| Günter Grass: Laudatio auf Yasar Kemal Zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Lieber Yasar Kemal Sie werden Gründe gewußt haben, mich als Redner für diesen Anlaß vorzuschlagen. Gerne folgte ich Ihrem Wunsch und ließ mich anstiften, vom Mittelmeer aus die flachen Lehmäcker der Küste, dann die von Brombeergestrüpp, Wildreben und Schilf bedeckte Çukorova, weiter landeinwärts Sümpfe, abermals fettes Ackerland, myrtenduftende Hügel, Hochebenen, deren eine Dikenlidüzü heißt und fünf Dörfer zählt, zu überfliegen, nun schon mit Blick auf das Taurusgebirge und seine Schneegipfel. Sonst vielgereist, bin ich nie in Anatolien gewesen, und dennoch habe ich mir als Leser von Buch zu Buch Ihr Land angeeignet. Was fremd war, ist mit allen Gerüchen vertraut und bis in die Nöte der landlosen Bauern einsichtig geworden. Wörter können das. Die Literatur hebt Entfernungen auf. Literarische Landnahme bringt uns Menschen nah, die nur auf Papier stehen. Sie macht unwegsame Einöden und schroff ragende Adlerfelsen begehbar. Sie ruft uns, angesichts der Not unterdrückter Bauern, die einst das eigene Land knechtende Leibeigenschaft in Erinnerung. Sie hebt auf Landkarten gezogene, aber auch unser Bewußtsein schneidende Grenzen auf. Die Literatur schlägt die Brücke zum anderen, zum fremdgegangenen Ich. Sie verkuppelt uns. Sie macht uns zu Mittätern. Die Literatur zieht uns in Mitleidenschaft. Auf diese Weise, also nicht direkt, eher um drei Ecken, sind wir, lieber Yasar Kemal, miteinander verwandt. Nicht nur, weil Sie als Kurde leidgeprüft der Türkei angehören, wie ich, mütterlicherseits Kaschube, dennoch mit beschwertem Gedächtnis Deutschland verschrieben bin, sondern wohl auch in unserer Neigung, der jeweils erlittenen Verluste mit Wörtern habhaft zu werden. Diese Obsession treibt uns an, der Zeit gegenläufig zu schreiben und jene Geschichten zu erzählen, die nicht als Staatsakten geadelt worden sind, weil sie von Menschen handeln, die nie erhöht saßen und herrschten, denen aber allzeit Herrschaft widerfuhr. ......mehrEin Schriftsteller jenseits des Elfenbeinturms. Jemand, der sich nicht als seiner Gesellschaft enthoben begreift. Deshalb wird er belangt. Deshalb ein Leben lang in Opposition. Schon früh lernt er, verurteilt als marxistischer Sozialist, türkische Gefängnisse kennen. Später nennt er sie die Schule der türkischen Literatur. Der Lyriker Nazim Higmet konnte, verurteilt als Kommunist, das Gefängnis nur mit dem Exil tauschen. Der Satiriker Aziz Nesin war in seinem politischen Engagement freundschaftlich Yasar Kemal verbunden. Diese drei Namen bürgen für die andere Türkei, für ein Land, in dem die Völker gleichberechtigt miteinander leben, für ein Land, in dem das Verlangen nach Frieden den Wunsch nach sozial gerechtem Ausgleich einschließt. Alle drei haben die Literatur türkischer Sprache der Welt bekannt gemacht. Unbeirrt von den im Westen und insbesondere in Deutschland so beliebten Polemiken gegen eine die sozialen Wirklichkeiten entschleiernde Literatur, also dem Zeitgeist und seinen Moden zuwider, hat Yasar Kemal Buch nach Buch geschrieben, hat mit Der Wind aus der Ebene, dem Unsterblichkeitskraut, hat mit Eisenerde, Kupferhimmelund dem Lied der tausend Stiere das Gewebe seiner anatolischen Sage verdichtet und uns sein Land bis in entlegenste Regionen hinein erschlossen. Was dumpfe und zwanghaft ängstliche Politikzu verhindern sucht, ist dem Schriftsteller gelungen: erzählend, dem Mythos die Realität und der Realität das mythische Unterfutter nachweisend, hat er den Leser über Grenzen geführt, ihm die Fremde zugänglich gemacht. Nun, nach langer Lesereise zurück, liegt es an uns, dem Autor zu danken, das heißt, die Zwänge der ab- und ausgrenzenden Politik zu überwinden, mehr noch, eine Politik zu fordern, die den Millionen Türken und Kurden in unserem Land endlich staatsbürgerliche Rechte gewährt. Ob jahrelang in Berlin oder neuerdings in Lübeck, wo immer ich lebte und also schrieb, gehörten Türken zum Straßenbild, waren und sind türkische Kinder Mitschüler meiner Kinder und Enkelkinder. Und immer war mir gewiß, daß diese täglichen Berührungen mit einer anderen Lebensart nur fruchtbar sein können, denn keine Kultur kann auf Dauer von eigener Substanz leben. Als im 17. und 18. Jahrhundert französische Hugenotten nach Deutschland und mit Vorzug in Brandenburg einwanderten, belebten diese Emigranten zusehends die Wirtschaft, den Handel und nicht zuletzt die deutschsprachige Literatur; wie dürftig wäre uns das 19. Jahrhundert überliefert, gäbe es nicht Theodor Fontanes Romane. Ähnliches läßt sich schon heute vom bereichernden Einfluß der über sechs Millionen Ausländer sagen, wenngleich ihnen, im Gegensatz zu den Hugenotten, denen ein Toleranzedikt bürgerliche Rechte zusprach, nach wie vor ausgrenzende, in der Tendenz fremdenfeindliche Politik hinderlich bleibt; der Ruf Ausländer raus steht nicht nur auf Wände geschmiert. Doch vielleicht kann der Friedenspreis einen Anstoß, nein, mehrere Anstöße geben. Das wäre im Sinn des Preisträgers Yasar Kemal, dessen Kritik sich ja nicht nur an den inneren Zuständen seines Landes reibt. In einem vor wenigen Jahren im Spiegel veröffentlichten Artikel hat er die Verfolgung der Kurden in seinem Land beklagt und zugleich die westlichen Demokratien an ihre Mitverantwortung erinnert: „An der Schwelle zum 21. Jahrhundert kann man keinem Volk, keiner ethnischen Volksgruppe die Menschenrechte verwehren. Dazu fehlt jedem Staat die Macht. Schließlich war es die Kraft der Menschen, welche die Amerikaner aus Vietnam, die Sowjets aus Afghanistan verjagte und das Wunder von Südafrika vollbrachte. Die Türkische Republik darf durch die Fortsetzung dieses Kriegs nicht als fluchbeladenes Land ins 21. Jahrhundert eintreten. Das Gewissen der Menschheit wird den Völkern der Türkei helfen, diesen unmenschlichen Krieg zu beenden. Besonders die Völker der Länder, die dem türkischen Staat Waffen verkaufen, müssen dazu beitragen Dieser Appell ist auch an die deutsche Adresse gerichtet. Wer immer hier, versammelt in der Paulskirche, die Interessen der Regierung Kohl/Kinkel vertritt, weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren Waffenlieferungen an die gegen ihr eigenes Volk einen Vernichtungskrieg führende Türkische Republik duldet. Nach 1990, als uns die Gunst der Stunde die Möglichkeiten einer deutschen Einigung eröffnete, sind sogar Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus den Beständen der der DDR in dieses kriegführende Land geliefert worden. Wir wurden und sind Mittäter. Wir duldeten ein so schnelles wie schmutziges Geschäft. Ich schäme mich meines Landes, dessen Regierung todbringenden Handel zuläßt und zudem den verfolgten Kurden das Recht auf Asyl verweigert. Ein Friedenspreis wird vergeben. Wenn diese einen Schriftsteller von Rang ehrende Auszeichnung einen solchen Namen zu Recht trägt, wenn der Ort dieser Feier, die Paulskirche, nicht bloß Kulisse sein soll, wenn Literatur, wie die von mir gepriesene, noch einen Anstoß geben kann, dann sind alle hier heute versammelten Autoren, Verleger, Buchhändler, ein jeder, der sich politischer Verantwortung bewußt ist, ermahnt und aufgerufen, Yasar Kemals Appell zu folgen, ihn weiterzutragen und mit ihm dafür zu sorgen, daß in seinem Land endlich die Menschenrechte geachtet werden, keine Waffengewalt mehr wütet, sondern bis in die letzten Dörfer Frieden einkehrt. © Günter Grass, 1997 |