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Zwischen Folklore und Faschismus

Zwischen Folklore und Faschismus


Filder. Die Ahnungslosigkeit von Ratsoberen erleichtert türkischen Extremistenvereinen die Untergrundarbeit. Von Marc Schieferecke

Ja, er war ein Bozkurt, ein Grauer Wolf. Nicht in der Türkei, in Stuttgart. "Ich war jung und dumm", sagt Ergün. Er kam nach Deutschland, als er 15 Jahre alt war. Heute ist er 32, hat zwei Kinder, einen Arbeitsplatz und einen Zweitjob. Vierzehn Stunden hat in dieser Woche sein kürzester Arbeitstag gedauert - "der Kredit, der Kindergarten", sagt er und sinniert, dass etwas in Deutschland falsch läuft, wenn er weniger Geld verdient als sein Cousin in der Türkei. "Irgendwann kommen Deutsche als Gastarbeiter in die Türkei", sagt er, trinkt einen Schluck Weizenbier und grinst so, dass unklar ist, ob er scherzt.

Ergün steht an der Theke. Er ist der einzige Türke hier. Gleich beginnt das Länderspiel Deutschland gegen die Türkei. Die Wirte und die Gäste am Stammtisch sind Griechen, auf den Barhockern sitzen deutsche Fans. Mesut Özil soll sein Tor machen, sagt Ergün, das sei seine Pflicht für Deutschland, aber er möge bitte nicht jubeln. Özil hält sich daran. Tags darauf erklärt die Bild-Zeitung ihn zum "Helden mit zerrissenem Herzen".

Zerrissen sind nicht nur Türken, die in Deutschland leben. Ganz Deutschland scheint zerrissen, von Sarrazin, von den Reden des Bundespräsidenten Christian Wulff, von Merkels Mulitkulti-Abgesang. Der Streit, der übers Land brandet, brandete vor knapp einem Jahr über Filderstadt. Im Dezember 2009 deckte die Filder-Zeitung auf, dass der dortige deutsch-türkische Freundschaftsverein ein Konzert des rechtsnationalen Sängers Ali Kinik veranstaltet hat. Es war ein Konzert zu Ehren der grauen Wölfe. Deren deutsche Ableger beobachtet der Verfassungsschutz. Die grauen Wölfe gelten als faschistisch. Sie predigen den Märtyrertod.

In Filderstadt entfachten sie den Streit, ob die Stadt diesem Verein ein Podium bieten darf. Die Stadt hat entschieden: sie darf - sie muss. Sonst wäre jeder Versuch der Integration gescheitert, sagt der Bürgermeister Andreas Koch (siehe Interview). Der Verein veranstaltete am 2. Oktober einen Volksmusikabend. Am 23. folgt ein Vereinsfest, beides in städtischen Hallen.

"Aus der Ferne ist ein Urteil natürlich schwierig", sagt Claudia Dantschke. Sie befasst sich für die Berliner "Gesellschaft Demokratische Kultur" mit türkischem Extremismus und Strittmaier meinte den Tag, an dem sich die Nachricht vom Tod Muhsin Yazicioglus verbreitete, eines "frommen Faschisten, der Menschen auf dem Gewissen hat", wie der Schreiber vermerkte. Yazicioglu war Ende der Siebziger Vorsitzender der Grauen Wölfe, die damals die Linken jagten - bis in den Tod. 1980 musste Yazicioglu ins Gefängnis. 2009 trauerte um ihn die ganze Nation wie um einen Helden.

Ergün hat sich seinerzeit mit den Grauen Wölfen verstritten. "Ich hatte eine andere Meinung", sagt er. Dafür bezog er Prügel. Abweichler werden abgestraft. Abweichler ist, wer egal was gegen die Türkei sagt. Den türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk musste die Polizei schützen, weil er schrieb, die Türkei müsse endlich anerkennen, dass 1915 mindestens eine halbe Million Armenier ermordet wurden. Ein Gericht in Ankara urteilte, wegen dieser Aussage dürfe jeder Türke Pamuk auf Schadenersatz verklagen.

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