Ein Insider kritisiert den Vatikan sehr deutlichVorbemerkung: Wären die folgenden Ausführungen in unserem wöchentlichen Ortsgespräch erschienen, ein Sturm der Entrüstung von den Fundis entfacht, die unausweichliche Folge. Jedoch stammen die kritischen Worte vom Jesuiten P. Eberhard von Gemmingen, der den „römischen Laden“ seit vielen Jahren von innen her kennt.
Bonn, 22.6.11 (Kipa) Die katholische Kirche braucht nach Einschätzung des Jesuiten und langjährigen Leiters des deutschen Programms von Radio Vatikan, Eberhard von Gemmingen, dringend eine Dezentralisierung. Die Kirchenzentrale nehme die unterschiedlichen Mentalitäten in der Weltkirche nicht richtig wahr; dem Vatikan fehle „die Sensibilität gegenüber Mitteleuropa", schreibt von Gemmingen in der in Bonn erscheinenden "Zeit"-Beilage "Christ und Welt".
Entscheidungen aus Rom würden zudem nicht ausreichend begründet und kommuniziert, kritisiert Gemmingen. Der Jesuit sprach sich erneut für Kurienreformen aus. „Wahrscheinlich könnten im Vatikan einige Ämter abgeschafft oder verschlankt werden", sagte er. Vor allem bräuchte Rom aber ein Kabinett der obersten Behördenleiter.
Die Gefahr in Deutschland besteht nach Einschätzung von Gemmingen nicht in einer Abspaltung von Rom, sondern eher „in dummen Schlagworten und unnötigen Polarisierungen". Tatsächlich wünschen sich deutschsprachige Katholiken einen Papst, mit dem sie einig sein können. Von Gemmingen bezeichnete es als „ein fast unmögliches Unterfangen", dass der Papst die katholische Welt mit ihren Mentalitäten, Situationen und Problemen zusammenhalten müsse.
Die eher kirchenkritische Haltung vieler deutscher Katholiken begründete der Jesuit mit Jahrhunderte alten Mentalitätsunterschieden. „Germanen sehen vieles grundsätzlicher als Romanen und Angelsachsen", schreibt er unter Verweis darauf, dass die Reformation nicht zufällig von Deutschland ausgegangen sei. „Sie nehmen manches ernster und manchmal zu ernst. Südländer gehen selbstständiger mit Normen um."
Der Jesuit verwies darauf, dass für Katholiken in Afrika, Asien und Südeuropa das Papsttum wie selbstverständlich zu den kulturellen Phänomenen des gesellschaftlichen Lebens gehöre. Die Aufgaben der Priester, Bischöfe und der kirchlichen Autorität würden dort viel weniger hinterfragt. „Die Rolle der Frau ist in vielen Ländern und katholischen Ortskirchen noch traditioneller bestimmt als in Mitteleuropa. Außerhalb des deutschen Sprachraums gibt es kaum Laien unter den Theologen.“
http://www.stmichael.de/gemeinde/index.htm