Unter dem Deckmantel der Umsetzung von EU-Richtlinien
Regierungskoalition plant weitere Verschärfungen im Ausländer- und Einbürgerungsrecht
Vor zwei Jahren ist das Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten. Es sollte ursprünglich den Weg ebnen vom Ausländerabwehrrecht in eine Gesellschaft, die Einwanderung gestaltet, Integration fördert und Flüchtlinge besser schützt. Diese Ziele wurden verfehlt! Heute zeigen sich die Mängel des Zuwanderungsgesetzes immer deutlicher. Das Ausländerrecht ist weitgehend Gefahrenabwehrrecht geblieben: Die Zuwanderungsmöglichkeiten sind eng begrenzt, Integrationspolitik wird auf den Erwerb von Deutschkenntnissen reduziert und die humanitären Regelungen für Flüchtlinge greifen nicht. In allen Bereichen bleibt das Gesetz hinter dem zurück, was ein modernes Zuwanderungsrecht leisten muss.
Mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“, der in der Fassung vom 8. Februar 2007 vorliegt, soll nunmehr eine umfassende Änderung des Zuwanderungsgesetzes erfolgen. Begründet wird sie mit der Umsetzung von 11 EU-Richtlinien, deren Umsetzungsfrist teilweise bereits ausgelaufen ist. Der Gesetzentwurf enthält teils gravierende Veränderungen des Aufenthaltsgesetzes und anderer ausländerrechtlicher Vorschriften. In der öffentlichen Diskussion konzentriert sich die Aufmerksamkeit zur Änderung des Zuwanderungsrechts vor allem auf die Frage einer Bleiberechtsregelung. Nicht im öffentlichen Bewusstsein ist, dass der aktuelle Stand des Gesetzentwurfs weitgehende Verschärfungen im Zuwanderungsrecht vorsieht. PRO ASYL, der Interkulturelle Rat in Deutschland und der Deutsche Gewerkschaftsbund lehnen die Verschärfung des Zuwanderungsrechts ab: Nicht Weltoffenheit und Toleranz prägen diese Politik, sondern grundsätzliches Misstrauen und der Geist der weiteren Abschottung. Die Verschärfungen in dem Gesetzentwurf reihen sich ein in beabsichtigte oder bereits realisierte Maßnahmen, die vorgeblich der Integration dienen sollen, tatsächlich aber Migranten und Flüchtlinge ausgrenzen.
Interkultureller Rat, PRO ASYL und der DGB kritisieren vor allem:
1. Einschränkung des Ehegattennachzugs
Vorgesehen ist:
· Die Nachziehenden müssen Deutschkenntnisse bereits im Herkunftsland erwerben und sie vor der Einreise nachweisen.
· Der Ehegattennachzug soll von einem Mindestalter beider Ehegatten von 18 Jahren abhängig gemacht werden. Dies soll auch beim Nachzug von ausländischen zu deutschen Ehegatten gelten. (§§ 28 und 30 AufenthG-E)
Begründet wird der Vorschlag damit, man wolle etwas gegen Zwangsverheiratungen tun. Zweifellos: Zwangsverheiratungen sind schwerwiegende Verletzungen des grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechts. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen werden Zwangsehen jedoch nicht verhindern und schränken das Recht auf Familieneinheit ein.
Die Festlegung eines Nachzugsalters und der erforderliche Erwerb von Deutschkenntnissen kann zu einer mehrjährigen Wartefrist führen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass eine Wartefrist von drei Jahren verfassungswidrig ist.
Im Übrigen: Wer Zwangsverheiratungen entgegen wirken will, muss die Rechtstellung der betroffenen Frauen verbessern und den Auf- und Ausbau von Beratungsstrukturen in den Herkunftsländern und in Deutschland intensivieren. Denn Zwangsheiraten sind eng verbunden mit patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen.
Die Verpflichtung, dass der nachziehende Ehepartner oder die nachziehende Ehepartnerin sich vor der Einreise Deutschkenntnisse anzueignen hat, wird noch mehr als die Festlegung einer Altersgrenze den Familiennachzug dauerhaft verhindern. Zweifellos sind Deutschkenntnisse hilfreich, um in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Daher ermöglicht das Zuwanderungsgesetz die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen nach der Einreise.
Was jetzt aber gefordert wird, ist aus mehreren Gründen nicht akzeptabel: In den meisten Staaten werden Deutschkurse, wenn es sie gibt, nur in den Hauptstädten oder in größeren Städten angeboten. Für Menschen vom Land oder aus kleineren Städten besteht kaum eine Möglichkeit Sprachkenntnisse zu erwerben. In der Praxis ist der Erwerb von Sprachkenntnissen – realistisch betrachtet - nur für Angehörige der großstädtischen Oberschicht möglich. Der Familiennachzug wird zur sozialen Selektion. Das Grundrecht als Familie zusammenzuleben soll künftig nur für Privilegierte gelten.
Interessant wird sein, wie Staatsangehörige aus privilegierten Ländern – beispielsweise aus den USA oder Japan - auf die Zumutung reagieren werden, bereits im Ausland Sprachkenntnisse erwerben zu müssen.
Vorgesehen ist außerdem:
· Der Familiennachzug soll nicht zugelassen werden, wenn feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen oder tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde. (§ 27 Abs. 1a AufenthG—E)
Mit der vorgesehenen Regelung werden binationale Ehepaare dem Generalverdacht der „Scheinehe“ ausgesetzt. Die Änderung würde zu einer vermehrten Ausforschung des Privatlebens führen. Mit der jetzigen Ergänzung des Gesetzes werden die Behörden explizit dazu verpflichtet, die Motive herauszufinden, die einer Eheschließung zugrunde liegen. Wie soll dies ohne unwürdige Schnüffeleien von Behörden im Privatleben möglich sein?
Die EU-Richtlinie legt lediglich Mindestnormen fest, eine Verpflichtung zur Verschärfung der deutschen Rechtslage besteht nicht. Die geplanten Änderungen sind zur Umsetzung der EU-Richtlinie zum Familiennachzug also nicht erforderlich. Im Gegenteil: sie stehen im Widerspruch zu den europarechtlichen Vorgaben.
2. Integrationskurse: Lernen unter Zwang
Vorgesehen ist:
· Wer seiner Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nicht nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einer Geldbuße bis zu 1.000 Euro belegt werden. (§ 98 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG-E)
Lern- und Integrationsprozesse können nicht mit Strafandrohungen erzwungen werden. Kursangebote, die Integrations- und Lernprozesse anstoßen wollen, müssen durch ihre Inhalte überzeugen.
Schon heute können Ausländer von den Ausländerbehörden zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet werden, wenn sie Leistungen nach SGB II beziehen oder nach Auffassung der Ausländerbehörde „in besonderer Weise integrationsbedürftig sind“. Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, muss mit einer Kürzung seiner Sozialleistungen rechnen.
Die sogenannten Integrationskurse geraten mehr und mehr zu einem Dressurakt, den die betroffenen Zuwanderer unter dem Damoklesschwert sozialrechtlicher Sanktionen und Bußgeldzahlungen zu absolvieren haben. Das ist ein integrationspolitisch verfehlter und zudem absurder Ansatz: die meisten der zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichteten Personen beziehen Sozialleistungen und werden finanziell nicht in der Lage sein, eventuellen Bußgeldforderungen nachzukommen.
3. Einbürgerung
Der Gesetzentwurf sieht vor, das Staatsangehörigkeitsrecht zu verschärfen:
· Rücknahme der Einbürgerungserleichterungen für junge Erwachsene (§ 10 Abs. 1 S. 3 StAG-E),
· Kenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse sind vor der Einbürgerung - in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest – nachzuweisen. (§ 10 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 5 StAG-E)
Einbürgerung ist ein sinnvoller Baustein einer umfassenden Integrationspolitik. Dies war in den letzten Jahren parteiübergreifend anerkannt. Doch seit einigen Jahren sinken die Einbürgerungszahlen deutlich: Von 186.688 im Jahr 2000 auf nunmehr noch 117.200 im Jahr 2005. Tendenz: weiter rückläufig.
Im aktuellen Gesetzentwurf werden die Einbürgerungserleichterungen für junge Erwachsene gestrichen. Bisher können unter 23-jährige sich einbürgern lassen – auch ohne nachzuweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst sichern können. Damit soll verhindert werden, dass Studenten und Auszubildende ihr Studium oder ihre Ausbildung abbrechen und arbeiten müssen, um sich einbürgern lassen zu können. Die geplante Änderung ist absurd und integrationsfeindlich, weil sie die Wahrnehmung einer Bildungschance zum möglichen Nachteil macht.
Bereits jetzt sind die Einbürgerungsvoraussetzungen streng. Nachzuweisen sind ein mindestens achtjähriger rechtmäßiger Aufenthalt und die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts und der Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen. Zum Prüfprogramm gehört auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Verlangt wird weiterhin die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung auf das Grundgesetz. Zukünftig sollen weitere Vorleistungen verlangt werden: Eingebürgert wird nur noch, wer einen Einbürgerungstest erfolgreich absolviert. Der von Hessen im vergangenen Jahr vorgestellte Einbürgerungs-Fragebogen war auf massive Kritik gestoßen. Millionen deutscher Bürger, wenn nicht sogar deren Mehrheit, könnten die meisten Fragen des Katalogs wohl nicht beantworten. Derartige Wissenstests sind zufällig und untauglich. Zu befürchten ist, dass mit Einbürgerungstests noch mehr Einbürgerungswillige abgelehnt oder schon im Vorfeld abgeschreckt werden.
Aus den EU-Richtlinien ergibt sich keine Notwendigkeit zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts.
4. Forscher – eine Berufsgruppe wird in zusätzliche Abhängigkeit gedrängt
Vorgesehen ist:
· In Umsetzung der sogenannten EU-Forscher-Richtlinie wird ein weiterer Aufenthaltstitel zu Forschungszwecken geschaffen. Forschungseinrichtungen müssen sich zur Übernahme der Kosten für den Lebensunterhalt während eines möglicherweise unerlaubten Aufenthalts in der EU sowie für bei der Abschiebung entstehende Ausgaben verpflichten.
(§ 20 AufenthG-E)
Bereits jetzt besteht die Möglichkeit Forscher als Hochqualifizierte oder als Beschäftigte in Wissenschaft und Forschung ohne Arbeitmarktvorrangprüfung anzuwerben. Mit der geplanten Änderung soll ein zusätzlicher eigenständiger Weg für einen vorübergehenden Aufenthalt geschaffen werden. Besonders problematisch ist die Regelung für die Forscher selbst: Der Arbeitsvertrag ist Bestandteil der Aufenthaltserlaubnis, somit besteht ein unmittelbares Zwangsverhältnis zu der Forschungseinrichtung. Dies ist ein Eingriff in die Arbeitnehmerrechte. Denn die Regelungen von Arbeitsbedingungen gehören ins Arbeits- und Tarifrecht und nicht ins Ausländerrecht. Problematisch ist dies auch für die Forschungseinrichtung, denn sie muss nicht nur den Lebensunterhalt des Forschers und seiner Familienangehörigen sichern, sondern sich vor der Einreise verpflichten, die Kosten für eine mögliche Abschiebung zu
übernehmen. Die neue Regelung führt zu mehr Bürokratie; sie ist zur Umsetzung der EU-Richtlinie ungeeignet und schafft zusätzliche Abhängigkeitsverhältnisse.
5. Verstärkte Abschottung gegen Flüchtlinge
Die Flüchtlingszahlen sind auf einem historischen Tiefstand. Deutschland mit mehr als 80 Millionen Einwohnern leistet keinen nennenswerten Beitrag mehr zur Aufnahme von Flüchtlingen. Aber Deutschland beteiligt sich am großen Verschiebebahnhof, den die EU für Asylsuchende eingerichtet hat. Bei rund einem Viertel aller Asylantragsteller wird auf der Basis der sogenannten Dublin II-Verordnung festgestellt, ein anderer EU-Staat sei zuständig. Die Betroffenen werden zumeist in diesen Staat zurückgeschoben, ohne dass sichergestellt ist, dass Flüchtlinge dort Schutz oder zumindest ein faires Verfahren erhalten. In Polen und Tschechien werden sie oft inhaftiert; in Griechenland werden Asylanträge von Flüchtlingen, die dorthin überstellt werden, inhaltlich nicht mehr geprüft. Manche EU-Staaten schieben Flüchtlinge über die EU-Außengrenzen ab, ohne ihnen die Chance auf ein Asylverfahren zu geben. Offiziell ist die Devise des europäischen Asylrechts: Nur eine Chance für jeden. Die Praxis: Für viele gibt es keine Chance.
Dieses System soll nun weiter verschärft werden. Der Gesetzentwurf sieht vor:
· Zur Zurückweisung an der Grenze sollen künftig Anhaltspunkte dafür genügen, dass ein anderer Staat zuständig ist. Für den Eingriff in das Asylgrundrecht soll – rechtsstaatlich höchst fragwürdig – kaum mehr als der bloße Verdacht ausreichen (§ 18 Abs. 2 Nr.2
AsylVfGE),
· Asylsuchende, die in einen anderen EU-Staat überstellt werden sollen, sollen künftig nicht mehr die Möglichkeit haben, im Eil-Verfahren gegen ihre Abschiebung Rechtsmittel einzulegen. Rechtswidrige Abschiebungen können nicht verhindert werden. Schon jetzt kommt es in der Praxis zu illegalen Familientrennungen. Auch werden Kinder wegen unklarer Zuständigkeiten zum Teil mehrfach zwischen Staaten hin und her geschoben. Mit der Neuregelung würde ein rechtsschutzfreier Zustand zementiert (§§ 34a Abs. 2, 27a, 26a
AsylVfGE),
· Ein Ausländer soll zur Sicherung der Zurückweisung auf richterliche Anordnung in Haft (Zurückweisungshaft) genommen werden, wenn eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und diese nicht unmittelbar vollzogen werden kann (§ 15 Abs. 5 AufenthG-E),
· Reist der Ausländer über den Luftweg ein und wird er im Transitbereich festgehalten, weil er zurückgewiesen wurde, soll ein Festhalten im Flughafentransit sogar 30 Tage möglich sein, ohne dass ein Richter diese Ingewahrsamsnahme angeordnet hat. (§ 15 Abs. 6 AufenthG-E)
Mit dieser Regelung soll das Abdrängen von Flüchtlingen in andere EU-Staaten noch effizienter durchgesetzt werden. Ist ein anderer EU-Staat für die Behandlung des Asylbegehrens angeblich zuständig, droht die Zurückweisungshaft oder das Festhalten im Flughafentransit. Von da aus sollen die Asylsuchenden in den zuständigen Staat zurückgeschoben werden. Die Einführung eines solchen Verfahrens würde internationale Standards verletzten. Nach diesen sollen Flüchtlinge während des Asylverfahrens generell nicht in Haft genommen werden. Wer um Asyl nachsucht, hat in der Regel nichts verbrochen. Der Gesetzentwurf will es anders: Die Zurückweisungshaft soll künftig die Regel sein, der Verzicht auf sie die Ausnahme.
6. Flickschusterei im Flüchtlingsrecht
Der Gesetzentwurf sieht vor:
· Die 23 Seiten umfassende EU-Qualifikationsrichtlinie soll in wenigen Paragrafen umgesetzt werden. Weite Teile der Qualifikationsrichtlinie werden schlicht durch einen Verweis auf die entsprechenden Artikel für „ergänzend“ anwendbar erklärt. (§ 60 AufenthG-E)
Noch immer ist das deutsche Asylrecht weit davon entfernt, die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder die verbindliche EU-Qualifikationsrichtlinie umzusetzen. Für die Anerkennung der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung mussten Flüchtlingsorganisationen über Jahrzehnte kämpfen, bevor sie gesetzlich verankert wurde. Obwohl das EU-Recht weitere wichtige Anpassungen an die GFK erfordert, wird nun in der Gesetzesbegründung behauptet, die deutsche Rechtslage entspreche schon heute überwiegend den Regelungen der EU-Richtlinie. Auf die Richtlinie wird schlicht verwiesen, sie sei „ergänzend anwendbar“. Angesichts der bestehenden gravierenden Defizite genügt dies nicht, um den EU-Vorgaben gerecht zu werden.
Auch für den menschenrechtlichen Abschiebungsschutz sieht das EU-Recht höhere Standards vor. Der Gesetzentwurf setzt auch diese Vorgaben nur lückenhaft um. Bedeutsam für die Praxis ist zum Beispiel, dass das EU-Recht verlangt, Menschen zu schützen, denen konkrete ernsthafte Gefahren für Leib oder Leben bei willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten drohen. Derartige Gefahrensituationen können z.B. Folgen von Bürgerkriegen sein. Nach dem Gesetzentwurf soll dieser Schutz ausgeschlossen werden, wenn solche Gefahren der Bevölkerung im Herkunftsland allgemein drohen (Sperrklausel des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG-E). Das EU-Recht kennt eine solche Einschränkung nicht. Der Gesetzentwurf missachtet die zwingenden Vorgaben der EU-Richtlinie.
7. Besonders bedürftige Personen erhalten nicht die notwendigen Hilfen
· Die EU-Richtlinie über die Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge wird unzureichend umgesetzt.
Die EU-Richtlinie über Aufnahmebedingungen sieht vor, dass Personen in besonders schwierigen Lebenssituationen besondere Rechte zustehen. Der Gesetzgeber müsste dies umsetzen, tut dies im Gesetzentwurf aber nicht. Er sieht nicht vor, dass Minderjährige Zugang zu psychologischer Betreuung und notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen haben müssen. Er regelt nicht, dass Opfer von Folter und Gewalt die im Bedarfsfall erforderliche Behandlung erhalten. Voraussetzung hierfür ist ein Aufenthaltsrecht. Nur so entsteht ein Schonraum, in dem sie erfolgreich betreut, stabilisiert oder geheilt werden können.
8. Körperliche Eingriffe zur Altersfeststellung
Vorgesehen ist:
· Das Aufnehmen von Lichtbildern, das Abnehmen von Fingerabdrücken sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen, einschließlich körperlicher Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zweck der Feststellung des Alters vorgenommen werden, zur Feststellung und Sicherung der Identität sollen erlaubt werden. Die Maßnahmen sind zulässig bei Ausländern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben; Zweifel an der Vollendung des 14. Lebensjahres gehen dabei zu Lasten des Ausländers. (§ 49 Abs. 6 AufenthG-E)
Unter anderem wird mit dieser Änderung eine gesetzliche Grundlage für „körperliche Eingriffe“ zur Altersfeststellung geschaffen. In der Praxis wird minderjährigen Flüchtlingen von den Ausländerbehörden oftmals unterstellt, falsche Altersangaben zu machen. Um die betreffenden Personen zum Beispiel leichter abschieben zu können, wird ihnen unterstellt, sie seien älter. Konkret sollen zur Altersfeststellung die Handwurzelknochen von minderjährigen Flüchtlingen geröntgt werden. Eine solche Röntgenuntersuchung stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen dar, der bislang verfassungsrechtlich unzulässig ist. Künftig sollen laut Gesetzentwurf im Zweifel sogar unter 14-Jährige betroffen sein. Um dem körperlichen Eingriff zu entgehen, muss das unter 14-jährige Kind sein Alter selbst nachweisen. Der körperlicher Eingriff ist unverhältnismäßig, weil die wissenschaftliche Beweiskraft solcher Methoden nicht erwiesen ist. Die geplante Änderung ist insgesamt als verfassungswidrig einzustufen und steht dem Kindeswohl entgegen.
9. Verschärfung des Ausweisungsrechts
Vorgesehen ist:
· Die Ausländerbehörden soll künftig Ausländer ausweisen können, die falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht haben. (§ 55 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG-E)
Mit dieser Regelung wäre es künftig möglich, Personen mit der Begründung auszuweisen, sie hätten bei der Antragstellung auf einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung unvollständige Angaben gemacht. Die „Vollständigkeit von Angaben“ ist ein dehnbarer Begriff, der von den Ausländerbehörden nach Belieben gefüllt werden kann. Ausländerbehörden können zukünftig durch Ausweisungen noch mehr Druck auf die Betroffenen ausüben. Hinzu kommt, dass eine Ausweisung den Weg von der Kettenduldung in ein Aufenthaltsrecht gänzlich versperrt. Einmal ausgewiesen, haben die Betroffenen kaum noch Chancen, etwa unter eine Altfallregelung zu fallen. Die Betroffenen werden künftig nicht nur dauergeduldet – mit der zusätzlichen Ausweisung wird der Ausreisedruck erhöht und jede Hoffnung auf ein Bleiberecht dauerhaft zerstört.
Vorgesehen ist weiter, dass die Ausländerbehörde auch den Ausländer ausweisen kann,
· der auf ein Kind oder einen Jugendlichen gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige anderer ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken,
· der eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, oder
· eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht. (§ 55 Abs. 2 Nr. 9-10 AufenthG-E)
Einen eigenen Ausweisungstatbestand wegen Nötigung zur Ehe zu schaffen ist überflüssig. Denn liegt tatsächlich eine strafrechtlich relevante Nötigung vor, so kann die Person ohnehin schon ausgewiesen werden. Nun einen eigenen Ausweisungsgrund zu schaffen ist reine Symbolpolitik, die das verbreitete Vorurteil schüren wird, bei Ehen unter Ausländern handele es sich in der Regel um Zwangsehen.
Auch die weiteren neuen Ausweisungstatbestände sollen laut Gesetzesbegründung vor allem Familienangehörige schützen. Tatsächlich sind sie von generellem Misstrauen gegen bi-nationale und nicht-deutsche Familienstrukturen geprägt und öffnen dem Missbrauch Tür und Tor. Es bleibt unklar, wer wie mit welchen Mitteln feststellen soll, wann Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, die eine Ausweisung rechtfertigen. Der Verdacht liegt nahe, dass ausländische Eltern künftig bei der Erziehung ihrer Kinder von den Ausländerbehörden überwacht werden sollen. Dies stellt ist eine grobe und nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar. Denn eine Werte-Kontrolle der elterlichen Erziehung findet bei der deutschen Bevölkerung zurecht nicht statt. Sie stellt einen unzulässigen Eingriff in das Privatleben und das verfassungsrechtlich garantierte Erziehungsrecht der Eltern dar.
10. Verlust des Aufenthaltsrechts bei Widerruf des Abschiebungsschutzes
Vorgesehen ist:
· Im Bereich von Abschiebungshindernissen soll der Widerruf des Schutzes mit dem Widerruf des Aufenthaltsrechts stärker verkoppelt werden. Der Aufenthalt soll dann beendet werden können, wenn die Abschiebungshindernisse widerrufen worden sind. (§ 52 AufenthG-E).
Mit dieser Regelung wird beabsichtigt, dass die Menschen, die humanitär geschützt werden, ihren Aufenthalt nicht verfestigen sollen – selbst wenn sie erst nach einem sehr langen Zeitraum ihren Abschiebungsschutz verlieren. Selbst die Niederlassungserlaubnis soll auch noch nach vielen Jahren widerrufen werden können. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie nie sicher sein können, ob sie in Deutschland bleiben können – selbst nach Jahrzehnten des Aufenthalts.
11. Auch weiter Kettenduldungen
Der Gesetzentwurf ist unzureichend:
· Die notwendige Änderung des Zuwanderungsgesetzes zur Vermeidung von künftigen Kettenduldungen, insbesondere eine Änderung von § 25 Abs. 5 AufenthG unterbleibt.
· Die vorgesehene Bleiberechtsregelung in § 104 a und 104b AufenthG ist nicht ausreichend.
· Zum Teil werden Möglichkeiten für Geduldete sogar verschlechtert: Der Anwendungsbereich des § 25 Abs. 4 AufenthG (Aufenthaltserlaubnis zu vorübergehenden Zwecken) wird auf den „nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer“ begrenzt. (§ 25 Abs. 4 AufenthG-E)
Entgegen aller Absichtserklärungen sind die Kettenduldungen auch zwei Jahre nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht abgeschafft worden. Die wenigsten bisher Geduldeten konnten ihren Aufenthalt in Deutschland verfestigen. Wird eine Aufenthaltserlaubnis anstelle einer Duldung beantragt, prüfen die Ausländerbehörden in aller Regel nur, ob eine Ausreise möglich ist. Auch wenn in ein Land nicht abgeschoben werden kann, bleibt es bei der Behauptung: Freiwillig könne man fast überall hin. Ob eine Ausreise den Betroffenen – insbesondere nach langen Jahren des Aufenthalts – noch zumutbar ist, wird in der Regel nicht geprüft.
Auch bei der im November 2006 von den Innenministern beschlossenen Bleiberechtsregelung zeichnet sich nicht ab, dass sie Geduldeten eine Chance auf einen Daueraufenthalt bringen wird. Kinderreiche Familien, Jugendliche und Erwerbsunfähige haben keine Chance, weil sie in den meisten Fällen den Lebensunterhalt nicht in vollem Umfang aus eigener Kraft sicherstellen können. Viele Ausländerbehörden legen Bleiberechtsantragstellern außerdem zur Last, sie seien Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen oder hätten ihre Abschiebung nicht aktiv unterstützt. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass die Zahl der schließlich erteilten Aufenthaltserlaubnisse selbst hinter pessimistischen Prognosen zurückbleibt. Diese waren davon ausgegangen, dass etwa 10 bis 20 Prozent der Menschen, die die geforderte Aufenthaltsdauer nachweisen können, von der Regelung begünstigt wären.
Zur Behebung des Missstandes sind zwei Maßnahmen erforderlich:
· Eine großzügige gesetzliche Bleiberechtsregelung muss den langjährig Geduldeten eine Aufenthaltsperspektive geben. Eine wirksame Bleiberechtsregelung muss praktisch wirksam sein und darf nicht mit zahlreichen Ausschlussgründen ausgehebelt werden. Die Sicherung des Lebensunterhalts durch ein Arbeitsverhältnis darf nicht zur Bedingung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemacht werden.
· Bei der geplanten Änderung des Zuwanderungsgesetzes muss § 25 Absatz 5 AufenthG so eindeutig formuliert werden, dass nicht neue „Kettengeduldete“ produziert werden. Bisher nämlich geschieht genau dies. Tausenden von Irakern und anderen Flüchtlingen wird gegenwärtig ihr Flüchtlingsstatus entzogen. Fast 30.000 Menschen haben ihn in den letzten Jahren bereits verloren. Dennoch bleiben viele der Betroffenen weiter im Land, weil eben weder die Ausreise noch die Abschiebung in absehbarer Zeit möglich sind. So landen auch sie im perspektivlosen Niemandsland der Duldung.