Dialog-Kreis "Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden"
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Redaktion: Andreas Buro, Barbara Dietrich, Mehmet Sahin, Luise Schatz und Mani Stenner Redaktionsschluss: 10. April 2007
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Nützliche Nachrichten Ausgabe 4/2007
Der Kommentar
Vorprogrammierte Eskalation
von Andreas Buro
Im Oktober 2006 hat die Guerilla einen neuen unbefristeten Waffenstillstand ausgerufen. Doch wiederum will keiner mit der PKK Frieden schließen, obwohl diese keinen eigenen kurdischen Staat fordert, sondern nur eine politische und demokratische Lösung im Rahmen der Türkei. Im Gegenteil wird die Repression gegenüber den legalen politischen Repräsentanten der Kurden in der Türkei systematisch verstärkt (s. Meldungen in dieser Ausgabe).
Auch die "Friedensmacht" EU hält an ihrem Terrorismus-Vorwurf gegenüber der PKK und ihren Organisationen fest und verbaut sich so die Möglichkeit, in den Konflikt vermittelnd eingreifen zu können.
Die USA werden von dem türkisch-kurdischen Konflikt insofern berührt, als eine türkische Invasion in Irakisch-Kurdistan durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Irakisch Kurdistan ist der stabilste Teil des Iraks. Ihn wollen die USA nicht durch eine etwaige türkische Intervention gefährden. Andererseits drängt die Opposition im US-Repräsentantenhaus zunehmend auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Ankara, das als Vermittler in den vielseitigen Nah- und Mittelost-Konflikten benötigt werden könnte. Deshalb spielen die USA auf Zeit und haben dazu eine amerkanisch-türkisch-irakische Sonderkoordination geschaffen. Gleich nach dem erneuten einseitigen Waffenstillstand der PKK kündigte die Armee jedoch an, ihren Kampf gegen die PKK fortzusetzen. Der "Terrororganisation" bleibe nur ein Ausweg, sagte der neue Generalstabschef Yasar Büyükanit am 2. Oktober 2006, "die Waffen bedingungslos niederzulegen und sich der türkischen Justiz zu stellen". Er widersprach damit Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der erklärt hatte, wenn die PKK ihren Waffenstillstand einhalte, werde es "ohne zwingenden Grund" keine militärischen Operationen mehr gegen die Organisation geben.
Zu den Ablehnern des Waffenstillstandes gehören auch nationalistisch-faschistische Kräfte der Türkei, aber auch Kemalisten, darunter die CHP (Republikanische Volkspartei). Büyükanit hat in seiner Rede vor der türkischen Kriegsakademie auch vor einer "islamistischen Bedrohung" in der Türkei gewarnt. Es gebe eine "reaktionäre Gefahr" in der Türkei. Sie müsse "mit jeder Art von Maßnahme" bekämpft werden. Zugleich wies Büyükanit Kritik der Europäischen Union zurück, wonach die Streitkräfte in der Türkei zu großen Einfluss hätten. Eine ähnliche Islamismuskritik hatte kurz zuvor Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer geäußert. Die religiöse Reaktion in den vergangenen 20 Jahren sei nie so bedrohlich gewesen wie heute. Der Begriff Säkularismus werde entleert. Um die Lebensdauer der säkularen Republik zu verlängern, müßten ernannte Amtsträger den gewählten Mandatsträgern mindestens gleichwertig sein, und zum Schutz des Laizismus dürften auch Grundrechte und Grundfreiheiten eingeschränkt werden. Starke Streitkräfte seien für die nationale Sicherheit unumgänglich.
Die Fronten des innertürkischen Konflikts überlagern offensichtlich den türkisch-kurdischen. Das Militär braucht den militanten türkisch-kurdischen Konflikt um seine Vorrangstellung zu legitimieren und als Vorwand für einen eventuellen Einmarsch in Irakisch-Kurdistan. Dabei geht es vorrangig nicht um etwaige PKK-Basen, sondern um die Verhinderung einer möglichen Bildung eines eigenständigen Irakisch-kurdischen Staats, der zu erneuten separatistischen Bestrebungen der türkischen Kurden führen könnte. In diesem Zusammenhang wenden sich die Generale auch gegen eine Eingliederung von Kerkuk mit seinem Ölreichtum in Irakisch Kurdistan durch die in der irakischen Verfassung vorgesehene Volksabstimmung.
Das Militär und die ihn tragenden Eliten distanzieren sich auch von dem Erdogan-Projekt des EU-Beitritts, weil dieses Projekt das Übergewicht des Militärs im Staate beschneiden würde. Dabei haben sie gute Karten, da die Sympathien für den EU- Beitritt in der Bevölkerung sinkt und die nationalistische Orientierung steigt. Dafür lieferte die von Kemalisten organisierte Demonstration von einigen hunderttausend Menschen in Ankara am Samstag dem 14.4.2007 einen tiefen Eindruck.
Premierminister Erdogan kann sich angesichts der bevor stehenden Wahlen nicht gegen den nationalistischen Kurs stemmen. Hatte er noch auf einer Rede in Diyarbakir im Sommer 2005 eingeräumt, es gäbe ein kurdisches Problem, dass durch Reformen bewältigt werden müsse, so war davon nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats keine Rede mehr. Nach dem erneuten einseitigen Waffenstillstand der PKK sagte er: "Eine Waffenruhe wird zwischen Staaten ausgehandelt. Das ist nicht etwas für eine Terrororganisation", fügte allerdings hinzu, dass die Armee ohne Grund keine Operationen durchführen werde. Außenminister Gül ergänzte, in einer friedlicheren Atmosphäre könne die Regierung ein wirtschaftliches und soziales Entwicklungsprojekt starten. Doch auch damit konnte sich die Regierung gegenüber dem Militär nicht durchsetzen. Die Armee kämpfte weiter. Eine friedliche Lösung der kurdischen Frage rückte für die Regierung in immer weitere Ferne. Erdogan musste zurückstecken: "Der Irak ist zurzeit, im Vergleich zum EU-Prozess, zu einem vorrangigen Problem für die Türkei geworden".
Die türkische Opposition forderte die Regierung sogar offen auf, eine Militärintervention im Nachbarland Irak vorzubereiten. Das Parlament kam am 23. Januar 2007 zu einer Sondersitzung Irak unter Ausschluß der Öffentlichkeit zusammen. Die Protokolle dieser Sitzung bleiben 10 Jahre lang unter Verschluß. In der öffentlichen Diskussion der EU-Staaten werden diese Entwicklungen kaum beachtet. Im Gegenteil steht zu vermuten, das sie als Wasser auf die Mühlen der Beitrittsgegner wahrgenommen werden, da die Entwicklung eher gegen einen EU-Beitritt der Türkei spricht. Vielen dürfte die Anbindung der Türkei an den Westen über die vom Militär dominierte NATO- Partnerschaft und den Assoziations-Vertrag genügen.
Brisant wird die Situation allerdings auch für EU-Europa, wenn Kerkuk per Volksabstimmung an Irakisch-Kurdistan fallen würde; wenn der Irak zerfallen und Irakisch-Kurdistan sich als eigenständiger Staat etablieren würde; wenn die USA sich aus Irak zurückzöge und nicht mehr als Schutzmacht für Irakisch- Kurdistan wirken könnte oder die USA den Iran angriffe und verstärkt auf die Türkei angewiesen wäre, um der Folgesituation Herr zu werden.
In allen diesen Fällen wäre eine militärische Intervention des NATO-Partners Türkei mit unabsehbaren Folgen für die Region und für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage nicht auszuschließen. Es ist deshalb geradezu fahrlässig, dass die EU und ihre Staaten, sich nicht im Sinne einer friedlichen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts einmischen.
Ereignis-Kalender
"Sprachprozess" gegen Kurden mit hohen Freiheitsstrafen
Die 13 kurdischen Politiker von der kurdischen Partei HAK-PAR, die nach dem türkischen Parteiengesetz wegen des Sprechens der kurdischen Sprache während ihres Kongresses am 4. Januar 2004 und der aus diesem Anlass versendeten Einladungskarten nicht nur in Türkisch, sondern auch in Kurdisch am 14. Februar 2007 zum zehnten Mal in Ankara vor Gericht standen, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.
5 von ihnen erhielten 1 Jahr Gefängnisstrafe, 8 wurden zu 6 Monaten Freiheitsstrafe, verurteilt. Die Verurteilten verkündeten nach dem Prozess, dass dieses Urteil gegen internationales Recht und die EU-Kriterien verstoße und sie sich zunächst an das Verfassungsgericht und anschließend an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wenden würden. (Gesellschaft für bedrohte Völker, 16.2.07, nahost@gfbv.de, www.gfbv.de )
DTP-Vorsitzender aus Diyarbakir verhaftet
Der DTP-Provinzvorsitzende aus Diyarbakir Hilmi Aydogdu ist wegen „Volksaufstachelung" verhaftet worden. Als Begründung wurde ein Satz aus einer Erklärung Aydogdus herangezogen: "Wir betrachten einen Angriff auf Kerkuk wie einen Angriff auf Diyarbakir".
Aydogdu wurde am 22. Februar 2007 auf einer Konferenz der Anwaltskammer Diyarbakir unter dem Titel „Konfrontation mit der Vergangenheit für Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden" festgenommen, staatsanwaltschaftlich verhört, vom Haftrichter verhaftet und ins D-Typ-Gefängnis von Diyarbakir überstellt. Der als Haftgrund herangezogene Satz war Teil einer Stellungnahme des Provinzvorsitzenden, in der er erklärte: "Wir betrachten die gegen Kerkuk geplanten Interventionen als höchstgradig unvernünftig, unlogisch und unwissenschaftlich, als Produkt einer Logik, die die historische Realität verkennt und komplett ablehnt. Für die Kurden ist es sehr wichtig, dass ein Kurde Staatspräsident (von Irak) ist. Dieser Fakt hat historische Bedeutung und spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung von kurdischem Bewusstsein und Demokratie sowie der gleichberechtigten Darstellung des kurdischen Volkes als eines der Völker des Mittleren Ostens. Ein Angriff auf Kerkuk ist wie ein Angriff auf Diyarbakir und umgekehrt."
Aydogdu wurde am 9. April freigelassen und die nächste Verhandlung wurde auf den 26. Juli vertagt. (ANF, 23.2.07; ISKU, Neue Zürcher Zeitung, 24.2.07; YÖP, 9.4.07)
Haftstrafe für DTP-Vorsitzende
Der DTP-Vorsitzende Ahmet Türk und die Co-Vorsitzende Aysel Tugluk und sind aufgrund eines Flugblattes des DTP- Frauenverbandes Yalova zum 8. März 2006 zu einer Haftstrafe von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Mit dem Flugblatt sei gegen das Parteiengesetz sowie Artikel 215 des Strafgesetzbuches (Loben einer Straftat oder eines Straftäters) verstoßen worden.
Wenige Tage später wurde Ahmet Türk zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, weil er den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan mit „Sayin Öcalan" (Herr Öcalan) bezeichnet habe. Gegen Aysel Tugluk sind außerdem Ermittlungen wegen einer Erklärung zur Vergiftung Öcalans eingeleitet worden. Tugluk hatte in einer ersten Stellungnahme darauf hingewiesen, falls die von den Anwälten erhobenen Vorwürfe wahr seien, werde dies ernste Auswirkungen haben. (n-tv und ANF, 26.2.07; YÖP, 7.3.07, ISKU; FR, 7.3.07)
Nationalistische Welle in der Türkei
Oberst Mehmet Fikri Karadag rekrutiert die Mitglieder seines Vereins mit Vorliebe in den westlichen Metropolen der Türkei. In konspirativ anmutenden Zeremonien lässt er sie dann auf den Koran, die türkische Flagge und zwei Pistolen einen Schwur ablegen. «Ich bin als Kind einer türkischen Mutter und eines türkischen Vaters geboren, unter meinen Vorfahren gibt es keinen Konvertiten, ich bin Türke», schwört ein Mitglied in der Mittelmeerstadt Mersin. Er verspricht, sein eigenes Leben zu opfern, um «mein Land zu verteidigen und dessen Feinde zu vernichten».
Der Schwur, offenbar heimlich gefilmt und Mitte Februar von einem Fernsehkanal ausgestrahlt, hat eine hitzige Debatte über die Frage des Rassismus in der Türkei ausgelöst. Oberst Karadag nennt seinen Verein Kuvay-i Milliye (Nationale Kräfte). So bezeichnete auch der Republikgründer Kemal Atatürk seine irregulären Verbände, die ab 1919 gegen die damaligen ausländischen Besetzungsmächte in Istanbul sowie gegen das korrupte osmanische Regime kämpften. Die heutigen Kuvay-i Milliye sollen laut eigenen Angaben eine Liste von 13 500 «Landesverrätern» erstellt haben.
Eine strafrechtliche Verfolgung des Obersten ist bisher ausgeblieben.
Rechtsextremisten, aber auch linksradikale Organisationen, wie die Stalinisten der Arbeitspartei von Dogu Perincek, haben sich lose in der Vereinigung der Kizilelma zusammengefunden. Unter dem Motto «Die Türkei den Türken» treten sie gemeinsam ein für einen sofortigen Abbruch der Beziehungen der Türkei zur EU und zu den USA, die sie als «imperialistische, von Zionisten infiltrierte Besatzungsmächte» betrachten. Türkische Neo- Nationalisten sind religiös, ordnen den Islam aber dem türkischen Nationalismus unter.
Oberst Karadag ist überzeugt, dass der Prophet Mohammed zwar unter Arabern aufgewachsen, in Wirklichkeit aber ein Türke sei. Die «ulusalcilar» messen der türkischen Rasse und den Symbolen der türkischen Nation eine zentrale Bedeutung bei. Kurden, Armenier und andere ethnische Gruppierungen des Landes werden als «die anderen» ausgegrenzt.
Wie einflussreich die Bewegung der «ulusalcilar» tatsächlich ist, ist umstritten. Die Vorboten sind aber alarmierend. So stammten die Mörder des katholischen Priesters Andrea Santoro sowie eines Richters des Appellationsgerichts aus dieser Bewegung. Santoro wurde vor einem Jahr umgebracht, der Richter im vergangenen Mai. Bei Ermittlungen stieß damals die Polizei zufällig auf eine illegale Bande, genannt Atabeyler, die sich aus Offizieren niedrigen Grades der türkischen Spezialtruppen zusammensetzte. Sie plante, den Regierungschef Recep Tayyip Erdogan sowie dessen aussenpolitischen Berater Cüneyt Zapsu umzubringen. Der Mörder Hrant Dinks, Ogün S., wurde nach seiner Festnahme in der Polizeistation von Samsun von Mitgliedern der Gendarmerie und der Polizei wie ein Nationalheld gefeiert. Und weil er bei seiner Tat eine weisse Wollmütze getragen hatte, werden neuerdings in Souvenirläden in Anatolien weisse Wollkappen à la Ogün verkauft.
Von einer potenziell gefährlichen Entwicklung spricht auch Ertugrul Kürtcü, Redakteur der alternativen Nachrichtenagentur «Bianet». Nach dem Ausbruch des Irak-Kriegs fühlten sich die Bürger, so sagt er, von den USA verraten. Neuerdings fühlten sie sich auch von der EU in ihrem Nationalstolz verletzt. Ideen von einer Abkapselung gegenüber dem Westen, wie irreal diese auch scheinen mögen, machten sich in der städtischen Mittelschicht der Türkei breit. Die «ulusalcilar» unterschieden sich von den rassistischen Bewegungen Europas nur insofern, als in der türkischen nationalistischen Bewegung sehr viele Mitglieder der Sicherheitskräfte aktiv seien, sagt Kürtcü. Jede kleine Provokation könnte das Land in ein neues Abenteuer stürzen. (Neue Zürcher Zeitung, 28.2.07)
Putschgeneral Evren gegen Zentralismus und für Vertretung der Kurden im Parlament
Die pro-kurdische Partei DTP will die Zehnprozent-Hürde in der Türkei mit einem Trick unterlaufen und so endlich ins Parlament einziehen. Unerwartete Unterstützung erhält sie dabei von Ex- Generalstabschef Kenan Evren.
Ahmet Türk, der Vorsitzende der pro-kurdischen Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP) hofft, im nächsten Parlament vertreten zu sein, das spätestens im November gewählt werden muss. Die DTP will nun die Zehnprozenthürde umgehen, indem sie in den Südostprovinzen, wo kurdische Parteien bei früheren Wahlen auf Stimmenanteile von deutlich über 50 Prozent kamen, "unabhängige" Kandidaten nominiert. Die können direkt gewählt werden, wenn sie in ihrem Wahlkreis die Mehrheit erreichen.
Einmal im Parlament, könnten sich die kurdischen Abgeordneten dann als DTP-Fraktion konstituieren, plant Parteichef Türk. Diese Vorstellung dürfte dem Generalstab allerdings gar nicht behagen, denn der sieht in der DTP eine Tarnorganisation der als Terrorgruppe eingestuften Arbeiterpartei Kurdistan PKK.
Das bestehende Wahlrecht hält die die Kurden bisher vom Parlament fern. Für eine Novellierung machte sich nun in einem Interview der Zeitung Sabah Ex-Generalstabschef Kenan Evren stark. Evren, der den Staatsstreich vom 12. September 1980 anführte und danach neun Jahre lang Staatspräsident war, sieht die unter seiner Ägide eingeführte Zehnprozent-Hürde mittlerweile offenbar kritisch. Wenn Kommunisten, Nationalisten und Islamisten ins türkische Parlament dürfen, warum dann nicht auch eine kurdische Partei, fragte Evren in dem Zeitungsinterview. Wären die Kurden im Parlament vertreten, so könnte das die politische Atmosphäre "entspannen", sagte er.
Aufsehen erregte das Interview mit Evren auch wegen einer anderen Forderung des 90-Jährigen: Ausgerechnet er, der sich als Offizier a. D. dem politischen Erbe des Republikgründers Atatürk besonders verpflichtet fühlen muss, stellt das seit 80 Jahren geltende dominierende Konzept des Zentralismus in Frage: Von Ankara allein sei ein so großes Land mit 81 Provinzen nicht zu regieren, erklärte Evren. Stattdessen schlägt der Ex-General eine föderale Neuordnung vor: In acht Bundesländer sollte die Türkei aufgeteilt werden - eines davon im überwiegend kurdisch besiedelten Südosten mit der Hauptstadt Diyarbakir. "Ansonsten werden wir keinen inneren Frieden finden." Die 81 türkischen Provinzen seien von Ankara aus nur schwer im Griff zu halten. Die Idee zu einer bundesstaatlichen Verfassung sei ihm bereits in den 80er Jahren bei einem Besuch in Bayern gekommen, als neben der türkischen und der deutschen noch eine dritte, ihm unbekannte Flagge aufgezogen wurde - die Landesfahne Bayerns. Diese Vorstellung sorgt für Entrüstung unter türkischen Nationalisten: ein kurdisches Bundesland mit eigener Verwaltung, darin sehen sie den ersten Schritt zu einer völligen Abspaltung der Südostprovinzen, die sich über kurz oder lang mit der kurdischen Autonomiezone im Nordirak zu einem eigenen Staat vereinigen würden.
Mehmet Yurtseven, Leitender Staatsanwalt in der türkischen Ägäisprovinz Mugla, führt nun Ermittlungen gegen General a.D. Kenan Evren. Dass der General a.D. nun auf seine alten Tage im Mittelpunkt eines Ermittlungsverfahrens steht, hat nicht etwa mit dem Staatsstreich vom 12. September 1980 zu tun. Gegen Strafverfolgung haben sich die Putschisten wohlweislich abgesichert, mit einer Amnestieklausel, die sie in die von ihnen 1982 konzipierte türkische Verfassung einbauten. Nein, nicht weil er das Parlament auflöste, das Kriegsrecht verhängte, Parteien und Gewerkschaften verbot, hunderte Politiker in Haft und Hausarrest nehmen, Regimekritiker foltern und exekutieren ließ, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen Kenan Evren, sondern weil er neue Ideen in die gesellschaftliche Diskussion einführt. (Sabah, 28.2.07; Hürriyet, 1.3.07; Salzburger Nachrichten, und FR, 3.3.07; Referans, 4.3.07; Gazetem.net, 5.3.07)
Öcalans Anwälte: Unser Mandant wird vergiftet
Am 1. März 2007 gaben die Rechtsanwälte von PKK- Vorsitzenden Abdullah Öcalan bekannt, dass ihr Mandant auf dem Gefängnisinsel Imrali vergiftet würde: „Laboruntersuchungen der Haarproben von Herrn Öcalan zeigen eine Konzentration der Elemente Strontium und Chrom, die deutlich über den Normalwerten liegt. Aus Sicherheitsgründen wurden diese Untersuchungen ohne Offenlegung der Identität des Probanden durchgeführt. Die Testergebnisse wurden von einem sachverständigen Labor als Anzeichen einer chronischen Vergiftung identifiziert.
Vor einer Woche wurden diese Ergebnisse sowohl dem Menschenrechtskommissar des Europarates als auch dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vorgelegt. Beide wurden ersucht, in dieser Sache zu intervenieren. (…)
Es ist absolut notwendig, dass die vorliegenden Ergebnisse von einer unabhängigen und internationalen Expertendelegation untersucht werden und eine neue Analyse unter besseren Bedingungen durchgeführt wird, so dass die Situation vollständig aufgeklärt werden kann."
Nach der Erklärung der Anwälte wurde am 5. März eine Delegation auf Weisung des Justizministeriums auf die Insel Imrali geschickt, um Proben von Öcalan zu entnehmen. Die Proben wurden im Institut für Gerichtsmedizin untersucht. Die Oberstaatsanwaltschaft in Bursa gab bekannt, dass die Proben keinerlei Vergiftung aufwiesen.
Allerdings wurde die Studie bisher nicht veröffentlicht. (Internationale Initiative Freiheit für Abdullah Öcalan- Frieden in Kurdistan, info@freedom-for-ocalan.com, www.freedom-for-ocalan.com, Rom, 1.3.07, ANF, 12.3.07)
Verfahren gegen Öcalan-Anwälte
Gestern fand eine weitere Hauptverhandlung im Prozess gegen die Öcalan-Anwälte Irfan Dündar und Mahmut Sakar in Istanbul statt. Die Staatsanwaltschaft gab an, Sakar und Dündar hätten im Mai 2006 an einem Kongra-Gel-Kongress teilgenommen. Dündar sei ferner Mitglied im „Koordinationszentrum Türkei", stelle die Kommunikation zwischen Öcalan und der Organisation her, habe Befehle Öcalans an die Organisationsführer im Irak und umgekehrt Beschlüsse der Organisation an Öcalan weitergeleitet. Das Verfahren gegen Mahmut Sakar wurde abgetrennt.
Ein weiteres Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Diyarbakir gegen Sakar und Dündar wegen „Amtsmissbrauchs" im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Befunde, aus denen sich Hinweise auf eine Vergiftung Öcalans mit Schwermetallen ergeben hatten, eingeleitet. (YÖP, 8.3.07, ISKU)
Tageszeitung Gündem verboten
Die in Istanbul erscheindende Tageszeitung Gündem ist für einen Monat verboten worden. Als Begründung zog ein Istanbuler Gericht eine Meldung vom 2. März zur Vergiftung Abdullah Öcalans heran. Der gleiche Richter erließ am gleichen Tag ein zweites Erscheinungsverbot aufgrund eines Artikels vom 5. März. Die Chefredakteurin der Zeitung, Yüksel Genc, bezeichnete die Gerichtsurteile als Skandal. Die Meldung über die Vergiftung Öcalans habe großen Aufruhr in der Gesellschaft ausgelöst. „Die Entwicklungen in diesem Zusammenhang sind für einen großen Teil der Gesellschaft wichtig, weil sie die Zukunft der Türkei betreffen. Darauf haben wir in unserer Zeitung hingewiesen." (YÖP, 7.3.07, ISKU)
DEP-Prozess nach 13 Jahren beendet
Nach 13 Jahren ist der Prozess gegen die ehemaligen DEP- Abgeordneten Leyla Zana, Hatip Dicle, Orhan Dogan und Selim Sadak am 9. März 2007 endgültig abgeschlossen worden. Die alte Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation wurde bestätigt, unter Berücksichtigung einer Änderung des türkischen Strafgesetzbuches wurde die verhängte Haftstrafe von 15 Jahren auf siebeneinhalb Jahre reduziert. Somit haben die DEP'ler drei Jahre zuviel im Gefängnis verbracht.
Rechtsanwalt Yusuf Alatas bezeichnete das Gerichtsverfahren als ungerecht. Das, auf Aufforderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, neu aufgerollte Verfahren sei lediglich der Form halber abgehalten worden. Das Gericht habe nicht einmal das gegenteilige Urteil des Kassationsgerichtshofes berücksichtigt. Allerdings seien die rechtlichen Einschränkungen seiner Mandanten mit diesem Urteil aufgehoben. Das Recht auf politische Betätigung hänge nach Verfassungsrecht jedoch von einer noch ausstehenden Entscheidung des Wahlausschusses ab. (ANF, 9.3.07, ISKU)
Bürgermeister von Hakkari verurteilt
Am 19. März verurteilte die 4. Kammer des Landgerichtes in Van den Bürgermeister von Hakkari Metin Tekce im Zusammenhang mit seiner Aussage vom 16. März 2006 vor der parlamentarischen Untersuchungskommission zu den Ereignissen von Semdinli wegen "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" und "Propaganda für eine illegale Organisation" zu 7 Jahren 5 Monaten Haft. (Hürriyet, 20.3.07)
Kurdische Politikerin Sakine Cansiz festgenommen
Die Versuche der türkischen Strafverfolgungsbehörden, mit Hilfe eines internationalen Haftbefehls die Auslieferung von politisch Verfolgten aus Deutschland in die Türkei zum Zweck der Strafverfolgung zu erreichen, reißen nicht ab. So wurde am 19. März die kurdische Politikerin Sakine Cansiz von einem 15- köpfigen Polizeiaufgebot in Hamburg festgenommen und in Handschellen abgeführt. Die aus Dersim stammende Kurdin war aufgrund ihres Engagements für die kurdischen Interessen in der Schreckenszeit nach dem Militärputsch 1980 für 12 Jahre in türkischer Haft, aus der sie 1991 entlassen wurde. 1998 erhielt sie politisches Asyl in Frankreich. Die deutsche Justiz setzt sich über diese Entscheidung eines anderen EU-Mitgliedslandes hinweg.
Nach Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, das auf Ersuchen der türkischen Justizbehörden den Haftbefehl gegen Sakine Cansiz ausgestellt hat, handelt es sich in ihrem Fall um eine "auslieferungsfähige Straftat", womit die Auslieferung der Verfolgten "grundsätzlich zulässig" sei. Dies auch, „weil die PKK in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Unterstützung strafbar" ist.
Rechthilfefonds Azadî verurteilt das Vorgehen der türkischen Strafverfolgungsbehörden und appelliert an das zuständige Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg, eine kritische Haltung hinsichtlich der Folgen einer möglichen Auslieferung in die Türkei einzunehmen, das vorliegende Ersuchen der türkischen Justizbehörden für unzulässig zu erklären und den Haftbefehl gegen Sakine Cansiz aufzuheben. (Azadi e.V., 22.3.07, Azadi@t-online.de; www.nadir.org/azadi/; PM von MdB Ulla Jelpke, 26.3.07, taz, 28.3.07)
Hohe Militärs planten die Entmachtung Erdogans
Hohe türkische Militärs sollen in den Jahren 2003 und 2004 einen Putsch gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant haben. Das geht aus angeblichen Tagebuchaufzeichnungen eines der Beteiligten hervor, die jetzt publik wurden. Unter den Codenamen "Blondine" und "Mondschein" schmiedeten Generäle demnach Putschpläne und strebten gegen den Willen des damaligen Generalstabschefs Hilmi Özkök an die Macht.
Der angebliche Tagebuch-Autor spricht von einer Fälschung, doch das politische Ankara erzittert trotzdem: Denn fast gleichzeitig mit der Tagebuch-Enthüllung bekräftigte der derzeitige Generalstabschef Yasar Büyükanit den Anspruch der Armee, notfalls gegen die Regierung einzuschreiten. Nach der Erfahrung von vier Militärinterventionen gegen gewählte Regierungen seit 1960 werden Putschgerüchte in der Türkei stets ernst genommen, selbst wenn sie aus einer so umstrittenen Quelle stammen. Es ist kein Geheimnis, dass die Armeeführung dem Kabinett Erdogans islamistische Tendenzen unterstellt.
Die Putschvorbereitungen sollen auf dem Höhepunkt von Erdogans europapolitischer Reformpolitik begonnen haben; damals grenzte die Regierung durch Gesetzesreformen den militärischen Einfluss auf die Politik ein. Der damalige Generalstabschef Özkök nahm die demokratischen Reformen hin; damit soll er einen Teil der Armeeführung verärgert haben. Ans Licht gekommen sind die angeblichen Putschpläne jetzt durch die für ihre Enthüllungen bekannte Zeitschrift "Nokta". In ihrer Ausgabe Ende März zitiert das Blatt aus einem Tagebuch des ehemaligen Marinechefs Özden Örnek aus der fraglichen Zeit. Die Notizen geben einen detaillierten Einblick in eine Verschwörung mit dem Codenamen "Blondine", die unter anderem mit dem EU-Engagement der Regierung begründet wird.
Ein Vermerk aus dem Dezember 2003 beschreibt ein Gespräch der beteiligten Generäle über die Frage, wie Studentenproteste gegen die Regierung organisiert werden könnten. Auch sollten die Medien des Landes gegen Erdogans Kabinett eingespannt werden. Sogar an einen Putsch-freundlichen Volkssänger, der mit seinen Liedern die Intervention rechtfertigen sollte, wurde gedacht.
An den Putschvorbereitungen waren demnach mehrere hohe Offiziere aus dem Generalstab beteiligt. Die Pläne seien geplatzt, weil sich die Beteiligten gestritten hätten und Generalstabschef Özkök Wind von der Verschwörung bekommen habe. Selbst nachdem "Blondine" aufgegeben wurde, arbeitete ein General angeblich auf eigene Faust weiter am Plan für einen Putsch, diesmal unter dem Decknamen "Mondschein". Auch dieser General kam allerdings nicht weit. In dem Tagebuch wird der Zeitschrift zufolge deutlich, dass einige Generäle aus rein persönlicher Machtgier handelten.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt des "Nokta"-Berichts besteht kein Zweifel am politischen Machtanspruch der Armee. In einer Rede vor der Kriegsakademie betonte der derzeitige Generalstabschef Büyükanit, die türkischen Streitkräfte seien der Regierung nicht blind ergeben. Vielmehr habe das Militär eine Wächterrolle. "Wenn die Zeit kommt, muss die Armee ihre Pflicht tun."
Sowohl die Tagebuch-Veröffentlichungen als auch Büyükanits Rede gehörten zur Auseinandersetzung vor der Neuwahl des türkischen Staatspräsidenten im Mai. Laizistische Kräfte wie die Militärs wollen eine Kandidatur Erdogans für das höchste Staatsamt unbedingt verhindern. Bis zum 24. April will Erdogan bekannt geben, wer nach dem Willen seiner Regierungspartei AKP in den Präsidentenpalast einziehen soll. Deshalb gaben die selbsternannten Wächter vom Militär jetzt einen Warnschuss ab. (ANF, 29.3.07, ISKU; Der Standard, 30.3.07)
50 Bürgermeister wegen ROJ-TV vor Gericht
Im Prozess gegen 53 Bürgermeister der DTP in Diyarbakir hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlussplädoyer 15 Jahre Haftstrafe gegen die Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation gefordert. Gegen die DTP- Bürgermeister war Anklage erhoben worden, nachdem sie sich in einem Brief an den dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen gegen eine Schließung des kurdischen Fernsehkanals Roj TV, der von Dänemark aus sendet, ausgesprochen hatten. Die Staatsanwaltschaft führte in ihrem Plädoyer aus, die Türkei habe sich in Dänemark um eine Schließung von Roj TV bemüht. Die Bürgermeister hätten hingegen auf einer Versammlung im April 2005 in Diyarbakir beschlossen, zur Unterstützung des Senders einen Brief an den dänischen Ministerpräsidenten zu senden. Damit hätten sie bewusst die PKK unterstützt. Lediglich drei Bürgermeister hätten nichts von dem Brief gewusst und seien daher freizusprechen.
Die Hauptverhandlung wurde vertagt. In der nächsten Verhandlung wird die Verteidigung der Bürgermeister ihr Plädoyer halten.
Rasmussen selbst hatte zu einem früheren Zeitpunkt bereits sein Unverständnis über die Anklageerhebung zum Ausdruck gebracht. (ANF, 3.4.07, ISKU; junge Welt, 4.4.07)
14. April: Gedenktag für Anfal-Opfer
Die Regierung von Irakisch-Kurdistan hat den 14. April zum Tag des Gedenkens an die 182.000 kurdischen Opfer der Anfal- Operation mit Giftgas unter Saddam Hussein ausgerufen. Weiterhin wurde die Aufnahme des Themas in Unterrichtspläne, die Errichtung eines Mahnmals in Hewler sowie die Gründung eines Völkermordmuseums beschlossen. (ANF, 5.4.07, ISKU)
Barzani gegen Einmischung der Türkei in Kerkuk
Der Präsident der Föderalen Region Irakisch-Kurdistan, Mesut Barzani, hat sich vehement gegen eine Einmischung der Türkei in die Kerkuk-Frage ausgesprochen: "Wenn die Türken sich in Kerkuk einmischen, werden wir uns in Diyarbakir einmischen", erklärte Barzani gegenüber dem Fernsehsender El Arabiya. Man fürchte sich nicht vor der militärischen und diplomatischen Stärke der Türkei, führte Barzani weiter aus. Kerkuk habe eine kurdische Identität und sei untrennbarer Bestandteil Kurdistans. „In der Türkei gibt es 30 Millionen Kurden. Wir mischen uns nicht in ihre inneren Angelegenheiten ein. Aber wenn eine Einmischung der Türkei in die Kerkuk-Frage stattfinden sollte, werden wir uns ebenfalls in die inneren Angelegenheiten Diyarbakirs und anderer Städte einmischen. Ich möchte nicht, dass es soweit kommt. Aber wenn die Türken auf einer Einmischung in der Kerkuk-Frage bestehen, werden wir alle Konsequenzen in Kauf nehmen und ihr Programm zu verhindern suchen."
Es handele sich um ein legitimes Recht des kurdischen Volkes, einen unabhängigen Staat zu haben, fuhr Barzani fort. "Solange die Kurden, die innerhalb der Grenzen Syriens, der Türkei und Irans leben, nicht dazu gezwungen werden, sollten sie sich von der Gewalt fern halten. Ein Vorgehen gegen die Unabhängigkeit der Kurden zählt jedoch als feindliche Haltung gegen die Kurden in den genannten Ländern."
Mit scharfer Kritik hat die Türkei auf die Äußerungen Barzanis reagiert. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warnte Barzani vor "großen Worten", unter denen er "zu Grunde gehen" werde. Die kurdische Autonomiebehörde solle ihre Position überdenken, sonst werde der Nordirak einen "hohen Preis" zu zahlen haben, sagte Erdogan am 9. April 2007 auf Fragen von Journalisten in Ankara.
Der türkische Außenminister Abdullah Gül telefonierte laut Medienberichten am 7. April mit seiner US-Kollegin Condoleezza Rice, um ihr die "Besorgnisse" der Türkei wegen der jüngsten Äußerungen Barzanis zur Kenntnis zu bringen.
Inzwischen hat die irakische Regierung einen Beschluss zur Umsiedlung und Entschädigung tausender arabischer Bewohner von Kerkuk gebilligt, wie Justizminister Hashim al Shibli am 31.3.07 erklärte. Die Araber waren in den vergangenen Jahrzehnten vom damaligen Diktator Saddam Hussein in Kerkuk angesiedelt worden, um die dort lebenden Kurden zu verdrängen. Die Kabinettsentscheidung war ein wichtiger Schritt zur Umsetzung einer Verfassungsbestimmung, wonach der Status der ölreichen Stadt bis Ende des Jahres geklärt werden soll. Die Kurden möchten Kerkuk, 290 Kilometer nördlich von Bagdad gelegen, in ihr Autonomiegebiet aufnehmen. In der irakischen Verfassung ist noch in diesem Jahr ein Referendum über die Zukunft Kerkuks vorgesehen. Justizminister Shibli betonte jedoch, die Umsiedlung werde auf freiwilliger Basis erfolgen. Umzugswillige sollten 20 Millionen Dinar (rund 11.000 Euro) und Land in ihren früheren Heimatorten erhalten. Zielgruppe seien Araber, die nach dem 14. Juli 1968 nach Kerkuk gezogen seien. (der Standard.at, 31.3.07; ANF, 7.4.07, ISKU; Der Standard, 9. und 10.4.07)
Friedensrat der Türkei wird gegründet
Nach der im Januar in Ankara durchgeführten Konferenz „Die Türkei sucht ihren Frieden" haben Friedensaktivisten beschlossen, ihre Bemühungen für Frieden über eine organisierte Struktur fortzusetzen, um eine kontinuierliche und systematische Arbeit zu gewährleisten. Diese Friedensorganisation, in die Friedensaktivisten, Intellektuelle, Politiker und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen eingebunden werden sollen, soll im Mai voraussichtlich unter dem Namen „Friedensrat der Türkei" gegründet werden. Zur Vorbereitung dessen werden von einer 15-köpfigen Vorbereitungsgruppe seit drei Monaten Versammlungen in verschiedenen Städten der Türkei durchgeführt. (ANF, 8.4.07, ISKU)
Die Feyli-Kurden im Irak bekommen ihre Pässe zurück
Die Feyli-Kurden im Irak bekommen nach 27 Jahren ihre Pässe zurück. 1970 begann die Vertreibung der Feyli-Kurden aus dem Irak. Sie wurden nach Iran abgeschoben. Ihre Vertreibung hielt bis in die 80ger Jahre an. 1980 hat der damalige irakische Diktator Saddam Hussein während des Iran-Irak Krieges den Feyli-Kurden (Schiitische Kurden) vorgeworfen Iran zu unterstützen und nahm ihnen auch noch ihre Pässe ab. Nach dem Sturz von Saddam kehrten die Feyli-Kurden in den Irak zurück. 2004 wurde in Resadiye, nahe bei Bagdad, ein Massengrab mit den sterblichen Überresten von 400 Feyli- Kurden entdeckt.
Nun entschied das irakische Innenministerium, dass die Feyli- Kurden ihre Pässe zurück erhalten können unter der Bedingung, dass sie drei Zeugen benennen, die bezeugen, dass sie oder ihre Familie 1957 bei der Volkszählung registriert wurden. Inoffizielle Zahlen gehen von einer Anzahl von 1,5 Millionen Feyli-Kurden im Irak aus. (Isku, 9.4.07)
DTP protestiert gegen Verhaftungen
Seit Februar finden ununterbrochen Razzien gegen die kurdische Partei DTP statt. Hunderte Funktionäre wurden allein vor, während und nach Newroz –Feierlichkeiten festgenommen. Bis zu 400 Aktivisten der Partei wurden von der Polizei mitgenommen und misshandelt und nach einigen Tagen wieder freigelassen. Mit dieser Maßnahme will der türkische Staat anscheinend die kurdische Partei vor den Wahlen lähmen sowie Angst und Schrecken unter den potenziellen Wählern dieser Partei verbreiten.
Die DTP Istanbul hat mit einer Kundgebung gegen die Festnahme- und Verhaftungswelle protestiert. Wie der Vorsitzende des DTP-Provinzverbandes Istanbul Dogan Erbas erklärte, befinden sich zurzeit fünf Provinzvorsitzende und über 50 Vorstandsmitglieder im Gefängnis. Als jüngstes Beispiel seien am heutigen Tag in Bursa der Provinzvorsitzende sowie sieben weitere Vorstandsmitglieder festgenommen worden. "Es gibt keinen DTP-Bürgermeister mehr, gegen den nicht ein Ermittlungs- oder Strafverfahren eingeleitet worden ist", erklärte Erbas.
Unterdessen laufen vor allem in Cizre die Proteste gegen die Verhaftung des dortigen Bürgermeisters Aydin Budak weiter. Nach seiner Verhaftung waren spontan Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit ihrem Bürgermeister zum Ausdruck zu bringen. (ANF, 9.4.07, ISKU)
Erneut Gift-Brief an DTP-Bürgermeister
Nach den DTP-Bürgermeistern von Hakkari, Kayapinar und Diyarbakir hat auch der Bürgermeister von Bostanici einen Brief mit der Unterschrift Laz Direnc, in dem eine giftige Substanz enthalten war, erhalten. Zwei Angestellte der Stadtverwaltung, die mit der Substanz in Berührung kamen, wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Auf einem Stück Papier stand neben einer abgebildeten türkischen Fahne lediglich der Satz "Tod der DTP". (ANF, 10.4.07, ISKU)
Kurden in Syrien: Staatenlose Fremde im eigenen Land
Syrien gilt als Staat, in dem die verschiedenen Religionen und Ethnien friedlich zusammenleben. Qamishli im Dreiländereck Syrien - Türkei - Irak ist quasi die Minitiaturausgabe des Landes. Die ganze Vielfalt der Menschen findet sich hier wieder. In dieser Stadt hört man die Menschen nicht nur Arabisch, sondern auch Kurdisch sprechen, und die Christen pflegen ihr Assyrisch oder Armenisch.
Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung spricht allerdings Kurdisch. Die Stadt ist somit gleichzeitig Sinnbild für Syriens ungelöste Kurdenproblematik, denn bis zu 300.000 syrischen Kurden wird die Staatsangehörigkeit verweigert, und das schon seit mehr als 40 Jahren. Politische Beobachter sehen die Hauptursache dieser Ausgrenzung in den Autonomiebestrebungen der Kurden begründet.
Die Verborgenen
1962 wurden bei der bis jetzt einzigen Volkszählung in der nordöstlichen Provinz Hassake, dem Hauptsiedlungsgebiet der Kurden, 120.000 Kurden die Staatsangehörigkeit aberkannt. Der Grund: Zu dieser Zeit wurden die Kurden in Syrien verdächtigt, mit jenen im Irak zusammengehen zu wollen. Seit damals haben Kurden keinen syrischen Ausweis, sondern eine Rote Karte, damit sie zumindest bei den Behörden registriert sind - allerdings als Ausländer, was bedeutet, kein Wahlrecht, kein Recht auf Land, Immobilien oder ein Geschäft zu haben.
Wer keine Rote Karte besitzt, gilt als so genannter "Maktum" - ein "Verborgener", "Geheimer". Ein "Maktum" hat kein Recht auf kostenlose Krankenversorgung, kann nicht beim Staat angestellt werden, kein Auto anmelden oder ein reguläres Abiturzeugnis bekommen. Seit 1970 ist es zwar wieder erlaubt, die kurdische Sprache öffentlich zu sprechen, verboten bleibt aber bis heute, in ihr zu publizieren und zu unterrichten.
Kinder staatenloser Männer sind in der Regel auch dann staatenlos, wenn die Mütter die syrische Staatsbürgerschaft besitzen, denn der Status des Mannes in diesem Land wiegt mehr. Das Problem der Staatsangehörigkeit trifft übrigens auch auf assyrische Christen zu, auch wenn sie ohne Ausweis nur einen Bruchteil der Kurden ausmachen.
Syriens Kurden werden im eigenen Land als Menschen zweiter Klasse behandelt und sind im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben wesentlichen Einschränkungen unterworfen. Die Gründe für die kurdische Ausgrenzung Nichtregistrierte gelten für den Staat als solche Personen, die nach 1962 illegal nach Syrien eingereist sind. Doch auch wer damals zufällig nicht da war oder aus anderen Gründen nicht erfasst werden konnte, fand sich ohne syrische Staatsangehörigkeit wieder.
Grund für die außerordentliche Volkszählung war nach Meinung vieler Kurden ein gezieltes Interesse des Staates, die offizielle Zahl der Kurden zu verringern. Dies zeige sich auch insofern, weil im Laufe der Zeit im Grenzstreifen zur Türkei bewusst syrische Araber und Christen angesiedelt worden seien, wird auf Seiten der Kurden argumentiert.
Unter vorgehaltener Hand schimpfen andererseits Araber und Christen auf die Kurden, weil die Forderungen nach kultureller Gleichberechtigung nur als Schritt Nummer Eins oder Zwei im geheimen Plan für einen eigenen Staat gesehen werden.
Politiker weichen aus
Von offizieller Seite weicht man dem Thema so gut es geht aus. Weder der Bürgermeister von Qamishli, noch der örtliche Chef der in Syrien regierenden Baath-Partei, noch der Gouverneur der gesamten Provinz wollen ihre Sicht der Dinge darstellen. Alle verweisen auf Damaskus: ohne Genehmigung von dort kein Wort. Doch selbst in der Hauptstadt wird auf die Möglichkeit verzichtet, die syrische Kurdenpolitik zu verteidigen und zu erklären.
Das syrische Informationsministerium argumentiert mit dem Druck des Westens und meint, dass es Wichtigeres wie etwa die Golanfrage und die Sache der Palästinenser zu lösen gebe. Immerhin sucht der Staat den Dialog mit den Kurden. Das war nicht immer so. So besuchte Präsident Bashar al Assad bereits mehrmals die Kurdenregion, und auch der Vize-Chef der regierenden Baath-Partei kam schon mit kurdischen Stammesführern zusammen, um über die Problematik der Staatsangehörigkeit zu beraten. Konkrete Ergebnisse gibt es bis dato aber nicht.
Kurdische Stellungnahmen
Der kurdischen Einheitspartei von Ismail Omr geht es nicht nur um kulturelle Rechte, sondern auch um Grund und Boden: "Wir wollen eine Selbstverwaltung in den kurdischen Gebieten. Unser Recht bezieht sich auf Volk und Erde. Wir haben das Recht auf unser Land. Das rassistische Projekt des arabischen Gürtels akzeptieren wir nicht. Aber wir sind Partner der Araber in Syrien - einem Land, das durch die Europäer so entstanden ist, weil sie den Nahen Osten aufgeteilt haben", betont er.
Der Unabhängige, zum Intellektuellen-Kreis der Kurden zählende Abu Kufan wiederum bestreitet Autonomiebestrebungen: "Wir denken nicht daran, uns von Syrien abspalten zu wollen. Unsere Forderung ist kein eigener Staat." Dem widerspricht die Tochter des bekannten kurdischen Schriftstellers Cegerxwin, Suad: "Ich möchte mein Land befreien. Ich wünsche mir eine Regierung, wie sie jedes andere Land auch hat. Ich bin gegen die Unterdrückung der Kurden. Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir einen eigenen Staat für alle Kurden. Aber wenn das nicht geht, dann ist eine föderale Struktur auch in Ordnung."
Das Fazit der Kurdenproblematik
Eines haben jedenfalls alle Kurden in Syrien gemeinsam. Sie fordern unisono die Staatsangehörigkeit und mehr kulturelle Rechte. Einigen geht das aber nicht weit genug. Die Vorstellungen reichen von Kurdisch als zweiter Staatssprache, politischem Proporz, bis dahin, die von den Europäern im letzten Jahrhundert gezeichnete Landkarte neu zu entwerfen. Die syrischen Behörden befürchten hingegen die Auflösung ihres Staates. Und so stehen berechtigte Forderungen berechtigten Befürchtungen gegenüber.
Dass es über diesen Konflikt keinen offenen, öffentlichen Austausch gibt, das schafft die Unsicherheit zwischen den Ethnien und Religionen - besonders in Qamishli im Dreiländereck Syrien, Türkei und Irak. Dazu kommt die Rolle der Sicherheitsdienste. Der 24-jährige kurdische Student Tayseer, der immer wieder vom Geheimdienst vorgeladen wird, bringt es auf den Punkt: "Der Geheimdienst nährt Hass und Zwietracht, erinnert die Christen immer wieder daran, dass es die Kurden waren, von denen sie 1915 umgebracht wurden, und er erinnert die Kurden, dass die Christen Christen sind und die Kurden eben Muslime. Der Sicherheitsapparat will die Leute voneinander fern halten, damit er selbst stark bleibt." (Von Manuela Römer, März 07; Mesop, 10.4.07)
Neuerscheinungen
„Das alles ist wahr"
Die Untersuchungskommission zu ‚Gewalt gegen Frauen in staatlichem Gewahrsam' hat ihre seit 1995 andauernde Arbeit in einem Buch mit dem Titel „Das alles ist wahr" zusammengefasst. Die Menschenrechtlerin und Rechtsanwältin Eren Keskin stellte das Buch, das aus Dokumenten, Fotos und Augenzeugenberichten zusammengestellt wurde, in Istanbul vor. Ihre Mandantinnen seien regelmäßig und in systematischer Form sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen ausgesetzt, so erklärte die Rechtsanwältin. „Diese systematische Folter wird von eben jenen „dynamischen Kräften des Staates" ausgeübt, von denen Generalstabschef Yasar Büyükanit kürzlich in den USA gesprochen hat." Die Anwendung von Folter in der Türkei sei nicht beendet, sondern habe lediglich die Form geändert, so Keskin. „Vorfälle dieser Art sind systematische staatliche Politik. Zu diesem Punkt hinterfragen wir nicht nur die Folterer, sondern auch Staatsanwälte, die Folterer nicht zur Rechenschaft ziehen, Gerichtsmediziner, die Folter nicht dokumentieren, sowie Gerichte, die Folterverfahren verjähren lassen." Weiter führte Keskin aus, dass im alten türkischen Strafgesetzbuch der Begriff des sexuellen Übergriffs nicht vorkam und Vergewaltigung nicht ausreichend definiert worden sei. Als Ergebnis eines langen Kampfes habe es positive Gesetzesänderungen gegeben, allerdings habe sich die Denkweise nicht geändert. „Solange die Denkweise sich nicht ändert, kann es auch keine wirkliche Veränderung geben." (DIHA, 15.2.07, ISKU)
Global Governance für Entwicklung und Frieden
Zu ihrem 20-jährigen Bestehen hat die Stiftung ‚Entwicklung und Frieden' einen Sonderband zu diesem Thema herausgegeben. Global Governance wurde in den letzten 10 Jahren zum Leitmotiv der Arbeit der Stiftung. In dem Band wird eine Zwischenbilanz gezogen. Diese mündet in eine Übersicht zu den noch offenen ‚Baustellen' für künftige Arbeiten. Stiftung Entwicklung und Frieden Hg. Global Governance für Entwicklung unf Frieden – Perspektiven nach einem Jahrzehnt, Bonn 2006
Hinweis auf sonstige Infostellen
Azadi, azadi@t-online.de; www.nadir.org/azadi/
Demokratischen Türkeiforum, info@tuerkeiforum.net, www.tuerkeiforum.net
ISKU | Informationsstelle Kurdistan e.V., isku@nadir.org; www.nadir.org/isku/
Kurdistan Report, www.kurdistanreport.de
Kurdistan Rundbrief, www.kurdistan-rundbrief.de
Koalition für einen Demokratischen Irak (KDI), ), kdi@gmx.net
Koalition Demokratisches Syrien (KDS), kds-info@gmx.net
Mezopotamian Development Society, MESOP@online.de, www.mesop.de
NAVEND – Zentrum für kurdische Studien e.V., info@navend.de, http://www.navend.de/
Kurdisches PEN-Zentrum, webmaster@pen-kurd.org, http://www.pen-kurd.org/
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