Aktion »Hier geblieben« vor der Innenministerkonferenz im Januar in Berlin Foto: Version |
Die Sommerferien nahen. Doch als die Lehrerin die frohe Nachricht kundtut, bricht der siebenjährige Kenam Zejnelovic in Tränen aus. Ferienzeit ist Abschiebezeit. Wenn Lehrer und Klassenkameraden im Urlaub sind, ist niemand mehr da, um zu protestieren. Beginnt der Unterricht wieder, bleiben die Stühle im Klassenraum, auf denen noch bis vor kurzem Migrantenkinder saßen, leer. Das ist seit Jahren so.
Kind als Druckmittel
Diesmal gingen Außendienstmitarbeiter der Frankfurter Behörde mit besonderem Übereifer schon vor den Ferien zur Sache. Am 23.Mai holten sie den kleinen Serben Kenam und seine Mutter Jasmina Zejnelovic ab, als sich der Junge gerade auf den Schulweg machen wollte. Der Siebenjährige sei verschreckt gewesen, habe die Beamten auf gar keinen Fall zur Wohnung seiner Mutter führen wollen, sagt Kenams Tante Moradia Hodovic. Doch den Weg kannten sie. »Du mußt mit uns mitkommen, du mußt nach Jugoslawien«, hätten die Beamten dem verstörten Kind auf dem Weg zur Behörde gesagt. Was sich dort abspielte, beschreibt die Frankfurter Aktivistin Wiltrud Pohl so: »Das weinende Kind wurde als Druckmittel benutzt, um die Mutter dazu zu bringen, ihre ›freiwillige Ausreise‹ zu unterschreiben.« Pfarrer Willi Hausmann vom Hanauer Helferkreis für Flüchtlinge bezeichnet das als »Scheinabschiebung«. Das Kind sei seitdem traumatisiert und werde psychotherapeutisch behandelt. Seit diesem Tag träten Symptome auf wie Angstzustände, schwere Schlafstörungen, Einnässen und Rückzug. Kommunalpolitikerin Dominike Pauli (»Die Linke.«) kritisiert das inhumane Vorgehen.
»Wie hätte die Behörde denn sonst die geltenden Rechtsvorschriften vollziehen können«, reagiert der Leiter der Ausländerbehörde Joachim Seidel auf eine entsprechende Nachfrage von junge Welt. »Sie müssen sich doch einmal in die Behörde hineinversetzen.« Die Aktivistin Pohl muß das nicht. Sie findet das Vorgehen moralisch verwerflich: »Deutsche Behörden haben nicht das Recht, ein gesundes Kind krank zu machen.« Einem Siebenjährigen mit Abschiebungsdrohungen zu konfrontieren, verstoße gegen die Kinderrechtskonvention, die vor politischer Willkür, Gewalt und Vertreibung schützen soll. Das gelte nicht nur für Afrika, sondern auch hierzulande.
»Glauben Sie, das macht mir auch keinen Spaß«, versucht Seidel, um Verständnis zu werben. Doch in diesem Fall habe die Behörde keinen Ermessensspielraum. Zwar erfülle die alleinerziehende Mutter Zejnelovic mit ihren zwei Kindern fast alle Kriterien nach dem neuen Bleiberecht. Seit mehr als sechs Jahren lebe die Familie hier, die Mutter könne für den Unterhalt sorgen. Doch sie habe »die Behörde getäuscht«, indem sie eine Scheinehe mit einem deutschen Staatsbürger eingegangen sei. Dafür wurde sie rechtskräftig verurteilt. Jedoch nur zu 45 Tagessätzen – erst eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen wird als Ausschlußkriterium für das Bleiberecht gewertet. Dennoch gebe es für die Zejnelovics keine Chance, beharrt Seidel und zitiert eine ministerielle Weisung, der Familie kein Bleiberecht zu gewähren.
Appell an Regierung
»Ich muß die Straftäterin festnehmen«, konstatiert der Amtsleiter. Straftäterin? Das sieht Pohl anders: »Jasmina Zejnelovic hat mit der Scheinehe ihre Kinder retten wollen. Das würde jede Mutter tun.« Die Kinder sprechen kein Serbisch, haben hier ihre Freunde, sind in der deutschen Kultur aufgewachsen. Aufgrund der schlechten Versorgungslage könne die Mutter ihre Kinder im Herkunftsland nicht schützen. Das wird sie jetzt in einem offenen Brief der hessischen Landesregierung schreiben.
Mit einem weiteren skandalösen Fall hatte die Frankfurter Behörde von sich reden gemacht. Das Amt drohte dem schwerkranken, älteren Paar Hamida und Bobija Muzib, das seit 1993 in Deutschland lebt, die Abschiebung an. Er hing an der Dialyse, hatte einen Schlaganfall erlitten. Sie ist zu 50 Prozent schwerbeschädigt und hat ein Nervenleiden. Ein Anruf von Pohl in der Behörde hatte dazu geführt, daß man dort die Abschiebung bis September aussetzte. Doch für Bobija Muzib war die Aufregung zuviel. Am vergangenen Donnerstag verstarb er im Alter von 74 Jahren.
»Daß auf diese Weise Kosten für den Staat gespart werden sollen, das darf ja wohl nicht wahr sein«, empört sich Pohl. Sarkastisch fügt sie hinzu: »Was den Mann betrifft, kann das Problem nun ja wohl als gelöst gelten.« Um solche Grausamkeiten künftig zu verhindern, müsse das soeben verabschiedete Gesetz dringend nachgebessert werden, fordern die Frankfurter Aktivistinnen und »Die Linke.«.