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Auf zwei Gleisen zum Dialog

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8000 Copies Worldwide (FOUNDED 1988)

     PO Box 35 - D 61440 OBERURSEL - Germany 

Simon Tidall, The Guardian

 

Auf zwei Gleisen zum Dialog

 

In der Türkei gibt es Signale der Normalisierung zwischen Regierungschef Erdoğan und PKK-Führer Öcalan. Ist das der Anfang vom Ende des Kurden-Konflikts?

 

Es scheint so, als ist der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan im Begriff, dem nationalistischen Erbe des Gründungsvaters und ersten Präsidenten des Landes, Mustafa Kemal Atatürk, den bislang heftigsten Schlag zu versetzen. Ironischerweise hat die jüngsten Kontroversen nicht die vermeintlich islamistische Agenda des Premiers entfacht – sondern eine Demarche, die die Rechte der zwölf Millionen starken kurdischen Minderheit stärken könnte, also jenes Bevölkerungsteils, zu dessen Unterdrückung Atatürk mehr beigetragen hat, als manch anderer.

Roadmap zum Frieden in Kurdistan? Mit Spannung werden die beiden Initiativen erwartet Roadmap zum Frieden in Kurdistan? Mit Spannung werden die beiden Initiativen erwartet.

 

Erdoğan hat in der vergangenen Woche bestätigt, dass seine Regierung an einer „Kurden-Initiative“ arbeitet, mit der endlich jener Konflikt beendet werden soll, der seit 1984 rund 40.000 Menschenleben gekostet hat. Die Meldung hat wilde Spekulationen ausgelöst. Schon Anfang des Jahres hatte Erdogans Verbündeter, der türkische Präsident Abdullah Gül, sich in ähnlicher Weise geäußert und von einer „historischen Gelegenheit“ gesprochen. Und sogar Armeechef Ilker Basbug hatte das Kurdenproblem als Probe für die Modernisierung der Türkei bezeichnet.

 

Road Map kommt Mitte August

 

Berichte der Tageszeitung Hürriyet und anderer türkischer Medien deuten darauf hin, dass der Plan eine Generalamnestie für die Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, erweiterte politische, ökonomische, sowie Sprach- und Bildungsrechte und die Wiedereinführung kurdischer Namen in südostanatolischen Städten beinhalten könnte. Auch der Artikel 5 des Anti-Terror-Gesetzes, von dem Gebrauch gemacht wurde, um Kinder fürs Steinewerfen zu inhaftieren, wird angeblich einer Prüfung unterzogen.

 

Erdoğan hat bisher keine genauen Angaben gemacht, wann er seine neue Strategie vorstellen wird. Wahrscheinlich aber vor dem 15. August: Für dieses Datum hat der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan die Veröffentlichung seiner „Roadmap“ für den Frieden versprochen. Die PKK hat das Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates aufgegeben und kürzlich einen einseitigen Waffenstillstand bis September verlängert. Er wird erwartet, dass Öcalan, der seit zehn Jahren auf der Insel Imrali im Marmara-Meer in Einzelhaft sitzt, Vorschläge zur Entwaffnung und politischen Reintegration von PKK-Mitgliedern, für eine erweiterte regionale Regierungsautonomie und die Schaffung einer nationalen „Phase des Dialoges“ präsentiert.

 

Öcalans Roadmap werde eine „beständige Lösung“ präsentieren, versprach Hasip Kaplan von der kurdischen Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP) gegenüber Hürrriyet. „Die Phase des Dialogs sollte eingeläutet werden.“ Kaplans Partei sei „bereit, zur Lösung des Problems beizutragen“.

 

Gegenwind von Nationalisten

 

Erdoğan war bislang im Umgang mit der Kurdenfrage eher zögerlich und wenig einheitlich vorgegangen. Obschon er an einer Lösung interessiert zu sein scheint, ist unklar, wie weit er zu gehen bereit ist. Teils geht sein Zögern zweifellos auf den heftigen Widerstand jener seiner konservativen und säkularen Gegner im zivilen wie militärischen Lager zurück, die ihm und seiner islamisch orientierten Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) vorwerfen, heimlich eine religiöse Agenda zu verfolgen. „Der Premierminister ist zu einem sehr ernsten Risiko für die Türkei geworden“, meint etwa Devlet Bahceli von der rechten Partei der Nationalistischen Bewegung. Der Regierungschef schicke sich an, „die Türkei unter Leitung des Schlächters von Imrali (Öcalan) zu teilen“. Deniz Baykal von der Republikanischen Volkspartei sagte, Erdoğan beuge sich der EU und der USA, die wegen ihrer Bedenken in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte und die Stabilität des Nordirak politischen Druck ausübten.

 

Dies und anhaltende innenpolitische Spannungen haben das Potential, Erdoğans Kurdeninitiative zu behindern. Zugleich würde es in einigen Lagern wohl als Unterminierung des Atatürk’schen Ideals eines Volkes mit einer Sprache unter einer Flagge betrachtet, sollte ein Friedensprozess Fuß fassen. Doch die Zeiten ändern sich und vielleicht werden sich auch die Ewiggestrigen der Türkei ändern müssen.

 

Sechsundachtzig Jahre nach dem Vertrag von Lausanne, aus dem die Türkei hervorging, nimmt der Druck, die Atatürk’sche Zwangsjacke zu lockern, stetig zu. „Ohne Zweifel spiegelt die in der Gründungsphase der türkischen Republik angenommene Identitätspolitik eine Vorstellung von Modernität, die zu großen Konflikten und Leid geführt hat und dem heutigen Geist der Zeit überhaupt nicht mehr entspricht“, schreibt Sahin Alpay in der Today’s Zaman. „Es ist höchste Zeit, dass die Türkei ihre Identitätspolitik an das Zeitalter der Menschenrechte, Demokratie und des Respekts für Diversität anpasst.“

 

Übersetzung der gekürzten Fassung: Zilla Hofman (MESOP)

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