Nützliche Nachrichten 8/2010
Dialog-Kreis "Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden"
Postfach 90 31 70, D-51124 Köln, Tel: 02203-126 76, Fax: 02203-126 77
Spendenkonto: Dialog-Kreis, Kontonummer 9152539, BLZ 370 501 98, Sparkasse Köln
Redaktion: Andreas Buro, Barbara Dietrich, Mehmet Sahin, Luise Schatz und Mani Stenner Redaktionsschluss: 3. September 2010
dialogkreis@t-online.de, www.dialogkreis.de
-------------
Nützliche Nachrichten 8/2010
Der Kommentar
Für eine Neuausrichtung der kurdischen Strategie
von Andreas Buro
Die Schuld ist eindeutig. Das Fenster der Möglichkeit für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage in der Türkei ist nicht von der kurdischen Seite zugeschlagen worden, sondern von der türkischen. Die Fakten sind hinreichend bekannt und müssen hier nicht noch einmal dargelegt werden. Trotzdem muß die kurdische Seite auch für diese Situation eine Strategie entwickeln, die sie ihrem Ziel einer friedlichen politischen Lösung näher bringt. Es nützt nichts, mit dem Finger auf die türkische Seite zu zeigen und zu sagen, die müssen jetzt den Karren aus dem Dreck ziehen.
Die kurdische Seite hatte einen einseitigen Waffenstillstand verkündet und eingehalten, hatte Friedensdelegationen aus irakisch Kurdistan entsandt, Öcalan hatte Perspektiven für die Lösung der Kurdenfrage skizziert, die Ankara der Öffentlichkeit nie zugänglich gemacht hat, und hatte immer wieder Dialogbereitschaft signalisiert– sehr gute Schritte, aber nicht ausreichend angesichts der türkischen Verhältnisse. Auch nicht ausreichend, um endlich die EU und die EU-Staaten zu friedenspolitischer Vermittlung zu bewegen.
Statt jedoch an ihrer friedenspolitischen Linie festzuhalten, hat sich die kurdische Seite nach ihren von Ankara nicht beantworteten Schritten zwischenzeitlich wieder dem militärischen Kampf zugewandt, ja schlimmer noch, sie hat das Kampfgebiet auf die ganze Türkei ausgeweitet. Sie demonstrierte, dass sie überall im Lande durch punktuelle Angriffe und Attentate zuschlagen könne. Doch was wollte sie damit erreichen?
Vor Tod, Vertreibung und Zerstörung der kurdischen Ortschaften kann die PKK ihre Landsleute in der Türkei gegenwärtig ebenso wenig schützen wie früher. Siegen kann sie gegenüber der türkischen Armee ohnehin nicht. Die getöteten jungen türkischen und möglicherweise auch kurdischen Soldaten und Polizisten schwächen die türkische Streitmacht nicht.
In einer solchen Situation der brutalen Reaktionen der türkischen Seite sind Vergeltungswünschen verständlich. Doch Rache ist keine geeignete Grundlage für eine politische Lösung, die ja doch auch auf einen Prozess der Aussöhnung angewiesen ist. Die Kosten für die zwischenzeitlich wieder aufgenommene kurdische Militärorientierung sind ausserdem enorm: Statt Solidarität mit den von der Politik Ankaras vernachlässigten türkischen Schichten der Gesellschaft anzustreben, entsteht eine Steilvorlage für eine ethnische Verhetzung gegen die Kurden. Das gab es bislang nur vereinzelt. Die jüngsten Lynchattentate auf kurdische Bürger und Geschäfte müssen alarmieren. Hier tut sich eine Kluft auf, die von denen, die an dem Anheizen des türkisch-kurdischen Konflikts interessiert sind, kräftig genutzt werden wird. Das war Wasser auf die Mühlen der Generäle.
Aber auch die politischen Kosten im internationalen Umfeld sind immens. Wer konnte (und kann?) in Europa nun noch die Forderung erheben, die PKK und ihre Guerilla von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen? Hämisch würde jenen begegnet werden, da seht ihr es ja! Wir haben es schon immer gesagt: die kurdische Guerilla ist eine terroristische Organisation. Das ist sehr schwer aus den Köpfen der Menschen wieder herauszubringen. Es kann ihnen auch nicht vermittelt werden, dass es eigentlich die Kurden sind, die durch Zwangsassimilierung der staatlichen Repression ausgesetzt sind.
Alle Gründe sprechen dafür, dass die kurdische Seite so schnell und so öffentlich wie irgend möglich ihre militärischen Aktivitäten einstellt, militante Organisationen an ihrem Rande zur Ordnung ruft, ihre Bereitschaft zu einer friedlichen, politischen Lösung der Kurdenfrage unterstreicht und ein freundschaftliches Verhältnis zu den ansprechbaren türkischen Teilen der Gesellschaft herzustellen versucht. Wäre nicht auch eine Entschuldigung für die Tötung der türkischen Soldaten angebracht, zumindest ein Bedauern? Denn die einfachen türkischen Soldaten sind nicht diejenigen, die eine Lösung der türkischen-kurdischen Frage verhindern. Sie sind nur Opfer. Der jüngst verkündete einseitige Waffenstillstand bis zum 20. September 2010 sollte eine Einleitung zu einer neuen kurdischen Strategie sein.
Die kurdische Seite sollte ohne Bedingungen ihre Bereitschaft erklären, auf den bewaffneten Kampf zu verzichten, ihre Waffen unter internationaler Kontrolle den Vereinten Nationen zu übergeben und die Verbände aufzulösen. Sie sollte sich ganz auf das konzentrieren, was von ihr selbst immer wieder und zu Recht gefordert wurde, den Konflikt friedlich, politisch, demokratisch im Sinne ziviler Konfliktbearbeitung auszutragen. Das würde sie sehr glaubwürdig machen.
Bei einer Veranstaltung an der Universität in Giessen wurde mir neulich vorgeworfen, ich fordere die Kurden zur Kapitulation auf. Meine Antwort: Kapitulation keineswegs! Aber Verabschiedung von der militärischen Strategie, die keine Perspektive hat. Übergang zu einer neuen Strategie, die den schon seit langer Zeit von ihr vertretenen Prinzipien entspricht. Das wird noch schwer genug sein, Mut und Opferbereitschaft wird auch sie erfordern, aber sie wird gleichzeitig das Tor für Verständigung und Aussöhnung zwischen Kurden und Türken öffnen können.
Ereignis-Kalender
Waffenruhe und ein Ende des türkisch- kurdischen Konfliktes jetzt!
Aufruf an Ministerpräsident Erdogan sowie an Bundeskanzlerin Merkel, Staatspräsident Sarkozy und Kommissionspräsident Barroso:
Seit der Inhaftierung einer großen Zahl kurdischer Bürgermeister und Mitglieder der kurdischen BDP-Partei in den Jahren 2009 und 2010 ist der Konflikt zwischen Türken und Kurden in der Türkei eskaliert. Die Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und der PKK haben sich verschärft aber auch – und das ist neu – herrscht eine zunehmende Pogromstimmung mit Angriffen auf die kurdische Zivilbevölkerung wie kürzlich in Hatay und Bursa. Ein Ende ist nicht in Sicht. Statt einer friedlichen Lösung des Konfliktes werden weitere 'Sicherheitskonzepte' diskutiert und militärische Spezialeinheiten aufgebaut – wo allen Beteiligten aus historischer Erfahrung klar sein muss, dass Gewalt nur neue Gewalt provoziert.
Das Wort von Staatspräsident Abdullah Gül, die Lösung der Kurdenfrage sei die wichtigste Aufgabe der Türkei, schuf viel Hoffnung. Die Türkei war mit der 'Kurdischen Initiative' von Innenminister Besir Atalay auf gutem Wege in Richtung auf die Anerkennung von Minderheitenrechten: die Aufhebung des Verbots der kurdischen Sprache unter Kurden wie in den öffentlichen Medien; die Wiederzulassung der alten kurdischen Dorfnamen; die klare Benennung des türkisch-kurdischen Konflikts als politischen Konflikt und nicht mehr als 'Terrorismusproblem'; die Gewährung von mehr Religionsfreiheit; der Plan, die Verfassung u.a. so zu ändern, dass der Staatsbürgerstatus künftig nicht mehr an das 'Türkentum' anknüpft. Diese Ansätze sind – vorerst – gescheitert.
Dennoch: der Weg in den Minderheiten schützenden Verfassungsstaat wurde betreten. Ihn zu Ende zu gehen, ist auch in der Türkei unabdingbar.
Gerade ist der Fastenmonat Ramadan zu Ende gegangen – für Muslime in aller Welt traditionell ein Monat der Besinnung und der Mäßigung. Die PKK hat einen – zunächst nur befristeten – Waffenstillstand angekündigt. Wir nehmen beides zum Anlass, den Ministerpräsidenten der Türkischen Republik, Herrn Recep Tayyip Erdogan, aufzufordern, den türkisch-kurdischen Konflikt friedlich zu lösen und alle militärischen Operationen auszusetzen:
Setzen Sie das ganze Spektrum Ihrer Kompetenzen und Möglichkeiten für eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe ein. Sprechen Sie mit den streitenden Parteien ohne Vorbehalte und Vorbedingungen; suchen Sie dabei den Kontakt und die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Wir richten die Aufforderung, sofort die Waffen ruhen zu lassen, auch an die PKK und fordern die BDP als Vertretung der Kurden in der Region auf, sich aktiv an einer Lösung zu beteiligen.
Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Angela Merkel, den Staatspräsidenten der Französischen Republik, Herrn Nicolas Sarkozy und den Präsidenten der EU-Kommission, Herrn José Manuel Barroso, fordern wir auf:
Ermutigen Sie die Regierung von Premierminister Erdogan zu einer dauerhaften friedlichen Lösung des ethnischen Konfliktes in seinem Land! Nutzen sie dazu die Verhandlungen über die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union, um den notwendigen Dialog der Konfliktpartner zu erleichtern. Stehen Sie der türkischen Regierung bei ihren Bemühungen um einen demokratischen Verfassungsstaat aktiv zur Seite! Frieden in der Türkei mit friedlichen Mitteln ist möglich.
IPPNW Deutschland, Interkultureller Rat, Dialog-Kreis, Pro Asyl, Yek-Kom, Flüchtlingsrat Niedersachsen und medico international
Rufe nach einer friedlichen Lösung
Seit Beginn der Kampfhandlungen werden die Rufe nach einer zivilen und demokratischen Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes lauter. Angesichts der schmerzhaften Opfer, die die neuerliche Militarisierung des Konfliktes sowohl auf türkischer als auch auf kurdischer Seite mit sich bringt – wobei viele kurdische junge Männer als Soldaten der türkischen Armee sterben – forderten zahlreiche Bündnisse und prominente Einzelpersonen, unter anderem die Vorsitzende des republikanisch geprägten Unternehmerverbandes TÜSIAD, eine Lösung des Konfliktes durch Verhandlungen.
Stattdessen kündigte die Regierung die Schaffung einer 20.000- köpfigen Berufsarmee an, die speziell in den kurdischen Grenzgebieten eingesetzt werden soll. Durch eine spezielle Ausbildung sollen diese Soldaten in der Lage sein, in den unzugänglichen Bergregionen besser gegen die PKK vorzugehen als die regulären Rekruten.
Dass die Regierung sich nun wieder auf ein rein militärisches Vorgehen versteift und lieber die Herausforderung aufnimmt, eine Guerilla-Armee auf ihrem eigenen Terrain zu besiegen, als zu verhandeln, kommt dem Ende der sogenannten Kurdischen Initiative gleich. Vier der im Oktober 2009 zurückgekehrten PKK- Mitglieder, mit denen die Initiative begonnen hatte, wurden mittlerweile doch verhaftet und angeklagt. Die anderen erklärten ihre Rückkehr in den Flüchtlingscamp in Mahmur in Irakisch- Kurdistan.
(zenithonline, 9.8.10)
Ismail Besikci angeklagt
Es wirkt, als habe die Türkei die jüngsten Äußerungen des deutschen Außenministers Westerwelle bestätigen wollen. Der hatte vor seinem Besuch in Istanbul gesagt, die Türkei sei für einen Beitritt zur Europäischen Union nicht "reif". Genau am Tag seiner Visite nun sollte Ismail Besikci vor der 11. Strafkammer in Istanbul erscheinen, um sich wegen (angeblich) schwerer Verbrechen zu verantworten: Wieder einmal nämlich soll er Propaganda für die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) betrieben haben.
Der türkisch stämmige Soziologe Ismail Besikci kennt diese Anklagen. Der bekannteste Kurden- und Minderheiten-Forscher des Landes hat sie oft genug vernommen; sie lassen sich leicht gegen alle vorbringen, die sich - in welcher Form auch immer - gegen die herrschende Meinung in der Kurden-Frage wenden. Man hat ausgerechnet, dass er zu insgesamt mehr als hundert Jahren Haft verurteilt worden ist. Bei acht Gefängnisaufenthalten hat er 17 Jahre davon verbüßt; mittlerweile ist Besikci 71 Jahre alt. Er teilt dieses Schicksal mit vielen Intellektuellen, die - wie etwa der Romancier Yasar Kemal - zur Kurden-Problematik entschieden andere Auffassungen haben als die Regierung oder gar die offizielle kemalistische Staatsideologie. Mit dieser Ideologie, die seit den zwanziger Jahren aus Angst vor territorialer Zerstückelung im Grunde keine Minderheiten kennt, sondern nur noch Türken, liegt der Soziologe tatsächlich schon Jahrzehnte im Streit. In mehr als dreißig wissenschaftlichen Publikationen hat sich Besikci mit Sprache, Kultur und Stammes- Struktur der Kurden beschäftigt und ihre jeweilige Differenz und Eigenständigkeit gegenüber den Türken herausgearbeitet. Als Ergebnis seiner Forschungen plädiert er schon lange für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden. Man legte diesen Wissenschaftler auch zu sehr fest, wenn man ihn nur als Kurden- Kenner bezeichnete. Besikci interessiert sich auch für die Aleviten, die Yeziden, die syrischen Christen und andere Minderheiten der Türkei und des Nahen Ostens, die verfolgt wurden und teilweise noch werden.
Gegenwärtig setzen sich zahlreiche türkische und kurdische Intellektuelle dafür ein, die jüngste Anklage gegen den Wissenschaftler fallenzulassen. Unter dem Motto "Die Ehre der Wissenschaft steht nicht allein" setzen sie sich für die Freiheit Besikcis ein. Und auch für den Verleger Zeycan Balci, der Besikcis jüngsten inkriminierten Aufsatz druckte. „Die Ehre der Wissenschaft in der Türkei“ soll wieder ins Gefängnis.
(GfbV, 27.7.10; junge Welt, 28.7.10; FAZ, 29.7.10)
Kurdische NGOs fordern friedliche Lösung der Kurdenfrage
Nach dem die PKK erneut eine Waffenruhe erklärt hat, fordern in den kurdischen Gebieten tätigen zivile Organisationen die türkische Regierung nach und nach auf, endlich einen Weg der friedlichen Lösung der Kurdenfrage einzuschlagen.
649 Nichtregierungsorganisationen appellierten in einer gemeinsamen Erklärung an die Regierung militärische Operationen einzustellen, so eine Chance für die Verlängerung der Waffenruhe ab dem 20. September zu geben. Die bisherigen militärischen „Sicherheitskonzepte“ seien gescheitert. „Lasst uns den einzigen Weg gehen, der noch nicht erprobt worden ist, den Weg des Friedens“, hießt es in dem Aufruf, der von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Kammern, und Menschenrechtsorganisationen unterzeichnet wurde. Sie rufen die Regierung dazu auf, als ersten Schritt verhaftete Kurdenpolitiker freizulassen.
Der türkische Premier Tayyip Erdogan lehnt jegliche Kontakte und Verhandlungen mit der PKK strikt ab. So auch diesmal: „Wir haben nicht die Angewohnheit, Erklärungen der Terroristen zu kommentieren“, sagte ein Regierungssprecher.
(mainpost.de, 22.7.10)
Baydemir für föderales System
Osman Baydemir, 38, hat eine Vision. „Warum sollte vor meinem Rathaus nicht neben der türkischen Flagge die gelb-rot-grüne Kurdenfahne wehen?“, fragt der Bürgermeister der Kurdenmetropole Diyarbakir.
Baydemir, einer der prominentesten kurdischen Politiker der Türkei, hat nach Jahren eher diffuser Debatten am 31. Juli erklärt, wie er sich die Zukunft der kurdischen Region und der Türkei insgesamt vorstellt. Folgte man seinen Ideen, würde aus dem straff geführten türkischen Zentralstaat, der einst nach französischem Vorbild gegründet wurde, ein Land, das in seinem föderalen Aufbau der Bundesrepublik ähneln und in der Realität am ehesten Spanien nahekommen würde.
Was Katalanen und Basken in Spanien zusteht, hätte Baydemir gern auch für die Kurden in der Türkei. Und nicht nur für die Kurden: Autonome Regionen könnte es auch am Schwarzen Meer und an der Ägäisküste geben. „Es wird weiter das Parlament in Ankara geben, die türkische Nationalhymne wird weiter in der Türkei gesungen und die türkische Nationalflagge wird wehen“, sagte Baydemir. Daneben aber werde es etwa ein „Regionalparlament Kurdistan“ geben.
Am 2. August kam, was kommen musste: die Staatsanwaltschaft. Sie leitete ein Ermittlungsverfahren gegen Baydemir ein. Auch bei der Regierung blitzte der Bürgermeister ab: seine Äußerungen seien „unsinnig“, erklärte Vizepremier Cemil Cicek. Das türkische Innenministerium leitete ein Disziplinarverfahren gegen den Bürgermeister ein.
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind für Baydemir nichts Neues. Seit der Anwalt und Menschenrechtsaktivist 2004 mit 31 Jahren zum Stadtoberhaupt von Diyarbakir gewählt wurde, hat ihn die Justiz mit mehr als 100 Verfahren überzogen. Das jetzt eingeleitete Verfahren kann Baydemir nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es geht wo möglicher um den Vorwurf des Separatismus. Das könnte für den Bürgermeister den Verlust seines Amtes und eine langjährige Haftstrafe bedeuten.
(FR-Online, 3.8.10; orf.at, 10.8.10; taz, 12.8.10)
Giftgasangriff gegen PKK-Kämpfer
Politiker und Menschenrechtler haben die Türkei aufgefordert, den Tod von acht kurdischen Kämpfern aufzuklären. Diese könnten mit Chemiewaffen getötet worden sein.
Setzt die Türkei in der Auseinandersetzung mit der kurdischen Widerstandsorganisation PKK Chemiewaffen ein? Dies legen zumindest Fotos nahe, deren Authentizität nun durch einen deutschen Bildfälschungsexperten bestätigt wurde, wie Spiegel Online berichtet.
Auf den Fotos, die kurdische Aktivisten bereits Anfang März einer deutschen Menschenrechtsdelegation übergaben, sind verbrannte, verstümmelte und verätzte Körperteile zu sehen. Nach Angaben der türkisch-kurdischen Menschenrechtler handelt es sich dabei um die Leichen von PKK-Kämpfern, die im September 2009 getötet worden seien.
Die Tageszeitung (taz) hat die Fotos dem Hamburger Universitätsklinikum vorgelegt. Die Ärzte gingen davon aus, dass die acht Kurden "mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Einsatz chemischer Substanzen" starben. Sollte sich dies als richtig herausstellen, hätte die Türkei damit gegen die auch von ihr unterzeichnete Chemiewaffenkonvention verstoßen.
Politiker unterschiedlicher Parteien fordern nun Aufklärung. "Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine Obduktion der Leichen von PKK-Kämpfern angeordnet wird, aber die Ergebnisse unter Verschluss gehalten werden", sagte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth Spiegel Online. Sie erwarte eine "unabhängige Untersuchung". Auch CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz sprach sich für eine Untersuchung unter internationaler Beteiligung aus.
Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle, Uta Zapf (SPD), will Bundesaußenminister Guido Westerwelle auffordern, eine Untersuchung durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen zu veranlassen, die die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention überwacht. "So eine Untersuchung hat es aber in der Vergangenheit noch nie gegeben", sagte Zapf der taz.
Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges wies darauf hin, dass der Verdacht, dass die Türkei im Kampf gegen die PKK Chemiewaffen einsetze, seit Langem existiere. Ein Nachweis sei aber bisher nicht möglich gewesen. Dies könnte sich nun ändern. Zumal der taz bereits neue Bilder vorliegen, auf denen möglicherweise die Leichen von sechs weiteren PKK-Rebellen zu sehen sind. Auch diese Fotos werden nun geprüft.
Das türkische Außenministerium wies laut taz alle Vorwürfe zurück. Im Arsenal der Streitkräfte befänden sich keine biologischen oder chemischen Waffen, heißt es aus Ankara.
(taz, Welt Online und Spiegel Online, 12.8.10, Zeit Online, 13.8.10, http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-08/giftgas- tuerkei-kurden)
Ermordung tausender Kurden "war Staatspolitik"
In der Türkei erhebt ein Ex-Admiral schwere Vorwürfe gegen führende Politiker und Militärs der neunziger Jahre. Sie sollen von der Ermordung tausender Kurden gewusst und diese zum Teil befohlen haben.
Als Nazim Babaoglu einen heißen Tipp bekam, zögerte er nicht lange. Am 12. März 1994 erhielt der Journalist der pro- kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ im kurdischen Urfa einen Anruf von einem Kollegen. Im nahen Bezirk Siverek gebe es eine gute Geschichte für ihn, sagte er. Babaoglu fuhr los – und wurde nie wieder gesehen. Der Kollege, so stellte sich später heraus, wusste nichts von seinem angeblichen Anruf bei Babaoglu. Der Journalist war in eine tödliche Falle gelockt worden.
Babaoglu ist einer von mehreren tausend Menschen, die in den 1990er Jahren, auf dem Höhepunkt des Krieges zwischen der türkischen Armee und PKK, ermordet aufgefunden wurden oder spurlos verschwanden. Es geht um eine Zahl von mindestens 3000 bis 17.000 Mordfälle, manche Leichen wurden nie gefunden. Nach wie vor ist das Thema in der Türkei so tabu, dass ein Verleger in Istanbul noch im vergangenen Jahr wegen Beleidigung des Türkentums verurteilt wurde, weil er ein Buch über das Verschwinden von Nazim Babaoglu veröffentlichte.
Lange wagte sich kein Staatsanwalt an die ungeklärten Morde heran. Erst seit kurzem ändert sich das: Anklagevertreter ließen sterbliche Überreste mutmaßlicher Opfer gerichtsmedizinisch untersuchen. In Diyarbakir muss sich derzeit ein Armee-Offizier wegen der Ermordung von Kurden vor Gericht verantworten.
Der Beginn des Prozesses hat das sonst so verschwiegene Offizierskorps aufgeschreckt. Empört von der Aussicht, dass Soldaten ausbaden sollen, was Politiker und Vorgesetzte ihnen eingebrockt haben, meldete sich jetzt ein pensionierter Admiral namens Atilla Kiyat im Fernsehen zu Wort. Die Morde an den Kurden seien „Staatspolitik“ gewesen, sagte er. Damit könnte er die Aufarbeitung der ungeklärten Morde entscheidend vorangebracht haben. Der schmutzige Krieg des türkischen Staates gegen die Kurden kommt ans Tageslicht.
Kein kleiner Offizier in einer kurdischen Provinzstadt habe von sich aus entscheiden können, kurzerhand diesen oder jenen Journalisten oder Menschenrechtler aus dem Weg zu räumen, sagte Kiyat im Privatsender Habertürk. „Nein, dafür kam immer ein Befehl von oben. Nun sitzen diese Kameraden hinter Gittern, während diejenigen, die für diese Staatspolitik verantwortlich waren, ruhig in ihren Betten schlafen.“
Kiyat appellierte an die führenden Politiker und Militärs der neunziger Jahre, klipp und klar zu sagen, dass die Morde staatlich sanktioniert waren. „Es ist leider so, dass die Führung dieses Landes damals außergerichtliche Tötungen als Mittel der Terrorbekämpfung betrachtete.“
Menschenrechtler werten die Aussage als offizielle Bestätigung des seit Jahren gehegten Verdachts, dass es Mitglieder der Sicherheitskräfte waren, die in den neunziger Jahren reihenweise angebliche Unterstützer der PKK verschwinden ließen.
„Seit fast 20 Jahren treibt uns die Frage nach den Verschwundenen und nach den ungeklärten Morden um,“ sagte der Menschenrechtler Cemal Babaoglu kürzlich auf einer Kundgebung in Urfa. Cemal ist der Bruder des vor 16 Jahren spurlos verschwundenen Journalisten Nazim Babaoglu. “Aber allein für unsere Fragen sind viele von uns schon ermordet worden.“
Deshalb schlugen Kiyats offene Worte ein wie eine Bombe. Ein Menschenrechtsverein hat bereits Strafanzeige erstattet gegen die verantwortlichen Politiker jener Jahre, vorneweg die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller. Kiyat selbst soll im Prozess gegen den Offizier in Diyarbakir als Zeuge vernommen werden.
(Der Tagesspiegel, 16.8.10)
Viele der inhaftierten Kinder freigelassen
Amnesty International hat den Schritt des türkischen Parlamentes begrüßt, die Strafverfolgung von Kindern nach dem Anti-Terror-Gesetz allein wegen der Teilnahme an Demonstrationen zu beenden.
Die Gesetzesänderungen, die das Parlament am 19. Juli beschlossen hat, besagen, dass die Urteile aller Kinder, die zuvor nach dem Anti-Terror-Gesetz verurteilt worden waren, aufgehoben werden. Das neue Gesetz beendet auch die Strafverfolgung von Kindern im Alter von 15 Jahren und darüber an Sondergerichten für schwere Straftaten für Erwachsene (Gerichte, die zuständig sind für Verfahren wegen organisierter Kriminalität, Terrorismus und Staatssicherheit).
"Das türkische Parlament hat einen wichtigen Schritt unternommen, um die unfairen Gerichtsverfahren gegen Kinder zu beenden und ihre Menschenrechte zu schützen," sagte Andrew Gardner, der Türkei-Researcher von Amnesty International.
"Die türkischen Behörden müssen nun Schritte unternehmen, um die übermäßig weitgefassten und ungenauen Anti-Terror- Gesetze zu ändern, die zu zahllosen unfairen Gerichtsverfahren und Anklagen gegen diejenigen geführt haben, die ihre abweichende Meinung mit friedlichen Mitteln ausgedrückt haben."
Das neue Gesetz verhindert nicht die Strafverfolgung erwachsener Demonstranten nach dem Anti-Terror-Gesetz, es lässt weiterhin unfaire Gerichtsverfahren gegen Personen im Alter von 18 Jahren und darüber zu. Amnesty International verspricht, die Umsetzung der Änderungen zu beobachten, und drängt die Behörden dazu sicherzustellen, dass Verfahren gegen Kinder nur an ausgewiesenen Gerichten für Kinder durchgeführt werden.
Tausende von Kindern, darunter einige nur 12 Jahre alt, sind in der Türkei nach dem Anti-Terror-Gesetz verfolgt worden, nur weil sie an Demonstrationen teilgenommen haben, die von der Regierung als Unterstützung des Terrorismus betrachtet werden. Schwerpunkte der Demonstrationen waren Themen, die Anliegen der kurdischen Gesellschaft sind. Oft kam es dabei zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Amnesty International erinnert die türkischen Behörden an ihre Verpflichtung, das Recht auf friedlichen Protest Aufrecht zu erhalten. ai erklärte, dass Kinder nur als letztes Mittel festgenommen und in Einrichtungen für Minderjährige untergebracht werden sollten. Sie forderte die türkischen Behörden auch auf sicherzustellen, dass das absolute Verbot von Folter und Misshandlung aufrecht erhalten wird.
Nach den Gesetzesänderungen wurden viele der inhaftierten Kinder freigelassen. Trotz Gesetzesänderungen wurden aber wieder neue Kinder während Demonstrationen festgenommen.
Nach der Freilassung der Kinder bestehen einige Probleme fort: Die Verfahren gegen die Kinder werden jetzt vor Kinder- und Jugendgerichten durchgeführt; sie können immer noch zu - jetzt reduzierten - Haftstrafen verurteilt werden. Viele der Kinder haben aufgrund der erlittenen Misshandlungen physische Erkrankungen (wie z.B. gebrochene Nasenbeine oder geplatzte Trommelfelle) und haben posttraumatische Belastungsstörungen und benötigen Behandlung.
(ai, 23.7.10, info@amnesty-tuerkei.de, http://amnesty- tuerkei.de/wiki/Alle_Kinder_haben_Rechte)
US-Journalist abgeschoben
Mit allen Mitteln versucht die türkische Regierung, kritische ausländische Journalisten an der Berichterstattung aus den kurdischen Landesteilen zu hindern. Nachdem die beiden auf Kurdisch erscheinenden Zeitungen „Azadiya Welat“ und „Rojev“ verboten wurden, wurde der US-Amerikaner Jake Hess, der seit 2008 in Diyarbakir lebt, am 11. August von Antiterroreinheiten der Polizei festgenommen. Die türkische Justiz wirft ihm Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans PKK vor. So tauchte Hess´ Name in der Anklageschrift gegen den Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins IHD in Diyarbakir, Muharrem Erbey, auf, der ab dem 18. Oktober unter dem Vorwurf der PKK- Unterstützung vor Gericht steht.
Kurz nach der Festnahme wurde Hess in die USA abgeschoben. Auch ein Fotojournalist aus Berlin, der über den Kurdenkonflikt berichten wollte, verließ nach Drohungen der Polizei unterdessen freiwillig die Türkei. Während eine Menschenrechtsdelegation aus Europa und Landtagsabgeordnete der Linken aus Berlin und Nordrhein-Westfalen Hess am 19. August im Gefängnis von Diyarbakir besuchen konnte, wurde ihr ein Besuch bei Erbey und weiteren politischen Gefangenen von der Gefängnisleitung verwehrt.
Die PKK, die am 13. August einen bis zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan am 20.September terminierten Waffenstillstand ausgerufen hat, bezeichnete unterdessen die Freilassung der teils seit eineinhalb Jahren ohne Anklage inhaftierten 1700 politischen Gefangenen aus zivilen Organisationen wie der mittlerweile verbotenen Partei für eine demokratische Gesellschaft DTP als zentral für die Einleitung eines Friedensprozesses.
(junge Welt, 21.8.10)
Ankara spricht mit Öcalan
„Er gilt als ‚Staatsfeind Nr. 1’. Türkische Medien geißelten ihn als "Schlächter" und "Satan": Öcalan, Vorsitzender der Arbeiterpartei Kurdistan PKK. Seit 1999 verbüßt er eine lebenslange Haftstrafe auf der Gefängnisinsel Imrali - und zieht über seine Anwälte aus der Zelle die Fäden in die PKK. Millionen Kurden verehren ihn als ihren Führer. Öcalan sei deshalb die Schlüsselfigur zu einer Lösung des Kurdenkonflikts, glauben viele.
Keinesfalls werde der Staat mit Öcalan oder der als Terrororganisation eingestuften PKK verhandeln, konterte die Regierung bisher. Aber ganz so stimmt das nicht. Geheimkontakte gebe es, seit Öcalan vor über elf Jahren seine Zelle als einziger Häftling auf Imrali bezog, enthüllte jetzt der frühere türkische Geheimdienstchef Cevat Önes. Und sie sind offenbar intensiv. Am 20. Juli habe Hakan Fidan, der Chef des Nachrichtendienstes MIT, mit zwei seiner Beamten nach Imrali übergesetzt und sich mit Öcalan getroffen, behauptet ein türkischer Oppositionsabgeordneter. Die Überwachungskameras auf Imrali seien ausgeschaltet worden, um den Besuch geheim zu halten. Fidan war ein leitender Beamter im Büro von Ministerpräsident Tayyip Erdogan, bevor er im Mai zum Geheimdienstchef befördert wurde. Das gibt seinem Besuch besondere Bedeutung. Erdogan unterstrich zwar noch einmal, die Regierung könne ‚niemals mit einer Terrororganisation am Verhandlungstisch sitzen’. Wenn es aber die Notwendigkeit für Kontakte gebe, könne der Staat diese über seine ‚Institutionen’ herstellen. Auf die Rückfrage, welche Institutionen er meine, nannte der Premier den Geheimdienst: ‚Seine Aufgabe ist es, Schlösser zu öffnen und bestimmte Probleme zu lösen.“ Dies berichtete Gerd Höhler am 30. August in der Südwest Presse.
Dies bestätigte auch der Berater von Erdogan. Die türkische Regierung hat erstmals Kontakte der Behörden zu dem inhaftierten Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, bestätigt. Wenn ein Häftling in einem staatlichen Gefängnis sitze, sei ein "Dialog" der Behörden mit diesem Häftling unausweichlich, schrieb Yalcin Akdogan, ein Berater des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, in der Zeitung "Star". Solche Kontakte seien aber keineswegs gleichbedeutend mit Verhandlungen zwischen dem Staat und der PKK.
Die angeblichen Verhandlungen zwischen Regierung und Öcalan sind derzeit das Hauptthema hitziger politischer Auseinandersetzungen der Parteien vor der Volksabstimmung am 12. September.
(Der Standard, 23.8.10; Der Tagesspiegel, 24.8.10; Südwest Presse, 30.8.10; dradio.de, 31.8.10)
Erdogan: Weiterhin ein Volk, eine Nation, eine Flagge und ein Staat
Ministerpräsident Recep Tayyip hat das letzte Wort zu den Diskussionen einer "demokratischen Autonomie" gesprochen. In einem Interview mit einem Privatsender sagte er, eine zweite Flagge neben der türkischen komme nicht in Frage. Die Regierung werde weiterhin ein Volk, eine Nation, eine Flagge und ein Staat sagen.
Der Ministerpräsident betonte, als politische Regierung würden sie sich niemals an den Verhandlungstisch mit einer Terrororganisation oder deren Vertretern setzen und ein Gespräch aufnehmen. Dies sei nicht vorgekommen und sei auch für die Zukunft unmöglich. Sollten jedoch solche Gespräche unumgänglich sein, so werde der Staat diese selbst führen.
(trtdeutsch.com und AKnews, 24.8.10)
Fauler Kompromiss: 102 Offiziere frei, Generalstabschef ernannt
Jedes Jahr trifft sich der Hohe Militärrat Anfang August. Normaler weise dauert die Sitzung zwei bis drei Tage. Aber dieses Jahr ist alles anders gelaufen. Nach einer einwöchigen Kraftprobe zwischen der islamisch-konservativen AKP und Militärführung einigten sich die Parteien über die Spitze des türkischen Militärs.
Im Juli ordnete ein Gericht in Istanbul die Verhaftung von 102 Generäle und Offiziere des türkischen Militärs. Den Verdächtigen wird vorgeworfen, an der Planung eines Putsches gegen die Regierungspartei AKP beteiligt gewesen zu sein. Insgesamt sind 196 mutmaßliche Beteiligte angeklagt.
Eines der Probleme waren die Haftbefehle gegen amtierende Generäle. Parallel zur Tagungen des Militärrates trafen sich in den späten Nachtstunden Premier Erdogan, Staatschef Gül und Generalstab Ilker Basbug mehrmals, um Lösungen zu suchen und eine Botschaft der Einigkeit zu vermitteln.
Und plötzlich hob am 7. August ein Gericht in Istanbul die Haftbefehle gegen 102 mutmaßliche Verschwörer aus dem türkischen Militär auf. Das eigentliche Problem wurde dank dieser Gerichtsentscheidung gelöst.
Den Verdächtigen, unter ihnen 25 amtierende Generäle und Admiräle, wird vorgeworfen, im Jahr 2003 an der Planung eines mutmaßlichen Putsches gegen die islamisch-konservativ geprägte Regierungspartei AKP beteiligt gewesen zu sein. Die Haftbefehle waren am 23. Juli ausgestellt worden.
Das Seilziehen zwischen der türkischen Regierung und der Armee um die Neubesetzung der beiden obersten Posten in der Militärführung hatte damit ein Ende. Nach dem Kompromiss gab das Militär bekannt, dass Isik Kosaner der neue Generalstabschef sei.
Der 65-jährige General Isik Kosaner trat am 30. August in Ankara sein Amt an, er wird die türkische Armee für drei Jahre führen. Kosaner diente als Kommandooffizier bei Spezialeinheiten im Krieg gegen die PKK. Bei seiner Rede gelobte er - wie für Armeechefs üblich - die Loyalität zu 'Einheitsstaat, Nationalstaat, säkularem Regime und den kemalistischen Prinzipien' und kritisierte die Medien, die der Armee mit Enthüllungen schwer zugesetzt haben.
Kosaner tritt sein Amt zu einer Zeit an, in der sich die Armee in der Öffentlichkeit wegen aufgedeckter Verschwörer-Kreise in den Reihen ihrer Offiziere verteidigen muss. Die liberale Zeitung Radikal sieht die Türkei an einem 'Wendepunkt, was die zivile Kontrolle des Militärs betrifft'. Und der Kolumnist Mehmet Ali Birand schreibt in der Zeitung Posta: 'Zum ersten Mal ist eine gewählte Regierung zum wirklichen Zentrum der Macht in der Türkei geworden.'
(Die Presse, 7.8.10; AFP, 27.8.10, SZ, 31.8.10)
Armee hörte 2000 Kritiker illegal ab
Die türkische Armee soll über Jahre rund 2000 Kritiker im Land illegal abgehört haben. Nach dem Generalstab in Ankara ordnete jetzt auch Telekommunikationsminister Binali Yildirim eine Untersuchung der Vorwürfe an, wie türkische Zeitungen am 1. September berichteten. Die internen Nachforschungen der Militärs allein seien nicht ausreichend, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, sagte Yildirim.
Für die Abhöraktion wurden demnach Geräte eingesetzt, die offiziell für die Überwachung von Telefongesprächen von Mitgliedern oder Unterstützern der PKK gekauft wurden. Die Telefone, die angezapft wurden, gehörten laut "Taraf" auch Akademikern und Journalisten, die für ihre kritische Haltung zur politischen Rolle der türkischen Armee bekannt sind.
(Die Presse, 1.9.10)
Schriftsteller und Menschenrechtler Dogan Akhanli verhaftet
Am 10. August wurde der Schriftsteller Dogan Akhanli, deutscher Staatsbürger seit 2001, am Flughafen in Istanbul verhaftet und in die Haftanstalt Metris verbracht. Seit dem 20. August wird er in einer Haftanstalt in Tekirdag festgehalten. Akhanli ist zum ersten Mal seit seiner Flucht 1991 in die Türkei gekommen. Er wollte seinen kranken Vater besuchen.
Die türkische Staatsanwaltschaft wirft Akhanli vor, er sei im Oktober 1989 an einem Raubüberfall auf eine Istanbuler Wechselstube beteiligt gewesen, bei dem ein Mensch getötet wurde. Akhanli hat diesen Vorwurf und jegliche Verbindung zu dem Überfall entschieden zurückgewiesen. Seine Anwälte, Haydar Erol (Istanbul) und Ilias Uyar (Köln), halten die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismittel für völlig haltlos.
Ein Zeuge, der ihn zuerst belastet habe, habe seine Aussage später zurückgezogen, sie sei unter Folter entstanden. Mehrere Augenzeugen der Tat hätten Akhanli auf Fotos ausdrücklich nicht erkannt. Dennoch seien alle entlastenden Zeugenaussagen vom zuständigen Staatsanwalt nicht an den Haftrichter weitergegeben worden, so dass dieser eine Haftbeschwerde ablehnte.
Dogan Akhanli war nach dem Militärputsch von 1980 im Untergrund. 1985-1987 war er als politischer Häftling im Militärgefängnis von Istanbul inhaftiert und wurde dort gefoltert. Er floh 1991 nach Deutschland, wurde hier als politischer Flüchtling anerkannt und später von der Türkei ausgebürgert. Seit Mitte der 90er Jahre lebt er als Schriftsteller in Köln. Seitdem hat er sich in Romanen, Aufsätzen und Interviews und in Projekten in Deutschland immer wieder für den offenen Umgang mit historischer Gewalt und für die Unteilbarkeit der Menschenrechte eingesetzt.
Der 1957 in der Türkei geborene Autor hatte sich im Buch „Die Richter des jüngsten Gerichts“ mit dem Völkermord an den Armeniern befasst. Sein Roman „Der letzte Traum der Madonna“ (2005) wurde von türkischen Kritikern zu einem der zehn besten des Jahres gekürt. In Deutschland wurden seine Projekte für einen offenen Umgang mit historischer Gewalt und für Versöhnung mehrfach ausgezeichnet, etwa vom Bündnis für Demokratie und Toleranz.
Dogan Akhanli ist Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins „Recherche International“. Der Verein befasst sich vorrangig mit der bildungsorientierten Aufarbeitung von genozidalen Gewalterfahrungen.
Für Rückfragen: Albrecht Kieser, Albrecht.Kieser@rjb-koeln.de
Für Protestbriefe: Türkisches Generalkonsulat in Köln, turk.genkon.koeln@t-online.de, Justizministerium in Ankara, uhdigm@adalet.gov.tr
Washington überdenkt Waffenverkäufe
US-Präsident Barack Obama hat laut Financial Times die Türkei aufgefordert, ihre Haltung zu Israel und zum Iran zu überdenken. Obama habe dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan gesagt, sollte es in den USA Zweifel am Bündnispartner Türkei geben, könne dies den Verkauf von Waffen an das Land erschweren, berichtete die Zeitung unter Berufung auf einen US- Offiziellen.
Obama habe Erdogan klargemacht, dass "einige Aktivitäten" der Türkei im US-Kongress Fragen aufgeworfen hätten. Dadurch könnte es schwieriger werden, den Verkauf von Waffen an die Türkei absegnen zu lassen.
Ankara will US-Kampfdrohnen kaufen. Die USA haben zuletzt umfangreiche Waffengeschäfte mit den arabischen Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, abgesegnet, die in Israel zum Teil kritisch gesehen wurden - obwohl es dabei auch um eine Aufrüstung gegen den Iran geht, die auch im Interesse Israels ist. Mit den Waffenlieferungen an die Türkei zeigen die USA offenbar jetzt angesichts der dramatisch schlechten israelisch-türkischen - und der guten türkisch-iranischen - Beziehungen besondere Vorsicht.
(AFP, dpa, Der Standard, 17.8.10)
Türkei vor Verfassungsreferendum
In der Türkei herrscht Wahlkampfatmosphäre. Zwar findet die nächste Parlamentswahl erst im Sommer 2011 statt. Doch am 12. September, dem 30. Jahrestag des Militärputsches von 1980, sind die Wähler aufgerufen, über die von AKP vorgelegten Änderungen der noch aus der Putschzeit stammenden Verfassung abzustimmen.
Die Hälfte der 26 Reformartikel betrifft Fragen der Justiz. So sollen Soldaten künftig auch vor zivile Gerichte kommen können. Die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtes und Kassationshofes soll neu geregelt werden. Aufgrund von Verjährung nur noch symbolische Bedeutung hat die Aufhebung des Artikels 15 der Verfassung, der bislang eine Verurteilung der Putschisten von 1980 verbietet. Weitere Änderungen behandeln Kinderrechte und das Recht auf Tarifverhandlungen für Beamte, allerdings ohne ihnen Streikrecht zu gewähren. Unterstützung bekommt die AKP von kleineren islamischen Parteien, aber auch von konservativen und linksliberalen Intellektuellen, die in der Verfassungsreform Schritte zur Demokratisierung der Türkei sehen.
Die kemalistische und nationalistische Opposition aus CHP und MHP ruft zu einem »Nein« auf, da sie in den Verfassungsänderungen vor allem den Versuch der AKP sehen, bislang von den Kemalisten gehaltene höhere Justizinstitutionen unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) ruft zum Boykott des Referendums auf, da sie zwar die bestehende Putschverfassung ablehnt, doch das Reformpaket keine substantiellen Punkte zur Verbesserung der Situation der Kurden bietet. So enthält das Paket weder die Abschaffung der Zehnprozenthürde bei Parlamentswahlen noch anderer, ausschließlich das »Türkentum« betonende diskriminierende Verfassungsartikel. Es wird erwartet, dass die kurdische Bevölkerung mehrheitlich nicht zur Abstimmung geht und so die Verfassung gänzlich ablehnt.
(Der Tagesspiegel, 14.8.10; junge Welt, 26.8.10)
„Tatort Kurdistan“ fordert die Einstellung der Rüstungsexporte
Zum Weltfriedenstag prangerte die Kampagne »Tatort Kurdistan« deutsche Waffenlieferungen in die Türkei an. Durch ihre Rüstungsexporte mache sich die Bundesrepublik mitverantwortlich für die militärische Auseinandersetzung in der Türkei, kritisieren antimilitaristische Gruppen.
Vorwürfe erheben auch deutsche Menschenrechtler. Amnesty International findet es besorgniserregend, dass die Bundesregierung der Türkei Kleinwaffen und Panzer trotz des anhaltenden Konflikts in den kurdischen Gebieten liefert. Von 2006 bis 2008 hat die Bundesregierung 289 Panzer sowie zahlreiche Schusswaffen dorthin exportiert. Die Türkei sei der wichtigste Abnehmer von deutschen Rüstungsexporten, kritisiert auch die Kampagne »Tatort Kurdistan«. Deutsche und kurdische Gruppen und Organisationen haben sich vor einem halben Jahr zu diesem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen, um auf die deutsche Unterstützung für die Kampfhandlungen in der östlichen Türkei hinzuweisen.
»Eine Menschenrechtsdelegation hat im Frühjahr in der Region um Sirnak einen deutschen Leopard-2-Panzer im Einsatz gesehen«, berichtet Ellen Jaedicke von »Tatort Kurdistan«. Zur gleichen Zeit versprach Kanzlerin Angela Merkel der Türkei eine weitere Lieferung von 56 Panzern. Gegen diese Exporte protestierte »Tatort Kurdistan« am 1. September in mehr als zehn Städten.
(junge Welt, 30.8.10; Neues Deutschland, 1.9.10, www.tatort-kurdistan.blog.de)
Dänemark geht gegen Roj TV vor
Es gibt Zufälle, die gibt es gar nicht. Doch, denn just als Nato- Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Kopenhagen zu seinem offiziellen Besuch eintraf, da kam die Meldung, dass der in Kopenhagen ansässige Kurden-Sender Roj TV nun wegen Terrorverdachts vor ein dänisches Gericht gebracht wird, um ihn – laut Forderung des Reichsadvokats – mundtot zu machen. Man erinnert sich noch an eine Geschichte, die international die Runde machte, als Fogh Rasmussen zum Nato-Generalsekretär gewählt wurde. Die Türken wehrten sich gegen seine Nominierung, nicht nur wegen der Mohammed-Krise, sondern auch weil er als dänischer Regierungschef Roj TV nicht verboten hatte. Nach türkischer Lesart ein Propaganda-Sender für die kurdische PKK. Angeblich wurde Fogh trotz türkischen Vetorechts als Kandidat nur durchgesetzt, nachdem – angeblich – aus Kopenhagen als Gegenleistung signalisiert worden war, dass Dänemark dann doch den Betrieb von Roj TV einstellen würde.
Fogh hat dies stets dementiert, aber nun wird konkret der Versuch unternommen, Roj TV zum Schweigen zu bringen. Der türkische Botschafter in Dänemark frohlockte am 1. September. Den Türken war Roj TV stets ein Dorn im Auge. Als ein Journalist von Roj TV auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen eine Frage an den türkischen Premier Erdogan stellen wollte, brach dieser zum Erschrecken seines Gastgebers Fogh die Pressekonferenz ab und verließ beleidigt Dänemark.
Das Terror-Verfahren, das nun gegen Roj TV in Kopenhagen stattfinden soll, kam deshalb nicht völlig unerwartet.
Das Bundesinnenministerium hat Mitte Juni 2008 den Betrieb von Roj TV in Deutschland verboten, da der Sender in die Organisationsstruktur der PKK eingebunden sein soll. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hob Anfang 2010 das Verbot wieder auf, leitete die Klage aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg weiter. Die Bundesrichter unterstrichen, die Kontrolle über Roj TV liege »bei dem Staat, in dem der Sender seinen Sitz hat« – in Dänemark seit März 2004.
(nordschleswiger.dk, 1. und 2.9.10; Junge Welt, 2.9.10)
Erdgas aus Kurdistan Vertrag in vermintem Gebiet
Der deutsche Energiegigant RWE ist bei der Suche nach Erdgas offenbar fündig geworden. Wie der Konzern mitteilte, sei mit der kurdischen Regionalregierung in Irakisch-Kurdistan ein Kooperationsabkommen geschlossen worden. Damit sei die Grundlage für eine spätere Belieferung der Erdgaspipeline "Nabucco" gelegt worden.
Es geht um eine 3.300 Kilometer lange Erdgastrasse und das ganz große Geschäft: Ab 2014 möchte ein Konsortium, in dem neben RWE auch das türkische Staatsunternehmen Botas und weitere Konzerne beteiligt sind, jährlich 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas unabhängig von Russland nach Europa liefern. Das Problem: Noch kann das Konsortium nicht die notwendigen Lieferverträge vorlegen.
Die irakische Regierung reagierte empört. Nun gibt es zwar eine Autonome Region Kurdistan, mit eigener Flagge, eigener Verfassung, eigener Verwaltung, eigener Hymne. Aber es gibt völkerrechtlich keine anerkannte kurdische Regierung im Nordirak. Entsprechend empört reagierte das Ölministerium des Iraks, auf dessen Hoheitsgebiet die Gasfelder liegen. Jeglicher Vertrag, der an der staatlichen Ölvermarktungsorganisation Somo vorbei geschlossen werde, sei illegal. "Niemand außerhalb des Ministeriums hat das Recht, Exportverträge für Öl oder Gas zu unterzeichnen", hieß es in der Erklärung des Ministeriums. Die Schärfe der Reaktion hängt mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im Nordirak zusammen. "Die Kurden sind ganz wild auf Nabucco", sagt Guido Steinberg, Experte bei der Stiftung Politik und Wissenschaft. Neben der Bedrohung von außen seien fehlende eigene Pipelines der entscheidende Grund für die Kurden, im irakischen Staatenverbund zu bleiben.
Irakisch-Kurdistan müsse derzeit seine geförderten Rohstoffe ins zentrale irakische Netz einspeisen, über das die Somo wacht. Und die Somo überweist auch 17 Prozent der Gesamteinnahmen aus dem Exporterlös an die kurdische Autonomiebehörde.
Nabucco könnte die geopolitische Situation für die Kurden mit einem Schlag ändern. "Eine von Bagdad unabhängige Pipeline kann nur über die Türkei führen", sagt Steinberg. Nach dem Abzug der Amerikaner müssten die Kurden nach einer neuen Schutzmacht suchen. Syrien falle aus, weil es selbst zu schwach ist, der Iran, weil die Feindschaft unüberbrückbar scheint.
Bleibt die Türkei. Steinberg: "Würden die Türken eine Geschäftsbeziehung mit dem kurdischen Staat eingehen, wäre die Türkei de facto eine Schutzmacht. Schließlich wäre das Interesse dann groß, dass die Geschäfte reibungslos laufen." Die Türkei wiederum ist sehr daran interessiert, für Europa wichtigste Energiedrehscheibe nach Russland zu werden. Einerseits, so das Kalkül Ankaras, könnte die Türkei so ein weiteres Argument für den EU-Beitritt liefern. Andererseits stärken die Türken als Drehscheibe ihre Vormachtstellung in Westasien.
Zudem ist Botas, das türkische Staatsunternehmen, mit im Nabucco-Boot: Botas betreibt bereits das Baku-Tiflis-Ceyhan- Pipeline-Projekt und liefert Rohöl aus dem kaspischen Raum nach Europa.
Macht RWE also Geopolitik? "Eindeutig ja", sagt Experte Steinberg. Zumal RWE ein großes Risiko eingehe. "Konzernen, die wie etwa die norwegische DNO mit den Kurden Separatverhandlungen geführt haben, wurde gedroht, vom gesamten Öl- und Gasgeschäft im Irak ausgeschlossen zu werden."
(taz, 1.9.10)
Aufruf zur Prozessbeobachtung nach Diyarbakir
Am Weihnachten 2009 wurden mehr als 80 Personen in kurdischen Gebieten verhaftet. Es handelte sich um Personen aus der BDP (Partei des Friedens und Demokratie), sowie Menschenrechtsaktivisten und Mitglieder von NGO's. Am 28. Dezember 2009 wurden weitere 24 Menschen festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Inhaftierten vor, Mitglieder der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) zu sein.
Die Repressionen gegen pro-kurdische PolitikerInnen verstärkten sich kurz nach den Erfolgen der Kommunalwahlen im März 2009 massiv. Unmittelbar nach dem Wahlerfolg wurden DTP Führungskräfte, inklusiv der Partei Vize-Präsident, in Gewahrsam genommen. Die Inhaftierten sind bis heute nicht vor Gericht gestellt worden. Bisher wurden über 1500 kurdische Politiker, darunter DTP Führungskräfte und Mitglieder festgenommen.
Nach 16 Monaten wird die erste Verhandlung vor dem Gericht am 18. Oktober 2010 in Amed (Diyarbakir) stattfinden. Für eine Solidarität mit den Inhaftierten Vorort hat sich eine Vorbreitungsgruppe für eine Delegationsreise gebildet. In der Vorbreitungsgruppe befinden sich Murat Cakir, Gülten Kelloglu, Melike Yasar, Ibrahim Isik, Rusen Turgut.
Die Delegation hat vor, am ersten Prozesstag in Amed zu sein und sich für die Freilassung der Inhaftierten einzusetzen und für eine politische Lösung der kurdischen Frage einzutreten.
Wer an der Delegationsreise teilnehmen möchte, kann sich unter der folgenden Adresse an die Vorbreitungsgruppe wenden: soli.delegation@googlemail.com
Neuerscheinung
Die Herkunft der Kurden
Von Ferdinand Hennerbichler
Mit der Arbeit wird in Form einer integrativen geschichtswissenschaftlichen Darstellung erstmals eine interdisziplinäre Studie vorgelegt, in der versucht wird, den Stand der Forschung über die Herkunft der Kurden durch Erkenntnisse der Evolutionären Anthropologie, Genforschung, Archäologie, einer ältesten, verfügbaren Terminologie, vergleichender Sprachwissenschaften und der Historiographie zusammenzufassen und daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das Ergebnis legt eine Neubewertung der Herkunft der Kurden nahe. Entgegen der bisher vorherrschenden Lehrmeinung, Kurden wären Iranier und stammten aus Gebieten des heutigen Irans, hauptsächlich deshalb, weil sie (heute) Iranisch sprechen, kommt die interdisziplinäre Studie zum Schluss, dass (heute noch lebende) Kurden in erster Linie Nachkommen einer neolithischen, multiethno-kulturellen Urbevölkerung in ihren angestammten Lebensräumen zwischen Ost-Anatolien, Nord- Mesopotamien und des Zagros einschließlich seiner Ostausläufer (aber sonst großteils außerhalb des heutigen Irans) sein dürften. Führende Populationsgenetiker der Gegenwart charakterisieren Kurden als engste genetische Verwandte von Juden (und Armeniern). Die älteste sprachliche Iranisierung der Kurden könnte noch vor der Zeit der Achaemeniden und möglicherweise auch der Meder aus Gebieten des heutigen Nordwest-Irans anzusetzen sein (Gernot Windfuhr, Ann Arbor). Demnach dürften Kurden als selbständiges Volk mit eigenständiger Herkunft und Geschichte ihres angestammten Lebensraumes zu begreifen sein, die erst im Laufe des ersten Jahrtausends sprachlich iranisiert wurden. Sie repräsentieren damit eines der ältesten Zivilisationsvölker des Nahen Ostens und Vorderasiens.
Erschienen bei Peter Lang, ISBN 978-3-631-59327-1, Online bestellen: e-mail: info@peterlang.com, www.peterlang.com
Hinweis auf sonstige Infostellen
Aza
|