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Sürücü-Mord |
Der Bundesgerichtshof entscheidet in der kommenden Woche, ob eine Revision der Berliner Staatsanwaltschaft zugelassen wird. Eine Rückschau auf die spektakuläre Bluttat, die eine Debatte über Integration und so genannten Ehrenverbrechen auslöste. Anzeige document.write(''); document.getElementById("artikel300").style.display = "none";
Diese Bluttat erregte bundesweites Aufsehen: der Mord an Hatun Sürücü am 7. Februar 2005. Von Anfang an galt das Verbrechen an der 23-Jährigen wegen ihres westlichen Lebensstils als so genannter Ehrenmord. Die Polizei nahm kurz nach der Bluttat drei Brüder von Hatun Sürücü fest. Im Juli 2005 erhob die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen die drei wegen gemeinschaftlichen Mordes. Das Berliner Landgericht verurteilte im April 2006 den jüngsten Bruder wegen Mordes zu neun Jahren und drei Monaten Jugendhaft. Seine mitangeklagten Brüder sprachen die Richter frei. Ihnen konnte keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Gegen diese Freisprüche hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, die vor dem Bundesgerichtshof in Leipzig am 28. August verhandelt wird. Ein Rückblick auf diesen Fall, der in Deutschland eine Debatte über Integration, so genannte Ehrenmorde und Zwangsehen ausgelöst hatte.
DER MORD
Hatun Sürücü wurde 1982 in Berlin als Tochter sunnitischer, strenggläubiger Kurden aus Ostanatolien geboren: Acht ihrer neun Geschwister wurden ebenfalls in Deutschland geboren. Das Ehepaar Sürücü lernte nie deutsch, der Vater arbeitete in Deutschland als Gärtnergehilfe. Hatun wuchs mit fünf Brüdern und drei Schwestern in Kreuzberg auf. Die Eltern nahmen ihre Tochter mit 15 Jahren vom Gymnasium und verheirateten sie mit einem Cousin in der Türkei. Aber als sie 1999 in Berlin ihren Sohn Can auf die Welt bringt, weigerte sie sich, in die Türkei zurückzukehren.
Hatun legte den Schleier ab, zog aus der Wohnung der Eltern in Kreuzberg aus und kam in einem Wohnheim für junge Mütter unter, wo sie den Hauptschulabschluss nachholte. Sie suchte sich fortan ihre Freunde selbst aus, fand eine eigene Wohnung in Tempelhof nahe der Oberlandstraße und begann eine Lehre als Elektromechanikerin im Ausbildungswerk Kreuzberg. Vor ihrem Tod hatte sie zaghaft versucht, sich ihrer Familie wieder anzunähern. Manchmal empfing sie ihren Bruder und späteren Mörder zu Hause, wo dieser mit ihrem Sohn Can spielte. Hatun brachte Can auch manchmal am Wochenende in die Wohnung ihrer Eltern am Kottbusser Tor.
Am 7. Februar 2005, kurz vor 21 Uhr peitschten drei Pistolenschüsse durch die Oberlandstraße, dreimal wurde Hatun Sürücü im Kopf getroffen. Die alleinerziehende Mutter starb nur wenige Meter von der Bushaltestelle Oberlandgarten entfernt auf dem Gehwegpflaster. In der Hand der 23-Jährigen verglühte langsam eine Zigarette.
DER PROZESS
Kurz nach dem Mord nahm die Polizei die drei Sürücü-Brüder Ayhan, Mutlu und Alpaslan wegen Verdachts des gemeinschaftlichen Mordes fest. Laut Anklage soll die Familie den westlichen Lebensstil von Hatun Sürücü als Kränkung der Familienehre empfunden haben. Die Brüder hätten zudem befürchtet, dass ihr Neffe nicht nach den Regeln des Islam erzogen werde. Bis Prozessbeginn im September 2005 bestritten die angeklagten Männer die Bluttat an Aynur. So nannten alle ihre Schwester Hatun – was so viel heißt wie: Jemand leuchtet so hell wie der Mond.
Doch am ersten Prozesstag im Moabiter Kriminalgericht ließ der mit 19 Jahren jüngste Bruder Ayhan von seinem Anwalt verlesen: „Ich habe meine Schwester getötet, ich habe die Tat allein begangen, niemand hat mir geholfen.“ Nach Auffassung der Anklage waren aber drei der insgesamt fünf Brüder an dem Mord beteiligt: Einer besorgte die Pistole, einer stand Schmiere, einer schoss.
Als Kronzeugin sagte die 18-jährige Melek unter Polizeischutz aus. Die Ex-Freundin von Ayhan belastete die drei Brüder: Ayhan habe ihr anvertraut, dass der damals 26-jährige Mutlu die Waffe besorgt und der zur Tatzeit 24-jährige Alpaslan Schmiere gestanden habe. Ein paar Tage vor der Tat soll er zu seinem Bruder Ayhan gesagt haben: „Katli vacip“ oder „Die Tötung ist erlaubt und notwendig“, wie ein Dolmetscher vor Gericht übersetzte. Die mitangeklagten Brüder kommentierten ihre Aussagen mit Gelächter oder missachtenden Gesten. Hatuns 22-jährige Schwester Arzu bestreitet bis heute Mordpläne in der Familie. Vor Gericht aber verweigerten die Familienmitglieder ihre Aussagen.
Nach knapp siebenmonatiger Verhandlung verkündeten die Richter ihr Urteil: Ayhan Sürücü wurde wegen Mordes zu fast zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Seine mitangeklagten Brüder sprachen die Richter frei. Ihnen konnte keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Kurze Zeit nach dem Urteilsspruch traten Mutlu und Alpaslan Sürücü aus dem Gefängnistor: Sie wurden von zwei ihrer Schwestern erwartet, die die Finger zum Victory-Zeichen erhoben. Die Staatsanwaltschaft legte Revision gegen die Freisprüche ein. Das Urteil gegen Ayhan Sürücü ist rechtskräftig.
DIE REAKTIONEN
Das Urteil löste eine bundesweite Debatte über härtere Strafen und juristische Grenzen aus. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) legte Teilen der Familie die Ausreise nahe, wofür er viel Unterstützung erhielt. Andere Politiker wie der Berliner CDU-Fraktionschef forderten auch die Abschiebung des Verurteilten. Schärfere Gesetze wurden gefordert: So soll im Strafgesetzbuch ein eigener Tatbestand „Zwangsheirat“ eingeführt werden. Bisher gelten Zwangsehen als besonders schwere Fälle der Nötigung. Berlin unterstützte eine Bundesratsinitiative.
Die Strafrechtsänderung ist zurzeit im parlamentarischen Verfahren anhängig. Nach einer UN-Studie werden jährlich 5000 Mädchen und Frauen „im Namen der Ehre“ ermordet. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die Schutzeinrichtung Papatya in Berlin hat zwischen 1996 und 2004 allein 40 Morde oder versuchte Morde „im Namen der Ehre“ in Deutschland zusammengetragen.
DER STREIT UMS SORGERECHT
Seit dem Mord an seiner Mutter ist der kleine Can bei Pflegeeltern in Berlin untergebracht. Der leibliche Vater lebt in Istanbul und hat sich bisher nicht um das Sorgerecht bemüht. Im April 2006 verkündete Hatuns Schwester Arzu gegenüber dem Tagesspiegel, sie werde das Sorgerecht für Can beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg beantragen. Das Vormundschaftsgericht lehnte im Dezember 2006 ihren Antrag mit der Begründung ab, eine Übertragung der Vormundschaft auf Arzu Sürücü würde nicht dem Willen der verstorbenen Mutter entsprechen und sei außerdem mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Arzu Sürücü legte gegen die Entscheidung Beschwerde beim Landgericht ein. Diese Beschwerde wurde wie berichtet am 24. Juli abgelehnt. Arzu Sürücü respektiere diese Entscheidung, sagte Zakareia Wahbi, ein Sprecher der Familie. Can bleibt bei den Pflegeeltern.
DIE FAMILIE SÜRÜCÜ
Vor längerer Zeit schon reisten die Sürücü-Eltern Karem und Hanim in die Türkei. Dort starb vor ein paar Wochen der Vater mit Mitte 60 an Krebs. Die ganze Familie ist zurzeit in der Türkei, will laut Familienhelfer Wahbi offenbar aber bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes am 28. August nach Berlin zurückkehren. Dass die 16-jährige Tochter Songül möglicherweise dort verheiratet werden soll, konnte er nicht bestätigen. „Auch sie wird wieder in Berlin erwartet“, sagte Wahbi dem Tagesspiegel. Der Familienhelfer wollte am zweiten Jahrestag des Verbrechens bei einer Mahnwache für Hatun Sürücü eine Erklärung der Familie vorlesen. Sie würden die Mahnwache nicht ablehnen, sondern „nur die Öffentlichkeit scheuen“, sagte er. Es kam zum Eklat: Anwesende sprachen von Geschmacklosigkeit und Unverschämtheit. Auch junge Deutschtürkinnen trauerten um Hatun Sürücü: Nach ihrem Tod gründeten sie den Selbsthilfeverein „Hatun und Can“, der anonym und unbürokratisch Opfern von Gewalt und Zwangsehen hilft.
EIN NEUER PROZESS?
Ob der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig am 28. August die Revision der Berliner Staatsanwaltschaft zulässt, ist offen. Er kann die Revision verwerfen. Sollte der BGH die Revision zulassen, wird es zu einer neuen Verhandlung kommen. Anwesend sein müssen dann auch Alpaslan und Mutlu Sürücü. Während Mutlu Sürücü nach Angaben von Familienhelfer Wahbi die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, hat Alpaslan Sürücü die türkische Staatsbürgerschaft. Das könnte relevant werden: Sollten sich die Sürücü-Brüder noch in der Türkei aufhalten und sich einem möglichen Verfahren entziehen wollen, könnten die deutschen Behörden die Türkei um Auslieferung ersuchen. Beide Staaten haben das europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 ratifiziert. Die Auslieferung türkischer Staatsangehöriger kann allerdings ohne nähere Angaben abgelehnt werden, während „in der Regel“ deutsche Staatsangehörige ausgeliefert werden – wenn nötig auch unter diplomatischem Druck, wie in Regierungskreisen verlautete.
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