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Der Tod von Oury Jalloh bleibt ungesühnt

PRO ASYL   Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.

 

 

 

Presseerklärung
09. Dezember 2008

 

 

Der Tod von Oury Jalloh bleibt ungesühnt

Gericht scheitert an der Aufklärung des Verbrennungstodes des schwarzen Asylsuchenden im Dessauer Polizeigewahrsam

PRO ASYL fordert Entschädigung der Familie des Todesopfers und Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission

 

 

Mit dem gestrigen Freispruch bleibt der Verbrennungstod des schwarzen Asylsuchenden Oury Jalloh ungesühnt, ein Polizei- und Ermittlungsskandal bleibt ohne Folgen für die Beteiligten. Wer sich von dem Strafprozess eine Aufklärung des Geschehens und eine angemessene Ahndung polizeilicher Gewaltanwendung erwartet hatte, sieht sich getäuscht. Die Brandursache ist auch nach 22 Monaten Prozessdauer nicht geklärt. Das Gericht ist beim Versuch der Aufklärung nicht zuletzt an einer Mauer des Schweigens von Seiten der Polizeizeugen und einer Fülle von Ermittlungspannen gescheitert, die in dieser Vielzahl letztendlich nur die Schlussfolgerungen zuließen: Am Tattag war in der Polizeizelle Nummer 5 im Dessauer Polizeirevier alles möglich. Der vorsitzende Richter hat in seiner mündlichen Urteilsbegründung deutliche Worte für diese Zustände gefunden und erklärt, vor diesem Hintergrund sei ein rechtsstaatliches Verfahren nicht möglich gewesen. Somit sind die Freisprüche von Dessau Zeichen einer Krise des Rechtsstaats.

 

Im Verfahren ist ein Organisationsversagen der Polizei von dramatischen Ausmaßen zutage getreten. Von einem unabwendbaren Unglücksfall kann jedenfalls in diesem Kontext nicht die Rede sein. Auch deshalb fordert PRO ASYL eine angemessene staatliche Entschädigung der Familie des Todesopfers und die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission. Sie soll alle Todesfälle in Polizei- und Abschiebegewahrsam untersuchen.

 

Das Gericht hat sich frühzeitig auf die durch nichts bewiesene These der Staatsanwaltschaft festgelegt, Oury Jalloh habe die feuerfeste Matratze im Gewahrsam, an Händen und Füßen gefesselt, selbst entzündet. Nicht nur dies ist ungeklärt. Alternative Szenarien – inklusive Fremdeinwirkung – sind nicht ausreichend aufgeklärt worden. Staatsanwaltschaft und Gericht wollten von vornherein das Undenkbare nicht denken. Das Gericht konzentrierte sich frühzeitig im Verfahren auf die Minuten nach dem Ausbruch des – wie auch immer entstandenen – Feuers und damit auf die Frage, ob der Hauptangeklagte Andreas S. bei rechtzeitigem Handeln Oury Jalloh noch hätte retten können.

 

Eines zumindest hat das Strafverfahren geleistet: Es gibt einen tiefen Einblick in die skandalösen Zustände im Dessauer Polizeirevier. Es beleuchtet ein makabres Stück bundesdeutschen Polizeialltags, geprägt von Korpsgeist und einer Mauer des Schweigens. In der Urteilsbegründung hat der vorsitzende Richter auf dreiste Versuche von Polizisten hingewiesen, die juristische Aufarbeitung dieser Tragödie zu hintertreiben.

 

Die Tumulte im Gerichtssaal nach der Urteilsverkündung waren Ausdruck der Empörung darüber, dass der Tod eines Schwarzen in den Händen der Polizei zum wiederholten Mal unzureichend aufgeklärt wurde und ungesühnt blieb. Die Betroffenheit gerade auch der schwarzen Community in Deutschland ist verständlich: Unter den Opfern exzessiver Polizeigewalt, in Deutschland und in anderen EU-Ländern, sind viele Schwarze. Demgegenüber sind die meisten Verantwortlichen noch heute im Polizeidienst.

 

Gefesselt, geknebelt, lagebedingt erstickt – so starben in EU-Staaten u.a. Kola Bankole, Joy Gardner, Amir Ageeb, Marcus Omofuma, Mariame Getu Hagos, Samson Chukwu, Semira Adamu, Osamuyia Aikpitanhi, Cheibani Wague. Und erst in der letzten Woche hat der Ausgang des sogenannten „Brechmittelprozesses“ vor dem Bremer Landgericht gezeigt, dass Unwissen und berufliche Unfähigkeit durchaus Täter vor Strafe schützen, wenn das Opfer ein Schwarzer ist.

 

Das Urteil wird der Tatsache nicht gerecht, dass die beteiligten Polizeibeamten den alkoholisierten Oury Jalloh durch die Ingewahrsamnahme und die unverantwortliche Fixierung an Händen und Füßen bewusst in eine ausweglose Gefahrenlage gebracht hatten. Sachverständige im Verfahren haben dieses Vorgehen ohne ständige Kontrolle, ohne jede medizinische Betreuung, als gefährlich und verantwortungslos bezeichnet. Dies hätte strafrechtlich relevant sein müssen, denn das Handeln der Polizei schuf die Voraussetzungen für diese Tragödie.

 

Nach dem Urteil: Konsequenzen sind nötig.

Der Dessauer Polizeiskandal und seine unzureichende justizielle Aufarbeitung sind geprägt von Ungereimtheiten und Schlampereien, unhaltbaren Hypothesen, Gedächtnislücken und Lügen, Widersprüchen und Vertuschungen, von verschwundenen Beweisstücken und unterlassenen Ermittlungen. Es handelt sich um einen weiteren Fall organisierter Verantwortungslosigkeit. Die individuelle Schuld macht sich in der Institution unangreifbar, ist verspäteten juristischen Aufklärungsversuchen gegenüber resistent. Das Aussageverhalten der Polizeizeugen im Prozess war ein Anschlag auf den Rechtsstaat. Die dilettantischen Ermittlungen sind mit Schlamperei kaum zu erklären.

 

Es gibt allerdings eine organisatorische Gesamtverantwortung. Auch deshalb dürfen dieser Prozess und dieses Urteil nicht das letzte Wort sein. PRO ASYL fordert eine angemessene Entschädigung der Familie des Todesopfers. Wir halten es darüber hinaus, wie die „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh“ für nötig, dass alle Todesfälle im Polizei- und Abschiebegewahrsam und aufgrund von Polizeigewalt an anderen Orten von einer unabhängigen internationale Expertenkommission untersucht werden.

 

In Dessau ist erneut deutlich geworden, dass das strukturelle Problem der organisierten Verantwortungslosigkeit mit den Mitteln der Justiz allein nicht zu fassen ist. Es müssen dringend weitere politische Konsequenzen gezogen werden – etwa was die personellen Verantwortlichkeiten, die Qualität gewahrsamsärztlicher Untersuchungen und die Menschenrechtsbildung im Bereich der Polizei anbelangt. Dem im Verfahren sichtbar gewordenen Korpsgeist bei der Polizei muss entgegengewirkt, Fehlentwicklungen auch mit Hilfe von unabhängigen Kontrollinstitutionen begegnet werden, wie zum Beispiel einem Polizeibeauftragten mit besonderen Kontrollbefugnissen.

 

Der Umgang der Polizei mit Oury Jalloh bereits in den letzten Stunden vor seinem Tod verdeutlicht erneut die Dehumanisierung schwarzer Menschen in diesem Land. Die beginnt nicht erst in Polizeizellen. Das Dessauer Urteil allerdings ist Wasser auch auf die Mühlen des alltäglichen Rassismus.

 

gez. Bernd Mesovic

Referent

 

 

 

 

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