TRAUMZIEL EUROPA Flüchtlinge stürmen Lastwagen SPIEGEL-TV-Reporter Peter Hell berichtet aus Izmir, Patras und von Samos Junge Männer springen auf fahrende Lastwagen, verstecken sich im Radkasten oder auf den Achsen - weil sie vom Leben in Deutschland träumen. Über Griechenland und die Türkei drängen Zehntausende in die EU. Die Behörden sind machtlos, die Flüchtlinge zu allem bereit. Rennen, schnell rennen. In diesem kurzen, entscheidenden Moment der Schnellste sein. Nur darauf kommt es an. Abdullah kann rennen. Er rannte schon vor den Taliban um sein Leben. Dann jagten ihn afghanische Polizisten durch Kabul. Schließlich hetzten ihn Soldaten durch die Wälder südlich von Kusadasi an der türkischen Ägäis-Küste. Allen ist Abdullah davongelaufen. Video: SPIEGEL TV Magazin Jetzt steht er mit seinen Freunden an einer Einfallstraße, die in die westgriechische Hafenstadt Patras führt. Gleich wird er wieder rennen. Es sind etwa 30 junge Männer - Flüchtlinge. Paschtunen, Tadschiken, Usbeken. Alle kommen aus Afghanistan. Der Jüngste ist 15 Jahre alt. Sie alle wollen nach Italien, nach Deutschland oder England. Irgendwohin, wo man sie aufnimmt. Nur nicht Griechenland. Hier liegt die Anerkennungsquote für Asylsuchende unter einem Prozent. Für die meisten ist Patras lediglich eine Zwischenstation auf ihrer monatelangen Flucht. "Es geht los", flüstert Abdullah. "Der Laster da vorn, der fährt in den Hafen." Die Männer, die bislang regungslos im Schatten unter einer Palme hockten, springen auf. Ein Lkw mit holländischem Kennzeichen nähert sich der Gruppe. Der Fahrer muss an dieser Stelle etwas langsamer fahren, da die Straße wegen einer Baustelle schmaler ist. Als der Transporter die Männer passiert, beginnt die Jagd. Die Afghanen sprinten los, rennen, so schnell sie können. Abdullah hat ein Stemmeisen in der Hand, hält es wie einen Staffelstab. Dann erreicht die Gruppe die Ladetür. Der Lastwagen ist langsamer geworden. In Sekundenschnelle setzt Abdullah das Metall an die Verschlussvorrichtung. Ein kurzer Ruck, und die Tür springt auf. Die Männer hangeln sich in den Laderaum. Vier schaffen es, Abdullah ist nicht dabei. "Die Tür", schreit einer, "macht sie zu!" Abdullah hängt sich an die Heckklappe, verschließt sie - und springt bei Tempo 30 ab. "Manche sitzen im Radkasten, einige liegen auf der Achse" "Wir haben keine andere Möglichkeit", erzählt Abdullah. "Unsere Situation wird immer schlimmer. Bei uns herrscht Krieg. Die Taliban bringen uns um. Wir sind über Iran geflohen. Jeden Tag versuchen wir, uns in einem Laster zu verstecken, um auf die Fähren nach Italien zu kommen." Endziel Europa - die neue Route der Armutsflüchtlinge Seit drei Monaten ist Abdullah auf der Flucht. Er ist gerade 20 Jahre alt geworden und er hatte wie viele seiner Altersgenossen aus Afghanistan nur die Wahl: Kämpfen - oder Verschwinden. "Entweder du schließt dich den Taliban an, gehst zur Armee oder wirst Polizist. Es gibt keine andere Möglichkeit", sagt er. Das Hafengelände von Patras ist bewacht wie ein Hochsicherheitstrakt. Messerscharfer Stacheldraht ist auf dem drei Meter hohen Stahlzaun verlegt worden. Hafenpolizei und Militär patrouillieren im Minutentakt. "Ich will dafür sorgen, dass es kein Flüchtling mehr in den Hafen schafft. Das ist mein Job", sagt Athanassios Athanassopoulos, seit November 2008 Kommandant der Hafenpolizei von Patras. mehr
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