40 Durchsuchungen AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat gestern in Norddeutschland Razzien bei militanten Gegnern des G-8-Gipfels durchgeführt. Mit rund 900 Polizisten wurden 40 Häuser und Wohnungen in den Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen, Brandenburg und Berlin durchgeführt. Beteiligt waren Beamte des Bundeskriminalamts, der Landeskriminalämter sowie der örtlichen Polizei. Nach Agenturberichten wurden die Aktionen durch 20 Mitarbeiter von Generalbundesanwältin Monika Harms geleitet. Festnahmen wurden bisher nicht bekannt. Betroffen waren von den Durchsuchungen unter anderem die linken Kulturzentren Rote Flora in Hamburg und Mehringhof in Berlin-Kreuzberg. Auch mehrere Bauernhöfe auf dem Land sollen von der Polizei gefilzt worden sein. Hintergrund für die Maßnahmen sind zwei Ermittlungsverfahren wegen Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129 a Strafgesetzbuch. Das erste Ermittlungsverfahren richtet sich konkret gegen 18 bekannte und weitere unbekannte Personen, die eine terroristische Vereinigung gegründet oder unterstützt haben sollen. Diese von den Bundesanwälten nicht näher gekennzeichnete Gruppe soll neun Brandanschläge und drei Sachbeschädigungen im Raum Hamburg sowie weitere drei Brandanschläge im Raum Berlin verübt haben. Dabei kam es jeweils nur zu Sachschäden. Den größten Schaden verursachte mit 2,2 Millionen Euro der Anschlag auf das Gästehaus des Auswärtigen Amtes in Berlin-Reinickendorf. Am aufsehenerregendsten war der Brandanschlag auf das Auto von Finanzstaatssekretär Thomas Mirow (SPD) Ende 2006. Die Anschläge standen alle im Zusammenhang mit dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen Anfang Juni im Ostseebad Heiligendamm, dem sogenannten G-8-Gipfel.
Die Aktionen wurden unter verschiedenen, oft skurrilen Gruppennamen wie Militante Antimilitaristische Initiative (M.A.M.I.) durchgeführt. In den Bekennerschreiben ist oft von einer "militanten Kampagne" zum G-8-Gipfel die Rede. Die Bundesanwaltschaft begründete gestern nicht, wie sie zu der eher unrealistischen Annahme kommt, alle Anschläge seien von einer einheitlichen Vereinigung ausgeführt worden. Die BAW wirft der Gruppe mit den vielen Namen sogar vor, sie wollten den G-8-Gipfel stören oder gar verhindern. Konkrete Beweismittel hierfür nannte sie bisher nicht. Möglicherweise hoffte sie, bei den Durchsuchungen noch Belege für diese These zu finden. Keine der Durchsuchungen fand in Mecklenburg-Vorpommern, dem Land des Gipfels, statt. Das zweite Ermittlungsverfahren richtet sich gegen die seit 2001 aktive "militante gruppe" (mg) in Berlin. Diese Gruppe hat sich zu insgesamt 25 Anschlägen bekannt, bei denen ebenfalls keine Menschen zu Schaden kamen. Die mg versuchte, sich mit Anschlägen in sozialen Auseinandersetzungen zu Wort zu melden. So begleitete sie die Hartz-IV-Proteste mit einem Brandanschlag auf das Sozialamt Tempelhof-Schöneberg. Nur zwei Anschläge erfolgten im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsgipfel. Hier ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen drei namentlich bekannte Beschuldigte. Sie sollen mit der mg versucht haben, die "gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zugunsten einer kommunistischen Weltordnung zu beseitigen". Erstaunlich sind beide Ermittlungsverfahren. Seit einer rot-grünen Milderung des Paragrafen 129 a im Jahr 2003 gelten Brandanschläge und Ähnliches nur noch dann als Terrorismus, wenn sie einen Staat oder eine internationale Organisation "erheblich schädigen" können. Das kann man von den bisherigen Aktionen aber nicht wirklich sagen. taz vom 10.5.2007, S. 2, 132 Z. (TAZ-Bericht), CHRISTIAN RATH
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