Signal an die Szene Die Polizei geht mit Großrazzien gegen militante G-8-Gegner in Berlin, Bremen und Hamburg vor VON KAI VON APPEN, ARMIN SIMON UND FELIX LEE Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich an diesem Morgen in Berlin-Kreuzberg breit. Etwa 80 Linke haben sich spontan vor dem Künstlerhaus Bethanien am Mariannenplatz versammelt. Sie müssen zusehen, wie Beamte des Bundeskriminalamts das Gebäude durchsuchen. Im Bethanien unterhalten unter anderem G-8-Gipfel-Gegner ein Büro. Niemand darf das Haus mehr betreten. Vereinzelt werden Parolen gegen die Polizisten gerufen. "Natürlich war klar, dass die Gegenseite versucht, den G-8-Widerstand einzuschüchtern, und irgendwann zuschlägt", sagt eine Aktivistin, die selbst täglich im Bethanien ein und aus geht. "Aber wenn es dann passiert, sitzt der Schock doch tief." So oder so ähnlich sollten es an diesem Tag noch viele sagen. Denn nach und nach wird klar: Die Fahnder durchsuchten so ziemlich jedes linke Projekt in Kreuzberg, das mit dem G-8-Protest in irgendeiner Weise zu tun hat. Auch in Hamburg, Bremen und Brandenburg verschafften sie sich Zutritt zu Büros und Wohnungen. Bundesweit waren insgesamt 40 Objekte betroffen. Computer wurden beschlagnahmt, Festplatten kopiert, Bücher und Dokumente abtransportiert. Im Visier hatten die Beamten auch den Computerserver "SO36", auf dem zahlreiche linke und alternative Initiativen ihre Internetseiten, E-Mail-Adressen und Mailinglisten betreiben. Der Server ist seit der Razzia tot und "Gipfelsoli", eine der meistgenutzten Internetseiten im Zusammenhang mit dem G-8-Protest, nicht mehr benutzbar. Fast 900 Beamte hat die Bundesanwaltschaft für den Einsatz ausgesandt. Ihre Begründung: Verdacht der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang des G-8-Gipfels. Die Ermittlungen richten sich nach Angaben der Karlsruher Behörde gegen "18 namentlich bekannte und weitere, unbekannte Personen" aus dem militanten linksextremen Spektrum. Den Beschuldigten wird unter anderem vorgeworfen, in den vergangenen Jahren politisch motivierten an Brandanschlägen auf Autos und Gebäude beteiligt gewesen zu sein. Die Anschläge sollen u. a. von der "militanten gruppe" (mg) und der "Militanten Antimilitaristischen Initiative" begangen worden sein. (siehe S. 2). "Sie werden bei uns nichts finden", sagt ein Sprecher des Stadtteilzentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel, während die Beamten sich drinnen noch bedienen. "Die haben heute morgen nur unnütz die Mäuse geweckt." Wie den Berliner Bethanien-Aktivisten war auch den Hamburgern und Bremern klar, dass die Staatsschützer bei ihnen eines Morgens vor der Tür stehen dürften. Die Frage war nur: Wann? Fünf Stunden filzen die Fahnder die Rote Flora, dokumentieren alles mit Videokameras. Türen werden aufgebrochen, auch in dem alternativen Wohnprojekt in Bremen, wo einer der Beschuldigten wohnt. "Ich hab die Tür zum Treppenhaus aufgemacht und sah einen Polizisten mit Brecheisen in der Hand vor mir", berichtet eine der Bewohnerinnen, die gerade ihre Kinder zur Schule bringen wollte, als die Ermittler ins Haus eindrangen: "Ich hatte richtig Schiss." Etwa dreißig schwarz vermummte Beamte stürmen die Zimmer, selbst Telefonate mit Anwälten werden den Bewohnern anfangs untersagt. Bis in den späten Nachmittag sind die Uniformierten im Haus, sie durchsuchen Gemeinschaftsräume, Büros und das Zimmer des Beschuldigten, blättern die komplette Bibliothek durch und beschlagnahmen vier Computer, auch von im Haus ansässigen Firmen und Vereinen. Was soll dieser Einsatz? Das fragte sich gestern auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Ging es Polizei und Bundesanwaltschaft auch darum, rund vier Wochen vor dem Gipfel in Heiligendamm Signale an die Szene zu senden? Sollten sich die Hinweise in diese Richtung verdichten, müsse man die Polizeiaktion im Bundestag zum Thema machen, kündigte Ströbele an. Selbstkritik oder distanzierende Worte waren gestern trotz der Terrorismusvorwürfe aus der linken Szene nicht zu hören. Zur Haltung der Betroffenen zu den Brandanschlägen findet sich in den öffentlichen Erklärungen kein Wort. Stattdessen: Empörung. Der gesamt G-8-Protest solle durch solche Razzien "kriminalisiert" und die Mobilisierung der Demonstranten behindert werden. "Das Ziel dieser Durchsuchungsaktionen ist, Informationen über potenzielle Aktionen zu gewinnen und den Leuten im Vorfeld von G 8 Angst zu machen", sagte der Strafverteidiger Christoph Kliesing bei einer Pressekonferenz der Gipfelgegner am Nachmittag in Berlin. Die Sicherheitsbehörden versuchten, eine Schneise in das Protestbündnis zu schlagen, kritisierte Benjamin Laumeyer, dessen Büro am Morgen gefilzt worden war. "Es gibt aber keine guten und bösen Demonstranten." Bisher habe die Polizei nur in der Presse versucht, den Widerstand zu spalten, sagt Hanne Jobst vom Bethanien-Büro. "Nun wird versucht die Anti-G-8-Strukturen organisatorisch lahmzulegen." Sie weist darauf hin, dass lediglich 2 Prozent aller Verfahren nach § 129a überhaupt zu Verurteilungen führen. Das sei das Tückische an diesem umstrittenen Paragrafen. Auch der gemäßigte Teil des Anti-G-8-Bündnisses solidarisierte sich mit den radikaleren Partnern. Selbst im kirchlichen Spektrum war man empört über das Vorgehen der Bundesanwaltschaft. Sabine Zimpel von "erlassjahr.de" verurteilte den "extremen Eingriff". "Die Telefone laufen heiß für eine Solidaritätserklärung", sagte sie. Den ganzen Tag über versammelten sich in den drei Städten linke AktivistInnen zu spontanen Protesten. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Für den Abend kündigten linke Gruppen Kundgebungen und Demonstrationen "gegen die Kriminalisierung des G-8-Widerstands" in einem Dutzend Städte an. Mitarbeit: H. Haarhoff, S. Miesner, D. Schulz taz Nr. 8271 vom 10.5.2007, Seite 3, 194 TAZ-Bericht KAI VON APPEN / ARMIN SIMON / FELIX LEE, veränderter Artikel in taz-Teilauflage © Contrapress media GmbH Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
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