. Mai-Feiern an. Kaum ein Tag vergeht ohne Festnahmen und Verhaftungen von kurdischen Kindern in Mersin, wo die AKP-Regierung einen Rekord von politisch motivierten Verhaftungen von Kindern in Verbindung mit Terrorismus hält. Vielen Kindern, einschließlich der Opfer von Pozanti, die erst kürzlich aus dem Sincan- Gefängnis in Adana entlassen wurden, drohen wegen Terrorvorwürfen schwere Strafen. Die neueste Anklage betrifft sieben Kinder, die im Mai wegen „Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demonstrationsrecht“, „Mitführens von explosiven Substanzen“, „Verletzung der Arbeitsfreiheit“ und „Beschädigung öffentlichen Eigentums“ inhaftiert wurden. Staatsanwalt Ünsal Demirci forderte insgesamt 240 Jahre Haft und Fortdauer der Haft für die sieben Kinder, gegen die ohne jegliche konkrete Beweise verhandelt wird. Der Anwalt Eyüp Sabri Öncel, Vorstandsmitglied des Menschenrechtsvereins (IHD), reagierte auf die schwere Strafforderung und betonte, dass gegen die beschuldigten Kinder gemäß der UN-Kinderschutzkonvention unter Aussetzung der Haft verhandelt werden müsse. (ANF, 15.6.12, ISKU) Unter AKP wurden 181 kurdische Minderjährige ermordet Die Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD von Amed/Diyarbakir hat einen Bericht über die Ermordungen von kurdischen Kindern und Jugendlichen durch türkische Sicherheitskräfte veröffentlicht. Demnach wurden seit 1988 insgesamt 561 kurdische Minderjährige durch Militär- oder Polizeikräfte ermordet. Besonders hoch waren die Zahlen Anfang der 90er Jahre, als der Gendarmariegeheimdienst JITEM in den kurdischen Gebieten der Türkei tausende Morde an kurdischen Zivilisten verübte. So wurde allein zwischen 1992 und 1994 295 kurdische Minderjährige ermordet. Aber auch seit dem Amtsantritt der AKP-Regierung wurden insgesamt 181 kurdische Kinder und Jugendliche durch türkische Sicherheitskräfte ermordet. Fast genauso erschütternd wie diese Tatsache ist, dass keines der Mörder dieser Minderjährigen je durch ein Gericht hierfür bestraft worden ist. (YÖP, 11.8.12, ISKU) Länderdreieck Türkei-Iran-Irak wird von der Guerilla kontrolliert Seit dem 23. Juli kontrollieren die kurdischen Guerilla die Umgebung der Stadt Semzinan/Semdinli. Nach heftigen Gefechten musste die türkische Armee mehrere Stütz- und Kontrollpunkte räumen und sich zurückziehen. Es ist auch zum ersten Mal, dass die PKK-Kämpfer mehrere Wochen in einem Operationsgebiet aufhalten und sich nicht zurückziehen. Die türkische Armee versorgt die übrig gebliebenen Stützpunkte aus der Luft. Seitdem kontrolliert die Guerilla auch die Überlandstraßen, die Semzinan zu anderen Städten verbindet. Auch in die Städte Semzinan und Gever kamen die Guerillas und führten Straßenkontrollen durch und hielten Propagandareden. Zu den ländlichen Gebieten, die von Guerilla kontrolliert werden, gehört auch seit dem 4. August Qileban/Uludere und die Umgebung von Gever/Yüksekova sowie Celê/Cukurca. Alle diese genannten Gebiete befinden sich am strategischen Länderdreieck Türkei-Iran-Irak. Mehrere Dörfer wurden geräumt, neue Militärzonen geschaffen und eine inoffizielle Nachrichtensperre verhängt. Viele der kritischen Journalisten fragen die Regierung, was dort los ist, warum die Regierung keine Informationen hergibt. Wegen den Ereignissen um Semzinan und in Provinz Hakkari lud die Oppositionspartei CHP, zum 14. August das Parlament zu einer Sondersitzung. Da die Fraktionen der AKP und MHP dies ablehnten, kam die Sondersitzung des Parlaments nicht zustande. (Mehrere Pressemeldungen) Abgeordnete Hüseyin Aygün von Guerilla entführt und freigelassen Der CHP Abgeordnete aus Dersim, Hüseyin Aygün, wurde in den Abendstunden des 14. August freigelassen. Er war zwei Tage zuvor in der Nähe des Bezirks Ovacik durch die Guerillakräfte der PKK festgenommen worden. Nach seiner Freilassung kam Aygün zunächst mit seiner Familie zusammen, bevor er vor die Kameras trat und seine Erlebnisse aus den letzten 48 Stunden schilderte. Nach seiner Festnahme habe sich der Kommandeur der Volksverteidigungskräften HPG, Bahoz Erdal, mit der Guerillagruppe aus Dersim in Verbindung gesetzt. Er habe sie angemahnt, sie sollen darauf achten, dass Aygün kein Haar gekrümmt werde. Aygün erklärte, dass die PKK ihn entführt habe, um politische Propaganda zu betreiben. „Mein zweitägiges Abenteuer in den Bergen ist heute zu Ende gegangen. Die Organisation hat mitgeteilt, dass sie diese Aktion zum Zwecke politischer Propaganda ausgeführt habe. Sie sagten, sie wollen mit der Aktion einen Aufruf zum Frieden und zum Waffenstillstand machen. Von mir haben sie verlangt, ich solle mich im Parlament noch stärker für einen Waffenstillstand einsetzen. (…) Es gab mir gegenüber keinerlei Drohungen. Sie verlangten lediglich, dass die CHP mehr Mühen aufbringen soll, dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten. Sie haben ihre Aktion für erfolgreich erklärt und mich verabschiedet. Sie haben mich umarmt und geküsst. Sie sagten mir, ich solle meine Geschwister auf den Bergen nicht vergessen und ich versprach ihnen, dass ich für den Frieden arbeiten werde.“ (www.internethaber.com/chp-tunceli-mille, 14.8.12) Abgeordnete treffen sich mit Guerilla der PKK Aufnahmen von Abgeordneten, die sich von Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit Bruderkuss verabschieden, sorgen für Aufregung in der Türkei. Am 17. August waren acht Abgeordnete der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) gemeinsam mit den Vorsitzenden von drei nicht im Parlament vertretenen sozialistischen Parteien in die Region um die Kleinstadt Semdinli gereist. Die Delegation wollte sich ein Bild von der Situation machen, da aufgrund wochenlanger schwerer Kämpfe zwischen der Armee und der Guerilla und andauernden Luftbombardements in der türkischiranisch- irakischen Grenzregion eine Reihe von Dörfern geräumt wurden. Die Guerilla behauptet, das Gebiet rund um Semdinli mittlerweile so unter ihrer Kontrolle zu haben, daß die türkischen Truppen nur noch aus der Luft angreifen können. So weht auf dem Goman-Berg über der Stadt inzwischen eine PKK-Fahne. »Wir haben in Semdinli nicht den Staat, sondern die Guerilla gesehen!«, bestätigte die BDP-Vorsitzende Gültan Kisanak. Nur ein einziger Militärposten am Ausgang der Stadt sei noch besetzt gewesen. Am hellen Tage traf die Delegation auf eine Gruppe von PKK-Kämpfern, mit der sie sich eine Stunde lang unterhielt. »Die Guerillakämpfer, denen wir begegnet sind, erklärten, daß sie für die Freiheit und Demokratisierung aller Völker der Türkei und des Nahen Ostens kämpfen würden«, berichtete der Abgeordnete Ertugrul Kürkcü. Während Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan der BDP vorwarf, als »parlamentarischer Arm« der »separatistischen terroristischen Organisation« zu fungieren, hat die Staatsanwaltschaft in Van Ermittlungen aufgenommen. Den Abgeordneten wird unterstellt, das zufällige Treffen mit der Guerilla vorsätzlich geplant zu haben. (junge Welt, 21.8.12) Bombenanschlag in Dilok/Gaziantep Bei einem Bombenanschlag vor einem Polizeizentrum in Dilok/Gaziantep sind insgesamt zehn Menschen getötet und über 69 verletzt worden. Unter den Getöteten befinden sich auch vier Kinder und eine Frau. Der Anschlag ereignete sich am Abend des 20. August im Stadtteil Sehitkamil. Gegen 19.45 Uhr soll ein mit Sprengstoff beladener PKW in die Luft geflogen sein. Durch die Explosion sind zwei Busse und ein weiterer PKW in Flammen aufgegangen. Zudem hat die Wucht der Explosion großen Schaden an und in den umliegenden Gebäuden angerichtet. Kurze Zeit nach der Explosion versammelte sich eine Menschenmenge, die das Gebäude der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) im Stadtteil Sehitkamil angriff. Während die Polizei tatenlos zusah, setzte der Mob das Gebäude in Brand. Anschließend skandierte die Menge antikurdische Parolen und marschierte in Richtung der Hauptzentrale der BDP von Dilok. Eine weitere Gruppe, die sich bereits vor der Hauptzentrale nach dem Bombenanschlag versammelt hatte, griff mit Steinen das Gebäude an und zerstörte die Fensterscheiben. Die Menge harrte bis spät in die Nacht vor dem Gebäude aus. In einer schriftlichen Erklärung an die Nachrichtenagentur Firat (ANF) teilte das Hauptquartier der Volksverteidigungskräfte HPG mit, dass sie mit dem Anschlag in Dilok nichts zu tun haben. “Die Öffentlichkeit und unser Volk weiß, dass es von unserer Seite keine Aktionen gegen Zivilisten geben kann”, heißt es in der Erklärung. Zuvor hatte der KCK-Exekutivrat erklärt, dass sich die bewaffneten Kräfte während der drei Festtage zur Beendigung des Ramadans möglichst aus Gefechtenheraushalten werden Sofort nach dem Anschlag hatten die türkische Medien und Vertreter der AKP-Regierung die PKK beschuldigt, hinter dem Bombenanschlag von Dilok zu stecken. (ANF, 21.8.12, ISKU) Hoher Kurdischer Rat in Westkurdistan/Syrien gegründet „Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Syrien– die das Land in ein Chaos stürzen – und deren Auswirkungen auf die kurdischen Gebiete, sah sich die kurdische Bewegung gezwungen zu handeln, um die Bevölkerung der Region und das öffentliche Eigentum zu schützen. Diese Vorgehensweise hat zum Teil zu einer skeptischen Haltung auf nationaler und internationaler Ebene geführt. Wir wollen deshalb noch einmal betonen, dass wir uns als Teil der syrischen Bevölkerung und ihrer Revolution für ein freies und würdevolles Leben begreifen. Wir beabsichtigen mit unserer friedlichen und effektiven Teilnahme an dieser Revolution ein demokratisches und pluralistisches Syrien zu entwickeln. Wir versichern, dass die Kurdinnen und Kurden keine Gefahr für Syrien und ihre Nachbarländer darstellen. Auch separatistische Bestrebungen oder der Aufbau von Hierarchien in der syrischen Gesellschaft ist nicht unser Ziel. Die Übernahme der Kontrolle in einigen kurdischen Gebieten war ein dringend notwendiger Schritt, um den zivilen Frieden zu wahren.“ Mit dieser Erklärung am 29. Juli 2012 meldete sich der Hohe Kurdische Rat nach der Übernahme der Macht in weiten Teilen West-Kurdistan/Syrien zu Wort. Er wurde unter der Schirmherrschaft vom Präsident Kurdistans/Irak, Mesud Barzani von fast allen kurdischen Parteien gegründet. In ihm agieren zwei Blöcke. Der Kurdische Nationalrat, in dem sich 15 kurdische Parteien zusammengetan haben und der Volksrat von West- Kurdistan, der von der PYD (Partei der Demokratischen Einheit) gegründet wurde. Hintergrund: Am 1. Juli 2012 haben Repräsentanten des Kurdischen Nationalrats sowie des Volksrats von Westkurdistan in Salahuddin (Kurdistan/Irak) ein Abkommen unterzeichnet, das die am 11. Juni 2012 in Erbil unterzeichnete Vereinbarung ergänzen soll. Punkt eins des Dokuments anerkennt das Abkommen von Erbil und kündigt dessen Umsetzung an. Unter Punkt zwei wird die Bildung eines gemeinsamen Gremiums beschlossen, dessen Aufgabe die Festlegung allgemeiner politischer Grundsätze sowie die Führung der kurdischen Bewegung sein soll. Das Gremium und sämtliche Ausschüsse sollen paritätisch mit Mitgliedern beider Räte besetzt, und Entscheidungen im Konsensverfahren getroffen werden. Punkt drei sieht die Einrichtung verschiedener Fachausschüsse vor. Punkt vier verlangt die Einstellung medialer Angriffe, Punkt fünf verbietet die Ausübung von Gewalt sowie alle Aktivitäten, die geeignet sind, in den kurdischen Gebieten zu Spannungen zu führen. Punkt sechs nimmt die dem Abkommen von Erbil beigefügte Geschäftsordnung an und Punkt sieben beschließt die Bildung von Ausschüssen innerhalb von zwei Wochen nach Unterzeichnung des Abkommens. Das Abkommen wurde am 9. bzw. 10. Juli vom Kurdischen Nationalrat und vom Volksrat von Westkurdistan angenommen. Welche Wirkung der Hohe kurdische Rat auf die Bevölkerung Westkurdistans hat, wurde am Abend des 29. Juli unter Beweis gestellt. Hunderttausende Kurdinnen und Kurden waren in ihren Städten auf die Straße gegangen und feierten die Gründung ihres Rates. Der Sprecher des Hohen kurdischen Rates Ahmet Süleyman erklärte, dass die Bevölkerung mit den Demonstrationen eigentlich zwei Botschaften ausgesendet hat. Die erste geht an uns und besagt, dass von nun an keine kurdische Gruppe oder Partei außerhalb der Strukturen dieses Rates agieren sollte, weil die Freiheit nur durch die kurdische Einheit erlangt werden kann. Die zweite Botschaft richtet sich an die ganze Welt, vor allem an diejenigen, die sich durch die kurdische Einheit gestört fühlen. „Wir sind eine Einheit, und wir fordern unsere Rechte. Und wenn es sein muss, sind wir auch bereit hierfür Opfer zu bringen.“ Salih Müslüm, Mitglied des Hohen kurdischen Rates und Co- Vorsitzender der Partei der demokratischen Einheit PYD, formulierte die Forderungen der Bevölkerung Westkurdistans wie folgt: „Wir fordern eine demokratische Verfassung für Syrien. Und im Rahmen dieser demokratischen Verfassung muss die Identität und der Status des kurdischen Volkes anerkannt werden. Bei diesen Forderungen besteht absoluter Konsens innerhalb des Rates.“ Auf die Frage, was die dringlichsten Forderungen der Kurden seien, entgegnen sowohl Müslüm als auch Süleyman, dass zunächst Vorkehrungen getroffen werden müssen, damit der Krieg sich nicht auf die kurdischen Gebiete ausweitet. Hierfür sollen auch die neu gegründeten Volksverteidigungseinheiten der YPG gestärkt werden. Die Vertreter des Hohen kurdischen Rates erklärten, dass sie gegenwärtig Beziehungen zu allen Gruppen haben und auch ein Dialog zu der restlichen Opposition bestehe. Allerdings gebe es auch oppositionelle Gruppen innerhalb Syriens, welche sich kategorisch gegen die Anerkennung der kurdischen Identität wehren. Diese seien dieselben Gruppen, die Unterstützung aus Ankara genießen. Gleichzeitig versuche Ankara mit aller Kraft gegen die kurdische Einheit vorzugehen. Aus diesem Grund sei der türkische Außenminister Davutoglu eigens nach Hewler gereist. Aber die Kurden haben mit der Gründung des Hohen kurdischen Rates einen Schritt getätigt, der nicht mehr rückgängig zu machen sei. Deswegen laufen die Bemühungen Ankaras zwangsläufig ins Leere, so Müslüm. Auf die Frage, was denn der richtige Weg sei, den Ankara einschlagen müsse, antwortete Müslüm: „Die AKP-Regierung sollte ihre ‚Kurdenphobie‘ überwinden. Und um dies zu tun, muss sie die kurdische Frage in ihrem eigenen Land lösen. Daran führt kein Weg vorbei.“ (ANF, 1. und 11.6.; 12.7. und 2.8.12, ISKU) Ständige Mahnwache vor dem Europarat für die Freiheit von Öcalan Am 25. Juni 2012 begann eine ständige Mahnwache vor dem Europarat in Straßburg, die bis zur Freiheit von Abdullah Öcalan andauern wird. Dies erklärte die neu gegründete „Initiative Freiheit für Abdullah Öcalan“ in einer Presseerklärung Die Mahnwache soll Druck auf den Europarat ausüben, damit dieser sich aktiv für die Freiheit von Abdullah Öcalan einsetzt. Die Initiative setzt sich aus hunderten kurdischen, türkischen, assyrischen SchriftstellerInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen, AkademikerInnen, KünstlerInnen, GewerkschaftlerInnen und weiteren zusammen. Die Idee der Initiative entstand nach dem Hungerstreik von 15 AktivistInnen vor dem Europarat, der nach 52 Tagen am 21. April beendet worden ist. Die Hungerstreikenden setzten sich im Anschluss mit den hunderten Personen, die vom 1. Februar 2012 bis zum 18. Februar 2012 einen Protestmarsch von Genf nach Straßburg, unter eisiger Kälte, unter dem Motto „Freiheit für Abdullah Öcalan – Politischer Status für das kurdische Volk“ durchgeführt haben, zusammen und entschieden sich zu der Gründung dieser Initiative. Die Mahnwache soll bis zur Freiheit Abdullah Öcalans rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag andauern. (ANF, 22., 25. und 26.6.12, ISKU) Hinweis auf sonstige Infostellen Azadi, azadi@t-online.de; www.nadir.org/azadi/ Demokratisches Türkeiforum, info@tuerkeiforum.net, www.tuerkeiforum.net Europäischer Friedensrat Türkei/Kurdistan, www.barismeclisi.com/html/index.php?newlang=german Europäisches Zentrum für Kurdische Studien - Berlin, info@kurdwatch.org, www.kurdwatch.org Gesellschaft für bedrohte Völker, nahost@gfbv.de, www.gfbv.de ISKU | Informationsstelle Kurdistan e.V., isku@nadir.org; www.nadir.org/isku/ Kurdmania.com, Portal für Politik & Kultur, www.kurdmania.com Koalition für einen Demokratischen Irak (KDI), kdi@gmx.net Koalition Demokratisches Syrien (KDS), kds-info@gmx.net Kurdisches PEN-Zentrum, webmaster@pen-kurd.org, www.pen-kurd.org/ Kurdistan Report, www.kurdistanreport.de Mezopotamian Development Society, MESOP@online.de, www.mesop.de NAVEND – Zentrum für kurdische Studien e.V., info@navend.de, http://www.navend.de/ Österreichisch-Kurdische Ges. für Wissenschafts- u. Kulturaustausch, office@ok-gesellschaft.at, www.ok-gesellschaft.at/ The Turkish Economic and Social Studies Foundation (TESEV), www.tesev.org.tr/eng/ Zentrum für Türkeistudien, www.zft-online.de ------------------------------ Ende Nützliche Nachrichten 7-8/2012