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13.05.2010
Gutachten
Fachärzte für Abschiebungen
Entgegen Diagnosen des Gesundheitsamtes versuchte die Bremer Ausländerbehörde suizidgefährdete Asylbewerber abzuschieben. Dazu ließ sie Ärzte aus Süddeutschland kommen und zahlte ihnen hohe Honorare. VON Christian Jakob
Gesundheitsbehörde Bremen: Wenn das Gutachten des Gesundheitsamtes nicht gefiel, suchte sich die Ausländerbehörde andere Ärzte.
Die Bremer Ausländerbehörde hat mehrfach versucht, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben, obwohl diese von Ärzten, darunter auch Amtsärzte, als psychisch krank und deshalb nicht reisefähig eingestuft worden waren. Dazu vergab die Behörde im Januar und Dezember in mindestens drei Fällen Aufträge an Ärzte aus Hessen, dem Saarland und der Türkei.
Die Ärzte sollten Honorare von teilweise mehreren Tausend Euro erhalten. Dafür sollten sie die Reisefähigkeit der Kranken unmittelbar vor deren bereits gebuchten Rückflügen in den Räumen der Bundespolizei am Hamburger Flughafen feststellen. Ein anderer Arzt sollte die Rückflüge begleiten, ein dritter die Kranken in der Türkei in Empfang nehmen. Dabei handelte es sich teils um Suchtmediziner oder Notärzte, die für die von ihnen zu untersuchenden psychischen Krankheiten gar nicht qualifiziert waren.
In den der taz vorliegenden Aktenauszügen finden sich entsprechende Briefwechsel zwischen Mitarbeitern der Ausländerbehörde und der Bundespolizei. Darin schreibt beispielsweise ein Sachbearbeiter zum Fall des Türken Fetullah D., dass es laut des Bremer Gesundheitsamts wegen einer schweren psychischen Erkrankung "auf Dauer ausgeschlossen" sei, ihn abzuschieben. Trotzdem gehe man davon aus, dass eine eigens aus Hessen bestellte externe Gutachterin "entgegen aller vorliegenden Atteste die Reisefähigkeit feststellen werde". Und das, obwohl erst am Flughafen "der erste persönliche Kontakt" stattfinden werde und es sich bei der Ärztin um eine Notärztin und keine Psychiaterin handelt. Die Bundespolizei möge deshalb den Rückflug buchen. Die Abschiebung scheiterte trotzdem, weil der Geduldete rechtzeitig untertauchte.
Das Stadtamt räumt Fehler ein. "Wir haben bei der Überprüfung festgestellt, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht hätten eingeleitet werden dürfen. Vielmehr wären weitere Sachverhaltsaufklärungen im Hinblick auf vorgelegte ärztliche Atteste und Gutachten des Gesundheitsamtes geboten gewesen", sagt der stellvertretende Leiter Manfred Becker zur taz. Man "bedauere die unkorrekte Verfahrensweise".
Weil im Zuge der Überprüfung noch "einige weitere Fälle zu korrigieren waren", seien "unverzüglich Maßnahmen ergriffen worden, um eine korrekte Bearbeitung sicherzustellen", sagte Becker. Die MitarbeiterInnen seien "umgehend" durch Dienstanweisungen und in Gesprächen instruiert worden, zudem habe das Amt das "Vier-Augen-Prinzip" eingeführt.
Bei den Ärzten handelt es sich unter anderem um die Notärztin Tatjana Mockwitz aus Kronberg im Taunus und den Suchtmediziner Oliver Engel aus dem saarländischen Marpingen. In einem Schreiben hatten die beiden der Ausländerbehörde ihre Dienste angeboten: Sie seien "spezialisiert auf die Rückführung" von Ausländern weltweit, könnten "sämtliche medizinischen Gutachten" erstellen und "Gewahrsamsfähigkeit bescheinigen", ebenso wie Flugreisetauglichkeit. Zu ihrem Portfolio gehöre die "Begleitung von Einzel- und Sammelabschiebungen", wozu sie auch "organisatorisch und medizinisch vorab beraten". Da sich die beiden "ausschließlich auf diese Leistungen spezialisiert hätten", könnten sie ihre "Zeit flexibel gestalten und sehr kurzfristig Aufträge übernehmen". Man "freue sich" über Interesse.
Die Ausländerbehörde griff gerne zu. Laut einer der taz vorliegenden Rechnung strich Engel etwa für die Begleitung einer Abschiebung nach Istanbul im Januar insgesamt 2.299 Euro ein. Dazu kam er auf Kosten der Ausländerbehörde extra aus dem Saarland nach Bremen. Auch Mockwitz wurde aus Hessen geholt und in einem Hotel untergebracht - um unter anderem Fetullah D. am Hamburger Flughafen zu "untersuchen".
Auf Anfrage waren beide zu einer Stellungnahme nicht bereit. Mockwitz lässt sich dauerhaft am Telefon verleugnen. Engel spricht, trotz der von ihm ausgestellten Rechnung und des von ihm unterschriebenen Briefes von einem "Aprilscherz" und droht für den Fall weiterer Nachfragen mit rechtlichen Schritten.
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Das Bremer Gesundheitsamt
Das Bremer Gesundheitsamt gilt als Vorbild in Sachen medizinischer Begutachtung von Flüchtlingen. Unter Leitung des Psychiatrie- Professors Jochen Zenker erarbeitete das Amt vor Jahren bundesweit beachtete Richtlinien zur Feststellung der Reisefähigkeit.
Mehrfach hat die Bremer Ausländerbehörde versucht, an dem Amt vorbei externe Gutachten zu beschaffen, um Geduldete abzuschieben.
Hervor getan hatte sich dabei seinerzeit CDU-Innensenator Thomas Röwekamp: Der wollte die Reisefähigkeitsuntersuchungen an die als besonders restriktiv bekannte Hamburger Gesundheitsbehörde vergeben, scheiterte aber mit seinem Vorstoß.
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13.05.2010
Wem es aus ärztlicher Sicht nicht zuzumuten ist, in sein Heimatland zurückzukehren, der hat am Ende zu Unrecht kein Asyl erhalten.
Erschreckende Asyl-Praxis
KOMMENTAR VON KAIJA KUTTER
Man schiebt lästige geduldete Asylbewerber ab, zahlt ein paar tausend Euro für ein Gutachten und spart am Ende das Geld für den Unterhalt, weil geduldete Asylbewerber nicht arbeiten dürfen. Klar, dass die Verwaltung so nicht handeln sollte. Und erschreckend, dass dies offenbar im rot-grün regierten Bremen ebenso vorkommt wie in CDU-regierten Ländern.
Dabei haben diese Menschen mehrfach bescheinigt bekommen, dass sie krank und nicht reisefähig sind. Von ihrem behandelnden Arzt, von der Kasse, die die Behandlung bezahlt und von den Amtsärzten des bremischen Gesundheitsamtes, das bundesweit als fachlich vorbildlich in Sachen Begutachtung von Flüchtlingen gilt.
Hier handeln einzelne Personen falsch, hier stimmt aber auch an den Verfahren etwas nicht. Wer psychisch krank ist, wem es aus ärztlicher Sicht nicht zuzumuten ist, in sein Heimatland zurückzukehren, der hat am Ende zu Unrecht kein Asyl erhalten. Nicht selten ist das ärztliche Attest der letzte Hebel, der den deutschen Staat vor einem Fehler bewahrt. Dass dies häufiger passiert, als die Öffentlichkeit wahrnimmt, dafür sprechen die beiden Suizide, die sich binnen weniger Wochen in Hamburgs Abschiebehaftanstalten ereigneten.
Also: Asylverfahren müssen dringend auf den Prüfstand. Menschlichkeit sollten wir uns leisten.